Huch!? War ich heute morgen etwa besonders empfindlich? So oft kann ich Pedelecfahrer ohne schlechte Gedanken an mir vorbeiziehen lassen, aber diesmal schien ja irgendetwas den Nerv bei mir getroffen zu haben.
Da kommt doch
@grandsport mit seinem verlinkten e-Bike-Fohrer gerade recht
Wenn ich so in mich hineinhöre, dann stoße ich mich durchaus selbst an meiner Ablehnung von E-Bikes und dem Impuls, dass ich mein Revier nicht mit diesen teilen möchte. Mein Revier. Wenn ich das schon lese!
Es ist es ja auch nicht so, dass ich nicht schon nette Begegnungen mit E-Bikern gehabt hätte, bei denen ich auch gut deren Motivation nachvollziehen konnte. Sei es die bewusste Entscheidung für das E-Lastenrad, das einen PKW ersetzt oder das E-Bike, das im profilierten Gelände Fahrten erst ermöglicht, die ansonsten von der entsprechenden Person nicht (mehr) mit dem Rad bewältigt werden könnten. Ich will den E-Bikes auch nicht die Berechtigung absprechen und
@greenhornlenker und
@b_a haben natürlich Recht damit: Die E-Biker sind den gleichen Witterungsbedingungen ausgesetzt und gehen hier nicht den Weg des geringsten Widerstandes. Jeder so, wie er kann, könnte man meinen.
Trotzdem ist in der letzten Zeit in mir die Stimmung Pedelecs gegenüber umgeschwenkt. Vielleicht benötigt es zum Erklären einen etwas längeren Exkurs. Also einer Geschichte. Es fängt alles in diesem Herbst an mit der Suche nach einer verschollenen Rahmennummer.
Im Spätsommer hatte ich einem Bekannten mein Trekkingrad verkauft. Das stand schon lange ungenutzt im Schuppen und war mit seiner Ausstattung (XT-Schaltung, hydraulische Scheibenbremsen, ordentlich heller Bumm-Frontstrahler,...) einfach zu schade für sein Schuppendasein. Bei der spontanen Probefahrt passte es dem Bekannten wie angegossen. Er hatte Freude dran und mir hatte sich aus dem Nichts heraus die Gelegenheit geboten, Platz zu schaffen, was ich schon lange vor mir hergeschoben hatte. Zu einem Freundschaftspreis hat das Rad den Besitzer gewechselt. Wir waren beide glücklich.
Wenige Wochen später bekam ich die Mail. Traurige Nachricht. Die derzeit bei ihnen in Bad Godesberg aktive polnische Sperrmüllmafia habe ganze Arbeit geleistet und das über Nacht vor der Türe mit zwei Schlössern gesicherte Rad mitsamt Schlössern und Kindersitz mitgenommen. Er würde gerne Anzeige erstatten. Ob ich noch die Rahmennummer hätte?
Um es kurz zu machen: Auf der Rechnung hatte der Radladen damals zwar eine Nummer vermerkt, dabei aber leider geschludert. So stand dort versehentlich anstelle der Rahmennummer nur eine fünfstellige Artikelnummer. Mir war das damals auch nicht aufgefallen, aber vielleicht lässt sich ja trotzdem noch was machen.
Nachdem Frau Leone frustiert meldete, dass ein etwas dicklicher Bursche hinter der Ladentheke ihr gegenüber so wenig Interesse gezeigt hätte, hier zu helfen, habe ich dann beschlossen, auf dem Heimweg einen Umweg über die Nachbarstadt zu machen und bin mit meinem verdreckten MTB direkt in den Laden hineingerollt. Man darf ja ruhig sehen, dass ich ein potentieller Geldbringer bin.
Mittlerweile war der Tresen anderweitig besetzt. Auf das "Hmpf. Da können wir leider nichts machen." habe ich nachgehakt, bis die nette Frau einen jungen Kollegen zu sich herrief. Er möge bitte die Theke im Blick behalten, sie würde im Hinterzimmer mit den alten Papierakten nach einer möglicherweise zusätzlichen Notiz suchen. Es könne etwas länger dauern.
