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Les Ephgrave, ca.1950, ein britischer möchtegern Italiener

Beim Blick auf das Museumsrad: ich war immer der Ansicht, Schnellspanner habe es erst in den 60gern gegeben. Stimmt scheint's nicht. Ab wann gibt es die denn? Und auch das Schaltwerk sieht moderner aus, als ich in den frühen 50gern erwartet hätte.

Wo kann man mehr zu solchen Themen und Fragen finden?
 

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Re: Les Ephgrave, ca.1950, ein britischer möchtegern Italiener
Nur dass es nicht 1951 war, als Kübler die Tour gewann, sondern 1950. 1951 gewann Koblet als zweiter Schweizer die Tour ;)
Tja - zum Thema "Objektbeschriftungen an Fahrrädern in Technikmuseen, insbesondere in autoorientierten Museen/Sammlungsbereichen" könnte man jetzt einiges sagen, aber es ist Sonntag, zudem der zweite Advent, da will ich mal lieber nett bleiben ... :cool:
 
Schnellspanner hat Tullio Campagnolo erfunden - in den 40'ern.

Die gab´s in anderer Ausführung, Anmutung und mit leicht unterschiedlicher Funktion schon vor Tullio Campagnolo.

In den 10er Jahren wurde z.B. eine Art Klick-Arretier-Mechanismus in die hinteren Ausfallenden geschraubt und durch dessen "bewegliche Teile" - das sind kleine Quadrate mit Führungsnut und Loch passend für die Achse - die Achse geschoben und verschraubt. Dann konnte man das Hinterrad ohne Werkzeug durch Lösen der Arretierung entnehmen. Von so einem Teil sollte ich mal ein Foto machen und hier einstellen.

In den 20er Jahren wurden entsprechende Halter in die hinteren Ausfallenden geschraubt und bereits Hohlachsen bei den Naben verwandt. Durch die Hohlachse wurde dann mit einer langen Schraube das Hinterrad fixiert und man konnte das Hinterrad durch Lösen und Herausziehen dieser extra Langen Flügelschraube werkzeuglos entnehmen. Auch hiervon muß ich mal bei Gelegenheit Bilder machen.

Dann gab es seit spätestens den 20er Jahren die Hebelschrauben, welche sowohl vorne als auch hinten einen schnellen und werkzeuglosen Wechsel der Laufräder ermöglichten. Die Hebelschrauben sollte man nicht mit Flügelschrauben verwechseln. Die Flügelschauben waren nämlich zuerst nur eine Abwandlung für den Consuer Markt, während die Hebelschrauben wohl dem Umfeld der Berufsfahrer - also den damaligen Profis - entspringen. Die Berufsfahrer wechselten dann erst in den 40ern und 50ern auf Flügelschrauben, da anscheinend die Verletzungsgefahr im Peloton bei den Hebelschrauben deutlich höher war als bei den Flügelschrauben.

In den 30ern kam imho der Schnellspanner von Simplex, den @101.20 hier schon einmal vorgestellt hat. Der hatte eine Hebelschraube auf der einen Seite und sicherte das Rad per Drehbewegung. Das ist der erste Schnellspanner, den es sowohl für hinten als auch vorne gegeben hat.

Und es gab sicher noch mehr Lösungen, welche ich und andere bislang noch nicht entdeckt oder für die Internetgemeinde beschrieben haben oder von der Internetgemeinde als wichtig und berichtbar befunden wurden.

Erst in den 40ern kam dann Tulliio mit einer nur als Schnellspanner nutzbaren Abwandlung all dieser frühen Erfindungen, welche zugegeben das ganze Thema super elegant und komod handhabbar machte. Dieser war aber ein Abfallprodukt der Cambio Corsa Schaltung, mit der er bereits seit den frühen 30ern experimentiert haben muß. Bei der Beschäftigung mit der Cambio Corsa bin ich nämlich über viele Indizien gestolpert, daß die Cambio Corsa deutlich früher entstanden ist, als gemeinhin berichtet. Auch in Gaiole wurden vor einige Jahren Radln mit verschiedenen Funktionsweisen der Cambio Corsa gezeigt, welche aus den frühen bis Ende der 30er stammten. Und die Cambio Corsa kann ohne einen Schnellspanner, mit einer dem heute bekannten Schnellspanner entsprechenden Funktionsweise nicht werkeln. Der einzige Unterschied ist die Länge des Hebels, welcher bei der Cambio Corsa sehr lang und beim heutigen Schnellspanner sehr kurz sein muß.

Übrigens läßt sich kein Patent für einen Schellspanner finden, welches Tullio zugeschrieben werden kann; nur Verbesserungen oder Teillösungen.

