AW: l'eroica
Ich hab 2 Diamanten allein im Zieleinlauf für die 135er gesehen.
Hier mal mein noch ganz frischer Eindruck. Und nach dem Lesen von StrongWalkers Bericht bemühe ich mich mal jeden Pathos wegzulassen:
Es ist schon ein besonderes Erlebnis. Im Mondschein auf schmalen Strassen über die Hügel die von Kastellen und Gutshöfen bedeckt sind, zwischen Olivenbäumen und Weinstöcken -- allein diese halbe Stunde war jede Mühe wert. Im Dunklen roten Rücklichtern nachzujagen ohne genau zu sehen auf was man da eigentlich fährt. Und plötzlich über eine Kuppe, da sind die Rücklichter weg, der Asphalt ist auch weg, es geht steil runter, Du kannst nur ahnen wie steil, und denkst nur
BREMSEN. Total verrückt!
Die Strecke ist sehr hart. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben soviele Radfahrer ihr Rad schieben sehen (mich eingeschlossen). Einen sah ich der schob bergab, mittags auf einer besonders steilen Piste. Man konnte fast nirgendwo den Schwung nutzen sondern musste im Schleichtempo runter. Und die meisten Pistenabschnitte gingen hoch-runter-hoch-runter, pausenlos. Furchtbar demotivierend. Dabei hatte ich Glück und brauchte nichts zu reparieren. Alle 500m wurden
Schläuche gewechselt. Auch Freiläufe gingen viel kaputt. Wem der Lenker brach oder die
Bremsen nachgaben der hatte ohnehin Pech gehabt, der flog runter. Auf einer langen Asphaltsteigung hängte mich ein 70-jähriger mit seiner Gruppe ab, der Waden wie ein Fußballer hatte. 30 Min. später sah ich ihn neben einem Rettungswagen sitzen, seine Kameraden um ihn herum, in einer Senke zwischen zwei steilen Anstiegen. Wahrscheinlich gestürzt.
Bis 65km fuhren die 135 und 200km Fahrer zusammen. Als ich eine Piste nur leicht bergab hinuntersegelte und froh war mal Gas geben zu können und nicht
bremsen zu müssen, überholten mich 2 Italiener mit 50 Jahre alten Rädern auf Ballonreifen mit Tempo 50 und hüllten mich in eine Staubwolke, gefolgt von einem Motorrad mit Kameramann. Mir war an der ersten Verpflegungsstelle klar dass ich besser nur die 135 fahren sollte. Bis dahin hatte ich bereits 2 Flaschen ausgetrunken obwohl ich normalerweise die ersten 50km kaum oder gar kein Wasser brauche. Ich weiss nicht wann ich das letzte Mal 5l Wasser zu mir genommen hab auf einer Fahrt. Dabei war die Sonne nur mittags schlimm, nachmittags bewölkte es wieder. In der direkten Sonne konnte man kaum sehen wenn man plötzlich auf Waschbrettpiste kam, was nach der 2.Verpflegungsstelle losging. Eine schlimmere Belastungsprobe fürs Material ist kaum denkbar. Die Italiener setzen nonchalant ihre besten und wertvollsten Räder dafür ein, daher war ich froh ebenfalls mit meinem "besten" gekommen zu sein.
Bei 85km hatte ich den Punkt erreicht wo ich nicht mehr konnte. Das ist die Strecke die ich zuhause normalerweise so fahre, dort mit geringerer Belastung. Da mag man dann einfach nicht mehr. An dem Punkt hat mich die tolle Verpflegung wieder aufgebaut. Aprikosenschnittchen, Käse, Wurst, Parmaschinken (die Radfahrer griffen mit beiden Händen hinein und die Damen hinterm Tresen füllten gleich wieder nach), Tee, Weintrauben, Bananen, 10 Sorten Kuchen - es war unglaublich. Was ich auf der Strecke verfutterte kostete allein mehr als das Startgeld, obwohl ich eigentlich gar nicht so ein Fresser bin und schon eine Zeitlang von meinen "natürlichen Reserven" zehren kann. Die Fahrt muss finanzkräftige Sponsoren haben, und sie geben das Geld für die Teilnehmer aus - gut so! Nach einer halben Stunde mochte ich weiterfahren. Vielleicht gab es auch Radfahrer die eine Stunde blieben (einige fuhren auch mit NEUEN Rädern mit und trugen keine Startnummern). Den Vino hab ich natürlich auch probiert (bloss 0,5cl Gläser), der baut vor allem psychisch auf und ist ja das älteste "Dopingmittel" der Welt...
