Aerocockpit.org kurz und knapp
An TT-Rädern von Profis sind Custom Aero-Cockpits eher die Regel als die Ausnahme. Die genau auf die Sitzposition abgestimmte Armhaltung ist ebenso wichtig wie die Gestaltung des Luftstroms an dem Zubehörteil für die windschnittigste Position auf dem Rennrad. Die Unterarme sind darin perfekt eingebettet und abgeschirmt.
Dagegen behelfen sich Ultracyclists meist mit mehr oder weniger simplen Stangen und Armpads über dem Lenker. „Das muss doch besser gehen“, dachte Martin Brüggemann, der selbst Langdistanz-Rennen über mehr als 500 km oder 1000 km wie das Race Across Germany bestreitet. Und zusammen mit Bekannten entwickelte er ein Open Aerocockpit: ein auf den jeweiligen Erbauer maßgefertigtes Aero-Cockpit in Schalenbauweise zum Selbernachbauen.
Vorteil des DIY Aerocckpits ist nicht nur der Preis. Hintergrund: Schon gute, nicht individuelle Serien-Aero-Cockpits kosten um 600 €. Besonders die genaue Abstimmung auf die Sitzpsotion und Körperformen der Nutzer macht das DIY Cockpit zur interessanten Option. Auch Zubehör wie Trinksysteme oder Navigations-Geräte kann gleich miteingeplant werden.
Viel benötigt man nicht für den Bau. Wie es geht, ist auf Aerocockpit.org dargestellt. Wir haben mit Martin Brüggemann kurz zur die Entstehung und den Verlauf des Projekts sowie dem Aerocockpit.org im Einsatz befragt.
Mehr Infos: https://aerocockpit.org/
Interview: Aerocockpit.org Gründer Martin Brüggemann
Wann seid ihr auf die Idee gekommen?
Ich fahre einfach extrem gerne Rennrad und habe irgendwann Ultracycling für mich entdeckt – also extrem lange Strecken (oft >500 km) am Stück mit dem Rennrad zurückzulegen. Am Anfang bin ich normale Aerobars von Deda und Profile Design gefahren, fand die aber relativ spartanisch und unbequem – ich bekam damit ab 200 km unschöne Druckstellen, konnte die für mich optimale Position nicht richtig einstellen und hatte damit einen zu hohen Luftwiderstand. Als Techie dachte ich mir: „Das muss besser gehen.“ Also habe ich mich intensiv mit möglichen Designs und Aerodynamik-Optimierungen auseinandergesetzt. Nach vielen Prototypen und Tests mit unterschiedlichen Produktionsverfahren bin ich dann irgendwann auf CFK-Laminierung und Best Practices aus dem Motorsport gekommen – auch, weil viele Triathlon-Profis inzwischen mit ähnlichen Cockpits unterwegs sind. CFK-laminierte Teile sind einfach extrem robust und halten auch mal Schläge von der Seite aus, wenn man das Rad z. B. mal etwas unvorsichtig an eine Wand lehnt. Außerdem kann man sich eine CFK-Form für die Laminierung mit einem handelsüblichen 3D-Drucker drucken. Ich dachte mir: Wenn ich das schon für mich baue, kann ich es auch einfach wie ein Software-Projekt unter MIT-License veröffentlichen – dann kann sich jeder sein eigenes Aerocockpit bauen und Verbesserungen beitragen.
Was fährst du selbst, dass du den Bedarf nach einem solchen Cockpit hast?
Meine „Hausstrecke“ ist Hannover–Grömitz–Hannover – an die Ostsee fahren, einen Espresso trinken und wieder zurück (ca. 530 km). Die wollte ich immer mal unter 24 Stunden fahren. Dieses Jahr war ich dafür 21,5 Stunden unterwegs – und es lief erstaunlich entspannt. Nächstes Jahr plane ich wieder, beim Race Across Germany Flensburg–Garmisch mitzufahren. Außerdem haben wir im Norden von Hannover das 24h-Brelinger-Berg-Event (eine 17-km-Runde, die man 24 Stunden im Kreis fährt), bei dem ich gerne mal die 800 km knacken würde (47 Runden innerhalb von 24 Stunden, bei ≥33 km/h Schnitt).
Hast du die Watt Savings mal verglichen mit anderen Set-ups?
Nein. Das Cockpit-Design ist gerade erst fertig geworden und ich konnte noch nicht ausgiebig testen. Meine ersten Test-Rides sehen aber sehr gut aus, und das Cockpit scheint noch etwas aerodynamischer zu sein als die vorherige 3D-gedruckte Variante. Im Vergleich zu „normalen“ Aerobars sollte man mit dem Open Aerocockpit V2 neben dem enormen Komfortgewinn sicher zwischen 5–10 Watt Extra-Ersparnis rausholen. Das ist einfach ein komplett anderes Fahrgefühl, wenn man mit den Armen komplett in der CFK-Schale liegt und die Luft außen vorbeiströmt – macht süchtig!
