Mein dritter Reisebericht, diesmal nicht aus Mexiko, sondern aus den USA.
Verschlagen hat es mich nach Texas, in die unmittelbare Nähe von San Antonio. Wie man darauf kommt? Gute Frage.. 2006 habe ich ein Semester an der Texas A&M Universität in der Nähe von Houston studiert, von daher verbinde ich ein bisschen sowas wie ein "Heimatgefühl" mit Texas. Außerdem war San Antonio nur 2 Flugstunden von Mexico City entfernt.
Meine Recherchen via Strava ergaben recht profilierte Strecken, ein guter Radladen für den Verleih eines Giant Defy in XS (nicht ganz so einfach in den USA) war auch schnell ausfindig gemacht. Dank Mexico ergreife ich ja inzwischen jeden Strohhalm für einige Kilometer auf dem Rennrad, und mein verrückter Plan sah wie folgt aus: Anreise Donnerstag morgen, 4 Tage Rennrad, und Sonntag Abend Rückflug nach Mexico City. Konkret hieß das um 5 Uhr morgens aufstehen (ja ich weiß, Max hat da schon nen Halben hinter sich), ein mexikanisches Taxi eines Freundes zum Busterminal nehmen, von dort dann mit einem sicheren Reisebus für umgerechnet 10€ nach Mexico City fahren, und um 9:20 Uhr ging mein Flieger nach San Antonio.
Die geplante Ankunft in Texas von 11:30 Uhr hat sich aufgrund "mexikanischer Effizienz" dann auf 12:30 Uhr verschoben.

Das hab ich aber schnell wieder rausgeholt, nachdem ich mich in San Antonio bei der Immigration für US-Bürger angestellt hab (angestellt war übertrieben, eine Person war vor mir). Als mich der Beamte auf den Fauxpas aufmerksam machte, winkte er aber ab und hatte mich innerhalb von 2 Minuten durchgecheckt. So schnell bin ich noch nie durch die Immigration & Customs durchgekommen!
Mein Mietwagen war ebenfalls innerhalb von 10 Minuten abgeholt, und dank der vorab ins Handynavi eingetragenen Adressen konnte ich innerhalb der nächsten Stunde mein Bike abholen, was übrigens in einem verdammt guten Zustand war. Da es in Texas entweder brüllend heiß ist, oder brüllend heiß mit 98% Luftfeuchtigkeit, sackte ich auf dem Weg zum Hotel noch schnell im Supermarkt Unmengen an ISO-Plörre und Snickers ein. Danach ging es zum Einchecken ins Hotel, Umziehen und den ganzen Kladeradatsch radtechnisch umgepackt (Ersatzschlauch, CO2-Kartusche,
Reifenheber - nach Cancun passiert mir das nicht mehr, Trinkpullen, Nahrung, Kreditkarte, Ausweiskopie).
Leider ist es in den USA ja in den meisten Fällen so, dass man nicht direkt aus der City starten kann, sondern erstmal aus Downtown raus muss. Über die Webseite eines lokalen Radclubs und einiger Hilfe über Strava hatte ich bereits etliche Routen vorgeplant, die zwischen hügelig und bergig schwankten. Inzwischen war es knapp 14 Uhr, und innerhalb von 10 Minuten hatte mich das Navi zum Startpunkt der ersten Route für Donnerstag gebracht.
Das Radfahren selbst war grandios! Zwar sehr rauer Asphalt, dafür aber kaum Verkehr und sehr schöne Landschaft. Ein bisschen Redneck-County, ein bisschen Southern Farm-Charme, das kann gefallen! Die Autofahrer extrem respektvoll, teilweise wurde man sogar angefeuert, immer mit ordentlichem Sicherheitsabstand. Nach knappen 70km war die Einrolltour beendet, und die erste Pizza wohlverdient. Naja, mein Ernährungsberater würde das anders sehen, aber der war gerade nicht erreichbar
Am Freitagmorgen kam dann das böse Erwachen. Kaum machte ich die Tür auf, schlug mir Tropenhausluft und einsetzender Starkregen entgegen. Großartig... genau was man für eine Transalpvorbereitung so braucht. Ein Blick ins TV-Programm brachte auch keine Erleichterung: "Tropical rain storm causing flash floods in Texas". Von Verzweifelung gezeichnet musste ich mir erstmal einen Kaffee bei Starbucks holen, und suchte derweil per Wetter-App die Umgebung nach trockenen Flecken ab. Tatsächlich fand ich ca. 100km im Norden, in der Nähe von Austin, vertretbare Chancen auf wenig Regen. Ok, hatte ich mich nicht drauf vorbereitet - egal, gibt ja Strava. Eine geeignete Strecke war recht schnell gefunden, wobei sich geeignet eher auf Distanz als sonst was bezieht.
Also alles in die Karre geschmissen, und von San Antonio nach Austin gefahren, schlappe 75 Minuten. Und tatsächlich tröpfelte es dort nur ein wenig. Skeptisch, aber doch hoffnungsvoll startete ich in die knappe 100km-Runde im Niemandsland von Austin. Aus vorherigen Fehlern gelernt, hatte ich diesmal vermeintlich genug Iso+Wasser dabei. Was soll ich sagen... vermeintlich. Die Route war zwar toll, aber halt doch eher auf die schnelle rausgesucht. Was dazu führte, dass sie landschaftlich wunderschön durch das Hinterland führte, aber weder Lokale, noch Tankstellen, noch sonstige Zivilisation enthielt. Nach knappen 70km bei 30°C und 80% Luftfeuchtigkeit saß ich auf dem Trockenen. Das galt auch fürs Wetter, bis auf einigen Nieselregen blieb ich tatsächlich von oben verschont. Eine Ranch hat mich freundlicherweise mit etwas Wasser versorgt, und ich konnte die Runde "etwas" dehydriert zu Ende fahren.
Kurz vor Ende sah ich noch einen sehr, sehr großen Käfer auf dem Boden vor mir langkrabbeln. Jetzt bin ich grundsätzlich kein Fan von Käfer, oder sonstigem Kriechzeugs. Je näher ich auf das Ding zufuhr, desto entsetzter wurde ich. Es war eine riesige Vogelspinne, die ihre Vorderbeine nach oben gerichtet hatte, als ob sie riechen wollte, was da ankam. Der Arachnophobiker in choco übernahm kurzerhand die Steuerung, und eine 10-Sekunden Wattbestleistung brachte mich aus der "Gefahrenzone". Brrr.. selbst jetzt noch richten sich mir die Nackenhaare auf. Ich weiß, nicht sonderlich männlich, aber die Dinger brauch ich echt nicht.

