Danke für den interessanten und konstruktiven Beitrag. Dein Erklärungsmodell wäre durchaus plausibel (wenn auch wohl nicht als alleinige Erklärung) und für große Fahrer motivierend.
Deine Berechnung und die genutzten Rohdaten würden mich interessieren – kannst du die mit uns teilen?
Ich sehe in meinen Überlegungen eigentlich nicht viel – zumindest nichts auf "harten Daten" beruhendes – was für große Fahrer motivierend sein sollte. Immerhin habe ich am Beispiel der 5 Tour-Sieger, über die es Fakten und Daten zu ihrer "Metamorphose zum Bergfahrer" und an dem Gegenbeispiel Edwald Boasson Hagen doch gezeigt, wie fragil solche "generierten" Konstitutionen sein können. Damit will ich sagen: Sowas wird bei einem x-beliebigen "Langen" auf gar keinen Fall funktionieren, wenn es schon bei Spitzenprofis trotz bis zum Ende ausgereizter medizinischer Betreuung nicht funktioniert hat.
Zum zweiten ist meine Hauptargumentation qualitativ und bedient sich eher sport-soziologischer und individual-psychologischer Überlegungen in Bezug auf den "seine Karriere planenden Athleten" – über den wir aber doch alle wissen, daß er i.d.R. der allerletzte ist, der hier die Rolle des handelnden Subjekts spielt. Spitzensportler planen ihre Karriere nicht, sie
werden "verplant".
Aber schauen wir uns das mal im Einzelnen an, was ich da geschrieben habe und welche Daten da Grundlage waren:
Nachdem ich nochmal den Großteil der Argumente angeschaut habe und ein paar Berechnungen durchgeführt habe, ...
Die Daten und Berechnungen finden sich in Gestalt der folgenden Tabelle:
Name | Gewicht | Länge | BMI |
Bernal | 60 | 175 | 19,6 |
Carapaz | 62 | 170 | 21,5 |
Dumoulin | 69 | 185 | 20,2 |
Froome | 66 | 186 | 19,1 |
Geoghegan Hart | 65 | 183 | 19,4 |
Nibali | 65 | 180 | 20,1 |
Pogacar | 66 | 176 | 21,3 |
Roglic | 65 | 177 | 20,7 |
Thomas | 71 | 183 | 21,2 |
Valverde | 61 | 177 | 19,5 |
Yates, S. | 59 | 172 | 19,9 |
Mittelwerte | 64,5 | 178,5 | 20,2 |
Sie zeigt zunächst einmal lediglich Körpergewicht und -länge von 11 Fahrern, die mind. eine Grand Tours gewonnen haben sowie in den letzten 10 Jahren zu den Hauptprotagonisten solcher Rundfahrten gehört haben und noch aktiv sind. Damit ist kein besonders hohes Maß an Repräsentativität gegeben, allerdings: "total unrepräsentativ" ist das Ganze auch nicht, denn es gibt wahrscheinlich nur ganz wenige Fahrer, die diese beiden Kriterien erfüllen und dort fehlen. Eher ist fraglich, ob das Merkmal "Grand-Tour-Sieger" die Gewähr dafür bietet, daß es sich um die absolute Leistungsspitze handelt.
Als ich dann schrieb
Es gibt wohl keine über das Maß normaler statistischer Schwankungen hinausgehenden quantitativen Hinweise, daß größere Fahrer am Berg benachteiligt sein müssten, wenn man dafür Daten von Spitzenprofis aus dem Grand-Tour-Bereich heranzieht.
meinte ich damit folgendes:
Ich hätte z.B. erwartet, daß die Größeren wie bspw. Nibali, aber vor allem Thomas und Dumoulin besonders niedrige BMI-Werte aufgewiesen hätten als "Ausgleich" für die im Einleitungsbeitrag und vielen Folgebeiträgen unterstellten "Nachteil" beim W/kg-Spielchen. Das war aber nicht der Fall. Es gab dann zwar auch die beiden "Hungerleider" Froome und Geoghegan Hart, doch das ist normal in einer derart kleinen Stichprobe, daß sich dort die nach Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erwartende Verteilung aus einer angenommenen Grundgesamtheit wiederfindet, diese aber auch in die eine oder andere Richtung stark verzerrt sein kann. Das war mit der Formulierung "keine über das Maß normaler statistischer Schwankungen hinausgehenden quantitativen Hinweise" gemeint.
