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Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen

AW: Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen

@Dieter357,
Du hast vollkommen Recht. Wie Du in meinem Beitrag vom 17.8.
Hi EdHot,
zur Einstimmung auf den Nürburgring verfolge mal diesen Link:
http://www.facebook.com/radamring
Ich wünsche Dir alles Gute. Die Nordschleife bin ich mal vor ca. 25 Jahren gelaufen. Mein Ziel war unter 2 Stunden. Ergebnis 1h 58 min und ein paar Sekunden. Konnte danach vor Muskelkater 1 Woche nur rückwaerts die Treppen runtergehen. Aber das Gefühl es geschafft zu haben war einsame Klasse. Danach mußt Du zu hause alle Tueren vergrößern. Warum? Mit der aus "Stolz" verbreiterten Brust kommst Du durch keine normale Türe mehr.
Du wirst unterwegs fluchen, Dich Fragen wer Dich auf diese bescheuerte Idee gebracht hat. Wenn Du dann in der letzten Runde am Ende der langen, geraden flachen Döttinger Höhe so kurz vor Start und Ziel noch ein kleinen Anstieg (sind nur wenige Höhenmeter) hast wird Dir alles weh tun. Wenn dann noch wie bei mir damals ein älterer Mitläufer an Dir vorbeizieht würdest am liebsten, so wie ich damals meine Schuhe wegwerfen, Dein Rad wegwerfen. Aber Glaube mir, es war einer meiner tollsten Erlebnisse die "grüne Hölle" bezwungen zu haben.
Ich wünsche Dir /Euch das Ihr Eure gesteckten Ziele erreicht und Glaube mir Ihr werdet noch lange davon schwärmen und für die nächsten Wochen motiviert sein bis unter die Haarspitzen.
Laßt mal nächste Woche hören wie es gelaufen ist.

Alles Gute, viel Erfolg und Richtung "Adenauer Forst" Kette rechts!!

Red_Devil :devil:

lesen kannst. Nicht alles ist auf Ergebnis ausgelegt. Es gibt auch Mitgefühl, Anteilnahme, Daumen Drücken und sich mit EdHot zu freuen oder auch mit Ihm zu leiden. Es ist überhaupt nicht wichtig wer wo wann ins Ziel kommt. Jeder der die Nordschleife mit seiner eigenen Körperkraft bezwingt ob mit Joggen, mit Langlaufski oder mit dem Rad ist in meinen Augen ein Sieger. Die Steigerung erlebt man wenn man sein gestecktes Ziel noch erreicht. Dann kriegst Du das Grinsen tagelang nicht aus dem Gesicht. :)

Red_Devil :devil:
 

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Re: Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen
AW: Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen

Nicht zanken, Kinners! :D

Meiner Meinung nach ist ja jeder, der die 24 Stunden als Einzelstarter bestreitet, nicht von dieser Welt. (Und genießt meinen allergrößten, ungläubigen respekt, unabhängig von der Rundenzahl. :eek:) Aber das nur am Rande...

Erste Etappe

Samstag, 20.08.2011

Nachdem Matt eingetroffen ist, sind wir ziemlich gut gerüstet: Dass drei Standpumpen in der Freiluftwerkstatt stehen, ist bei ebenso vielen anwesenden Rennradlern wohl noch normal, aber mit zwei hochwertigen italienischen Kaffeemühlen - ich hatte auch eine mitgebracht - dürften wir in dieser Spezialwertung ziemlich weit vorne liegen. Ein zutraulicher Sportsfreund von der Nachbarparzelle verwickelt uns auch direkt in ein Beratungsgespräch und lässt sich beide Geräte vorführen, kauft aber keins.

Unter strahlender Sonne, ein Tässchen des vermutlich besten auf dem Gelände verfügbaren Kaffees auf der Hand, erreicht uns die Nachricht, dass des Kenianers Sohn vom Hund der Vermieterin krankenhausreif gebissen wurde und daher mit seinem (also Lars') Eintreffen nicht so bald zu rechnen ist. Der Köter habe nach Auskunft seines (also des Köters) Frauchens aber wohl nur spielen wollen, und deswegen den Kleinen (also Lars') nicht direkt aufgefressen, sondern nur ein bisschen traumatisiert. Das eine wie das andere mache sie (also die blöde Töle) aber nur ganz selten.

