Trinken beim Sport
Tödliche Überdosis?
Währendder Tour de France verlieren die Profis pro Tag etwa 12 LiterFlüssigkeit durch Schwitzen. Was raus geht, muss auch wieder rein: DerGriff zur Trinkflasche gehört zum Fahren wie der Tritt in die Pedale.Nicht nur Profi-Radfahrer sondern auch Amateur-Läufer versuchen sichstreng an die Regel „Trinke so viel wie möglich!“ zu halten. DieseRichtlinie wird immer wieder von Wissenschaftlern in Frage gestellt.Manche warnen sogar davor: Zu viel Trinken vor und während des Laufskönne zum Tod führen. Deutsche Experten sind verwundert und verärgertie Sache sei ein alter Hut und zudem das falsche Signal.
Volle Bäuche
SportmedizinerWilli Heepe, der seit Jahren den Berlin-Marathon medizinisch betreut,gibt zunächst Entwarnung: „Mir ist bisher nicht bekannt, dass inDeutschland ein Läufer gestorben ist, weil er vor oder während desLaufs zu viel getrunken hat.“ Theoretisch ist es dennoch möglich:Sportlern droht bei übermäßigem Trinken und gleichzeitig hoherkörperlicher Belastung Hyponatriämie - eine extreme Verdünnung derSalze im Körper. Das kann zu Krämpfen, Atemnot und auch zum Tod führen.Doch drei plausible Gründe sprechen dagegen, dass Läufer freiwillig zuviel Wasser in sich reinschütten. Erstens: Sie schwitzen selten vor demStart. Trinken ist also gar nicht nötig, und der Sportler verspürt auchgar keinen Durst. Zweitens: Der menschliche Körper speichertFlüssigkeit nicht. Unverbrauchte Flüssigkeit will kurze Zeit späterwieder raus. Und Pinkelpausen kosten bei Wettkämpfen Zeit. Drittens:Mit vollem Bauch läuft niemand gern - auch wenns nur Wasser ist.
Alle Jahre wieder
WarnendeStudien erscheinen zu diesem Thema alljährlich. Aktuelles Beispiel: DieApotheken Umschau berichtet von einer Studie an derHarvard-Universtität mit 488 Marathonläufern. In dem im „The NewEngland Journal of Medicine“ veröffentlichten Artikel berichten dieWissenschaftler, dass 13 Prozent der Läufer zu viel tranken. Das würdeeine ernste Gesundheitsgefahr bedeuten. Vor zwei Jahren hatte deramerikanische Leichtathletikverband Track & Field die Richtlinie„Trinke so viel wie möglich!“ in Frage gestellt und sogar davorgewarnt: Zu viel Trinken vor und während des Laufs könne zum Tod führen.
Verwirrte Läufer
DasProblem solcher Studien: In einigen Medien wird aus derwissenschaftlichen Untersuchung der falsche Schluss gezogen: „AlsFaustregel gilt: Erst trinken, wenn der Durst kommt.“ Hält sich derLäufer strikt an diese Regel, greift er zu spät zur Wasserflasche. DerDurst kommt meist erst dann, wenn der Körper schon zwei ProzentFlüssigkeit verloren hat. Klingt wenig, ist aber viel: „Schon einProzent Verlust bedeutet, dass die Leistungskurve um zehn Prozent nachunten geht“, so Marathonarzt Heepe. Zu diesem Zeitpunkt kann derSportler gar nicht mehr ausreichend trinken, um den Flüssigkeitsverlustnachträglich auszugleichen. Bei zwei Prozent Verlust erst recht nicht.
Deutsche Wenigtrinker
Eigentlichsoll die altbekannte - und von Wissenschaftlern immer wiederkritisierte - Richtlinie „Trinke so viel möglich“ vor allem eineserreichen: Dass das Mindestmaß an Flüssigkeitsaufnahme nichtunterschritten wird. Eine berechtigte Empfehlung - wie die Erfahrungvon Willi Heepe und anderen zeigt. „Bei deutschen Marathon-Wettkämpfentrinken die Athleten zu wenig.“ Orientieren sich die Wenigtrinker jetztauch noch an solchen Veröffentlichungen, dann trinken sie womöglichnoch weniger. Folge: Ihr Körper trocknet aus: Das Blut fließt zäher,das Herz muss härter arbeiten, um es durch die Adern zu pumpen. Das istungesund. Und tut eventuell weh: Kopfschmerzen sind keine Seltenheit.Außerdem geht das Leistungsvermögen zurück.
Schweiß, Tränen und Urin
Wieviel sollen Sportler trinken? Die Menge hängt vom Körpergewicht, Längedes Laufs, Tagesform, Wetter, Kleidung und sportlichen Vorlieben ab.Dennoch gibts Durchschnittswerte. Sportwissenschaftler Jürgen Lock,ebenfalls im Medical Team des Berlin-Marathons, empfiehlt: „Vor demRennen: Ein Viertel Liter Wasser ist genug. Während des Rennens: BeiLäufen über eine Stunde gilt als Richtwert 200 Milliliter pro 20Minuten.“ Hochgerechnet auf einen vierstündigen Marathon: insgesamtzweieinhalb Liter. Im Vergleich: In einer Stunde dehydriert der Körperzwischen 500 und 1 500 Milliliter. Also: In der Regel geht mehr Wasserraus als rein in den Körper. Genau dies zeigen auch Studien. Läufernehmen während des Rennens selten so viel Flüssigkeit auf, wie sieausschwitzen.
Individueller Schweißfluss
Nochgenauere Angaben sind schwer zu treffen. Zu viele Faktoren müssten indie Rechnung eingehen - zudem ändern sich einige davon täglich.Insofern vereinfachen Tabellen, wie das „Self-Testing Program forOptimal Hydration“ von USA Track&Field, die komplexe Berechnung zustark. Und zum anderen müssten Sportler den Test vor jedem Lauf erneutabsolvieren, da sich sehr wahrscheinlich die Bedingungen geändert haben.