Nach der 2. Verpflegungsstelle stieg ich vor jedem Schotterberg ab der mir unsympathisch erschien, egal wieviele vorfuhren. Ich trainiere diesen langsamen Tritt nicht und meine Knie würden das auch nicht mitmachen. Wer aus den Pedalen aufsteigt, rutscht nur noch, kommt aber nicht hoch - ausser vielleicht mit Crossreifen. Die meisten Italiener fahren aber auch keine. Ich fing an diejenigen Radfahrer zu beneiden die mit Turn- oder MTB-Schuhen laufen konnten. Aber ab 100km hörten die elenden Pisten weitgehend auf. Sofort gings mir wieder besser, denn hügelige Strassen bin ich ja gewöhnt. An der 3. Verpflegungsstelle hatte ich den Eindruck dass viele nun länger Pause machten und sah in viele Gesichter, die so müde aussahen wie meines wohl nach 85 ausgesehen hatte. Auch traf ich erstmals auf Fahrer die vor mir gestartet waren. Und die mich überholten wenn ich schob traf ich auch immer wieder. Nach 20 Min. fuhr ich wieder.
Den Preis des langsamen Tretens bezahlten viele später. Manche kamen jetzt kleine Asphaltsteigungen nur noch mit Schwierigkeiten hinauf, selbst die Strasse zum Ziel in Gaiole. Wer noch die die 200km abschliessende Bergschleife nach Radda hinauffuhr, vor dem ziehe auch ich den Hut. Im Ziel hatte ich jedenfalls das angenehme Gefühl dass es jetzt noch hätte weitergehen können, und trotz des vielen Schiebens irgendwo im "Mittelfeld" angekommen zu sein, nämlich um kurz nach halb 4. Um kurz vor 8, schon lange wieder dunkel, sah ich dann immer noch Radler ins Ziel kommen, sowohl von der 135er wie der 200er Strecke. Ein paar kamen auch noch später. Einige mussten lange reparieren, andere verfuhren sich... die Schilder standen teilweise in recht grossen Abständen, und auch hier galt: wer 1x nicht hellwach war hatte Pech gehabt.
Schade dass die Italiener den Spätkommenden nicht mehr Applaus gaben. Ich hatte ein bisschen den Eindruck man feiert die Großartigkeit des eigenen Machismo, und dann kommt lange nichts. Aber das liegt vielleicht auch an meinen Schwierigkeiten mit einer Mentalität die wirklich von gestern ist, die ausstirbt, und vielleicht auch zu recht. Ich hatte jedenfalls nette Gespräche mit ein paar jüngeren Italienern die Englisch verstanden, und eine nette Tischgesellschaft beim Abendessen vor der Fahrt. Lustigerweise wurde ich gefragt woher man denn in Deutschland von dem Rennen wisse. Dass man irgendwo anders auch Räder bauen würde mochten einige wohl auch ahnen. Ein paar britische, französische und deutsche Bikes sah ich jedenfalls, sogar ganz wenige japanische. Im grünweissroten Heldenepos waren sie immerhin geduldet. Die
Bilder muss ich erst sortieren; ich kam erst gestern abend wieder zuhause an. Strecke und Verpflegung unterwegs sind jedenfalls die Anfahrt wert, und nachdem ich von radmarathon-erfahrenen Deutschen dann geschildert bekam was einem in Deutschland da alles wiederfahren kann, wusste ich dass ich auf der L'Eroica richtig war, und auf einem gewöhnlichen Radmarathon wahrscheinlich falsch wäre...
