Rekonstruktion und Zusammenfassung einiger von mir gelöschter Beiträge zur Restaurierung eines XB3 Highway Sport Rennrades
Aus einer gewissen Verärgerung, die u.a. vielleicht auch
@FSD aktuell nachvollziehen kann, hatte ich etliche Beiträge gelöscht. Es gab hier aber viel Echo und ich möchte daher die freundlichen User, die mir hier viel feedback gegeben haben nicht vor den Kopf stoßen und bemühe mich daher, mein letztes Projekt noch einmal zu dokumentieren. Es wäre eigentlich schade um die Informationen, die ich und andere hier gesammelt haben, zumal diese Räder ja nicht so oft in D anzutreffen sind.
Also als ich vor nun einigen Wochen das folgende Rad in den KA entdeckte, war ich sofort fasziniert. Ich bin stets ein Freund von sogenannten Underdogs, Exoten und Aussenseitern gewesen und so konnte ich auch hier nicht widerstehen.
Man sieht oben das Rad im Fundzustand. Angeboten wurde es als "XB3 Sport", was, wie ich mittlerweile weiss, alles oder nichts heisst.
Ich hatte mich extra für dieses Rad in einem ukrainisch/russischen Radforum registriert und konnte dort mittlerweile seit mehreren Wochen einiges zu diesen Rädern recherchieren.
Die Bezeichnung als "XB3 Sport" ist eigentlich falsch. Warum ? Nun "XB3" steht erst einmal nur für "HVZ" und dies wiederum bezeichnet lediglich die Fahrradwerke Charkiv. "Sport" wurden dort 'zig Modelle genannt !
Dieses spezielle Rad ist ein "XB3 Highway Sport" und wurde im Jahre 1993 hergestellt. Ja - tatsächlich erst 1993, obwohl die ganze Optik eher dem Erscheinungsbild eine Rennrades aus den 70er Jahren entspricht.
Diese und weitere Modelle des Charkover Fahrradwerkes wurden praktisch seit den 60er Jahren über Jahrzehnte nahezu unverändert produziert.
Es gibt leider kaum Katalog-Material zu diesen Rädern, allerdings konnte ich wie erwähnt, etliches an Informationen direkt von ukrainischen/russischen Kollegen erhalten.
HVZ hatte die gute Angewohnheit, die meisten ihrer Fahrradmodelle genau zu datieren. Dazu befindet sich eine Schlagzahl i.d.R. im rechten Ausfaller.
Sie setzt sich aus einer oberen Zahl ( Rahmennummer ) und ener unteren Zahl ( Jahreszahl ) zusammen. In meinem Fall eine "93" für das Baujahr 1993.
Das Schöne an meinem Fund ist, dass sämtlich alles noch Original-Teile sind !
Wie schon erwähnt, versprüht das Rad einen 70er Jahre Charme. Dazu tragen im wesentlichen z.B. die Stahl-Keilkurbel und die Ausstattung mit "nur" 2x5 Gängen bei.
Alle Komponenten (
Bremsen, Hebel, Schaltwerk, Umwerfer, Kurbel etc. ) sind von einer sehr robusten Mach-Art, das Finish eher einfach - aber alles funktioniert. Eben russische Landmaschinen-Technik.
Obwohl diese Aussage nicht ganz richtig ist, denn 1993 war die UdSSR schon zerfallen und insofern handelt es sich um ein rein ukrainisches Rennrad.
Wenn ich oben die "robuste" Mach-Art erwähnt habe, kommen wir hier auch zu dem Punkt, der mir z.T. die Haare zu Berge stehen liess und der hier auch von anderen Usern angesprochen wurde :
eine in Details völlig "lieblose" Fertigung bzw. Finish !!
Wie ich von den einheimischen Kollegen erfuhr, waren ausgerechnet die 90er Jahre eher ein Tiefpunkt in der Fertigungs-Qualität.
In den 50er und 60er Jahren gab es im wesentlichen erst einmal Räder, die man als Lehrstücke verbuchen kann. In den 60er und speziell 70er Jahren gab es dann qualitativ ein Fertigungs-Hoch, in den 80er Jahren z.T. viele kleinere Modernisierungen bei den Komponenten.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging es mit der Fertigungsqualität leider generell bergab bzw. gab es zumindest grosse Qualitätsstreungen.
Dies sind alles Informationen direkt aus der Ukraine bzw. Russland, z.T. von Menschen, die selber bei den Charkover Fahrradwerken gearbeitet haben !
Auch an meinem Rad gab es etliche Stellen am Rahmen, die sehr schlecht gelötet waren. Das heisst nicht, dass Lötnähte defekt waren ( Gott Lob ! ), sondern dass sehr unsauber gearbeitet wurde und vor allem nicht nachgearbeitet wurde !
Wo im westlichen Ausland jeder Rahmenbauer darauf erpicht war z.B. die Muffen zu befeilen, zu viel aufgetragenes oder verlaufenes Lot zu entfernen u.ä., hat man in der Ukraine grosszügig davon abgesehen.
Gern wurden Rohre auch mal schief in die Muffen eingelötet oder Gabelscheiden ab Werk krumm oder verbogen ausgeliefert - Endkontrolle ? Offenbar ein Fremdwort !
Anbei möchte ich ein paar Schreckensbilder von meinem Rahmen zeigen, die klar dokumentieren, dass solch ein Produkt nur in einer abgeschlossenen Marktwirtschaft die Werkshallen verlassen kann. Mit diesem Finish wäre keines dieser Räder auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig gewesen !
Wild befeilte Streben, verschmiertes und verspritztes Lot z.T. mit Einschluss von Schmutzpartikeln, die dann einfach mit überlackiert wurden !
Ich will dieses "Grauen" nicht überhand dokumentieren, aber so konnte es nicht bleiben ! Da ich beruflich als Metallurg und gelernter Metallograph/Werkstoffprüfer bzgl. Metall also nicht 2 völlig linke Hände habe, hiess es also "retuschieren"/"Reparieren" so gut es geht.
Ich habe dann also in stundenlanger Arbeit über mehrere Nachmittage verteilt, Lotreste, Spritzer und Verunreinigungen beseitigt und z.T. auch die vermurksten Streben in der Form nachgearbeitet.
Fortsetzung in Teil 2...