Frau Leone lacht immer über meine Fotos mit dem Handy. Die seien total unscharf. Aber dem
@"Grenzgänger" will ich den Wunsch nach dem Tourenbericht nicht ausschlagen. Nun denn, möge die Fahrt beginnen...
Verliebt in Tornante 8°
Früh raus. Eine gute Entscheidung. Die Luft ist noch angenehm kühl von der Nacht, der Asphalt an manchen Stellen noch feucht vom vorabendlichen Regen. Erst geht es auf der alten Landstraße flott runter nach Meran, anschließend leichtrollend über den Etschradweg nach Bozen. Rechts vom Radweg fließt die Etsch, links von den Plantagen tönt - na klar! - das Tschik-tschik-tschik der Wassersprüher. Hin und wieder stiebt ein Spatzenschwarm auf und verschwindet im Gebüsch, derweil der Gantkofel in der Morgensonne leuchtet.
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(Der Gantkofel in der Morgensonne)
Vorbei an Schloss Sigmundskron und Schloss Warth führt mich mein Weg zum Einstieg des Mendelpasses. Ein hellblauer Transporter hat dort schon eine Reihe MTBer ausgespuckt, die jetzt vor mir den Pass hochkurbeln. MTBer grüßen nicht. Warum eigentlich nicht? Der Rennradfahrer, an dem ich langsam vorbeiziehe, tut's doch auch ganz freundlich.
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(Schloss Warth)
Handgeschriebene Kilometerzahlen neben dem Randstreifen. Sie zählen vermutlich rückwärts bis zum Pass. Sehr nett. Wenn eine kommt, dann schiele ich drauf und versuche sie zugleich auch wieder ganz schnell zu vergessen und ihr nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Es rollt ganz gut, auch wenn ich zu Anfang merke, dass ich noch zu schnell unterwegs bin. Irgendwann aber haben der Mendelpass und ich unseren Rhythmus gefunden. Und man hat mir nicht zuviel versprochen.
Der Mendelpass ist mein Freund. Er hat eine angenehme Steigung und ist nie unfair. Durch die Bäume hindurch werden mir immer wieder Puzzlestücke eines tollen Panoramas geboten. Irgendwann kommt dann das Mittelstück. Die Trasse schmiegt sich nah an den Fels, gleichzeitig ist der Blick nun frei auf das Tal und das gezackte Bergkettenpanorama. Ich bin begeistert. Die MTBerin muss mich hassen, wie ich so an ihr vorbeirolle und dabei vor Begeisterung mit dem Handy in alle möglichen Richtungen Fotos mache.
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Es werden die letzten Tornanten angekündigt. Und dann passiert es. Liebe auf den ersten Blick. Ich glaube, es ist Tornante 8°. Als wir uns begegnen, weiß ich, dass sie die Wahre ist. Welch genialer Ausblick! Der Blick von oben auf Bozen, dahinter im Tal die Zackensilhoutte der Dolomiten. Erwartungsvoll hoffe ich, mit jeder weiteren Kehre einen noch schöneren Blick erhaschen zu können, aber keine ist so schön wie Tornante 8°. Zwischen all der Begeisterung steht am Straßenrand auf einmal in Handschrift "1km Giro IT", was zu Anfang noch nicht vorstellbar war. Der Pass ist jetzt in Griffweite.
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(Tornante 8°: Außenblick)
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(Tornante 8°: Innenblick)
Oben auf der Passkuppe angekommen grüßt eine äußerst wohlgenährte Frau in prallgefülltem weißen Arbeitsoutfit von der noch gastlosen Terrasse eines Lokals. Das Schild neben ihr bewirbt ihre guten Taten: Brathähnchen. Aber gerade eben bin ich eigentlich nur noch für die Empfehlung des Tages zu haben: "... und dann den Penegal mitnehmen. Der ist zwar sausteil aber recht kurz. Und die Aussicht ist einzigartig." So waren die Worte von Schoko ono.
