Eigentlich 
wollte ich in diesem Faden nichts mehr schreiben. - Meine Darlegungen zur Rauchfrage von vor sechs Seiten schienen mir die andere Problematik wenigstens implizit mitzuerledigen. Damit nun nicht eigens nachgeclickt werden muss, das entsprechende kurze Selbstzitat:
Es ist ja immer interessant, dass an solchen Themen stets binnen Kurzem ganze Menschen- und Weltbilder, bis hin zu Staats- und Gesellschaftstheorien entwickelt weden können. Das Problem ist immer das frei flottierende Wechseln zwischen pragmatischen Einwürfen und abstrakteren Erwägungen, durch das am Ende immer weniger klar ist...
Eine solche noch dazu im Niveau und Tonfall bedenkliche gigantische diskursive Endlosschleife ist nun allerdings auch hier im Bezug auf die "Gewichtsfrage" eingetreten. Daher will ich gern auch dazu den einen oder anderen Gedanken beisteuern. Denn was ich vom Rauchen schrieb,
Ich persönlich habe 15 Jahre stark geraucht und bin als inzwischen "trockener Nikotiniker" mitunter etwas hin- und hergerissen:
das kann ich von der Übergewichtsproblematik ähnlich behaupten. Wie ich an anderen Stellen schon erkennen ließ, war ich vor drei Jahren noch fast 30kg schwerer und habe also mit starkem Übergewicht ebenfalls persönliche Erfahrung. Vielleicht ist der eine oder andere Gedankenanstoß eines ((derzeit!) geheilten) Betroffenen, der phänotypisch freilich immer noch nicht ohne weiteres in den Verdacht geraten kann, an Auszehrung zu leiden, zur Versachlichung hilfreich:
Zuerst: Interessant ist, dass sich bei mir Sportaufnahme, Gewichtsreduktion und Rauchverzicht gemeinsam ergeben haben. (Interssieren würde mich, ob die Medizin und die Bio- bzw. "Hirnchemie" hier wissenschaftliche Aufschlüsse über stoffliche Wechselwirkungen kennt?

)
Das hat nichts mit plötzlich aufgetretener "Disziplin" oder vorheriger "undisziplinierter Zügellosigkeit" zu tun. Es gab kein Erweckungs- oder Bekehrungserlebnis und auch keinen Leidensdruck. Es gab freilich gute Ratschläge und eine allmählich wachsende Grundbesorgnis bzw. Grund-Unzufriedenheit in Fragen der Lebensführung, die in einem längeren Prozess zu der Einsicht führten:
"Auch wenn du zuletzt vielleicht wenig erreichst, einfach so weiterlaufen lassen kannst Du's nicht." (Manches dazu steht auch in meinem "Vorstellungsbericht", der in der Sig verlinkt ist.)
Zum Zweiten: Alle Fragen, ob Übergewicht mehr habituell oder mehr aquisitorisch verursacht ist, führen zu nichts. Das Ergebnis ist in allen mir bekannten Fällen eine Mischung aus allen möglichen Ursachen, die in getrennten Wissenschaften und Sachgebieten zu untersuchen wären: Genetik, Medizin, Lebensführung, Konsumklima, Physiologie, Psychologie, Soziologie, Medienwissenschaft, Wirtschaft, usw. Das "Belohnungszentrum" im Hirn ist auch noch so ein Aas....
Man kann so das Maß an persönlicher Verantwortung in der Gewichtsmisere nahezu gegen Null kleinrechnen; - mit etwas Glück sieht sich aber ein denkender Mensch irgendwann vor die Frage gestellt, wer im eigenen Leben am Steuer sitzt und wird hoffentlich aus der Antwort sachgerechte Schlüsse für sich selbst ziehen, bevor er dem Arzt in die Finger fällt.
Zu den angesprochenen Punkten: Mein Übergewicht war nicht von heute auf morgen da, sondern hat sich in den beschriebenen 15 Jahren ganz kontinuierlich aufgebaut. Unter'm Strich jedes Jahr ein rechnerisches Plus von etwas mehr als zwei Kilo. Das ist erst dann viel, wenn es sich ohne jede Gegenbewegung über 20 Jahre ansammelt. Isoliert betrachtet, wird sich keiner über ein einzelnes Jahresplus von 2 kg verrückt machen. Der sich steigernde Umfang sorgt für Irritationen beim Kleiderkauf, aber manches, was "halt eng ausfällt", ist ja auch noch ein, zwei Nummern größer da. Also: Was solls? Wer dann freilich wie ich als Herr nach und nach in knapp 2 Jahrzehnten von ursprünglich Konfektionsgröße 54 zuletzt auf 62plus emporgeschnellt ist, der wird sich irgendwann auch die Frage gefallen müssen, wieso nicht früher eingegriffen wurde...