Da noch ein paar Stunden Zeit bis zum Start bleiben und ich ohnehin erst als dritter für unser Team auf die Runde gehen werde, setze ich mich aufs MTB und erkunde das Gelände.
Unser Fahrerlager befindet sich im nördlichen Teil der aktuellen Grand-Prix-Strecke in Sichtweite der Nordschleife. Wo Klos und Duschen sind, weiß ich schon seit gestern. Was mich jetzt interessiert, ist die Parzellenreihe J, weil da die Altmetaller hausen. Nach ein paar Minuten habe ich sie gefunden: Ausgangs der NGK-Schikane kündet eine ganze Bataillon glänzender Klassiker von der Anwesenheit der Liebhaber schlanken Stahlrohrs. Da mein Fahrzeug aus dem gerade noch geduldeten Jahrgang 1990 stammt, gewährt man mir Einlass ins Camp, und ich werde begrüßt von den Forumsfreunden BIKAHOLIC aka Alex, Fleischsalatpirat (Stefan), marcfw (ich vermute: Marc – nennt mich Sherlock!) und drexl (ööhh: drexl?). Vorletzterer (also Marc) hat tatsächlich daran gedacht, mir Pedalriemen für mein Koga mitzubringen, was ich natürlich vollkommen vergessen hatte, für die ich ihm aber freudig mein letztes Bargeld aushändige. Im Fahrerlager wartet ja mein Verleger darauf, angepumpt zu werden.


Nach der eingehenden Würdigung der versammelten zweirädrigen Schönheiten und ein paar Fachsimpeleien verabschiede ich mich fürs Erste wieder, fahre noch ein bisschen über das Gelände, bestaune die Preise der ringeigenen Tankstelle (1,56 € für den Liter Diesel) und die in die Haupttribüne integrierte Achterbahn (!), bevor ich mich wieder in Richtung Basislager bewege. Da trifft zu meiner freudigen Überraschung auch schon Lars ein, der kurzerhand sein Gepäck geschultert hat, zum Ring geradelt ist und zu berichten weiß, dass es dem Junior schon wieder ganz gut geht.

Langsam aber stetig steigen die Temperatur und die Spannung. Rainer und Matt haben sich schon ins Renndress geworfen und drehen eine Runde über die Grand-Prix-Strecke, angeblich zum Aufwärmen, mutmaßlich aber auch zum Beruhigen. Das geht doch auch anders, denke ich mir und zünde mit zittrigen Fingern eine Zigarette an. Das ist zwar bestimmt nicht das Schlauste, was ich in dieser Situation tun kann, und ich hatte mir auch fest vorgenommen, wenigstens heute keine mehr zu rauchen, aber ich bin ja so schwach! Ein sabbernder Lappen, um genau zu sein. Außerdem habe ich ja noch drei Stunden Zeit und: Hey! Wer will schon schlau sein? Also jetzt außer dem Dalai Lama?
Als Matt und Rainer vom Einrollen zurückgekehrt sind, lässt Lars sich die einigermaßen komplizierte Streckenführung vom Fahrerlager zur Einfahrt in die Nordschleife und die abschließende Runde über den Grand-Prix-Kurs erläutern. Ich beschließe, dass es nicht zu früh ist, mich auch mit diesem nicht ganz unwichtigen Detail zu befassen und versuche, Rainers Ausführungen zu begreifen. Das misslingt und ich fürchte, schon in der ersten Kurve nach dem Fahrerlager in den Gegenverkehr zu geraten, wenn ich schließlich den Transponder übernehme.
Den hat Matt inzwischen zur Optimierung der Wechselzeiten in einer leeren Flasche verstaut, diese zugeklebt und mit Edding auffällig beschriftet, damit nicht irgendwer im Eifer des Gefechts Apfelschorle hineinkippt. Dann steckt er die Flasche in den Halter und radelt mit einem knappen „Bis später!“ in Richtung Start. Jetzt fällt mir auch auf, dass die Stimme des Ansagers, dessen aufgeregte Daueranimation seit den Laufwettbewerben am Morgen zu einem beinahe unbemerkten Hintergrundgeräusch geworden ist, ins leicht Hysterische kippt, und dass die Stimmungsmusik, mit der wir seit Stunden beschallt werden (offenbar rotieren im CD-Wechsler ‚Now that’s what I call grober Unfug’ und ‚Worst of Dr Albern & Friends’) von mörderlaut auf ohrenbetäubend aufgedreht wurde. Kurz: Einiges deutet darauf hin, dass es bald losgeht, nicht zuletzt die Uhrzeit.
Wir bewegen uns im Laufschritt zum Start und erleben, wie eine Gruppe „normaler“ Jedermänner auf die Reise geschickt wird, bevor das 1400-köpfige Feld der 24-Stunden-Fahrer an die Linie rollt. Ich versuche in dem Riesenpulk Matt auszumachen, aber ich sehe ihn nirgends. Was ich allerdings sehe, ist eine wohlgenährte Frau in einem grellpinken Cocktailkleidchen, die am Rande des Getöses zwei winzige, wollige, weiße Schoßhündchen Gassi führt. Auf der Start- und Zielgeraden des Nürburgrings. Auf die Idee muss man auch erstmal kommen.
Dann fällt der Startschuss. Der Ansager gibt noch einmal alles, bevor sie ihn abholen kommen, und mir wird etwas schwindelig: Einerseits, weil mir klar wird, dass es jetzt kein Zurück gibt, andererseits, weil ich direkt vor einem Lautsprecher stehe. (Wahrscheinlich kann ich mich deswegen nicht erinnern, welche Musik zum Start lief. Es war aber weder Europes ‚Final Countdown’ noch Wolle Petrys unsäg-, ääh: unsterbliches
‚Hölle, Hölle, Hölle!’ meine ich. Dabei hätte das ja mal echt gut gepasst: „Das ist Wahnsinn! Warum schickst Du mich in die Hölle? Höllehöllehölle?“ - Ich war drauf und dran, Haus und Hof darauf zu verwetten.)