Selbst hinter Glasscheiben find ich die unheimlich.
Samstag morgen fragte ich mich beim Blick aus dem Fenster ernsthaft, ob Clara hier vielleicht irgendwo einen Wettkampf angemeldet hatte. Brr.. eigentlich hatte ich ja auch keine Lust. Eigentlich wäre ich ja in einer Woche auch wieder in Deutschland. Da kann man auch fahren, ohne Regen. Eigentlich hab ich doch genug trainiert. Seufz. Das übliche Selbstbetrugspiel mit dem Kaffee bei Starbucks nahm seinen Lauf, aber ich konnte meinen inneren Schweinehund in den Hintergrund drängten, als ich mir vorstellte, wie die Kollegen der Transalp mich am ersten Berg abhängen. Also wieder in die Karre gesetzt, und diesmal eine andere Ecke versucht.
Versucht. Es regnete leider ununterbrochen für die drei Stunden, die ich meinen zeitweise aufgeweichten Arsch in den
Sattel schwang. Aber was mich positiv stimmte, und weshalb ich nicht aufgab, war, dass ich wusste, dass da noch jemand mit mir im Regen leidet, und zwar deutlich länger als für lächerliche drei Stunden. Martin! Der fährt mal eben 500km+ im Regen, und ich schwächel hier mental.. tses!
Danke Martin, auch wenn du es nicht wusstest, du hast mich inspiriert, und jetzt weiß ich auch mal, wie es ist, im tropischen Regensturm zu fahren - kalt ist einem immerhin nicht. Die Leute hielten mich nach ihren Reaktionen und ihren Gesichtern zwar für geisteskrank, aber das kennt hier ja fast jeder der Anwesenden

Es spielte übrigens auch keine Rolle mehr, ob es regnete oder nicht. Wenn es mal trocken war, dann lief der Schweiß dermassen in Strömen, dass man dachte, es regnet.
Sonntag morgen sollte der beste Tag werden. Nachdem ich inzwischen sicher war, dass Clara sich nicht in Texas aufhielt, konnte ich meinen Charme beim Wettergott ausspielen und habe alles auf eine Karte gesetzt. Die San Antonio Wheelmen (sowas wie der lokale RSV) richteten eine "Nodrop-Route" (also ne Gruppenausfahrt, bei der keiner zurückgelassen wird) in Comfort aus. Das hießt zwar wieder, um 6 Uhr aufstehen und 40 Minuten mit dem Auto fahren, aber wenigstens einmal wollte ich eine Gruppentour genießen. Tatsächlich befanden sich ca. 10 Verrückte morgens um 7:30 Uhr an dem Startpunkt. Natürlich nur das beste vom Material vertreten.. sogar ein Triathlet war dabei auf einen Quintana Roo mit 60mm Hochprofil-Carbonfelgen. Ein Lizenzfahrer auf einem brandneuen Specialized-Carbonrahmen, zwei ausgemergelte Frauen mit XS-Trikot, die wie ein Wintermantel um sie herum flatterten, und mit Waden ausgestattet, die größer als meine waren. (Seufz).
Ich hätte misstrauisch werden sollen! Aber es hieß ja Nodrop-Route.
Der Gruppenführer war leider krank, deswegen hat es Brian übernommen. Geplant waren ca. 100km, durch die Hinterlandschaft von Comfort, Texas. Nach den anfänglichen 2 Minuten einrollen, wo ich mich noch wunderte, warum alle so langsam rumeierten, wurde dann auf der ersten Geraden die Peitsche ausgepackt, und "single line" (Einerreihe) war angesagt. Nicht ganz die entspannte Abschiedstour, die ich mir vorgestellt hatte, aber doch nett. Lag vielleicht auch an den zwei Frauen, in deren Windschatten ich mich zunächst aufhielt

