Meiner Meinung nach kann man sich dem Thema nicht ausschliesslich einseitig nähern - erst wenn beide beteiligten Verkehrsteilnehmer aufpassen, wird es spürbar sicherer. Damit will ich niemanden seiner Pflichten entheben. Im Fall des abbiegenden Kraftwagens liegt klar die erste und zwingende Pflicht beim Wagenführer. Aber um meines eigenen Lebens willen muss ich auch an mich selbst denken, aufpassen, und da wo nötig mich zurücknehmen. In meinem Leben habe ich dutzende Unfälle so verhindert. Geschätzte Hälfte davon leider so, dass ich vermute, dass der Kraftfahrer mich sehr wohl gesehen hat, aber aus welchen Gründen auch immer sich nicht an die Regeln halten wollte. Die andere Hälfte aber auch oft so, dass ich schon nachvollziehen konnte, warum ich schwer oder nicht für den Kraftfahrer zu sehen war. Gerade bei solchen Fällen der zweiten Art sehe ich es neben dem Selbstschutz auch als Rücksicht gegenüber dem anderen, dass ich halt ausweiche oder bremse und warte, auch wenn ich es nach den Regeln eigentlich nicht müsste.
Ich wohne seit etwa einem Jahr in den Niederlanden, die Radwege hier entschärfen in der Tat einiges. Und trotzdem muss ich an Einmündungen, an welchen ich klar Vorfahrt habe, jederzeit wirklich aufpassen, da es immer wieder Spinner gibt, die denken sie schaffen es noch vor mir. Oder es ist ihnen möglicherweise einfach egal, oder sie wissen es vielleicht auch gar nicht, dass ich eigentlich die Vorfahrt habe.
Es ist dabei auch erschreckend, wie wenig Disziplin im modernen Verkehr herrscht, der deutlich komplexer und überfüllter als noch vor 10-20 Jahren ist. Paradebeispiel ist da auch der Spurwechsel, in der Stadt und vor allem auf Autobahnen/Schnellstrassen. Ich habe es noch so gelernt, dass ich vor einem Wechsel meine Absicht anzeigen und sicherstellen muss, dass ich auf der Spur, auf welche ich einwechsele, niemanden gefährde oder bedränge. Also im Fall des Falles halt nicht wechseln kann, sondern
bremsen und zuwarten muss. Heute dagegen muss man sich schon freuen, wenn einer überhaupt noch den Blinker anmacht, um einen Wechsel anzuzeigen. Lücken, die der Spurwechsler sieht, scheinen ihm/ihr automatisch zu gehören, alle anderen haben sich daran anzupassen, so scheint es mir. Es geht ganz offensichtlich in den Köpfen vieler nur noch darum, als Spurwechsler selber nicht
bremsen oder "Zeit verlieren" zu müssen. Wenn da einer so doof ist wie ich, und mit Sicherheitsabstand fährt (und damit Lücken aufmacht), schert ihm andauernd einer viel zu knapp und häufig ohne Anzeigen vorne rein. Die Rücksichtslosigkeit nimmt für mich in unserer Gesellschaft gespürt stetig zu.
Meines Erachtens ist der Hintergrund in nicht unbeträchtlichen beträchtlichen Teilen darin zu finden, dass man bei Vergehen gegen die Regeln ganz generell viel zu einfach und zu billig davon kommt. Wenn man überhaupt erwischt wird. Die meisten Mitbürger wollen leider ganz einfach nicht Verantwortung übernehmen und für andere mitdenken, was aber die Voraussetzung für sichereren Verkehr wäre. Sie sind sprichwörtlich zu "faul" oder sich zu gut dafür, man muss sie dazu zwingen. Persönlich würde ich insofern deutliche härtere Buß- und Strafkataloge durchaus begrüßen. Den Spaß der Freiheit des "über den Regeln stehen" mal so richtig teuer machen. Damit diejenigen, die sich ein Nachdenken über Verkehrssituationen und Regeln selbst aktuell nicht zumuten wollen, mal intrinsisch mehr dazu angehalten werden.