Du fährst eine recht hohe Position: Ergebnis von Versuchen oder schlicht der passende Fit?
Haha, ja – das sieht etwas komisch aus. Ich fahre wegen der entspannten Geometrie ja auch ein Canyon Endurace, das eher nicht für den Einsatz mit Scheibenlaufrad und CFK-Cockpit gebaut wurde. Meine Rennrad-Freunde sagen schon immer: „Martin, kauf dir endlich ein Speedmax.“ Der Hintergrund ist aber, dass ich für Langstrecken über 24 Stunden am Stück eine Position brauche, die meine Nackenmuskulatur nicht zu sehr belastet. Ich habe da viel mit meinem Bikefitter Dan Miessen ausprobiert, nachdem ich 2023 wegen einer zu aggressiven Lenkereinstellung beim Race Across Germany bei km 933 von 1.100 mit Nackenproblemen (Shermer’s Neck) aufgeben musste. Seitdem fahre ich die höhere, kompakte Lenkerposition, für die ich ein paar Watt mehr Luftwiderstand in Kauf nehme. Am Ende geht es da immer um den besten Mix aus Komfort und Aerodynamik im Kontext des jeweiligen Einsatzzwecks – und im Vergleich zu Triathleten muss ich am Ende zum Glück nicht noch laufen. 😉
Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie würdest du die nötigen DIY-Fertigkeiten für das Cockpit einschätzen?
Sechs. Man sollte über grundlegende handwerkliche Fähigkeiten und eine Werkstatt verfügen und idealerweise einen Freund haben, der schon etwas Erfahrung mit CFK-Laminierung hat. Bei mir war das Philip Tellen (ehemaliges Team-Mitglied von ka-raceing.de und aktueller Rekordhalter des Race Across Germany, non-supported). Ansonsten kann man eigentlich nicht so viel falsch machen – und wenn die Form schlecht ist, muss man am Ende einfach mehr schleifen. Man kann ja auch zunächst mit der 3D-gedruckten Form anfangen und schauen, wie gut es läuft: einfach die vier Teile ausdrucken, zusammenkleben, verspachteln und schleifen. Wenn das gut geklappt hat, ist die CFK-Laminierung nicht mehr so schwer.
Was wiegt das Ganze?
Das Gewicht ist sehr davon abhängig, wie gut man das Vakuum nach der Laminierung hinbekommt. Der aktuelle Prototyp wiegt ohne Anbauteile – mit etwas Sicherheitspuffer (zwei zusätzlichen Faserschichten) – rund 400 Gramm. Mit einer richtigen Vakuumpumpe könnte man da noch mehr rausholen, aber wir verwenden aktuell einen billigen Vakuum-Kleidersack von Amazon mit einem Staubsauger. Klingt komisch, aber hält die Einstiegshürde schön niedrig – und die Qualität ist damit schon unglaublich gut.
Was würdest du jemandem vorschlagen, der so ein Cockpit haben will, sich aber keinen Selbstbau zutraut?
Da gibt es zwei Möglichkeiten: einfach mal bei einem Formula-Student-Team an einer Universität in der Nähe anfragen, ob nicht ein Student Lust hat, beim Bau zu unterstützen – oder einfach ein fertiges Cockpit kaufen. Unter den kommerziellen Anbietern finde ich aktuell das [aerogrip.tech] Cockpit am vielversprechendsten.
Was sagt ihr zum DIY Aerocockpit?
14 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumIch habe beruflich immer mal mit Aushärteprozessen zu tun, immer dann wenn was nicht in Ordnung ist... niemals würde ich ohne einen kontrollierten, abgesicherten und wiederholgenauen Prozess mein Leben oder mindestens mal einen fiesen Sturz mit einem selbst gebauten Auflieger riskieren.
Respekt wer so mutig ist. Aber vielleicht sollte man das auch noch offen kommunizieren (eigenes Risiko usw), damit ein Nachbauer weiß worauf er sich einlässt?
Gefällt mir, die Handarbeit und der Ansatz mit Staubsauger und Beutel.
Natürlich. Garantie oder irgendwelche Haftung liegt beim Hersteller selbst. Das weiß man eigentlich. Deswegen verkaufe ich nichts und leihe auch ungern. Benutzung auf eigene Gefahr.
Im Grenzbereich wurde hier warscheinlich nicht konstruiert. Lieber 2 Lagen Gewebe mehr zur Sicherheit.
Wie Aero Bars an Lenker geschraubt werden, wie alt Lenker sind und was sie vorher mitgemacht haben, ob Serien Aero Bars überhaupt Belastungstests durchlaufen – ich denke, da liegt auch abseits von DiY einiges an ungenutztem Sicherheitspotenzial.
Achso na dann... wenn es eh egal is...
So eine undifferenzierte Äußerung. Da gruselt es mich schon.Für Fahrradteile gibt's sehr wohl Testkataloge. Und trotzdem hält es manchmal nicht. Das gibt einem doch zu denken.
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