AW: Marktpotential historischer Rennräder ?
Für mich als Berliner, der den regionalen Alteisenhype aus nächster Nähe miterlebt, steht die Preisentwicklung bzw. das Nachfragehoch in engstem Zusammenhang mit dem "Prenzlauer Berg Syndrom". Und das ist meiner Meinung nach weit weniger kompliziert erklärbar als vermutet sondern schlichtweg mit dem Verlangen nach Zugehörigkeit zu einer sich selbst für besonders trendsetzend haltenden Spezies von Stadtbewohnern, ob nun zugezogen oder nicht. In Stadtteilen wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain, mittlerweile aber auch in Ecken von Neukölln wimmelt es nur so von jungen, mal mehr mal weniger attraktiven Menschen, die für sich selbst beanspruchen das modisch-soziokulturelle Maß der Dinge zu sein. Bei all der proklamierten Individualität übersehen sie leider ihre Uniformiertheit mit riesigen Sonnenbrillen, viel zu engen Hosen und asymmetrischen Haarschnitten. Zudem gehört es sich einfach die Altbauwohnung mit Möbeln oder Elektrogeräten der 70er und oder 80er auszustatten, am Wochenende in bestimmte Clubs zu rennen oder Afri-Cola und Bionade zu trinken. Genau so verhält es sich mit den Rädern. Die gehören einfach dazu, sind ein Must-Have, ein Trend, ein Gimmick und sollen transportieren, dass man ja "ach so anders ist" und dennoch weiß was sich gehört um cool und hip zu sein.
Jetzt mögen mich hier einige für das Herumwerfen mit Klischees oder meine allzu einfach gestrickte Sichtweise steinigen wollen, aber mehr steckt für mich einfach nicht dahinter. Der Markt wird sich meines Erachtens daher dann entspannen, wenn die Trendsetter sich das nächste Objekt der Begierde auswählen und sie feststellen, dass es nicht so einfach ist, für ein altes Rad mal eben ein Ersatzteil zu beschaffen, es nicht unbedingt zum Einkaufen fahren geeignet ist und auch ansonsten ja eigentlich viel zu unbequem. Übrigbleiben werden ein Haufen alter Stahlräder, die in den besagten Stadtteilen keiner mehr fahren will und ein kleiner Kreis von Leuten wie Euch bzw. uns....die Stahlrenner bzw. Radfahren an sich nicht als Modeaccsessoire sehen sondern als Einstellung, Sport, Hobby, Leidenschaft etc. .......
Zwar hast du zum Teil sicherlich recht, fehlt in dieser Schilderung nicht der Blick von Außen auf dich/uns/mich selbst? Vor einiger Zeit kam mir mal eine Karikatur/Comic unter die Finger, welcher eine Flut von Menschen offensichtlich auf den Weg zur Arbeit mit traurig aggressiver Mimik zeigte. Über den Köpfen ALLER illustrierten Individuen in der Masse wurde eine Denkblase gezeichnet. In jener stand in etwa folgendes: "Alles Fische, nur ich schwimme gegen den Strom".
So gesehen unterscheiden sich die Stahlfanatiker und Hipster von Außen einfach nicht großartig voneinander. Die modische "enge Hosen" Fraktion gibt es zwar schon, doch sieht man doch eher mehr Leute auf Stahlrennern in normalen Klamotten. Der Knackpunkt ist jedoch, dass man sich aufgrund der Mode gar nicht mehr so stark von den Hipstern unterscheidet. Die Uniformiertheit steckt uns allen in den Knochen, denn selbst in misanthropisch geprägten Subkulturen wie dem BlackMetal finden sich diese... der Mensch ist einfach ein soziales Tier.
Um jetzt aber wieder von Optik zu den Rennrädern zurückzukommen. Inwiefern können wir/du/ich eigentlich einschätzen wer Stahlklassiker nur aus einem Trend heraus fährt? Singlespeeds bieten sich in Berlin tatsächlich sehr gut an, da die Stadt einfach recht flach ist. Auch wird vergessen wie praktisch ein Stahlrennrad sein kann:
- es ist leicht, ideal für Bude und U-Bahn
- im Vergleich zu einem Neurad immer noch billig
- leicht zu demontieren und dadurch besser abzuschließen
- Statussymbol
Hinzu kommen die von dir genannten Punkte. Doch ist es doch von jeher ein Problem des "harten" Kerns. Das Problem des "ich war vorher da". Diese Art von Diskussion gibt und gab es z.B. in der Punk und Metalszene und sind eine der Grundängste der Menschheit, Angst vor Veränderungen. Provokant ausgedrückt, hat die alte Generation Angst, dass ihr etwas weggenommen wird, obwohl es ihr ja nie gehörte. Menschen die sich mit 15Jahren das Traumrad aus Stahl nicht kaufen konnten, es mit 39Jahren dann endlich Zimmer stehen haben könnten... und dann kommt ein Teenager in engen Hosen und schnappt sich den Jugendtraum weg. Frustrierend wa?
Nun zum Trend. Mode, Musik und auch die Fahrzeugindustrie erfindet sich selten neu, sondern zitiert immer und immer wieder Altes neu. H&M bietet Mode in 70iger Stil, Bäckereien gehen wieder weg von Teiglingen, Backmischungen und fertigen lieber Produkte wie vor 100Jahren. Warum? Weil es einfach besser schmeckt, einfach gut aussieht und den Käufern ein besseres Gefühl geben soll. Der Trend ist also nicht das Stahlrad als solches, sondern eher der Trend zu etwas Handfestem. Dadurch entsteht Angebot und Nachfrage. Und es wird die Zeit kommen wo Stahlrennräder noch seltener werden und nur noch zu Preisen von alten Waffenrädern erworben werden können. Die Sammlerfraktion wird also gespalten in die Stahlnerds und Menschen die sich der Alurädern, und später Carbon, annehmen. Alles Muster die es, wie oben schon erwähnt, bereits schon in anderen "Szenen" gibt.
Persönlich habe ich angefangen Stahl zu fahren, weil ich mir einfach nichts anderes leisten konnte, zufälligerweise war es aus Stahl. Ich saß bereits auf Alu und Carbonrädern. Bei letzterem habe ich einfach das komische Gefühl, dass es gar nicht stabil sein kann und sich wie Plastik anfühlt. In 20Jahren wird das kaum noch jemand nachvollziehen können. Times are changing. Und ich sehe mich irgendwann mal auch auf Carbon sitzen, denn die Ersatzteile für meinen Renner wird es nicht mehr ewig geben.
Aber das - Preistreiberei bei
eBay - ist eine andere und sehr bedauerliche Entwicklung. Schade, daß
eBay hier nicht härter durchgreift.
Hmm. Was anscheinend vergessen wird, dass die Bucht nichts anderes als eine von geographischer Lage unabhängige Auktion eines Artikels ist. Das Mitbieten von Vertretern des Verkäufers ist kein modernes Phänomen welches mit
Ebay erfunden wurde, sondern seit jeher besteht. Ob das nun fair oder nicht ist, sei mal dahingestellt. Es gehört einfach zur Auktionskultur es war nur eine Frage der Zeit bis es die Masse der Ebayverkäufer kapiert/praktiziert.