AW: Zeig her, deine(n) Klassiker!
Irgendwie schiessen wir da über das Ziel hinaus. Ich denke mal, Fahrräder galten als eher weniger kriegswichtig, da brauchte man eher was mit nem dicken Diesel, Panzerplatten und einer Wumme oben drauf. Dazu kommt, dass ein durchschnittlticher Radl-Hersteller typischerweise ein kleiner Mittelständischer Betrieb war, mit ein paar hundert Angestellten, wenn es hoch kam, und damit kaum als Schlüsselindustrie galt, die das Regime hofierte.
Fahrräder galten tatsächlich als weniger kriegswichtig, obwohl ihre Bedeutung als "Massentransportmittel" im Verlauf des Krieges wegen des zunehmenden Treibstoffmangels und der zunehmenden Zerstörungen der sonstigen Infrastruktureinrichtungen eher zu- als abnahm. Aber darum geht es auch gar nicht - es geht eher darum, klar zu stellen, dass es in einem totalitären System, das einen langfristig vorbereiteten Angriffskrieg führte (bei dem es die Stärke der Angegriffenen unterschätzt hatte), in der zweiten Hälfte des Krieges, als sich die Niederlagen häuften und der Krieg in Form der alliierten Bombardements zurück nach Deutschland kam, keine "Nischen" geben konnte, in denen jemand unschuldig und weltvergessen vor sich hin produzierte, ohne irgend etwas mit dem laufenden Weltenbrand zu tun zu haben. Vor allem ab 1943, als die deutsche Kriegswirtschaft vom Staat wegen der zu geringen Effizienz der Rüstungsproduktion "an die Kandare genommen" wurde, muss man sagen, dass jeder Unternehmer in der einen oder anderen Form am Krieg beteiligt war, teils freiwillig, teils unter Zwang, teils direkt in der Rüstungsproduktion, teils in der Zulieferindustrie (die in einem hoch arbeitsteiligen Produktionsregime natürlich auch immens wichtig war - wenn da ein kleines Preß-, Stanz- oder Drehteilchen für einen Bombenzünder, für einen Flugzeugkompaß oder für die Einspritzpumpe des von Dir erwähnten "dicken Diesels" nicht geliefert werden konnte, beeinträchtigte das auch ganz direkt die Herstellung der entsprechenden Kriegsgeräte), teils in der Stützung der seinerzeit so genannten "Heimatfront", die ganz zu recht als "kriegsentscheidend" betrachtet wurde (siehe auch die "Dolchstoß"-Legende des Ersten Weltkriegs, demzufolge "die Heimat" "der Front" in den Rücken gefallen sei und so die Niederlage verursacht habe). Das Wort vom "totalen Krieg" fiel erst 1944, beschreibt aber die Zielvorstellung der Nationalsozialisten ab 1943 schon recht genau.
Es mag durchaus sein, dass der eine oder andere Firmeninhaber eng mit den Autoritäten gekuschelt hat, oder sich der Symbolik der jeweiligen Machthaber bedient hat, um sein Zeug besser zu vermarkten ...
Es ist nun inzwischen wissenschaftlich sehr breit und tiefgehend nachgewiesen, dass breite Kreise der deutschen Industrie schon sehr früh den Aufstieg der Nationalsozialisten finanziell gefördert und dadurch überhaupt erst ermöglicht haben; es ist ebenso zweifelsfrei erwiesen, dass große Teile der deutschen Industrie nach den schweren Jahren der Weltwirtschaftskrise von der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Nationalsozialisten sehr profitiert haben, durch die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Ausschaltung ausländischer Konkurrenten, durch die Enteignung und Vertreibung jüdischer Unternehmer, durch die kriegsvorbereitende Aufrüstung (die begann sofort nach der Machtergreifung 1933), durch geförderte Rüstungsforschung etc. pp. - da wurde klotzig Geld verdient, die Wirtschaft florierte, und das Einverständnis der Unternehmer (wie der meisten anderen Deutschen auch) mit dem NS-Regime und seiner Politik war durchschnittlich sehr hoch. Viele Industrielle traten 1933 in die NSDAP ein, weil sie zu Recht davon ausgingen, dass es dem Geschäft nützen würde - stellvertretend seien hier mal nur Wilhelm von Opel oder Willy Sachs (Fichtel & Sachs) genannt (Willy Sachs war später auch in der SS).
Mit der Symbolik des NS-Systems haben im Dritten Reich fast alle "gespielt", wie Du schreibst - ein "markiger Ton" und die Verwendung martialischer Symbole sind in den Anzeigen der Kriegszeit unübersehbar. Man kann also schon sagen, dass die deutsche Industrie - und zwar die großen wie die kleinen Unternehmer und Unternehmen - oft bis zum Kriegsende den Nationalsozialismus mit seinen Konsequenzen bejaht und unterstützt hat, sei es aus Überzeugung, sei es aus wirtschaftlichen Motiven.
