Sommer 1994
Mein große Leidenschaft war es, mit damals gut 6 1/2 Jahren, Ritter zu spielen. Also hatte ich von meiner Oma und Mutter selbstgenäht Kostüme und natürlich auch einige mit meinem Vater gebaute Waffen. Unter anderem Schwerter, Äxte, Hellebarden und Schilde aus Holz, aber vor allem immer wieder neue und bessere Bögen und Pfeile. Eines Abends las mit meine Mutter die Geschichte von Wilhelm Tell vor. Ich war völlig begeistert.
Am nächsten Tag spielten meine kleine Schwester (knapp unter 3) und ich im Garten. Sie mit einer kleinen Handflage vom letzten Urlaub auf Langeooge und ich mit meinem neusten Bogen. Mein Bogen war jedoch so "gut", dass die Pfeile einfach zu weit flogen und am Ende nicht mehr auffindbar waren... Einige lagen auf dem unerreichbaren Dach, andere im angrenzenden Weizenfeld, wieder andere im Wald/Sumpf nebenan (meine Eltern lebten/leben in einem ehemaligen Bauernhof mitten aufm Land).
Schneller Ersatz musste her. Also schnappte ich mir die Fahne meiner Schwester und entfernte die Flagge. Was übrig bliebt, hatte Ähnlichkeiten mit einem Pfeil - runder Holzschaft und eine leicht abgerundete, aber harte Plastikspitze.
(Beispielbild - ungefähr wie die oberen drei)
Ein paar Probeschüsse später und es war klar - der neue Pfeil ließ sich super schießen und war super präzise! Plötzlich kam mir der schweizer Freiheitskämpfer wieder ins Gedächtnis und ich zählte 1 + 1 zusammen - ich musste ihm einfach nacheifern.
Gesagt, getan. Also einen unreifen Apfel vom Baum gepflückt, meine kleine Schwester geschnappt, sie mit dem Rücken an die Wand gestellt, den Apfel auf den Kopf gelegt und die Ansage gemacht sich nicht zu bewegen. Vier, fünf große Schritte gemacht und angelegt... Halt, stop. So dann doch nicht. Das könnte ja ins Auge gehen. Also zurück zu meiner Schwester und, Sicherheit geht ja vor, sie mit dem Gesicht zur Wand gedreht. Erneute vier, fünf Schritte, Bogen gespannt, gut gezieht und Schuss.
Ging nicht ins Auge... aber in ihren Hinterkopf ? Der Apfel fiel von ihrem Kopf und zerbrach am Boden, sie sank ebenfalls in die Knie, fing an zu weinen und als sie das Blut an ihren Händen sah, das aus der Platzwunde quoll, an zu schreien... Scheinbar hatte ich nicht das Zeug zum nächsten Wilhelm Tell. Mein Eltern kamen angelaufen, meine Mutter schnappte sich meine Schwester und mein Vater mich und meinen Pfeil und Bogen. Ich glaube, das war ein Moment, in dem ich sehr glücklich sein konnte, dass meine Eltern körperliche Züchtigung strikt ablehn(t)en. Mein Vater schimpfte also mit mir und erklärt, warum das alles sehr falsch war. Die größte Strafe folgte dann aber direkt - er zerbrach Pfeil und Bogen und ich musste beides in die Mülltonne werfen.
20 Minuten später waren wir dann in der Notaufnahme und meine Schwester wurde mit ein paar Stichen genäht. Der Geburtstagsbesuch bei befreundeten Eltern fiel dann an dem Tag leider flach. Glücklicherweise hatte der kleine Unfall keine Langzeitschäden bei meiner Schwester verursacht (u.a. bestand sie ihr Abi mit einem 1,1er NC).
Die wichtigste Lektion, die ich aus der ganzen Sache mitgenommen habe: Sicherheit geht vor. Es war absolut verantwortungsbewusst von mir das Gesicht meiner Schwester wegzudrehen - ihr konnte heute ein Auge fehlen ?
Das als kleine Anekdote aus meiner Kinderheit. Leider kann ich aus oben genanntem Grund keine Fotos liefern. Ich würde mich trotzdem sehr über das ParkTool freuen.
PS: Nach diesem Unfall habe ich übrigens viele Jahre niemanden mit einer Waffe verletzt. Mit 18 Jahren habe ich jedoch ein halbes Jahr Kendo in Sportverein praktiziert und in einem eigentlich kontaktlosen Trainingskampf mit meinem Shinai (Bambusschwert) meinem Trainingspartner in den Adamsampfel gestoßen, sodass er zusammenbrach... Urteil meines Trainers - mein Partner hätte nicht richtig aufgepasst und wäre selber Schuld. Wenigstens dieses Mal ?
PPS: Meine Schwester und ich verstehen uns super ?