Gestern auf der Heimfahrt.
Ich bremse und rolle langsam heran. "Haste alles dabei, was Du brauchst?" Auf der Bank steht das Trekkingrad. Kopfüber. Darumherum ist
Werkzeug ausgelegt. Das Vorderrad ausgebaut.
Etwas irritiert guckt er mich durch seine Sonnenbrille an. Meine Frage scheint unerwartet, aber gelegen zu kommen. Luft könne er brauchen, meint er. "Damit kann ich Dir aushelfen." Ich sag's und lehne mein Rad an.
Der
Schlauch wird herausgezogen. Irgendwo müsse das Loch sein. Wir pumpen den
Schlauch auf und er führt diesen Stück für Stück an seinem Ohr vorbei. Er hört am
Schlauch. Schiebt weiter. Hört. Schiebt wieder weiter. Hört. Schiebt weiter. Nichts. "Lass Dir ruhig Zeit." sage ich und fahre fort: "Ich hab's nicht eilig."
Die eine Stelle, die ihm verdächtig scheint, benetzen wir mit etwas Wasser aus meiner Flasche. Keine Bläschen. Fehlanzeige. Daraufhin nehme ich den
Schlauch und führe ihn ganz nah an meinen Lippen vorbei. Kein Luftzug. Wir gucken uns etwas ratlos an.
"Dann ziehe ich halt einen neuen
Schlauch ein." sagt er und überprüft noch einmal den
Reifen auf Fremdkörper. Da ist etwas. Er zieht den Übeltäter heraus. Ein kleines halbmondförmiges Metallstück. Dem Glück mit dem neuen
Schlauch steht also nichts mehr im Wege. Während er an seinem Vorderrad hantiert, unterhalten wir uns.
"Wohin biste heute unterwegs?" will ich wissen. Er erklärt, dass er in Aachen wohne und auf dem Weg nach Roetgen sei. Dort würde er dann ein Eis essen und wieder zurückrollen. Diese Tour mit zweimal 30 Kilometern stünde des Öfteren auf seinem Programm. Ich frage nach der Eisdiele seines Vertrauens und der Eissorte, die er besonders empfehlen kann. "Banana Split."
Heribert kommt ins Erzählen. Dass er mal mit dem Fahrrad durch ganz Deutschland gefahren ist. Das ist schon so sieben Jahre her. Er ist von der Küste bis nach Garmisch Partenkirchen gefahren. Toll war's, erinnert er sich. Und wie er so im Schwärmen ist, erzählt er mir dann von seinem Traum. Er möchte einmal die Alpen überqueren. Mit einem Rennrad. Auf der Route, die damals auch die Römer genommen haben, erklärt er mir. Dabei seien zwei Alpenpässe zu überqueren. Das müsse er aber bald machen, sonst könne er das nicht mehr. Und er habe auch noch kein Rennrad.
Einmal hätte er fast eines einem Bekannten abgekauft. So gut wie nicht gefahren und zu einem guten Preis. Das Angebot sei gut gewesen, aber er war sich unsicher. Er kenne sich mit der Materie überhaupt nicht aus. Und die ganzen verschiedenen Schaltungen würden ihn verwirren. Da blicke er nicht durch.
"Das ist alles nicht so kompliziert", sage ich. Wir unterhalten uns über Schaltgruppen, die passende Rahmengröße, das Gewicht eines Rennrads, das Fahren von langen Steigungen und Pässen. Mit Gepäck wolle er die Tour aber nicht fahren. Er wolle an einer Tour teilnehmen, bei der das Gepäck für ihn transportiert werde und er erzählt mir die Anekdote, wie er damals bei Garmisch mit seinem ganzen Gepäck am Rad seinen ersten langen Anstieg hochgekrochen ist und sich wunderte, plötzlich zwei entspannt plaudernde Frauenstimmen hinter sich zu hören, die ihn kurze Zeit später locker überholten. Mit ihren Pedelecs.
Heribert guckt auf mein Rennrad. Ob er mal drübersteigen dürfe? "Klar", sage ich. Vorsichtig schwingt er sein Bein über das Oberrohr. Er steht da, seine Hände halten den Lenker. Er hebt das Rad leicht an. "Das würde von der Größe ganz gut passen, oder?", meint er. Es scheint, als ob er gerade seinem Traum ganz nahe ist. Und weniger zu mir als viel mehr nur für sich und zu sich selbst murmelt er: "Wenn nicht jetzt ein Rennrad, wann dann?"
"Vielleicht sieht man sich hier auf dem Vennbahnweg ja mal wieder", sagt Heribert beim Abschied. "Ja, vielleicht. Gute Fahrt. Und lass Dir Dein Banana Split schmecken", wünsche ich ihm. Und dann fahre ich links Richtung Zuhause und Heribert fährt rechts zu seinem Banana Split. Und vielleicht fährt er auch seiner Alpenüberquerung entgegen.