Mein Transalp-Bericht 2015 - Etape 1-2
Beim Aufstehen nach einer durchschlafenen Nacht winkte mir tatsächlich ein Sonnenstrahl von draußen ins Gesicht. Ein Blick vom Balkon offenbarte allerdings auch die zugefrorenen Autos und die vereisten Pfützen. Aber wenigstens lag kein Schnee, dafür hatte es draußen immer noch fast 0°C. Im September, in den Dolomiten. Argh, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Gottseidank hatte ich eine Tüte mit Winterklamotten mit, aber irgendwie strahlte ich trotzdem nicht vor Freude. Bah, das hieß fast die komplette Wintergarnitur anziehen.. Socken, Beinlinge, Unterhemd, langes Trikot, Windweste, Kopfmütze, Sonnenbrille,
Helm. Naja, besser als nicht fahren können.
Für den ersten Tag hatte ich eine Einrolletappe eingeplant, die mit 106km und 2800hm an sich keine Schwierigkeit darstellen sollte. Trotzdem habe ich die Jungs mehrfach vor einer Stelle gewarnt, die in meinem Roadbook dunkelrot eingefärbt war. Aus dem Tourenvorschlag eines Buches übernommen, wollten wir von Blumenau eine Nebenstraße nehmen, um später dann in den Nigerpass einzusteigen. Hierbei gab es allerdings ein Hindernis: ca. 2km mit min 20. %, und Spitzenwerten von 24%. Als ich das im Januar 2015 in dem Buch lass, und mich dabei fast an den Spaghetti verschluckt hatte, wurde mein Hinweis mit "Ach ja, die übertreiben" und "Ja, wir kennen den Nigerpass, die meinen bestimmt die Stelle mit den Llamas" weggefegt. Meine Gedanken kreisten seit dieser Vorbesprechung immer mal wieder um diese 20% für 3km, und ich hatte echte Sorgen, wie ich die überwinden sollte.
Aber die Jungs hatten es ja jedesmal weggewunken, und mir versichert, sie kennen den Nigerpass, und die Stelle wäre höchstens 300m. Am Frühstückstisch heute Morgen hatte ich es noch ein letztes Mal probiert, und verwies zaghaft auf mein Höhenprofil mit der rot markierten Stelle, aber wieder gab es nur Kopfschüttel und ein Lächeln. So ein Lächeln, das sie wahrscheinlich im Krankenhaus einem 90ig Jährigen hinlegen, wenn er erzählt, er wäre 20 Jahre alt. Naja. Ich hatte es ja versucht, sie zu warnen. Nach einer langen Abfahrt von Wolkenstein aus kamen wir in Blumenau an, und tatsächlich war es hier unten recht warm mit fast 20°C und Sonne. Nach dem Ablegen der Beinlinge, Windwesten und Kopfmützen ging es
also in den Anstieg ein. Ich hielt mich schön hinter den beiden Jungs, und versuchte, an jeder Stelle soviel Energie wie möglich zu sparen. Immerhin sollten in 4 km Entfernung dann ja auch die 20% kommen. Die Jungs waren vor Energie nicht zu
bremsen und fegten wie wilde Mustangs die ersten Hügel hoch, gerne mit über 200W (ca. 3,2W/kg) für mich, und ich wusste, dass sie meine Warnung nicht ernst genommen hatten.
Aber egal, ich blieb dran. Schnell noch ein Gel rein, und schon tauchte das erste Schild auf, mit 20%. Die wilden Mustangs vor mir verringerten irritiert ihre Geschwindigkeit und bockten etwas: "Was ist das denn, Herr Tourenmeister?". Ich fuhr stoisch weiter, und schnell klackten alle drei Ultegras auf ihr 28er Ritzel. Vor uns türmte sich in einer wilden und einsamen Schlucht ein sehr schmaller Pfad auf, der tatsächlich 20% hatte. Meine Hoffnung stieg mit meiner Herzfrequenz, dass nach jeder Ecke das Scheissding aufhört, doch es ging immer nur noch steiler weiter.