In den folgenden knapp zwei Stunden nehme ich nicht allzuviel wahr. Dass Matt allerdings schon nach 40 Minuten unter unserem schattigen Aussichtspunkt einen Schlussspurt im Wiegetritt par excellence hinlegt, wird mir wohl für immer im Gedächtnis bleiben. Er überreicht die Transponderflasche schließlich nach 42 Minuten an Rainer, der zwar zehn Minuten mehr braucht, aber trotzdem dafür sorgt, dass ich schon nach etwas mehr als anderthalb Rennstunden auf die Strecke darf.
Oder muss? Anfangs fühle ich mich jedenfalls eher unwohl auf dem Rennrad, das sich irgendwie anders anfühlt. Immerhin ist der Streckenverlauf kein Problem: Nach ein paar scharfen Kurven befahre ich mit vielen anderen, sowohl Mountainbikern als auch Rennradlern die Boxengasse entgegen der normalen Fahrtrichtung, dann folgen noch zwei Schlenker, nach denen die MTBler rechts abbiegen, und dann habe ich die asphaltgewordene Legende Nordschleife unter den Rädern.
Der Unterschied ist gewaltig: Statt der ohren- und augenbetäubenden Science-Fiction-Kulisse des modernen Teils des Rings umfängt mich jetzt sattes Grün, statt Kirmestechno höre ich nur Atmen, Kettensurren, Vogelgezwitscher und das Rauschen des Fahrtwinds. Und statt der geometrischen, retortenhaften Wegführung der Grand-Prix-Strecke habe ich eine Straße vor mir, die sich in die hügelige Waldlandschaft schmiegt und zu sagen scheint: „Ich bin uralt, ich bin wild, und ich gehöre hier hin.“
Mein Vorsatz, es ruhig angehen zu lassen, gerät angesichts dieses Rübezahls von einer Rennbahn schnell in Vergessenheit. Stattdessen gehe ich bei jedem Anstieg aus dem Sattel, stürze mich tief geduckt in die ersten kurzen Abfahrten, bis ich um eine Kurve biege und die Fuchsröhre vor, bzw. unter mir sehe.