Zwar gab es natürlich auch immer Ausnahmen, insofern kann "alle" in diesem Zusammenhang nicht gerechterweise auch zugleich "jeder" bedeuten, aber für eine Verharmlosung gibt es andererseits wirklich auch keinen Grund.
Ich schreibe das so deutlich, weil nun wiederum eben das Leugnen, das Verharmlosen, die behauptete Unkenntnis und natürlich die prinzipielle Nichtbeteiligung am NS-System und der Kriegswirtschaft zwischen 1945 und mindestens 1980 in der deutschen Industrie sozusagen den Standard darstellten, wie man an den Firmenfestschriften dieser Zeit sehen kann: Man war an allem unschuldig und unbeteiligt, hat nur so systemfern vor sich hin produziert, wußte nichts von Kriegsvorbereitungen und Judenverfolgungen, hat die 1930er Jahre als "ganz normale" Zeit erlebt, in der es aufwärts ging - und plötzlich kamen da die bösen allierten Bomber und zerstörten einem die Anlagen, unglaublich !! Wie viele andere Deutsche sah sich die Industrie nach den Zerstörungen durch Luftangriffe ab 1942/43 ausschließlich als Opfer böser Mächte, als unschuldig verfolgt an. Diejenigen westdeutschen Rüstungsbetriebe, deren Produktionsprogramm zwischen 1939 und 1945 allzu eindeutig aus Kriegsgütern bestanden, ließen die entsprechende Epoche in ihren Festschriften oft gleich ganz aus, oder reduzierten sie auf dünne wirtschaftliche und technische Zahlen - wenn man heute eine größere Anzahl von zeitgenössischen Firmen-Selbstdarstellungen durchschaut, fragt man sich wirklich oft, ob der Zweite Weltkrieg tatsächlich stattgefunden hat, und wenn ja, wer ihn auf deutscher Seite geführt bzw. unterstützt hat (ganz zu schweigen von der Frage, was eventuell die Alliierten dazu gebracht haben könnte, dann plötzlich Bomben auf dieses unschuldige Land zu werfen ...). Ähnlich läuft es übrigens bis heute in Italien und anderen europäischen Ländern; auch in der DDR wurde die Mitschuld verdrängt bzw. "ausgelagert": da waren es halt die bösen Kapitalisten/Imperialisten, die das faschistische Regime installiert und den Krieg gewollt hatten, während die Arbeiterklasse selbstverständlich unschuldig und friedliebend gewesen war.
... aber ich leite daraus keine Verpflichtung ab, diese Produkte heute noch zu boykottieren. Da müßte ich eher bei schwäbischen Automobilbauern oder div. Stahlproduzenten anfangen.
Das verlangt ja auch niemand von Dir, und es wäre wohl auch in der Praxis schwierig durchzuhalten ... Außerdem bringt es natürlich nichts, denn Geschichte läßt sich nicht rückwärtswirkend ändern. Aber dass es einen andererseits bei Produkten aus der Zeit von 1933-1945 eventuell schon mal etwas gruseln kann, auch, wenn sie vordergründig "harmlos" wirken, ist hingegen sicher kein Ausdruck von Hysterie - wir haben doch in den vergangenen Jahren zu genau erfahren, wie die Dinge wirklich lagen, und in welchem Kontext alles, was aus dieser Zeit stammt, zu sehen ist. Es ist auf jeden Fall gut, sich der Zeitumstände bewußt zu sein, und sich immer klar zu machen, dass es in einem totalitären System nichts Unbelastetes geben kann, und es ist nötig, gerade weil große Teile der Kriegsgeneration das Unrecht jener Jahre und ihren jeweiligen persönlichen Anteil daran jahrzehntelang überwiegend beschwiegen wissen wollten. Vor nicht allzu langer Zeit konnten ja sogar gebildete Menschen noch im gepflegten Partygespräch äußern, dass das, was der Hitler da mit den Juden gemacht habe (er allein, versteht sich - Helfer hatte er da ja keine ...), natürlich schrecklich gewesen sei, aber dass man ihm doch auch zu Gute halten müsse, dass er den Leuten Arbeit gebracht und die Autobahnen gebaut habe (das habe ich noch in den mittleren 1980er Jahren erzählt bekommen, von Leuten, die sicherlich eher keine Nazis waren).
Das alles würde mich aber auch nicht daran hindern, ein 1942er Rabeneick zum Klassiker des Monats oder des Jahres zu wählen - ich finde, man darf nichts verharmlosen, sollte aber Gegenstände auch wiederum nicht moralisch aufladen - wir werden unsere Geschichte weder durch Beschweigen, noch durch Dämonisierung bewältigen, sondern nur durch Klarheit und Wahrheit.