So wie ich es jetzt verstanden habe, funktioniert die Strategie dann aber immer, auch im Flachen bei Windstille.
Nein, bei Windstille hat es keinen Vorteil auf einem Teilstück mehr Watt aufzuwenden, weil man dafür ja einen "überproportionalen Preis bezahlt", mehr dazu unten.
D.h., die Strategie ist ausschließlich von der eigenen Laktattoleranz und der Fähigkeit des Laktatabbaus abhängig. Man muss sie nur der Renndauer anpassen.
Laktattoleranz und Laktatabbau sind Faktoren die dabei eine Rolle spielen aber nicht die Einzigen. Ermüdung ist ein mehrdimensionales Phänomen, dabei spielt nicht nur das Laktat bzw. dessen Abbau eine Rolle. So kann man z.B. zeigen, dass bei hohen Belastungen die Muskulatur auf die Dauer weniger Sauerstoff aus dem Blut extrahieren kann. Das führt dazu, dass bei Leistungen wie sie für längere Zeitfahren typisch sind, die Sauerstoffaufnahme zu Anfang weit vom Maximum entfernt sein kann, im Verlauf des Zeitfahrens aber immer weiter steigt, und damit auch das Herz-Kreis-Lauf-System immer stärker belastet wird. Darüber hinaus spielen noch weitere Faktoren eine Rolle, bis hin zu der Erscheinung, dass das Gehirn bei Ermüdung nicht mehr in der Lage ist, die Muskulatur mit gleicher Intensität anzusteuern und die Muskeln Steuersignale auch nicht mehr in gleicher Weise verarbeiten, wie ohne Ermüdung.
Ganz simpel ausgedrückt kann man sagen: Wenn man bei einem Zeitfahren irgendwo eine hohe Leistung abruft, die über dem liegt, was man über die erwartete Dauer des Zeitfahrens
im Durchschnitt an Watt abgeben kann "zahlt man dafür einen Preis" in Form einer Verringerung der Durchschnittsleistung.
Die kritische Frage ist, wie hoch ist dieser Preis, d.h. wieviel Watt der eigentlich erwarteten durchschnittlichen Dauerleistung kostet es mich, wenn ich in einer Gegenwindpassage oder am Berg über die erwartete Durchschnittsleistung um eine bestimmte Wattzahl hinausgehe.
In meinem Rechenbeispiel oben habe ich unterstellt, dass der Faktor Normalisierte Leistung/NP in der Lage ist, diese Zusammenhänge modellhaft zu erfassen und man daher aus der NP ableiten kann, welchen "Preis" man bezahlen muss, wenn man ausgehend von einer konstant gehaltenen normalisierten Leistung, das Pacing optimiert und im Gegenwind mehr Watt tritt. Nach Angaben von Coggan ist die normalisierte Leistung als Indikator insb. für die Glycogen-Nutzung erdacht worden. Diese ist allerdings individuell durchaus verschieden und es ist nicht gesichert, dass die funktionale Form die bei der NP-Berechnung angewandt wird, tatsächlich für jeden Sportler die Zusammenhänge adäquat abbilden. Zudem gilt auch hier das, was ich oben schon geschrieben habe: Ermüdung ist ein mehrdimensionales Phänomen. Zudem ist das Konzept "Normalisierte Leistung" nie wirklich wissenschaftlich überprüft worden. Es basiert auf den Analysen von Coggan, als Bestätigung des Konzepts kann man ansehen, dass Philip Skiba mit den Indikator xPower, der ja auch in Golden Cheetah zu finden ist, soweit ich weiß, ein durchaus vergleichbares Konzept propagiert.
Leider gibt es nach meinem Wissen außer dem Faktor NP (und damit verwanden Konzept wie eben xPower) keinen Indikator, der auch nur näherungsweise in der Lage, dieses Phänomen des physiologischen Stresses irgendwie in Zahlen zu gießen. M.a.W. Wir haben für solche Pacing-Optimierungen keinen anderen Rahmen, der sinnvoll die Leistungsfähigkeit des Sportlers wiedergibt, als das NP-Konzept.
Ein interssantes Papier dazu, in dem auch die Frage der physiologischen Grenzen diskutiert werden, kommt übrigens vom bekannten australischen Trainer und Blogger Alex Simmons, der sich mit der Frage befasst hat, wie und nach welchen Gesichtspunkten man das Pacing auf einer gegebenen Strecke optimieren kann. Das Konzept nennt sich Pacing Optimization-Index. Das Papier dazu habe ich angehängt. Das beschriebene Modell kann man mit Excel sicher nachbauen, wenn man Spass an sowas hat.