Trotzdem geben diese Daten einen "mittelstarken" Hinweis darauf, daß die Hypothese "lange Kerls sind benachteiligt" evtl. falsch ist.
Hier muß man dann aber aufpassen:
Ich sage nicht, daß sie falsch
ist, sondern lediglich, daß die Behauptung, daß sie richtig sei, nicht haltbar ist. Das mag dem einen oder anderen wie Korinthenkackerei oder Winkeladvokaten-Rhetorik vorkommen, wer sich schonmal ein wenig mit wissenschaftlichen Überlegungen und ihren Grundlagen auseinandergesetzt hat, weiß aber, daß das ein himmelweiter Unterschied ist.
Es tut mir also leid, dich evtl. bezüglich Daten enttäuscht zu haben, aber das war's.
Wer jetzt natürlich meint "Ja gut, dann suchen wir uns halt noch 20 weitere aus der '2. Reihe' und schauen uns deren spezifische Leistung an!", der begeht exakt den Fehler, den die heutige Medizin und leider auch die Sportphysiologie fast durchweg macht, nämlich auf das Erbsenzähler-Ritual der sog. "Evidenzbasierten Wissenschaft" zu setzen. Aber das wäre jetzt ein ganz anderes Thema und würde hier zu weit führen...
Alles weitere waren dann Überlegungen, die wie gesagt an sport-soziologischen und -psychologischen Sachverhalten im Verlaufe der Karriere eines Athleten anknüpfen:
Ich denke, daß das Argument aus #17 das entscheidende ist, verbunden mit der auf jeden Fall unbestreitbaren Tatsache, daß große Fahrer in der Ebene auf jeden Fall im Vorteil sind, weil der Luftwiderstand eben nicht mit der Körpermasse wächst. So kommt es dazu, daß sich große Fahrer bereits frühzeitig in Richtung Zeitfahren, Siege bei Eintagesrennen durch Alleinfahrt usw. orientieren. Im Zuge dieser Richtungswahl kommt es möglicherweise dann tatsächlich zu einer "Benachteiligung der Langen", weil sie sich zusätzliche Pfunde "anfressen", um mehr Druck auf die Pedale bringen zu können.
Letzteres kann man aber jetzt nicht einfach mal so dahin sagen, es muß auf seine "Rationalität" überprüft werden. Denkbar wäre, daß es einen schmalen Bereich gibt, sagen wir für bspw. für einen ca. 1,80 großen Athleten, durch Gewichtszunahme deutlich "nützliche Muskeln" ansammeln zu können, und dabei die absolute Leistung zu verbessern. Diese Hypothese würde auch dadurch gestützt, daß Zeitfahren selten länger als 1 Std. dauern und die oben angedeutete "Finisseur-Qualität" ja auch eher auf den Schnelligkeits-Ausdauer-Bereich abzielt. Somit sind dort athletischere Typen gefragt. Ich spreche da von relativ wenig zusätzlichem Gewicht, etwa 3 - 4 kg. ...
Man könnte das ganze auch kurz zusammenfassen in folgender Feststellung:
Nicht die "Großen" sind am Berg benachteiligt, sondern die "Kleinen" sind benachteiligt in der Ebene, weshalb sie sich auf das "Bergfahren" spezialisiert haben!
