AW: Unglaubliche Hetzschrift ...
Unglaublich! Wirklich unglaublich! Eine Unverschämtheit ohnegleichen. Einfach inakzeptabel! Ohne jegliche Rücksicht, ohne Verstädnis und ohne Bezug zum wirklichen Leben.
Es erscheint mir derat heftig deftig, dass ich mich auch im hohen Alter noch durch die Wirren der Anmeldung in einem Radlforum tasten muß, um mit dürren Worten der ultimativen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Was bewegt mich nun zu diesem Akt der Selbstüberwindung und Selbstdarstellung?
Ein Artikel, eine winzige Kolumne der Esslinger Zeitung, dem weltberühmten Blatt für die tiefe und anhaltende Meinungsbildung, nicht nur für motorisierte Verkehrsteilnehmer, sondern auch für Menschen, die in der Lage sind, sich teilweise täglich aus eigener Kraft von A nach A zu bewegen (sogenanntes "Training").
Schon im ersten Satz ihrer Kolumne gelingt es der Volontärin, die in einschlägigen Radforen immer wieder in peinlicher Tiefe und epischer Breite breitgetretenen Themen rund um Helmpflicht, Beinrasur und vernünftige Kleiderordnung zu konterkarieren. Selbstverständlich springt der unrasierte Helmträger in schlappriger, sturzgelöcherter Hose sofort an und versucht in bewährter Oberlehrermanie, der armen Praktikantin den Reiz des Radfahrens und die Fehler der polemischen Überhöhung ihres engstirnigen Weltbildes zu plausibel zu machen.
Mutige Mitmenschen schreiben sogar einen Leserbrief auf eine Kolumne! Nochmal für alle, die erst jetzt einsteigen: ein Leserbrief auf eine Kolumne! Nicht auf ein Seite-3-Thema, nicht zum Klimawandel, zum Irakkrieg, zum Überwachungswahn unserer Regierung oder zum zunehmenden Sozialabbau einer erstarrten Verwaltung. Nein, man erbost sich über die wenigen, schlecht recherchierten Zeilen einer journalistischen Junghenne.
Als Chefredakteur würde ich die Zarte bei mir antreten lassen und dazu verdonnern einen seitenfüllenden Bericht über Radfahrer zu verfassen, Unfallstatistiken, Unfallschwerpunkte, Unfallhergänge, Altersbetrachtungen, Materialpreise (es gibt Leute, die fahren Radmaterial welches aus Fernost herangeschifft werden muß ... wie gesagt unglaublich, in Grönland schmelzen die Gletscher und wir lassen uns Ketten aus Japan liefern ... soviel zur Vorbildwirkung). Noch ein paar schöne Photos von den üblichen Radlersünden und ab geht die Meinungsbildung. Dann haben die eingehenden Leserbriefe wenigstens Sinn und mein Blatt ist in aller (Radler)Munde. Werbekunden springen an (dieser japanische Angelzubehörhersteller, oder die amerikanische Coladosenverwertung) und der Laden läuft wieder richtig an
Es gibt aus meiner Alterskurzsicht zwei einfache Möglichkeiten zu reagieren:
Entweder Mann rasiert sich zukünftig die Beine, stimmt seine Sportkeiderordnung auf die üblichen mitteleuropäischen Modetrends ab (hier bieten sich renommierte schweizer bzw. italienische Firmen an) und lässt denn Wind, wie Jahrhunderte üblich durchs Haupthaar streichen ... dann trifft die Kolumne eine andere Zielgruppe und der Puls kann wieder im gewünschten Trainingsbereich stagnieren.
Oder aber
Mann wünscht sich gewisse Belastungsspitzen, dann schreibt er. Allerdings sollte er dann gleichfalls, vehement und richtig die Werkzeuge von Polemik, Satire und Ironie benutzen. Unabdingbar ist hierfür ein gewisser Abstand, eine distanzierte Betrachtung zum eigenen Leben, dem eigenen Splin und der eigenen Wichtigkeit.
