AW: Cinelli Rahmen 1956?
Moin,
Vorangestellt - ich maße mir hier überhaupt nichts an, außer meine Ansicht zum Thema zu äußern. Weder habe ich die Intention diese anderen aufzuoktroyieren noch benötige ich dazu irgendjemandes Absolution. Ich respektiere deine Ansichten, habe aber nicht den Eindruck, dass du bereit wärst, dies umgekehrt auch zu tun. Schade für die Diskussion finde ich allerdings, dass du die Sache hier auf die persönliche Ebene ziehst.
Du möchtest sozusagen dem Erst-(und vielleicht Zweit-)Besitzer nachträglich vorschreiben, was für dieses bzw. im Umgang mit diesem Rad seinerzeit angemessen/bestimmungsgemäß gewesen wäre
Ich versuche nicht jemandem im Nachhinein etwas vorzuschreiben, für solch einen sinnlosen Ansatz ist mir meine Zeit zu schade. Ich bestimme für
mich, denn auch meine Meinung war hier gefragt, welche Spuren ich an einem solchen Rahmen für erhaltenswert erachte. Für mich sind die Kratzspuren am Rahmen in etwa genauso erhaltenswert wie ein Tag auf der Nofretete. Den müsste man streng historisch gesehen dann ja auch erhalten.
Wie gesagt - Deine Haltung, alleine über den "bestimmungsgemäßen" Gebrauch eines solchen Rahmens urteilen zu können, finde ich anmaßend, und ahistorisch. Abgesehen davon reden wir über ein Rad von (wahrscheinlich) 1956, dessen - wenn ich mich mal auf Deinen dogmatisch engen Begriff einlasse - bestimmungsgemäßer Gebrauch darin bestand, in Profirennen eingesetzt (und letztlich auch "verbraucht") zu werden.
Das ist schlichtweg unrichtig. Damals wie heute wurden die meisten Topräder nicht an Profirennfahrer verkauft, sondern an Privatleute, Sammler, mithin Zahnärzte wie in anderen Threads gern kolportiert, bestenfalls Amateure.
Dies ist also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das Rad mit dem Капитонов das olympische Straßenrennen 1960 bestritt.
Selbst wenn es so gewesen sein könnte, so wäre es historisch sicher falsch, dies unbelegt und entgegen aller Wahrscheinlichkeit in dieses Rad hineinzuinterpretieren.
Aus diesem Grund ist es meiner Ansicht nach ein falscher Ansatz und völlig unerheblich ob dieses Rad in Profirennen noch konkurrenzfähig wäre.
Dem bestimmungsgemäßen Gebrauch welcher vielen dieser Räder zugedacht war, dürfte der Rahmen jedoch in vielerlei Hinsicht auch heute noch gewachsen sein, warum auch nicht, wird ja immernoch sehr ähnlich gebaut. Und dazu war damals wie heute in vielen Fällen ein zumindest intakter Lack durchaus kein unsinniges Gimmick.
Um es im Sinne Deiner Logik "bestimmungsgemäß" gebrauchen zu können, müßte man das Rad natürlich auch möglichst weitgehend modernisieren - Schremshebel, Dual Pivots, Hochprofilfelgen wären zwingend erforderlich...
Zwingend erforderlich ist es für den hypothetisch angenommenen normalen Gebrauch sicher nicht, schön schon gar nicht, es wäre aber anmaßend dem Besitzer dies aus historischen Gründen abzusprechen.
Lässt man sich jedoch auf den historischen Standpunkt ein, so kommt mir ein Aspekt in der bisherigen Diskussion einfach zu kurz. Fein befeilte, verchromte Muffen und aufwändige Lasurlacke haben schon damals niemanden schneller gemacht, noch waren sie in der Lage die Substanz besser zu schützen, ganz im Gegenteil. Dies hat man jedoch in Kauf genommen, um über diese Eigenschaften und Liebe zum Detail bis in die kleinste Schraube eine gewisse Wertigkeit zu transportieren. Das war in den 50er, 60er-Jahren ein wichtiges Element der Zeit und ist sehr vielen zeitgemäßen Gebrauchsgegenständen inhärent. Man muss sich nur mal den Aufwand ansehen, den Cinelli damals mit dem Badge betrieben hat, aus feinsten Materialien aufwändig geprägt, versilbert und teilweise emailliert - diesem Aufwand wohnt ein Gedanke inne, dem man mit bloßer Rostpflege meiner Ansicht nach nicht gerecht wird. Ein komplett zerschossener Lack und rostige Muffen vermögen dies nicht in die heutige Zeit zu transportieren. Man läuft also Gefahr einen wichtigen historischen Aspekt zu negieren der diesen Gegenständen innewohnte und aus meiner Sicht unabdingbarer Bestandteil ihrer Geschichte ist.