Da stehe ich also mit dem jungen Burschen und habe nicht viel mehr zu tun, als zu warten. Er erkennt in mir den potentiellen Geldbringer und die Gelegenheit und wir sind im Gespräch. Schön zu sehen, dass ein Rad mal so richtig genutzt werde und im Einsatz sei. Wie zufrieden ich damit sei? Ich gestehe ihm, dass mir der Vergleich zu einem Fully fehlt. Und schon mal Pedelec gefahren? Nein? Willste mal?
Kurze Zeit später sitze ich schon auf einem Rad, das er herangeschoben hat. Sein privates Rad. Ein Pedelec-Fully-MTB. Er erklärt mir noch ein paar technische Sachen, die an mir vorbeirauschen. Die Vierkolbenscheibenbremse sei sehr bissig. Vorsicht bitte. Und jetzt viel Spass.
Ich schwinge mein Bein über den Rahmen und gebe wie sonst gewohnt zum Anrollen ein wenig Druck auf das Pedal. Schon werde ich leicht surrend angeschoben. Unerwartet schnell. Ich bremse an und weiß jetzt auch, was es mit der Bremse auf sich hat. Der Gaul will erst noch gezämt werden. Also raus aus dem Laden.
Einmal um den Block. Ich biege dazu an der Kreuzung rechts ab und habe ein Stück gerade Straße vor mir. Ohne nennenswerte Anstrengung beschleunige ich und habe schnell Tempo aufgenommen. Und auf einmal wird es zäh. Der Motor verweigert mir ab 25km/h die Unterstützung und ich fahre wie gegen eine Wand. Bis zur nächsten Kreuzung, an der ich wieder rechts abbiege, kämpfe ich mich auf 30. Kurze Zeit später rolle ich wieder in den Laden.
Und? fragt er mich erwartungsvoll. Wie war's? Ich erwähne die "traumhafte" Spritzigkeit bis 25 und die dann überraschend harte Konfrontation mit der Realität, wenn die Unterstützungsgrenze erreicht ist. Der junge Bursche lässt nicht locker. Er weiß noch einen Joker in seiner Hinterhand, um mich zu begeistern. Und so fragt er mich: Willste auch mal die verschärfte Variante fahren?
Verschärft? Ja, strahlt er mich an: Ganz ohne Begrenzung! Der Chip unten im Rahmen ließe sich umprogrammieren und mit einer selbst gewählten geheimen Tastenkombination könne er jetzt die Begrenzung bei Bedarf abschalten. Oookay, meine ich, dann setze ich mir aber hierfür diesmal doch besser den
Helm auf. Ich nehme den Hinweis mit auf den Weg, in dem Falle, dass die Blauen irgendwo zu sehen seien, ich doch besser langsam machen solle...
Einmal um den Block. Ich kenne das ja schon. An der Kreuzung biege ich rechts ab auf die Testgerade. Ich beschleunige mühelos. Es ist noch lange kein Ende in Sicht, da habe ich bereits meine nächste Kreuzung erreicht, an der ich abbiegen möchte. Blick auf den Tacho. Dort steht eine 50. Aus der Not heraus entscheide ich mich gegen das Handzeichen und für einen sicheren beidhändigen Halt am Lenker, während ich ich so gerade eben auf eine abbiegeverträgliche Geschwindigkeit herunterbremsen kann.
Noch einmal über wenige Meter kurz auf 35 beschleunigen bis zur nächsten Einmündung. Kein Anzeichen von Anstrengung. Auf einmal hoffe ich, dass mich bloß keiner auf diesem Ding sieht und erkennt. Vor lauter Geschwindigkeit komme ich gar nicht dazu, die Vollfederung auszuprobieren. Bloß konzentrieren, dass mir jetzt nichts Dummes passiert. Schon lange vor meiner Rückkehr weiß ich, dass der Test für mich beendet ist. Kein Risiko. Ich rolle zum Laden zurück.
Und? fragt er mich wieder erwartungsvoll. Ja, sage ich, das ist die Beschleunigung einer Rakete. Er strahlt. Das ist auch eine Rakete und kein Fahrrad mehr, sage ich. Vor Begeisterung versteht er gar nicht, was ich da sage. Die nette Frau ist in der Zwischenzeit zurückgekehrt und steht wieder hinter dem Tresen, während ich mich mit dem jungen Burschen noch unterhalte. Dabei guckt sie ein wenig zerknirscht und ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass ihr Ausflug zu den Akten erfolglos geblieben ist oder ob sie gerade eben meine Frage nach dem fehlenden Versicherungsschutz mitgehört hat. Der junge Bursche ist jedenfalls überzeugt von seinem Gefährt. Das Umprogrammieren des Chips könne man so ohne Weiteres nicht erkennen.