Schnell sortierte sich die Gruppe, Kai lief rot an, musste abreißen lassen und fuhr mit ca. 40er Kadenz irgendwie den Berg hoch, während ich mich an Christian hing. Nach 20 Minuten, gefühlt einer Stunde im roten Bereich, fing Christian vor mir plötzlich an, Schlangenlinien zu fahren, von links nach rechts. Irgendwann realisierte ich, dass er kaum noch konnte, und damit die Steigung austricksen wollte. Wir kamen an einem Schild mit 24% Aufschrift vorbei, und ich war inzwischen bei 184bpm angekommen. Nach weiteren 10 Minuten erschien auf der rechten Seite eine Hofeinfahrt, in die Christian rollte, und sich entkräftet und entsetzt zugleich auf die Wiese fallen ließ.
Kurze Zeit später kam auch Kai den Berg in Schlangenlinien herauf geschnauft und rollte mit einer letzten Umdrehung in die Hofeinfahrt. Entsetzt starrte er mich und dann Christian an und meinte "Was für einen Scheiss hast du dir denn da ausgedacht?". Ich fing hysterisch an zu lachen, und konnte tatsächlich 2 Minuten vor lauter Lachen fast nicht mehr Atmen. Die beiden starken Jungs, die mich 2009 an jedem Anstieg abgesägt hatten, die schon so viele Transalps hinter sich hatten, die 20 Jahre Radfahren, hatten nicht auf meine Warnung gehört, und waren vollkommen entsetzt von diesem unbekannten, kleinen Nebensträßchen. Die Szenerie war einfach zu köstlich. Aufgrund meines hysterischen Lachanfalls guckten sich die beiden jetzt sehr besorgt an, so nach dem Motto, ob ich nun endgültig den Verstand verloren hätte. "Wenn du nicht aufhörst zu lachen, müssen wir dich schlagen" "Micha komm zu dir" "Hier iss was!"
Nachdem ich mich beruhigt hatte, und wir uns alle einig waren, dass es der heftigste Anstieg war, den wir jemals in unserem Leben mit einem Rennrad gefahren sind, haben wir noch kurz verschnauft, um dann den Aufstieg fortzusetzen. Kaum fuhren wir wieder los, bekam ich erneut einen Lachflash, als Christian anfing, vor mir Schlangenlinien zu fahren, und Kai hinter mir fluchte. Es war einfach ein Bild für die Götter! Und ich meine das nicht irgendwie boshaft oder um sie zu ärgern.. die beiden sind verdammt gute Radfahrer mit Jahren an Erfahrung, aber sie hier so wie Wochenend-Tourenfahrer raufkriechen zu sehen, versetzte mich in eine sehr angeheiterte Stimmung. Naja, vielleicht hab ich auch einfach nur das Gel mit Taurin nicht vertragen

Die Beiden haben mir jedenfalls verziehen, allerdings ging nach diesen ca. 40 Minuten im roten Bereich nicht mehr viel an dem Tag. Kräfteschonend fuhren wir die Tour über den Nigerpass, Karerpass und das Sellajoch zu Ende. Zufrieden mit uns und dem ersten Tag genoßen wir eine Pizza in Wolkenstein und freuten uns auf den zweiten Tag - diesmal sollte eine Königsetappe folgen.
Die zweite Etappe: wieder mit Start in Wolkenstein, diesmal aber über den Fedaia-Pass, Passo di Giau, Falzarego und zum Schluss über den Passo Campolongo und das Grödnerjoch. Knapp 135km und ca. 4000hm sorgten diesmal für den entsprechenden Respekt, und auch meine Warnungen über rot-markierte Abschnitte in dem Roadbook wurden ernst genommen. Zwar war die Steilheit diesmal kein Vergleich mit dem Nigerpass von Blumenau aus, aber der Giau-Pass hatte auch gerne 10%-Abschnitte, mit wenig Punkten zur Erholungen, und allein die 4000hm müssen auch erstmal erklommen werden.