Allerdings beobachten wir in der Tat, daß gerade in den letzten 20 Jahren die Erscheinung des am Berg total überlegenen "Bergflohs" sozusagen "ausgestorben" ist. Vor diesen letzten 20 Jahren denke ich dabei vor allem an Fahrer wie Lucien Van Impe, Claudio Chiappucci und Marco Pantani, aber selbst von denen haben zwei die Tour gewonnen. Um wirklich diese typischen "Bergflöhe" zu finden, die auf einer Etappe auch schonmal 15 min und mehr rausgefahren haben, um die dann im Verlaufe des Rennens oder sogar schon auf der nächsten Abfahrt wieder zu verlieren, muß man noch ein ganz schönes Stück weiter zurückblättern im Geschichtsalbum der Grand Tours.
Was heißt das nun für unsere "großgewachsenen Hobbyisten"?
Machen wir's kurz: Nimm ab und übe Berge fahren! Das ist die Message.
Das müssen aber eben nicht nur diejenigen beherzigen, die besonders groß sind. Wenn ich als deutlich unterdurchschnittlicher "Kleiner" auf nach meinem Alter passable Leistungen am Berg kommen wollte, müsste ich jetzt noch ca. 15 kg abnehmen. Seit dem Höhepunkt meiner "Dicklichen Lebensphase" habe ich schon 5 kg geschafft, es wäre also machbar.
Es zählen Taten, nicht Gejammere. An der Stelle muß ich allerdings bspw. den User
@Spinj hervorheben: Er jammert nicht, obwohl er weiß, daß er niemals große Taten am Berg vollbringen wird. Es macht ihm einfach Spaß.
Obwohl: Auch er könnte akzeptable Leistungen erzielen, wenn er die Voraussetzungen von oben erfüllen würde: In seinem Fall hieße das 20 - 25 kg abnehmen und fleißig weiter trainieren. Diese 20 - 25 kg könnte er ohne Leistungseinbuße schaffen, er würde seine Leistung aufgrund verschiedener Sachverhalte (z.B. bessere Atmung) sogar verbessern können, ich habe dazu mal die Faustformel 1,5 W/kg ermittelt. Das wären bei ihm dann also ca. 30 - 35 Watt.
Den Berg, den er mit 376 Watt und einer Geschwindigkeit von 17,9 km/h hochgefahren ist, könnte er also mit über 400 Watt (rechnerisch ca. 410) hochfahren und wäre dann über 22 km/h schnell. Und damit wäre er durchaus konkurrenzfähig, denn der, mit dem er sich da vergleicht, hat mit 6 W/kg die Leistung eines Profis. Ein "korrekter" Vergleich wäre bpsw. der mit einem "4,5-W/kg-Mann". Und davon wäre er mit seinen von mir auf der Grundlage von 403 W und 97 kg berechneten 4,15 W/kg gar nicht so weit entfernt.
Aber das will er ja gar nicht und das ist gut so. Da gibt es ganz andere Fälle, die sich trotz fehlender Voraussetzungen durch einen Alpenmarathon nach dem anderen quälen und dabei im schlimmsten Fall ihre Gesundheit auf's Spiel setzen.
Ich für meinen Teil habe da bescheidenere Ziele:
- Die Kilos müssen weg und die Kilos kommen weg: Nicht von heute auf morgen, aber ich denke, ich kann mich ruhigen Gewissens am 3.10. mit ca. 74 - 75 kg beim MS-Giro an den Start stellen, in 2022 eine Lizenz ziehen und mit dann hoffentlich klar unter 70 kg mich dem Wettbewerb mit "richtigen" Radrennern stellen sowie ab 2023 mit dann meinem "alten Kampfgewicht" von 62 kg die besten in meiner Altersklasse "angreifen", wie es mir aufgrund meiner festgestellten Leistungsfähigkeit zusteht und wozu ich demnach verpflichtet bin.
- Das Ziel ist demnach die Teilnahme an Radrennen, wo die W/kg eher für einen müheloseren Antritt notwendig sind (wovon es in einem solchen Rennen 20 bis 50 gibt) oder auch mal bei etwas "hügeligeren" Streckenprofilen "bei den Leuten" zu sein.
- Nahziel ist allerdings, bei den Trainingsfahrten nicht an jeder etwas längeren und mehr als 5 % aufweisenden Steigung abgehängt zu werden, das macht auf Dauer keinen Spaß.