Der Tacho zeigt 80 km/h an, als mein Rad zu schlingern beginnt. Das Vorderrad schlägt wie wild und scheint ein Eigenleben zu entwickeln, dass ich nackte Angst bekomme und den Lenker krampfhaft umklammere. Gleichzeitig versuche ich, den Rahmen mit den Knien zu fixieren, aber es hilft nichts. Während ich ein Stoßgebet gen Himmel sende, der Höllenritt möge bald glimpflich enden, zischt eine Anzeigentafel an mir vorbei, die fröhlich verkündet: „Sie fahren 89 km/h“. Ich habe mir noch nie so sehnlich einen Anstieg gewünscht.
Mein Wunsch wird bald erfüllt. Und wie. Im Vorfeld habe ich Karten und Profile gewälzt, um mir ein Bild vom Anstieg zur Hohen Acht zu machen. Das Ergebnis war beruhigend: 5 Kilometer bergauf, in der Spitze zwar auch mal mit 18, im Schnitt aber mit gerade mal 6 Prozent Steigung, also halb so wild und auch nicht viel schlimmer als Strecken, die ich schon bewältigt habe. Aber wie heißt es so unschön? Grau ist alle Theorie. Oder auch: Am Arsch hängt der Hammer.
Schon nach zwei Kilometern verfluche ich mich für jede einzelne Zigarette, die ich jemals geraucht habe. Nach drei Kilometern schimpfe ich mich einen geizigen Vollidioten, weil ich gedacht habe, mir die Investition in eine neue Kassette mit 28er Rettungsring sparen zu können. Nach vier Kilometern schöpfe ich kurz Hoffnung, als es flacher wird. Nach viereinhalb Kilometern verlässt mich jeder Lebensmut, als ich ausgangs des Caracciola-Karussels sehe, was mit der Rennradfahrerplattitüde von der an die Wand gemalten Straße wirklich gemeint ist. Nach vierdreiviertel Kilometern steige ich zitternd vom Fahrrad und schlage fast lang hin, weil mich meine Beine nicht tragen wollen. Gescheitert, keine zweihundert Meter vor der Verpflegungsstation. Und das schlimmste ist: Ich weiß ganz genau, wenn ich es jetzt im ersten Anlauf nicht geschafft habe, schaffe ich es gar nicht mehr.
Nach einer halben Minute fühle ich mich immerhin in der Lage, weiterzumachen. Zornig stapfe ich die letzten Meter hinauf und schwinge mich wieder in den Sattel. Mit einer großen Portion Wut auf dieses archaische Ungetüm von Straße, aber vor allem auf mich selbst stürze ich mich in den Rest der Runde. Meine Stimmung bessert sich zum Glück bald, weil ich spüre, dass ich das letzte Drittel wieder ganz ordentlich bewältige, auch wenn ich bei zwei oder drei zehnprozentigen Gelegenheiten beschließe, dem nächsten, der mir erzählt, nach der Hohen Acht folge „nur noch Pillepalle“ und ab der Döttinger Höhe sei „der Wind der einzige Feind“, kräftig eins auf die Nuss zu geben.
Als ich auf die Start-/Zielgerade einbiege, ist der Ärger vollends verflogen. Dann schiebe ich eben sechs Mal über den Scheißberg, na und? Jetzt jedenfalls fahre ich da, wo sonst Schumi fährt, und auch fast genauso schnell. In der Boxengasse kommen mir die armen Schweine entgegen, die ihre nächste Runde jetzt beginnen. Vor mir liegt vorerst nur noch eine Runde durch das, was Lars später treffend das „Woodstock des Radsports“ nennen wird: Der komplette Grand-Prix-Kurs ist ein riesiges Fahrerlager und die letzten 4 Kilometer meiner Runde sind gesäumt von Hunderten, ach: Tausenden von Wohnmobilen, Pavillons und Zelten.
Nach der Warsteiner-Kurve kommt noch der schnelle Advan-Bogen, dann geht’s noch einmal kurz bergauf zur NGK-Schikane und dann rechts ab ins Fahrerlager. Nach 57 Minuten übergebe ich an Lars. Jetzt ne Zigarette und ein Bier und dann unter die Dusche, das wäre was!
 
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@EdHot,
einfach grandius Deine Ausführungen :cool:. Das hab ich in meinen Beitrag vom 17.8. gemeint. Du durchwanderst die komplette Gefühlspalette. Aber am Schluß bleibt das dauerhafte Grinsen im Gesicht :D .

Übrigens mein Respekt mit mehr als 80 km/h durch die Fuchsröhre. Da geht mir alleine beim Gedanken daran der Popo auf Grundeis :eek:.

Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

Red_Devil :devil:
 
AW: Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen

Moinsen

@ Red wie schaffst du es dabei eigentlich nur zu grinsen??? tzzz^^ Ich habe Tränen gerade gelacht, soviel Selbstironie, und so verdammt gut geschrieben, daß man sich jeden Meter des Leidens von Ed mehr als lebhaft vorstellen kann!!! :lol:

Ed bitte mehr davon ;)
 
AW: Trainingstagebuch: Dicker Mann auf dünnen Reifen

Moin Ed,

ich habe zwar "nur" zu den Jedermännern gehört, aber in der ersten Runde habe ich eine ähnliche Achterbahn der Gefühle erlebt - ich habe echt gedacht mich tritt ein Pferd!
Als Norddeutschen haben mir die ersten Abfahrten ziemlich die Sprache verschlagen, und ein 27'er Ritzel auf einer Kompaktkurbel hat sich beim letzten Anstieg zum Verpflegungsstand ziemlich böse angefühlt :devil: Zum Glück musste ich (bis auf die letzte Runde) aber nicht schieben. Auch ich habe mir das Höhenprofil und den Streckenverlauf angesehen - grau ist jede Theorie:lol: Nach 3 Runden hätte ich ganz locker zu Käffchen und Kuchen übergehen können, aber ich hatte ja für 6 bezahlt:p Ich ziehe an dieser Stelle vor jedem 24-Stundenfahrer den Hut, der diesen Kurs in der Dunkelheit gefahren ist - da hätte ich wohl mit einer Windel am Hintern fahren müssen ....

Mal einen Dank an dieser Stelle für die launigen Berichte aus der Sicht eines radfahrenden und berufstätigen Vaters - Familien scheinen in ganz Deutschland ähnlich zu ticken :p

Gruß aus Norddeutschland
Heiko
 
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Danke, Leute! :D Macht echt Spaß, das alles nochmal zu erleben. Und ganz ohne Schmerzen!

@Rob: Nächstes Jahr mit Leezenritter-4er-Team, oder?


Zweite Etappe

Samstag, 20.08.2011


Bekanntlich ist ja nach der Runde vor der Runde, weswegen ich mir nur eine Zigarette genehmige, aber umso mehr Bier. Alkoholfreies, versteht sich. Glücklicherweise hat jeder Starter 3 Gutscheine für den Erdinger-Stand bekommen. Unglücklicherweise hat man dort offenbar nicht mit der Anwesenheit von Sportlern und zudem eher mit nasskaltem Wetter als mit einem kraftvollen Aufbäumen des Hochsommers gerechnet, jedenfalls wurde der Ausschank mangels Nachschubs eingestellt, bevor die meisten Anwesenden Gelegenheit hatten, auch nur einen ihrer Gutscheine einzulösen.
Zum Glück haben wir noch größere Vorräte im Pavillon, die zusammen mit den vorgekochten Pasta und den eingefrorenen Bolognese-Portionsbeuteln in der Thermobox sogar einigermaßen kühl geblieben sind. Von allem gönne ich mir jetzt nicht unerhebliche Mengen, was zu einer grotesken Kombination aus Veitstanz und Nahrungsaufnahme gerät, während ich versuche, gleichzeitig zu essen, zu trinken und mich der gigantischen Wespenschwärme zu erwehren, die im Fahrerlager marodieren. Was machen die Drecksviecher eigentlich, wenn mal gerade nicht mehrere Tausend Menschen am Ring campieren? Verhungern? Jedenfalls sieht man in jeder zweiten Parzelle jemanden mit Ess- oder Trinkgefäß in den Händen beim Ausdruckstanz, was umso absurder wirkt, als der Dresscode für den pausierenden Athleten an diesem heißen Spätnachmittag eine Rennradhose zum freien Oberkörper in radlertypischer, käseweiß-kupferbrauner Wechselfärbung und Badelatschen vorsieht.
Unterm Sonnensegel herrscht schließlich einigermaßen Ruhe. Die wird allerdings sofort wieder gestört, weil Lars meldet, dass ihm die Kette gerissen ist. Glück im Unglück: Das ist kurz vor dem Ende seiner Runde geschehen, so dass Matt den Transponder nur etwas früher übernehmen und den Grand-Prix-Kurs am Anfang und am Ende seines Törns umkurven muss. Das hindert ihn nicht daran, in der Nachmittagshitze schon wieder eine Fabelzeit in den Asphalt zu brennen, und er übergibt nach 49 Minuten an Rainer.
Inzwischen hat Lars einen Abstecher zur Servicebox gemacht und sich eine neue 9-fach-Kette für lächerliche 35 € montieren lassen, um dann festzustellen, dass die sich nicht mit der verschlissenen Kassette verträgt. Eine neue Kassette ist leider nicht zu haben (vermutlich hätte er dafür ohnehin erst eine Hypothek aufnehmen müssen), und so legt Lars noch 5 € für ein Kettenschloss drauf, um die alte Kette zu flicken. Damit ist er stolzer Besitzer einer äußerst wertvollen, beinahe unbenutzten 9-fach-Ultegrakette und eines wieder funktionsfähigen Rennrads. Bevor das zum Einsatz kommt, muss ich allerdings meine zweite Runde bestreiten.
Und weil mich immer noch ein leichtes Hungergefühl plagt, lege ich eine kleine Portion Pasta Bolognese nach in der Hoffnung, dass mir ein paar zusätzliche Kohlenhydrate über die Hohe Acht helfen mögen. Die habe ich gerade zu mir genommen, als Rainer nach 54 Minuten zurückkehrt.
Eine gute halbe Stunde später steige ich an derselben Stelle wie knapp vier Stunden zuvor kreidebleich und von kaltem Schweiß überströmt vom Rad, begebe mich schnurstracks zur Leitplanke, beuge mich darüber, lasse mir mein Abendessen noch mal durch den Kopf gehen, überlege mir, dass Radfahren manchmal echt zum Kotzen ist und frage mich, wie einer alleine eigentlich so dermaßen bescheuert sein kann. (Wie schön, dass der für die Leidensdokumentation zuständige Sportograf kurz vorher aufs Knöpfchen gedrückt hat! :daumen:)