Allein die Vorstellung jemand würde mich zum Fußball, zur Formel 1 oder gar zum Golf einladen, verursacht anhaltende Panikattacken und Pulsauschläge über den bekannten Maximalwert. Wenn also allein die Vorstellung schon weh tut, dann sollten wir den anderen )(in dem Fall der Junghenne) nicht gleiches antun. Versuchen wir doch lieber ebenfalls eine Kolumne zu schreiben und treten in den Wettstreit (was ja wohl nachgewiesener Maßen, das Ziel jeglichen Trainingspensum ist) mit der wutschäumenden Journalistin. Wichtig dafür ist ein vertrauenserweckendes Erscheinungsbild, also den Schaum vom Mund wischen, das hektische Zittern der Finger abstellen und die Stimme 4 Oktaven herunter holen.
Dann gehts los:
Sanft gleitet der Wagen aus der Garage. Wochenende. Sonne. Zeit für die Familie. Die Schwiegermutter sitzt zwischen den Kurzen. Sie redet seit gestern Abend ununterbrochen. Beruhigend surrt der Motor. Die idyllische Landschaft beruhigt das Auge. Ahhh, dort vorn, Super ist 1 Cent billiger als an der Bundesstraße. Wir reihen uns in die Schlange ein. Dem Staat wieder mal ein Schnippchen geschlagen. Steuern gespart. Weiter geht die wilde Fahrt.
Wieso ist die Straße hier denn immer noch so schlecht? Wahrscheinlich hat die Gemeinde wieder kein Geld. Und jetzt stockt es auch noch. Es reicht doch, wenn ich jeden Tag hier im Stau stehe. Radfahrer, 25 Mann hintereinander. Wie soll ich denn auf der schmalen Straße vorbei kommen? Das war knapp mit dem Gegenverkehr. Ach die Radler, ja sah lustig aus, wie 20 Mann die Böschung runterpurzeln. Gibt es denn keine Hometrainer mehr auf denen die erstmal üben können? Nein, Schwiegermutter, auch im Biathlon muß der Überholte raus aus der Spur. Diese Radfahrer kennen keine Verkehrsregeln. Die hätten anhalten müssen, als wir von hinten kamen. Außerdem durfen die nur auf Radwegen fahren. Der nächste Radweg ist drüben in Germersheim, hinterm Glascontainer. Dort können die Papageien ihre Übungen machen.
Es war ein schönes Wochenende mit der Familie. Schade zwar, das wir keinen freien Parkplatz fanden, dafür sind wir noch die Oppacher Stiege hochgefahren und über die neue Autobahn zurück. Wir haben viel gesehen, waren in der frischen Luft des neuen Microfilters und freuen uns jetzt auf den Tatort. Schwiegermutter bring ich noch zum Bahnhof, keine Ursache, die 2 Kilometer schaffen wir am Sonntagabend locker in 20 Minuten mit unserem heiligen Blechle.
naja, ok, ichmerke schon, es läuft nicht wirklich gut. Es ist mir nicht wichtig genug. Aber jetzt im Herbst, da ist genügend Zeit, ich lass mir die Haare wachsen, borg mir nen
Helm und suche die Mapeiklamotten nochmal raus. Nach der nächsten Ausfahrt lese ich das Pamphlet nochmal und reagiere getroffen, schäumend, rigeros.
Die Formulierung
"Des Weiteren werden scheinbare Verstöße genannt, welche allerdings der StVo entsprechen."
nehm ich in meinen Ironiewortschatz auf. Das Ding sitzt heftig, da grübelt der Chefradakteur eine Weile über der tief versteckten Bedeutung. Wenn er sich davon erholt, dann haut ihn
"Die meisten RR-Fahrer sind auch Autofahrer und kennen also diese Seite sehr wohl, anders herum ist das leider seltener der Fall..."
entgültig aus den Socken ... es gibt also Rennradler die ein KFZ führen ... das sind dann aber keine Autofahrer, die rennradeln ???? .... und wir verstehen jetzt wie schwer es ist eindeutig und verständlich zu formulieren und sei es nur eine schlichte Kolumne
erkennt deprimiert,
ruhmwolf
als
Titanicabonent und Eulenspiegelleser