Eine heilsame Lektion
"In den 1980er Jahren gab es reichlich
Gelegenheiten, eine große Bandbreite
an älteren Maschinen zu günstigen
Preisen zu erwerben. In meiner
unmittelbaren Umgebung wurde ich
als der Fahrradmann bekannt, und
Leute besuchten mich regelmäßig mit
Tipps zu Rädern, die zu verkaufen oder
günstig abzugeben waren. Es handelte
sich meistens um Damenräder und
mehrere hatten hölzerne Kotschützer
und Rockschützer. Ich führte immer
eine Schachtel Minzepralinen im
Lieferwagen mit und das war normaler-
weise alles, was erforderlich war, um
den Kauf abzuschließen.
Der schwierige Teil kam danach – ich
musste die Räder nach Hause bekom-
men, ohne dass meine Frau ihrer
gewahr wurde. Sie ist eine verehrungs-
würdige Frau, aber sie hasst Fahrräder
leidenschaftlich.
Glücklicherweise befand sich nahe
am Haus, in dem wir damals lebten,
eine ausgebaute Scheune, die aber vom
Haus aus nicht einsehbar war. Der
Dachboden der Scheune war herunter-
gekommen und voller Mäuse, so dass
meine Frau sich nie ins „Mäuseland“
hinauftraute. Ich konnte das Auto vor
der Scheune parken, die Räder die
Treppe hinaufbugsieren, und das war’s.
Langsam, Monat für Monat, wuchs
meine geheime Sammlung. Jahre
vergingen und ich wurde nervös, wenn
ich an die Stabilität des Speicherbodens
dachte, der inzwischen ein beträchtli-
ches Gewicht zu tragen hatte. Wenn
meine Frau Besuche machte, verstärkte
ich verschiedene, strategisch gelegene
Stellen.
Im Frühjahr 1990 hatte ich die Chance,
meine Sammlung zu verdoppeln,als ich in
der Zeitung las,dass eine großeAnzahl an
Fahrrädern verkauft werden sollte. Sie
sollte vom örtlichen Auktionshaus ohne
Mindestgebot versteigert werden, und
die Besichtigung begann am folgenden
Tag. Erstaunlich. Ich legte meine Termine
um und erschien bei der Besichtigung um
12 Uhr Mittags. Eine komplette Wand
war reserviert worden für eine beeindru-
ckende Reihe von 73 Maschinen,
einschließlich dreier Tandems, und alle in
unrestauriertem Zustand. Ich begann
meine Inspektion und entdeckte schnell
einige interessante Damenräder des
frühen 20.Jahrhunderts.
Das Problem begann mit dem ersten
Tandem, als ich entdeckte, dass es meins
war. Es dämmerte mir, dass alle anderen
Maschinen ebenfalls mir gehörten,
offenkundig gestohlen. Zeit für entschlos-
senes Handeln! „Könnte ich mit Mr.
Brocklehurst, dem Chef, sprechen?“ Mr.
Brocklehurst erschien prompt, lächelnd.
„Mr. Brocklehurst, ich stelle Sie unter
Arrest und beschlagnahme alle diese
Fahrräder, bis die Polizei kommt.“ Immer
noch lächelnd entgegnete Mr. Brockle-
hurst: „Ah ja, Sie müssen Mr. Stockdale
sein. Sie wurden uns angekündigt. Ihre
Frau lieferte diese Fahrräder ein und lässt
ausrichten, dass Sie auf die Räder bieten
können, wenn Sie möchten. Der gesamte
Erlös geht jedoch an ihre Frau.“
Ich kehrte gedankenverloren nach
Hause zurück, verzehrte mein Essen
und las die Zeitung – zwei Stunden
vergingen und kein Wort fiel. Schluss-
endlich hielt ich es nicht mehr aus und
berichtete meiner Frau, dass ich bei der
Besichtigung gewesen war, wo ich
erstaunt war, meine Sammlung
angeboten zu finden.
Meine Frau erklärte mir, dass es
einen Wasserrohrbruch in der Scheune
gegeben hatte und ein Klempner
herbeigerufen worden war, um ihn zu
beseitigen. Er war auf den Dachboden
gestiegen und hatte die Sammlung
entdeckt. Meine Frau hatte sie ange-
schaut und das Auktionshaus gebeten,
sie unverzüglich abzuholen.
Sie fuhr fort, es verhalte sich
folgendermaßen: In einer Ehe müsse
Vertrauen herrschen. Ich hätte
kurzfristig versagt, was jedoch mit Geld
wieder gutgemacht werden könne.
Keine vollgummibereiften Räder
wären dem Auktionshaus überantwor-
tet worden, und mir stünde es frei, so
viele von den übrigen 73 Rädern
zurückzukaufen,wie ich wollte.
Ich wohnte der Auktion nicht bei
und hörte später, dass das Tandem, das
ich für £150 gekauft hatte, für £90
verkauft worden war. Die Höhe des
Endbetrags erfuhr ich nie. Nach 15
Jahren bin ich noch immer verarmt,
aber doch verheiratet – so gerade."
Glynn Stockdale,Knutsford,England,übersetzt vonToniTheilmeier
Glynn Stockdale ist einer der belanntesten
Hochrad-Sammler Großbritanniens und besitzt
ein Café in Knutsford/Cheshire (bei Manches-
ter), unter dessen Decke Dutzende der
ausgesuchtesten Hochräder hängen. (Anm. d. Red.)