Während ich am Flughafen in Mexico City, und mich wie ein Wahnsinniger auf meine Rückkehr nach Deutschland freue, wollte ich nochmal ein paar Gedanken abseits der drei Trainingslager für euch zusammenfassen.
Die anfängliche Begeisterung des Neuen, Unbekannten der ersten Wochen hat sich im Rückblick recht schnell gelegt und der Ernüchterung Platz gemacht. Die ersten Trainingseinheiten nach meiner Ankunft wurden hauptsächlich drinnen im Fitnessstudio absolviert, und hier machte sich direkt der starke Einfluss der Höhe bemerkbar. 2600m Höhe über NN stellten zumindest für mich eine ziemliche Einschränkung der Trainingsqualität dar.
Dazu kam das Klima mit oft gut über 30°C und hoher Luftfeuchtigkeit. Dementsprechend habe ich in den ersten zwei Wochen versucht, höchstens Grundlage zu fahren und dem Körper Zeit für die Anpassung zu gewähren. Das sah dann so aus, dass ich mich auf das Spinningrad geschwungen habe und obwohl der Puls sehr niedrig war, bereits kaum Luft bekommen habe. Die erste Woche war mir auch durchweg schwindelig.
Nachdem der Jetlag nach ca. einer Woche weg war, bemerkte ich eine spürbare Besserung. Nach meinen Recherchen bezüglich Höhentraining gab es verschiedene Konzepte, die allgemein angewendet werden. "Train low, sleep high" war für mich schon mal nicht möglich, da Toluca und das komplette Umland auf 2600+ lagen. Mir blieb also nur "Train high, sleep high" über. Grundsätzlich ist die Theorie hinter Höhentraining, dass der Körper aufgrund der niedrigeren Sauerstoffsättigung in großer Höhe dazu gezwungen wird, a) effizienter mit dem vorhandenen Sauerstoff umzugehen und b) eine natürliche Ausschüttung von Epo anzuregen, um die Anzahl der roten Blutkörperchen zu erhöhen. Je nach Höhe habe ich verschiedene Angaben in der Literatur gefunden, aber man spricht von 7-15% weniger Sauerstoff und natürlich dementsprechend auch einer verringerten Ausdauerleistung. Das erklärte zum Teil das schnaufende Walross auf dem Spinningrad. Stellt euch vor, jemand hält euch ein Taschentuch vor den Mund, pustet euch mit einem Fön heiße Luft ins Gesicht und ihr wisst ungefähr, wie fantastisch meine Spinningsessions hier in Mexico waren. Nicht zu sprechen von den mentalen Auswüchsen, die einem dabei einfallen.
Hiere ein chronologisch sortiertes Zwiegespräch während einer solchen Genuss-Session (die schlimmsten Auswüsche hab ich zensiert):
"Hmm, habe ich doch 5kg zugenommen während des Flugs?"
"Der Widerstand muss unglaublich groß sein, daran liegts bestimmt, ich stell den mal kleiner"
"Huch, regnet es? Ach ne, bei 30°C indoor schwitzt man ja.."
"Hmm, der Widerstand ist schon auf der kleinsten Stufe - da muss irgendwas schleifen"
"Was ein Scheiss, ich hab keinen Bock mehr.."
"Hoffentlich regnet es in Deutschland und die Jungs können nicht trainieren *evil*"
"So puh, das waren bestimmt schon 90 Minuten Training - Blick auf die Uhr: Uhr steht bei .. 15 Minuten - mentale Entgleisung"
"1,2,3,4,5 - jetzt zähle ich mal die Kurbelumdrehungen"
..
"951, 952.. puh. Warum fahre ich nochmal Rennrad? Hatte das nicht was mit Spaß zu tun? :/"
"Nächstes Mal geh ich laufen"
"Soll ich nochmal einen Blick auf die Uhr wagen? *Angst*"
"Uhr zeigt erbarmungslos: 45 Minuten"
"Hmm, ich könnte das Training auch nach 60 Minuten heute abbrechen.."
"Ah, ich muss ja auch noch dringend einkaufen, und kochen.. hmm..."
"Ah, morgen muss ich auch früh raus.. da sollte ich besser mal Schluss machen.."
Tja, so sahen leider viele Sessions aus. Erst nach mehreren Wochen hatte ich mich einigermaßen akklimatisiert und an die Hitze + das unmäßige Schwitzen gewöhnt. Dazu kam leider noch etwas, was ich zunächst nirgendwo gefunden hatte. Sobald man einmal leicht über seine aerobe Schwelle ins Anaerobe wechselt, braucht man ewig, um sich wieder zu erholen. Bzw. tut das gar nicht mehr in meinem Fall. Ich erinnere mich an Berichte von der Radrennen der Pro-Cycling Challenge USA, die in die Rocky Mountains führte und bei der die Profis angaben, sie könnten ihr Potenzial auf der Höhe gar nicht mehr abrufen. Damals hab ich etwas verwundert zugehört, jetzt kann ich es gut nachvollziehen! Dank des geliehenen Mountainbikes eines Arbeitskollegen (unentgeldlich, für drei Monate!) konnte ich zumindest die meisten Trainingseinheiten nach draußen verlagern.
Wobei man sich darunter jetzt bitte nicht den schönen Schwarzwald vorstellt, sondern einen abgezäunten Park, in dem ich 5km-Runden drehen konnte. Mental stark wie ein Eisbär im Sommer und mit der Kondition eines Herzinfarktpatienten genoß ich die Abwechslung durch die frische Luft. Überrascht hat mich des öfteren das unvorstellbare launische Wetter in Mexico. Aufgrund der Höhenlage konnte das Wetter innerhalb von 30 Minuten komplett umschlagen, von Sonne und 25°C auf 18° und Starkregen. Das durfte ich nicht nur einmal genießen