Nachdem ich mich gestern zurückgehalten hatte, wollte ich heute mal sehen, ob ich noch was aus mir rausholen konnte und hatte direkt beim ersten Abschnitt auf dem Fedaia Pass angegriffen. Erstaunlicherweise ließ Kai sofort abreißen, nur Christian ging mit. Da er recht stark bei konstantem Tempo ist, ich aber aufgrund meiner Statur eher mit Tempowechseln klar kommen, war die Taktik klar. 640hm hatte der Fedaia Pass, 13,5km. Erst nach ca. 7 km wird der Pass steiler, so dass sich hier für mich am ehesten ein Angriff lohnte. Gleich in der ersten Kehre trat ich durch und schaute nach hinten: Christian versuchte kurz, mitzugehen, war aber anscheinend zu platt, um mitzukommen. Och, der Arme. *evil_grins*
Ich weiß, wie sich das anfühlt. An jedem Anstieg im Jahre 2009 ging es mir so. Sollte es mir echt gelungen sein? Zweifel nagten an mir - kann doch nicht sein, der spielt nur, und kommt gleich um die Ecke. Ich hielt die Leistung ungefähr konstant und schraubte mich weiter den Berg hoch.. Mit jeder Kehre lag er weiter zurück.. bis mir irgendwann klar wurde: ich pack es echt! Yeeha! Wooohoo.. "Madcon - Don't worry about a thing".. Oben angekommen, hielt ich am kristallklaren See, genoß die kurze Stille, bevor mich vorbeijagende Motorradfahrer aus meinen Träumen rissen, und ich mein Handy rausholte, um standesgemäß die Fotos von Kai & Christian zu schiessen.
Die beiden kamen im ca. 5 Minuten Abstand hochgefahren, und wir fielen uns in die Arme, wie nach jedem Anstieg. So ein gemeinsames Kämpfen verbindet einfach, egal, wer wie schnell oder langsam fährt. Das war auch 2009 so, und das habe ich ihnen noch angerechnet. Deswegen darf man ja trotzdem mal ein bisschen was "rauskitzeln". Leider berichtete Kai, dass er am zweiten Anstiege Knieschmerzen hatte. Arrggg. Das tat mir sehr leid, da Kai eine Vorgeschichte mit dem Knie hat, und ich vermutete sofort, dass die 20% Sache von gestern ihm zu schaffen gemacht hat. Vorsichtig fuhren wir die nächsten 80km zusammen, bis er immer langsamer wurde, und meinte, er könne vor Schmerzen nicht mehr fahren.
So vereinbarten Christian und ich mit ihm, dass wir ihn in Arabba in einer Pizzeria zurücklassen würden, und einen Kampf gegen die Uhr fahren würden. Wir hatten noch ca. 90 Minuten, aber auch noch zwei Pässe zu überwinden, um zum Auto nach Wolkenstein zu gelangen. Der Campolongo-Pass und das Grödnerjoch erwarteten uns, und der Gedanke, im Dunkeln und im Kalten die Abfahrt vom Grödnerjoch zum Hotel nehmen zu müssen, erzeugte bei keinem Hochgefühle. Letztendlich war es arschkalt, auf dem Grödnerjoch hatten wir am Ende 5°C, und die Dunkelheit kroch auch schon ins Tal, aber wir schafften es so gerade noch mit dem letzten Licht zum Auto. Phew, das war knapp heute. Normalerweise wären die 135km kein Problem gewesen, aber wegen der Kälte morgens sind wir spät los und aufgrund Kai's Schmerzen haben wir längere Pausen gemacht.. Geklappt hatte aber alles, und so konnten wir ihn mit dem Auto aus der Pizzeria abholen.
Etappe 1 Strava:
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Etappe 2 Strava:
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