Am Anfang geht's in den Kehren noch ganz gut. Steil, aber machbar. Aber dann - das Sträßchen will kein Ende nehmen - wird's auf einmal wirklich sausteil. Ey caramba! Das Biest zieht mir doch fast die Schuhe aus. Aber umkehren ist nicht mehr, wo ich doch schon so weit bin. Hat mir doch Schoko ono einen grandiosen Ausblick versprochen.
Endlich oben, ziehe ich schnell die Windweste an. Und dann ran an die Aussicht. Wirklich genial! Foto hier, Foto da, unter mir rollen ein paar kleine Gestalten durch die Serpentinen im Wald und die Mendelstraße drückt sich an den Steilhang und windet sich hoch. Dort unten bin ich vorhin auch gewesen.
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(Penegal-Panorama)
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(Im Steilhang schmiegt sich die Mendelstraße an den Fels)
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(Blick Richtung Westen)
Ich will gerade weiter - für die Weiterfahrt streife ich mir die Armlinge über - da kommt mit viel Schwung ein MTBer die letzte Steigung hochgefahren. So schnell, dass ich zuerst einen Elektroantrieb vermute. Aber es ist alles echt. Er fährt auf mich zu, lacht und klopft mir auf die Schulter. Wir haben wohl beide nicht damit gerechnet, hier auf jemanden mit Fahrrad zu treffen. Wir unterhalten uns. Er erzählt, dass er XC-Rennen fährt, den Mendelpass für's Intervalltraining genutzt hat und auf Empfehlung seines Trainers auf den Penegal hochgefahren ist. Auch ihm hatte man eine kurze Steigung versprochen und wir uns einig: Kurz ist hier gar nichts. Sausteil umso mehr.
Für mich geht's jetzt runter nach Fondo. Eine kurze Schrecksekunde für beide - Huhn und mich -, als in der schnellen Abfahrt das auf der Straße herumspazierende Huhn und ich geraden eben noch die Kollision vermeiden können.
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(Auf der Abfahrt nach Fondo)
Und dann beginnt der Anstieg zum Gampenpass. Ich merke, wieviel Körner mich der Penegal gekostet hat. Jetzt wird's zäh, obwohl die Steigung an sich wirklich sehr gemütlich ist. Die Beine sind einfach leer, die Luft ist schwülfeucht und drückt. Ich konzentriere mich auf die Risse im Asphalt und auf den weißen Seitenstreifen. Immer weiter. Blick nach links: steile Klippe im Wald. Kleine Brücke über tiefer Schlucht. Weiter. Heugeruch von den Wiesen. Weiter. Die Luft wird wieder spürbar kühler. Und auf einmal kommt ohne große Kehren der Gampenpass daher. Ein hellblauer Transporter steht am Parkplatz. Kommt mir bekannt vor.
Windweste. Armlinge. Abfahrt. Was für ein Spaß. Sie fühlt sich lang. Und die ganze Zeit ist da diese tolle Aussicht über das Tal. Beste Unterhaltung. Je weiter es ins Tal runter geht, umso wärmer und feuchter wird die Luft. Im Tal dann drückende Schwüle. Etschradweg. Nur noch die Höhenstufe überwinden. Acht lächerliche Tornanten mit Schild für einen Radweg. Wo gibt es denn soetwas? Und sie haben es in sich. Die Sonne brennt. Ein Pärchen mit E-Bikes zieht an mir vorbei. Bei mir ist die Luft jetzt raus.
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(Auf der Abfahrt des Gampenpasses: St. Leonburg bei Lana mit Blick ins Passeiertal)
Wieder zurück bei der Unterkunft höre ich mich auf der aufgehitzten Terrasse sagen: "Lass uns morgen die Seilbahn bis Aschbach nehmen." Frau Leone mustert mich, grinst und nickt zustimmend. Der Vorschlag kommt gut an.