Ich gehöre selber nicht zur "Wachsfraktion", ... finde Deine Bemerkung aber tatsächlich albern, da Du offenbar alle entsprechenden anderweitigen Erfahrungen und Erkenntnisse ignorierst bzw. negierst (auch wiederum die der aktuellen Denkmalpflege, übrigens). Das Wachsen scheint selbst an Winterrädern zu funktionieren, bei denen der Lack stark angegriffen ist bzw. sogar flächig fehlt
Nun, wir reden ja hier nicht über ein 1955er Mifa aus hervorragendem Wasserrohr, an welchem ich ebenfalls lediglich "Rostpflege" betreibe obwohl es ganzjährig beinahe täglich im Einsatz ist. Leider habe ich sehr viel mit dem Thema Rost zu tun, auch und mehrheitlich abseits der alten Rennräder. Auch habe ich mich inzwischen 3 Cinellis angenommen und habe mir aus diesen Erfahrungen ein ganz persönliches Urteil gebildet, welches du mir hoffentlich zugestehst. Daraus folgernd würde ich sagen, dass Wachs in keinem Fall einen geeigneten Lackersatz darstellt (womit korrekterweise der gesamte Farbaufbau gemeint ist) um Stahl vor Rost zu schützen. Dass man die Wirkung des Rostes verbunden mit einem deutlich erhöhten und immerwährendem Pflegeaufwand verzögern kann, habe ich nie in Frage gestellt. Verliert das Rad jedoch seinen aufopferungsvollen Pfleger, ist das mit soviel Aufwand erhaltene Geröhr schon bei durchschnittlicher, einem Rad anheimfallender Lagerung schneller dahin als man gucken kann.
... den Einsatz eines 1956er Cinelli als Winterrad würdest wohl auch Du nicht als "bestimmungsgemäßen Gebrauch" definieren, nehme ich an.
Da irrst du. Auch ein Cinelli ist nicht als Sommer- und Trockenwetterrad auf die Welt gekommen und ich sehe keinen Grund, warum sich dies geändert haben sollte.
man sieht ja z.B. im Aufkleber-Fred, wie weit weg die heutigen Repro-Aufkleber vom ästhetischen Eindruck der zeitgenössischen Aufkleber liegen.
Das stimmt nicht. Mit etwas Mühe ist es möglich, Decals so originalgetreu zu reproduzieren, dass ich sie nicht vom Original unterscheiden könnte. Aufkleber und Abziehbilder sind kein Hexenwerk, die Technik damals wie heute vorhanden. Alles eine Frage des Aufwandes und der Liebe zum Detail. Der Gang zum Werbefritzen um die Ecke ist da sicher in den meisten Fällen nicht der beste Weg.
Gleiches gilt im Übrigen für Lackierungen.
Eine Frage ist aber weiterhin unbeantwortet. Wann ist der Zeitpunkt, an dem für einen Gegenstand "die Zeit stehenbleibt", wie es oben so schön ausgedrückt wurde, und wer bestimmt diesen? Wann ist die Grenze überschritten an der vordem vorgenommene Veränderungen unbedingt erhaltenswert und zukünftige nicht zulässig sind?
Wo wir vielleicht wieder beim "Gebrauch" sind, welcher
... viel Spielraum für unterschiedliche Entscheidung in Bezug auf Konservierung und Restaurierung [lässt].
Das umfasst jedoch die Totalrestauration genauso, wie die bloße Rost- und Kratzerverwaltung.
Gruß, uglyripper