- und nein, diesmal habe ich Clara nicht dafür verantwortlich gemacht.
Dazu kommen in den Parks Unmengen an mexikanischen "Wandertouristen", die ohne auf irgendetwas zu achten, von links nach rechts den kompletten Trail blockierten und mit ihrer Familie und ihren Hunden jegliche sportliche Fahrweise unterbinden. Es sei denn man will die Kinder und Hunde auf dem Gewissen haben.

Was ich natürlich nicht gemacht habe.
Apropros Hunde, neben den zu den Familien gehörenden Hunden gibt es in Mexico (leider) Unmengen an freilaufenden Hunden, auf die keiner Rücksicht nimmt. Für mich als Hundenaar war das sehr hart. Unzählige Leichen säumen die Straßenränder, denn die totgefahrenen Tiere werden, anders als bei uns, nicht entsorgt. Man nennt sie "Tacos" (nach einiger Zeit sind sie so platt gefahren, dass man sie nicht mehr erkennt), die die Straße schützen. Wie eine zweite Asphaltschicht. Ist vielleicht etwas übertrieben, aber wer Hunde mag, und 5 Monate alte Welpen auf der Straße rumlaufen sieht, und weiß, dass die nicht lange leben, dem bricht das das Herz. Neben den toten und jungen Hunden gibt es aber auch erfahrene Hunde, die die harte Realität überleben, und sich natürlich gerne in den Parks aufhalten. Sind aber grundlieb und ich hatte nie Probleme. Ein Freund und Kollege von mir, der vor mir unser Werk in Mexico besucht hat, musste da leider andere Erfahrungen machen. Er wurde gebissen und hat dann panisch über Stunden versucht, in Mexico eine Tollwut-Boostimpfung zu organisieren.. blieb mir zum Glück erspart.
Das Laufen erlebte ich ähnlich positiv. Von anfänglichen Schwierigkeiten, überhaupt zu Atmen, entwickelte sich die GA-Geschwindigkeit im Bereich von 6-6.5min/km. Gebessert hat sich das leider in Mexico im Laufe meines Aufenthaltes nicht. Was für mich ja dagegen spricht, dass ich eine Adaption der roten Blutkörperchen erfahren habe. Schade.. aber jedesmal, wenn ich wieder auf normale Höhe kam (Miami, Cancun, San Antonio) waren alle Symptome verschwunden und ich konnte meine normale Pace abrufen - ich hoffe also, zumindest nichts zerstört zu haben, und vielleicht sogar doch ein bisschen vom "Höhentraining" profitiert zu haben. Genaueres wird dann erst ein Leistungstest und eine Blutuntersuchung im heimischen Deutschland ergeben.. ich bin auf jeden Fall sehr gespannt! Vorher waren meine Werte recht gut mit 50% Hämatokrit

- Wahrscheinlich ist das deutlich gesunken..
Ich glaube, ohne die drei Trainingslager wäre ich durchgedreht. Die jeweils 4 Tage waren zwar logistisch anspruchsvoll und anstrengend, aber sie haben mir ein Ausbrechen aus diesen Missständen erlaubt und wertvolle Kilometer gebracht, um die Transalp hoffentlich gut zu überstehen. In Deutschland steht ca. eine Woche Erholung und Anpassung an, danach werden zwei 3 Wochenblöcke gestartet, die aufbauend auf der Grundlage die FTP erhöhen sollen für lange Anstiege. Weitere Bausteine sind noch ein Jedermannrennen im August und der Sauerland eXtreme-Marathon mit 250km und 4500hm mit einer Freundin. Bin mal gespannt, ob das Konzept so aufgehen wird!

