Wenn es für Menschen gefährlich ist, bei Gewitter in einem See zu baden – warum werden dann nicht Enten, Fische und andere Wasserbewohner regelmäßig Opfer von Blitzeinschlägen? Eckart von Hirschhausen nähert sich auch diesmal wieder in heiklen Versuchen wissenschaftlich der Antwort auf eine spannende Frage.
Egal ob Freibad oder Badesee, jedes Kind lernt, dass es bei Gewitter das Wasser verlassen muss, will es nicht vom Blitz getroffen werden. Aber nicht alle schaffen es an Land. Fische zum Beispiel können nicht raus aus dem Wasser. Was machen sie statt dessen? Sind sie gegen Elektrizität immun oder dem sicheren Tode geweiht? Bei dieser Frage steht Hirschhausen ganz schön unter Strom.
Wenn der Blitz einschlägt
Eine Spannung bis zu 100 Millionen Volt herrscht zwischen Wolken und Erde, wenn sich ein Blitz entlädt. Dann fließt für den Bruchteil einer Sekunde ein Strom von rund 30.000 Ampere. Dabei langen schon 5 Tausendstel Ampere und es wird für Mensch und Tier gefährlich. Doch erst einmal haben die Fische Glück. Der Blitz sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstandes und schlägt meistens dort ein, wo irgendetwas in den Himmel ragt. Türme, Bäume oder Menschen auf einer ebene Fläche. Wasserflächen werden vergleichsweise selten getroffen. Wenn es trotzdem passiert, breitet sich der Stromfluss unter der Wasseroberfläche halbkugelförmig aus. Mit zunehmendem Abstand zum Einschlagsort sinkt die Stromdichte rapide. In etwa 100 Metern Entfernung ist es kaum mehr gefährlich.
Die Kleinen im Vorteil
Wenn Mensch oder Fisch näher dran sind, hängt es von zwei Faktoren ab, wie viel Strom sie abbekommen. Erstens von der Körpergröße. Je länger der Körper ist, umso größer ist der Spannungsabfall im Inneren und umso höher ist der Strom. An Land nennt man das ganze Schrittspannung. Der Strom fließt durch den Boden, zum einen Fuß in den Körper rein und zum anderen wieder raus. Je weiter die Füße auseinander stehen – je breiter der Schritt - umso größer ist die Spannungsdifferenz dazwischen und umso mehr Strom fließt. Daher der Tipp: Füße zusammenhalten, oder noch besser auf ein Bein stellen. Zurück im Wasser bedeutet das, kleine Fische bekommen weniger Strom ab als große und viel weniger als ein Mensch.
Zweiter Faktor ist die elektrische Leitfähigkeit des Wassers. Hier macht es sich ausnahmsweise bezahlt, dass Flüsse, Seen und Meer nicht aus reinem destilliertem Wasser bestehen, sondern jede Menge Salze enthalten. Denn sie sind es, die den Strom leiten. Dabei gilt für den Strom dasselbe wie für den Blitz, beide suchen immer den geringsten elektrischen Widerstand. Trifft der Strom im Wasser auf einen Körper, nutzt er sowohl den Weg durch den Körper als auch den außen herum. Wie er sich dabei aufteilt, hängt von den beiden Widerständen ab. Ist der Widerstand des Körpers größer als der des Wassers, bleibt mehr Strom im Wasser.
Menschen und Fische haben einen spezifischen Widerstand von rund 30 Ohmmetern. Beim Wasser schwankt der Wert: destilliertes Wasser kommt auf bis zu 40.000 Ohmmeter, Süßwasser auf 30 Ohmmeter und Meerwasser auf nur 0,3 Ohmmeter. Fische und Menschen tun gut daran, statt in destilliertem Wasser in Flüssen, Seen und Meeren zu schwimmen, dadurch bekommen sie bei einem Blitzschlag rund 1.000 bis 100.000 mal weniger Strom ab.
Lähmender Strom
Wie Fische auf Strom im Wasser reagieren, weiß man aus der Elektrofischerei. Von einem Boot aus wird eine Spannung von 300 bis 1.000 Volt erzeugt: Ein Kescher wird hinter dem Boot hergezogen und zwischen diesem und einem zweiten Pol an Bord oder am Grund fließt ein Strom von 2 bis 15 Ampere. Solange die Spannung anliegt, sind die Fische gelähmt. Dann können sie entweder eingesammelt oder gezählt werden.
In Deutschland ist diese Methode nur unter hohen Auflagen zulässig, z. B. für wissenschaftliche Untersuchungen oder um ganze Bestände umzusetzen. Sobald der Strom nicht mehr fließt, schwimmen die Tiere weiter, als wäre nichts gewesen. Wegen der oben genannten Gründe benötigt man für kleine Fische höhere Ströme als für große und wendet das Ganze fast nur im Süßwasser an.
Tödlicher Strom
Trotz aller günstigen Bedingungen kommen in unmittelbarer Nähe eines Blitzeinschlages Fische zu Tode. Durch den elektrischen Impuls ist die Muskelkontraktion so extrem, dass das Rückrat bricht. Teilweise kommt es auch zu inneren Blutungen. Bei einigen Teichzuchten sind auf diese Weise schon erhebliche Verluste zu beklagen gewesen. Den Betreibern wird daher ein geeigneter Blitzableiter empfohlen.
Menschenfeindliches Element
Egal ob Salzwasser oder Süßwasser, für uns Menschen gilt immer: bei Gewitter nichts wie raus. Wasser ist nicht unser Element. Mal abgesehen von dem seltenen Fall direkt vom Blitz getroffen zu werden, fließt der Strom an Land durch das eine Bein rein und zum anderen wieder hinaus. Schrittspannung hin oder her, unser empfindliches Herz liegt dabei abseits und ist relativ gut geschützt. Im Wasser dagegen fließt der Strom durch den kompletten Körper, das Herz bekommt die volle Ladung ab. Kammerflimmern und Stillstand sind die Folge. Selbst wenn wir dann "nur" ohnmächtig werden, kommt eine weitere Tücke des feuchten Elements dazu. Unter Wasser können wir nicht atmen. Was uns an Land lediglich von den Beinen geholt hätte, bringt uns im Wasser um: wir ertrinken.
Ein sicherer Ort bei Gewitter ist zum Beispiel ein Auto, ein Zug, ein Flugzeug, oder auch das Innere eines Schiffes. Der Strom fließt dann über die metallene Außenhaut ab und das Innere bleibt stromfrei. Das Ganze nennt man Faraday-Käfig. Der wäre übrigens auch für die Fische das Richtige, denn er funktioniert genauso gut unter Wasser.