Weil mir keine Antwort einfällt, setze ich mich wieder aufs Rad und bringe den Rest der Runde so anständig wie möglich hinter mich. In den Abfahrten bin ich allerdings dieses mal – auch schon vor der Hohen Acht – geradezu ängstlich, und obwohl ich nicht einmal in der Fuchsröhre schneller als 75 fahre, schaukelt sich das Rad einige Male auf. Wie mir scheint, wird das von Abfahrt zu Abfahrt schlimmer. So bin ich einigermaßen wackelig unterwegs. Zum Glück gelingt es mir auf der Döttinger Höhe eine Vierergruppe zu erwischen, auf der Zielgeraden hilft mir der Gedanke, dass ich nach nur einer weiteren Runde duschen und ein paar Stunden schlafen darf, und beim Durchkurven des gigantischen Zeltlagers brauche ich ohnehin keine Zusatzmotivation, sodass die Rundenuhr immerhin bei „nur“ 61 Minuten stehen bleibt. Da habe ich zwischenzeitlich Schlimmeres befürchtet.
Mir ist meine Performance schon ein bisschen peinlich meinen Teamkollegen gegenüber, und ich bin ganz froh, dass ich mich mit meinem Fahrrad beschäftigen kann. Wenn nichts dazwischenkommt, bin ich gegen halb Elf wieder dran, das heißt, es muss Licht ans Rad. Dafür habe ich mir eigens einen Halter zur Vorbaumontage gekauft, aber leider stellt sich heraus, dass das Teil eine glatte Fehlkonstruktion ist und sich trotz etlicher, nervenzerfetzender Versuche nicht befestigen lässt. Als ich nach mehreren mittelschweren Tobsuchtsanfällen aufgegeben habe, kehrt Lars heim und berichtet von einer traumhaften 59er Runde in der Abenddämmerung, bevor er sich unter dem Sonnensegel seiner Regeneration widmet.
Ich setze mich derweil schmollend in den Pavillon und sehe dem Treiben in den anderen Parzellen und dem Verkehr in der Durchfahrt des Fahrerlagers zu. Nach ein paar Minuten kommt Alex auf dem Weg vom Altmetallercamp zur Dusche vorbeigeschlappt, kuckt ziemlich genervt aus der spärlichen Wäsche (Radlerhose, Badelatschen) und weiß zu berichten, dass ihn bereits in der ersten Runde Krämpfe in beiden Beinen plagten. Immerhin bin ich nicht der einzige, der leidet. Aber leider der einzige, den ich kenne, der an der Hohen Acht immer absteigen muss.