Um mal mit dem ganzen Gejammere aufzuhören, möchte ich auch noch was positives festhalten. Die Leute sind unglaublich offen und hilfsbereit. Angefangen vom dem Arbeitskollegen, der einem praktisch Fremden einfach mal so sein MTB für drei Monate ohne Gegenleistung leiht (gab natürlich deutsche Schokolade, neue Bremsklötze, neue
Griffe und ne gute Flasche Tequila als Danke schön) bis zu Leuten auf der Straßen, die tatsächlich total freundlich anbieten zu helfen. Wirklich ohne Hintergedanken, mir sind alle Klischees aus Mexiko erspart geglieben:
- bin nicht verschleppt oder gekipnappt worden
- musste kein Schutzgeld an Banden oder Cops zahlen
- wurde nicht bedroht und überfallen (deshalb soll man immer Geld dabei haben, niemals leer aus dem Haus gehen)
- wurde auch im Dunkeln nicht bedroht oder angefallen
Natürlich wurde ich ca. 15xmal fast überfahren, aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Am Ende habe ich mich sogar nicht mehr aufgeregt. An Radfahren außerhalb der Parks ist übrigens nicht zu denken, dabei würde man tatsächlich sein Leben aufs Spiel setzen - gibt aber natürlich genug Mexikaner, die das jeden Tag machen müssen, weil sie aus ihrem Fahrrad kein Transportmittel haben. Da wird dann auch auf der Autobahn Rad gefahren, Richtung ist dabei egal. Gegenverkehr oder nicht, die werden schon ausweichen. Im Auto geht es ähnlich hart zu. Da Mexikaner wenig Geld verdienen, Autos aber fast westliche Preise haben, wird das günstige Modell gekauft. Und tatsächlich gipfelt das hier darin, dass diese Autos in der Basisausstattung dann keine Airbags haben. Dazu gibt es ein passendes Sprichwort: "Mexikaner haben kein Airbag, sondern ein Kreuz im Auto hängen - Gott wird es schon richten". Überhaupt prägt Glaube einen Großteil des Alltags. Im Werk bekreuzigen sich viele Arbeiter vor Schichtbeginn und -ende vor einer Mariastatue. Die wird einmal pro Jahr für eine Heiligsprechung auf Fahrrädern in die größte Basilika in Mexico City transportiert (ca. 50km! - die fahren keine Rennräder..). Was macht man nicht alles für Gott.
Viele Missstände, die für jeden Gast und Einheimischen innerhalb von einer Woche ersichtlich sind, werden einfach so hingenommen. Das ist ein deutlicher Mentalitätsunterschied zu uns Deutschen. Wir lassen uns ja viele Dinge nicht gefallen, regen uns schnell auf, auch wenn wir nicht unbedingt wie die Franzosen sofort auf die Straße rennen. Die Mexikaner glauben fest, dass sie sowieso nichts ändern können, und sind deshalb oft deutlich ruhiger und gelassener als wir. Das fängt an bei Supermarkt-Schlangen, wo die Kassierer die Effizienz einer erstarrten Eidechse im Winter haben, und hört beim unbekannten Reißverschlussverfahren an Engstellen auf. Für mich als Deutscher oftmals eine händeraufende Erfahrung, die man zunächst kaum erträgt, aber die Mexikaner kennen es nur so, und man wartet einfach. Genauso im Amt, wenn es um Papiere geht, Zollbestimmungen, oder Ein- und Ausreisen an Flughäfen. Warten ist angesagt, Effizienz ist ein ziemliches Fremdwort. "Manana".. oder halt auch nie

Korruption, Verbrechen und Armut machen Mexiko für mich zu einem fast DritteWelt-Land, in dem ich nicht leben oder auch temporär arbeiten möchte. Wahrscheinlich muss ich die Erfahrung einfach sehr dankbar als wertvolle Chance begreifen, die nicht jeder hat, und dankbar für das sein, was ich in Deutschland habe. Das fällt mir aber noch sehr schwer, denn insbesondere die Armut von Kindern, die betteln kommen, oder schon Drogen nehmen, hat mich umgehauen, auch wenn ich das schon aus der DomRep oder Haiti kannte. Das drei Monate zu sehen, wie eine Familie mit 12 Kindern in einem dreckigen Loch direkt an der Autobahn wohnt, das bei jedem Regenfall geflutet wird, hat mich stark beeinflusst.
Wahrscheinlich werde ich weiter im Konsum schwelgen, mir Carbon-Hochprofilfelgen kaufen, und mich über einen Termin aufregen, der nach 17 Uhr eingestellt wird. Aber ich nehme mir vor, auch nur ein kleines Bisschen der Erfahrungen mit in den Alltag zu nehmen.. und dankbar zu sein. Für unsere sauberen Straßen, die geringe Armut, das soziale Auffangnetz, die guten Arbeitsbedingungen (selbst als Bäcker..), und das Dach über dem Kopf. Vorher war das alles selbstverständlich für mich, jetzt sehe ich es mit großen Augen und denk mir.. "wow.. hab ichs gut".
Mal sehen wie lange das hält. Wahrscheinlich nicht lange.
In dem Sinne, machts gut, Flug LH499 lädt mich jetzt zum Boarding ein, und ich packe meinen Krempel in mein "Carry-On". Übrigens ein euphemistischer Begriff für einen 12kg Koffer (8 sind erlaubt), den ich kaum hoch ins Gepackablagefach gewuchtet kriege, um mich danach in die Sardinenbuchse zu quetschen und 11h nonstop neben einem Fremden abwechselnd frieren und schwitzen zu dürfen - warum gibts eigentlich keine vernünftigen Luftfahrtingenieure, die eine Klimaregelung auf 10.000m Höhe hinkriegen?

Train on!