(Nebenbei: Jetzt bin ich wieder auf 56, bei fallender Tendenz, und kann längst wieder Problemlos Konfektionsanzüge in Ladengeschäften und Unterwäschegrößen ohne irgendwelche "X" in der Größenbezeichnung kaufen.

)
Ich kann die oft gestellte Frage "Warum erst jetzt" leider auch nicht schlüssig beantworten. Man gewöhnt sich halt an das sich langsam verändernde Körpergefühl, trägt diesem unbewusst durch zusätzliche Bewegungsvermeidung schonungshalber Rechnung, behält dank der vermehrten Fettzellen aber teuflischerweise den alten Sportler-Appetit, bleibt zudem Hobbykoch und somit auch geschätzter Gastgeber und gefällt sich in der Rolle des gewieften lebensfrohen Genießers. Und dann sammelt sich's halt an. Die Erinnerung an aktivere und schlankere Zeiten dagegen verblasst.
Mit etwas Glück bleibt aber so eine Art "Grundsehnsucht" nach Bewegung. Ich habe auch mit starkem Übergewicht immer mal wieder versucht, wie in alten Zeiten Laufen zu gehen, weil ich mich an das gute Gefühl des körperlichen Gefordert- und dann Ausgepowert-Seins erinnern konnte. Aber solche Versuche wurden natürlich von Mal zu Mal schmerzhafter, und dann kann man, statt Laufen zu gehen, ja auch lieber einen Rotweinbraten machen und Leute einladen.

Erst das Radfahren war die ganz vergessene Anknüpfungsmöglichkeit an die vor-adipöse Phase, und als da dann der Groschen gefallen war, war alles andere nicht schwer, sondern mit Genuss ganz ohne Lebensmittelexzesse verbunden: Nachdenken über Ernährungsgewohnheiten, allmähliches Ausweiten der körperlichen Möglichkeiten, die Abschaffung des Fernsehers im Wohnumfeld, usw.
Was aber definitiv nichts gebracht hätte, das wären Vorhaltungen anderer oder irgendwelche seltsamen Hasstiraden gewesen. Das kam zum Glück im Real Life auch mir gegenüber in 20 Jahren nicht ein einziges Mal vor. Ich habe zwar gewiss da und dort in öffentlichen Verkehrsmitteln, alten Opernhäusern mit enger Bestuhlung oder in der Economy-Class auf dem Mittelplatz den armen schlanken Sportlern ihren Platz geraubt. (Gestunken haben sollte ich indessen nicht.) Aber ich war all die "fetten Jahre" in Beruf und Privatleben von missbilligenden, abwertenden Blicken oder erst recht irgendwelchen verbalen Entgleisungen glücklicherweise verschont. Das spricht zum einen für die Menschen in meiner Umgebung; - zum anderen bilde ich mir ein, dass ich auch im äußerst kräftigen Zustand ein höchst sympathisches Kerlchen von umwerfender Ausstrahlung, sowie von blendender Geisteskraft, köstlichem Humor, einnehmender Sensibilität und Intuition und also in Summa eine rundum attraktive Persönlichkeit war. Diese Dinge stehen glücklicherweise nicht auf dem Display einer Digitalwaage zur Disposition.
Jedenfalls hätten Beleidigungen, Schimpfkanonaden und Missbilligungen mich niemals zu einer Verhaltensänderung bewogen, sondern höchstens dazu geführt, dass ich (unabhängig von vielleicht nicht ganz fehlgeleiteten sachlicheren Urteilen) mein Gegenüber als minderqualifizierten intoleranten Kleingeist eingeschätzt hätte, der von barocken Ästhetikidealen, die leider in der Moderne weniger prägend sind, einfach keine Ahnung hat und obendrein nicht über ein Mindestmaß gesellschaftlichen Anstandes verfügt.
Ein anderes Beispiel aus dem Leben, das lediglich analog und nicht als Gleichsetzung verstanden werden soll, macht deutlich, warum das so ist. Einen fiebrigen Malariakranken als "schlafsüchtigen Faulsack" zu beschimpfen und ihm sein Bett schlechtzureden, wird diesen kaum zum Aufstehen begeistern. Was dagegen hilfreich ist: fachkundige Hilfe, geeignete Medizin, verständnisvolle und perspektivenorientierte Begleitung und Zutrauen in dessen persönliche Ressourcen und Selbstheilungskräfte.