Matt schickt nach 51 Minuten Rainer auf die Strecke, sieht mein Rad im Montageständer hängen, und während ich ihm die Ohren volljaule, was für ein Mistding der Lampenhalter ist, dass ich wohl ohne Licht fahren muss und mit der Gesamtsituation überhaupt ziemlich unzufrieden bin, entfernt er hier ein Plastikding, fügt da ein Kleinteil hinzu, greift sich einen Schraubendreher und hat den Scheinwerfer in Nullkommanix am Lenker befestigt, noch ehe ich meine Litanei beendet habe. Dann verschwindet er im Zelt. Wenn die Sonne des sich neigenden Tages das nicht schon erledigt hätte, würde ich jetzt wohl sacht erröten. So aber beuge ich mich über mein Rad, als sei daran etwas Wichtiges zu überprüfen, und während ich es so mit angezogener Handbremse hin- und herruckele, stelle ich fest, dass der Steuersatz vollkommen lose ist. Da hat mich das unsichere Gefühl in den kurvigen, schnellen Abfahrten nicht getrogen: Bei dem Gedanken an einen Abflug bei knapp 90 Sachen wegen einer nur locker mit dem Rahmen verbundenen Gabel wird mir direkt wieder flau.
Also flugs das Spiel des Lenklagers neu justiert, das Rücklicht befestigt, die frischen Akkus der Beleuchtung gegen andere frische Akkus ausgetauscht, und siehe da: aus irgendwelchen Gründen fasse ich neuen Mut bzw. entwickle wieder eine gesunde Jetzt-erst-recht-Einstellung, die zum Glück bis zu Rainers Eintreffen nach 57 Minuten vorhält.
 
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Ein Mann als Spielball des Schicksals. Würgend am Streckenrand, schamesrot am Montageständer, fluchend über dem Gehackten:
weiter so, mehr davon *grien*
P.S. 4er Team Leezenritter? Bin dabei!
 
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Hi EdHot-Fans.
EdHot hat es am Samstag fürchterlich geschmissen. Die Saison ist für ihn woll beendet.
Ich glaube er kann auf diesem Wege ein wenig Zuspruch und Motivation gebrauchen.

Also EdHot auf diesem Wege nochmals gute Besserung. Laß den Kopf nicht hängen. Es wird schon wieder.

Red_Devil :devil:
 
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Hallo Ulf,

was machst Du für Sachen! Wir sind in einem alter und sollten doch langsam ruhiger werden. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, eine schnelle Genesung und dann viel Spaß bei Crossen.

Knut
 
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Hallo Ed,

gute Besserung auch von mir.

Du warst nicht zufällig auf der MS-Girostrecke alleine unterwegs und bist dann mit einem andern RRler ein Stück der Strecke zusammengefahren, wo es dann gerumst hat?
 
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Ich hatte den schönen Plan gefasst, am vergangenen Wochenende mit ein paar Freunden bei Kaiserwetter einen letzten Girotest zu fahren und mich dann hier aus der Versenkung zurückzumelden. Es gibt ja auch noch genug zu berichten, das schon länger zurückliegt. Außerdem wollte ich doch mitteilen, dass ich mich nach drei rauchfreien Wochen, knapp 5000 Jahres-KM inkl. einem Monat strukturierten Trainings und einer außerordentlich positiven Grundeinstellung in der Lage sehe, zum Saisonabschluss nochmal ein starkes Rennen zu fahren.

Stattdessen melde ich mich jetzt aus dem Krankenhaus zurück und was sehen meine müden bzw. teilweise zugeschwollenen Äuglein? Die Nachricht, dass ich den Plan nur fast erfüllen konnte, hat schon hierher gefunden! Und Genesungswünsche auch! Vielen Dank dafür!