Ein weiterer junger Bursche, offensichtlich ein Arbeitskollege, gesellt sich lang und schlacksig zu uns. Ob er auch mit einem solchen Gefährt unterwegs sei? frage ich. Nein, würde er aber gerne.
Fragen und Antworten des Gesprächs in kurzen Statements.
Er fahre jeden Tag viermal die Strecke zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstelle, weil er Mittags zu Hause isst. Ohne das Rad könne er das nicht machen. Zurückgelegte Strecke: viermal 4,8km.
Er könne es sich nicht erlauben, mit verschwitztem Rücken bei der Arbeit anzukommen. Er habe keine Möglichkeit, sich hier frisch zu machen.
Reichweite des Akkus? Es sei der größte Bosch-Akku verbaut und je nach Unterstützung würde er damit Touren bis zu 160km machen. Früher sei er mit dem MTB Touren um die 70-80km fahren und sei danach platt gewesen. Jetzt sei nicht mehr er platt, sondern er würde fahren, bis der Akku platt sei.
Er ließe sich - O-Ton - auch gerne mal den Berg hochschieben. Dann hätte er mehr Kraft für die Abfahrten und die anspruchsvollen Trails, wenn es auch darauf ankäme. Mit dem Antrieb käme er auch im Gelände jede Rampe locker hoch.
Der von mir erwähnte Hasselbachgraben sei auch einer seiner liebsten Trails. Er würde da mit seinem Gefährt nur so über die Wurzelfelder hinwegfegen.
Seine Freundin habe auch so ein unterstütztes Teil und würde mittlerweile von sich aus und auch ohne ihn losziehen, wenn er länger arbeite.
Ungedrosselte Spitzengeschwindigkeit? 60km/h und auch mehr sei ohne Weiteres möglich. Die Übersetzung spiele weniger eine Rolle, weil ein Getriebe verbaut sei. Auf Feldwegen könne er auch über längere Distanzen problemlos diese Geschwindigkeit halten. Damit hängst Du locker jedes Begrenzte mit Nummernschild ab, meint er stolz. Der Schlacks nickt anerkennend.
Als ich mich aus dem alteingesessenen Radladen und von der jungen Tuningszene verabschiede, ist sich der junge Bursche sicher, dass ich schon jetzt gleich die Unterstützung vermissen werde. In seiner Begeisterung ist er blind für die Details, die ich ihm als sein Gegenüber biete. Zum Beispiel, dass an diesem Tag meine Radhose den Schriftzug Radsport über dem Namen des Ladens meines Freundlichen trägt. Meine Aussage, dass es für mich dazu gehören würde, dass ich mich beim Radfahren anstrengen würde und ich dabei ein verschwitztes Trikot hätte. Und das angenehme Gefühl, wenn die Muskeln gefordert würden.
Nach dem eDopingtest habe ich rein gar nichts vermisst. Das Gegenteil war der Fall. Meine Beine haben mir mit wohldosierten Signalen langsam mitgeteilt, dass die richtige Geschwindigkeit für die Steigung erreicht sei. Meine Atmung lässt mich wissen, dass ich auch schneller könnte, dann aber mehr Anstrengung nötig sei. Später auf einem Stück ebener Strecke zeigt mein Tacho 27. Und ich weiß, dass das alles von mir selbst erbrachte Leistung ist, in deren Folge ich mich auch in genau diesem Rahmen fortbewege.
Säße ich auf einem Pedelec, ich könnte möglicherweise jede Woche zur Blutspende gehen und würde trotzdem mit gleichbleibender Geschwindigkeit das Dreiländereck hochfahren, ohne etwas zu merken. Für mich wäre das nichts. Mir würde dann etwas fehlen.
Nach dem Besuch, der Erfahrung mit der Testfahrt und den Gesprächen an diesem Tag hat sich mein Blick auf Pedelecfahrer verschoben. Mag fies und ungerecht klingen, wenn ich das so pauschal formuliere, aber sie haben in meinen Augen an Achtung verloren. Und es mag noch häßlicher klingen, aber vielleicht ist sogar ein wenig Verachtung dazu gekommen?