Für Gespräche war die erste Stunde irgendwie keine .. Zeit .. oder Luft, wie mans nimmt.
Gottseidank kamen danach die ersten Hügel, und ich konnte mich etwas nach vorne arbeiten. Die Ansage "regroup at the top of the hill" war dann die Kampfansage, dass jeder "in seinem Tempo" die Hügel fahren durfte, und das Sufferfest nahm seinen Lauf. "In seinem Tempo" hieß auf der letzten Rille den Berg hoch.. Jetzt weiß ich auch was die mit NoDrop gemeint hatten, und woher der Begriff "Sufferfest" kommt.

Do not drop war das Motto der nächsten Stunde

Erstaunlicherweise war einzig der Triathlet ein würdiger Gegner, der leider aber auch die Hügel und ihr Ende gut kannte. Dank dem Rumgeiere in Mexiko hatte ich schon fast vergessen, wie sich Laktat anfühlte, aber hier, auf der gemütlichen Nodrop-Route, gab es das mit Mengenrabatt!
Ich erspar euch die Details, wie die wunderschönen Carbonlaufräder über Kuhgatter gezirbelt wurden, wie an jedem Hügel die
SRAM-Schaltungen hart knackten und wie die Adern bei den eingeölten Männerbeinen hervortraten. Eingeölt.. noch so ein Ding von Lizenzfahrern - da muss man misstrauisch werden. Dank des guten Warmups auf der Geraden konnte ich mir aber etwas Respekt an den Hügel einfahren und so kamen die ersten Unterhaltungen zustande.
Der Triathlet hat in den letzten Monaten 35 Pfund abgenommen, über die Eigen-Urin-Kur. Er spritzt sich das filtrierte Zeug, weil da viele tolle Hormone drin sein sollen. Der Lizenzfahrer fährt "nur noch so zum Spaß", denn er hatte jetzt sein eigenes Unternehmen, was Drohnen zur Kartografierung herstellt. Brian wollte eigentlich nicht fahren, weil Vatertag ist, aber er kann ja seine Leute nicht im Stich lassen. Auf meine Frage, was denn mit "Nodrop-Route" gemeint war, lachten alle nur.. Naja, es hat richtig Spaß gemacht, und letztendlich ist es für mich dass, was unseren Sport ausmacht. Ausfahrten in der Gruppe, gern mit Tempo, aber auch Respekt, und das Achten aufeinander. Und tatsächlich wurden die Ladies später wieder eingesammelt und alle kamen zusammen am Ziel an! Perfekt.
Inzwischen war es 12 Uhr, und ich verabschiedete mich. Schließlich musste ich noch kurz 40min zurück nach San Antonio, dort das Rad zurückgeben, Duschen, Packen, aus dem Hotel auschecken, was essen, den Mietwagen zurückgeben, und am Flughafen einchecken. Mein Flieger ging um 19 Uhr abends, also genug Puffer. Das Hotelzimmer hatte ich extra einen Tag länger gebucht, um noch in Ruhe einen Rückzugsort zu haben. Hab ich mir von dcrainmaker abgeguckt. Somit bricht ab Montag dann meine letzte Woche in Mexico an. Am Donnerstag fliege ich als redeye-Flug um 20:45 Uhr abends zurück nach Frankfurt, um dort Freitag nachmittags mit dem ICE zurück nach Bochum zu gurken. Wenn ich den Trip hinter mir habe, mache ich drei Kreuze.. ich hasse diese Langstreckenflüge. Hab mir extra aus den USA Schlaftabletten gekauft, vielleicht klappt es ja. Bislang hatte ich immer nur Sekundenschlaf im Flieger mit anschließender Nackenstarre.
Das nächste Mal hört ihr hoffentlich aus Deutschland von mir! Koffer sind gepackt, einen Arbeitstag hab ich noch, dann gehts Donnerstag Abend in den Flieger... juhuu
