AW: Ötztaler Radmarathon 2011
Heute (Sonntag) habe ich meine letzte größere Trainingsrunde vor dem 2011er Ötztaler gedreht. Da hatte ich natürlich Gelegenheit und Muße, über mein Verhältnis zu diesem Marathon nachzudenken.
Warum fahre ich so gerne mit beim Ötztaler, zumal ich ja in Jahren, in denen ich keinen Start geplant hatte, überhaupt keine anderen Marathons gefahren bin? Ganz einfach, der Ötztaler ist ein alter Bekannter für mich. Vor fast 20 Jahren lernte ich ihn durch Zufall kennen, weil ein Freund mich zur Teilnahme mit ihm zusammen überredet hatte. Ich startete damals in Steinach, ohne zu wissen, was auf mich zukam. Allerdings war ich noch relativ jung, und relativ gut in Form, so dass ich zwar beeindruckt, aber keineswegs verängstigt war, nachdem ich Brenner, Jaufenpass und Timmesljoch hinter mir hatte. Aber dann kam es wetterbedingt knüppelhart. Eisregen und extreme Kälte auf der Abfahrt vom Timmelsjoch ließen bei meinem Sportkameraden die Entscheidung
reifen, sich besser in den warmen Bus zu setzen. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es diese Option überhaupt gab, aber ich ließ mich, völlig durchgefroren überzeugen. Obwohl wir noch sehr, sehr viel Zeit hatten, denn langsam waren wir nicht.
Die Fahrt im Besenwagen, auf den wir dummerweise dann mehr als eine Stunde gewartet hatten, und der sich dann natürlich auch noch viel Zeit ließ, mit dem Einsammeln weiterer Fahrer, war anfangs noch lustig, aber als ich sehen musste, wie viele Leute, der Kälte trotzten, und ins Ziel fuhren, änderte sich meine Einstellung, und mein Entschluss reifte: Im nächsten Jahr bin ich wieder dabei, und dann fahre ich zu Ende, egal wie!
Das tat ich auch, ich hatte noch weit mehr trainiert, als im Vorjahr. Mein Freund fuhr nicht mehr, für ihn blieb sein erster Ötztaler auch sein letzter, bis heute. Dafür hatte ich meine Frau und meinen kleinen Sohn dabei, und ein gemeinsamer Urlaub sollte sich an den Marathon anschließen. Und beides wurde grandios, mein zweiter Ötztaler, und der anschließende Urlaub an der italienischen Adria. Ich kann mich an die ganzen Glücksmomente beim zweiten Ötztaler sicher nicht mehr komplett erinnern, aber natürlich gehörte neben der Rückkehr nach Steinach, und der Begrüßung durch meinen anderthalbjährigen Sohn, vor allem der Start dazu. Diese ersten Kilometer aus Steinach hinaus, auf denen ich wirklich vor Freude hätte weinen können, tatsächlich wieder dabei sein zu können, und den Misserfolg vom Vorjahr ausmerzen zu können, werde ich nie vergessen.
Das Wetter spielte auch mit, es war sogar richtig warm. Und die Strecke von Innsbruck nach Steinach hatte ich so richtig gute Beine, und die Fahrt spielerisch genossen.
Ja, so ein "alter Bekannter" ist der Ötztaler, dass ich ihn unbedingt immer wieder sehen will. Die Sprüche, es gäbe "landschaftlich schönere Marathons", usw. interessieren mich gar nicht. Ich bleibe dem Ötztaler treu, da kenne ich die Strecke, und ich liebe sie einfach.
Wenn mir jemand von den Neulingen nicht glauben mag, dass mir die Finisherzeit dabei völlig Wurscht ist, dann stört mich das nicht. Für mich zählt wirklich nur die Freude, diesen Marathon, der für mich seit meiner ersten Teilnahme, zu etwas ganz Großem geworden ist, zu fahren, dabei zu sein. Natürlich mit Zielankunft, Urkunde und Trikot, das ist klar.
Dieser Start mit 4000 Menschen, die aus verschiedensten Antrieben ebenfalls dabei sind, und die vielen Begegnungen unterwegs, sind nur ein Teil der Faszination. Das, was noch ganz wichtig ist, ist für mich die Möglichkeit, einmal im Jahr wirklich alles andere auszublenden. Am 28.08 zählt tatsächlich nur noch die Fahrt von Sölden über die Berge und wieder zurück. Dafür habe ich (ein wenig) trainiert, und da lasse ich mich drauf ein. Sonst steht nichts mehr im Fokus, kein Beruf, keine Problem, nichts mehr. Ein wenig Ötztaler war schon bei meinen Trainingskilometern im Gepäck. Aber am 28.08 wird dann aller Balast abgeworfen, und die Psyche mal richtig durchgeblasen. So vieles, was belastet, wird etwas kleiner werden, im Angesicht der Bergriesen, die ich bewältigen muss.
Zum Radrennfahrer hätte ich nie getaugt, stundenlanges Straßentraining wiederstrebt mir eigentlich, lieber fahre ich nur eine bis anderthalb Stunden, auch mal zwei, dafür aber intensiv und abwechslungsreich. Doch für den Ötztaler muss es etwas mehr sein, und das ziehe ich natürlich durch, so gut es geht, weil ich ein Ziel habe.
Und jetzt bin ich in Finisher-Form, etwas besser als 2010 noch, trotz denkbar ungünstiger Verletzung am 02. August (Rippenbruch). Aber ich habe es doch noch geschafft, seither wenigstens ca. 600 Kilometer Rad zu fahren, und die Schmerzen halten sich jetzt in erträglichen Grenzen. Der Facharzt hatte mir kaum Chancen eingeräumt, in Sölden starten zu können, aber ich sehe keine Probleme mehr, mein Heilfleisch ist wohl doch besser als gedacht.
Ich werde vor Glück fast platzen, wenn es am Morgen des 28.08 losgeht, wenn der Startschuss gefallen ist, und ich losrolle. Dann bin ich wieder dabei, bei MEINEM Marathon, den ich so liebe, und zwar jeden Kilometer, vom Start bis zum Ziel. Weil ich dann auch wieder der junge Mann bin, der vor fast 20 Jahren zum ersten Mal Rennluft schnupperte, und danach ein anderer Mensch war!