Zum Sturz kam es am Ende einer Autobahnbrücke: Ich war gerade total euphorisiert, weil das Wetter so geil und mir der Malepartus so leicht gefallen waren, und wartete schon seit einer Weile auf einen Anlass, einen Sprint anzuzetteln, als hinter der Brückenkuppe ein Ortsschild erschien. Ich also in den Unterlenker, aus dem Sattel und alle Kraft in die Pedale gelegt. In diesem Moment sagte der (das?) rechte Cleat zum Abschied leise "Servus!" (bzw. wahrscheinlicher: "Knacks!") und meine Fähigkeit, mich auf dem Rad zu halten, gleich mit. Was folgte, waren ein harter Aufschlag (Schulterprellung rechts), eine Rutschpartie in Richtung Leitplanke (Schürfwunden und - absolut wörtlich gemeint - ein intensiv erlebter Moment Todesangst), Aufprall am Leitplankenständer mit der Nasenwurzel (beidseitig offene Nasenbeinfraktur) und ein zweiter Kontakt unterhalb des rechten Knies (7 cm lange, bis 3 cm tiefe Risswunde, bisher nicht erwähnt: div. Hämatome und kleinere Schürfwunden). Zum Glück waren Christine, Thomas und Ingo bei mir, um sich um mich zu kümmern, sowie ein weiterer Sportsfreund, der sich uns einige Kilometer zuvor angeschlossen hatte, und der nun das Herbeirufen des Rettungswagens übernahm - und zwar so, als wäre er professioneller Rettungswagenherbeirufer.
Also erstmal speziellen Dank an diese vier! Vor allem an Tom, da mir erst viel später klar wurde, dass er ebenfalls hingefallen war. Zum Glück hatte er nur ein paar kleinere Abschürfungen, und sein schönes Simplon sah unversehrt aus. Im Gegensatz zu meinem Rad. Das Poison fährt in diesem Jahr wohl keinen Meter mehr. Aber immerhin habe ich nicht das altbekannte, lästige Problem nicht zu wissen, wohin mit dem Weihnachtsgeld.
Danke auch an die, die gebremst und Hilfe angeboten haben: Das waren übrigens ausschließlich Radfahrer, und zwar fast alle, die vorbeikamen. Nur einer ist wortlos und ohne langsamer zu werden weitergefahren. Von den wenigen Autos hat keins angehalten. Ich möchte gerne glauben, dass die Lage der Unfallstelle hinter der Kuppe dafür verantwortlich ist.
Nachdem der Rettungswagen dann schließlich da war, ging es erstmal mit Tatütata nach Emsdetten in die Notfallchirurgie, wo zum ersten Mal ein Witz über meine Nase gemacht wurde ("Na, die war aber vorher auch nicht gerade klein, was?"), was sich zu einer Art Running Gag des Münsterländer Heil- und Pflegepersonals entwickeln sollte. Außerdem wurde geröntgt und gereinigt, genäht und verbunden. Vorher bekam ich noch gezeigt, wie man so einen offenen Nasenbeinbruch diagnostiziert: Wenn beim Spülen der äußerlichen Platzwunde auf der Nasenwurzel das Wasser zum Mund wieder rauskommt, ist es einer. Fühlt sich genauso gruselig an, wie es sich liest.
Dann brachten mich Ingo und Tom nach Münster in die HNO-Klinik, wo ich die nächsten zwei Nächte verbringen durfte, da die Rekonstruktion der ehrfurchtgebietenden Schönheit meines Riechkolbens nicht so nebenher und nur von Meisterhand (in diesem Fall der von Dr. Schmid, dem Mann, der den Schlaf besiegte) zu bewerkstelligen ist. Und dank der Pflege Sr. Angelikas und ihrer Kolleginnen bin ich seit Montag wieder zuhause und auf den Beinen, wenn auch in der Beweglichkeit und - wenn man denn althergebrachten Idealen nachhängt - Schönheit etwas eingeschränkt. Jetzt muss ich nur noch meinen Töchtern beibringen, dass es nicht unbedingt nötig ist, meine Beine zu umklammern, um mir zu zeigen, wie lieb sie mich haben...


Ich füge noch einige Beweisfotos an. Manche mögen als Grund zur Abkehr vom übertriebenen Ehrgeiz, manche als Appetitzügler dienen.




P.S.: Wie sich später herausstellte, steht das eingangs erwähnte Ortsschild gar nicht an der zu befahrenden Strecke, sondern in einer Seitenstraße. Auf dem ersten (hier: dem letzten) Foto sieht man es im Hintergrund.
P.P.S.: Apropos Bilder: Die sind mit dem Telefon geknipst, und das kann offensichtlich die Pracht der in allen Regenbogenfarben changierenden Blutergüsse nicht verarbeiten.
 
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Glück im Unglück würde ich sagen, wirst ja zum Glück keine bleibenden Schäden behalten.
Auf jede Fall alles Gute und gute Besserung!
 
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Du armer Kerl. Immerhin kannst Du schon wieder schön drüber schreiben. Ich würde Dich mal besuchen kommen, ohne mich lustig zu machen… wenn ich darf.
Liebe Grüße, Rob
 
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