Re: Lokomotive Rotes Ritzel im Bootcamp
Bericht aus der Rhön, II. Teil.
Oder: Wie das Wetter sich vom Regen zum Gegenwind wandelte.
Der Chronist beschloß am Sonnabend morgen, im Schlafsack liegend und die Regentropfen auf dem Zeltdach hörend, die Memme zu mimen und nicht in den
Sattel zu steigen. Wusste er doch, dass die zarten Nylonhüllen nach spätestens zwei Stunden von Nässe durchdrungen sein würden und ihm dies die folgenden Tage verleiden könnte. Nach Einnahme des Frühstücks und Überdenken des weiteren Tagesablaufs entschied der Radler sich aber doch für eine kurze Runde durch die schöne Rhön. Wie geplant, war er nach zwei Stunden naß bis auf die dünne Haut und ließ seinen Mitradler Pepper.Salt alleine im Regen seine Kreise ziehen. Fünfundziebzig Kilometer sollten für ihn heute genug sein, eine lange heiße Dusche und reichhaltige Kuchenauswahl warteten im Ziel. Später am Abend tauschten die Radrecken bei Nudeln und Bohnenundtomatensalat Erlebnisse und Erfahrungen aus. Der Abend wurde nicht alt.
Des nächstes Morgens tropften die Regentropfen nicht mehr gar so drängend auf das Zeltdach. Der Marathonfahrer war derweil mit geeigneter Bekleidung versehen und voller Zuversicht. Es drängte hinaus, der Tag der Erfahrung war gekommen: wie würden sie ihn zu Ende bringen?
Die Fahrt ließ sich gut an. Im Morgengrauen trieben an die tausend Pedaleure ihre Räder an. Ohne Schwierigkeiten wurden die ersten Berge bezwungen. Die Wasserkuppe zeigte sich von Nebel umweht, im Wolkendunst stürzten sich die Pedalritter mit siebzig Kilometern pro Stunde zu Tal. Berg auf Berg, durchsprenkelt von Wellen, Hügeln und Kuppen, wurde genommen. Täler wurden durcheilt. Radkameraden ließen einander am Nutzen des Windschattens teilhaben.
Eine Frage nahm indessen breiteren Gedankenraum ein: wie lange würde sich die Jagd durchhalten lassen? Bei Kilometer einhundertzwanzig bewegten die Beine sich ohne Widerstreben. Vierzig weitere Kilometer ließen Hügel zu Bergen anwachsen, Berge entlockten dem Radfahrer Stoßseufzer. Neue Erkenntnisse trafen den Raderemiten: was bleibt außer ihm, dem Rad und der Straße? Während der Zeit hatte sich der Regen in steifen Gegenwind verwandelt. Die Sonne trat aus dicken Wolkenschichten hervor und trocknete die obersten Schichten der Radlerbekleidung.
Von freundlichen Röhnbewohnern bei einem Streckenhalt gereichte Nudelnmitgulasch wollte der Fahrradasket wegen seines Gelübdes zum Fleischverzicht nicht annehmen. Kuchen wurde immer gerne gegessen, aber auch dieser konnte die Lage nicht umkehren. Weitere Anhöhen erschwerten das Pedalieren.
Nach einhundertachtzig bezwungenen Kilometern ließ ein Powergel Besserung eintreten, Stallgeruch sorgte für weiteren Antrieb. Vom zweiten Wind beflügelt wurden die verbliebenen dreißig Kilometer durchrollt, Hochgefühl spornte den Rennradler an. Weitere Radkameraden rauschten von Zeit zu Zeit in seinem Windschatten über die Straßen.
Nach acht Stunden und vierundzwanzig Minuten im
Sattel überquerte der Marathonist die Ziellinie. Von schweren Radlerbeinen wurde das treue Rennrad über die regendurchweichte Wiese getragen, über die Schnauze gestreichelt und am Zelt angepflockt - gut gemacht, Alter.
Der Radler wollte auf weitere Entsagungen verzichten und am folgenden Tag nicht erneut in aller Frühe aufstehen, so wurden zur Mittagszeit hundert flache Kilometer im Rodgau unter die Räder genommen.