PS.:

Sehe gerade @101.20 war schneller und hat einen der entsprechenden Artikel bereits verlinkt

PPS.:

Und es finden sich heute immer mehr Berichte, daß Tullio sowohl die Cambio Corsa als auch die Gran Sport aka Parallelogramm-Schaltung nicht erfunden sondern nur abgekupfert hat. Da gab es so eine kleine ital. Manufaktur Cingi oder so ähnlich, welche mit vielen Teilen deutlich vor Tullio herauskam, sich aber am Markt nie hat richtig durchsetzen können, da Tullio mit der Firma seiner Eltern, die Flugzeug-Aluminium herstellte und verarbeitete, ganz einfach immer einen deutlich höheren Output produzieren konnte und den Kleinen vom Markt verdrängte. Zudem konnte er sich ob der besseren und haltbareren Werkstoffe (Flugzeugaluminium), welche den Anderen nicht zugänglich war, durchsetzen.
 
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Ach so ... den Titel des Fadens finde ich spannend und würde ich gerne ebenso hinterfragen. Sicher haben sich die verschiedenen Radlnationen in der Anfangszeit fast komplett unabhängig voneinander entwickelt. Allein der Bericht über neue Erfindungen oder Herangehensweisen dauerte teilweise Jahre, bis er in der anderen Nation auch nur ankam. Das ist dem Umstand geschuldet, daß wenig exportiert, meist nur lokal produziert und verkauft wurde. Insofern wird es auch sicher Erfindungen gegeben haben, welche in zwei Dörfern quasi simultan und ohne Wissen des Anderen gemacht wurden. Daß dem so war ist man dann erst Jahre später drauf gekommen.

Aber mit Beginn des grenzüberschreitenden Verkaufs aka Export wurden Erfindungen über den Austausch von Katalogen und Waren für andere Orte und Menschen zugänglich und auch nachbaubar bzw. von diesen weiterentwickelt.

Wenn man nun aber auf die Insel schaut, dann wurde gerade dort bereits seit Anbeginn des Fahrradbaus sehr viel Wert auf die Muffen und die Optik des Rahmens gelegt. So wurde auch das muffenlose Verlöten oder Innenmuffen auf der Insel quasi erfunden. @kasitier´s Bahnrenner aus den Staaten zeigt hier nur auf, daß es diese Entwicklungen eben auch zeitgleich an anderen Orten gegeben hat. Gleiches gilt für das penible genaue Befeilen und Verschönern der Muffen.

Das mag wohl auch damit zusammenhängen, daß man sich damals ein Radl für das Leben kaufte und es sowohl werktags zur Arbeit tragen aber auch des Sonntags zur Kirche flanieren durfte. Das war also auch sowas wie ein Statussymbol.

Insofern ist das Befeilen der Muffen ja gerade die herausragende Inselbesonderheit. Gleiches gilt übrigens für Lackierungen in Flamboyant, Linierungen und Co. Das hat leider nichts mit Italien oder ital. Fahrradbau zu tun sondern gehört zu 100% zur Insel.

PS..

Aus Italien ist mir nur Gloria bekannt, welche bereits so früh mit speziellen Muffenformen (der Lilie) experimentierten. Dann noch Galmozzi, der ab den 50ern Muffen penibel präzise befeilte um nicht nur eine besser Passgenauigkeit sondern auch eine höhere Steifigkeit der Rahmen zu erreichen. Das ist auch der Grund, weshalb Galmozzi Rahmen heute so (exorbitant) hohe Presie erzielen. Ich muß mal bei passender Gelegenheit bessere Bilder von meinem Galmozzi Cambio Cosa Rahmen machen, um das zu verdeutlichen.

Der restliche ital. Markt war eher dadurch bestimmt, daß man bereits frühzeitig aus der Manufaktur in die Industrialisierung schritt. Sprechende Beispiele hierfür sind Wollsit, Lygie, Frejus, Legnano (also der Bozzi-Konzern) und Bianchi.

Andere frühe Marken wie Preziosi, Bianchi oder Ganna verwandten die Standardmuffen gänzlich ohne Nacharbeit oder besondere Anpassung.

Das änderte sich erst in den 60ern und 70ern mit den massiv in den Fahrradbau eintretenden Ex-Profis, welche aus dem internationalen Vergleich wahrscheinlich mitgenommen hatten, daß extra befeilte Muffen die Stabilität und Steifigkeit erhöhen und dann explizit damit in Kleinserie anfingen. Dafür gibt es ein paar sehr markante Beispiele, welche ich jetzt nicht weiter ausführen möchte, da ich hier noch auf der Suche nach entsprechenden Exemplaren für meine Sammlung bin. Ich hoffe, das ist nachvollziehbar. ;):confused::bier:
 
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Nur dass es nicht 1951 war, als Kübler die Tour gewann, sondern 1950. 1951 gewann Koblet als zweiter Schweizer die Tour ;)
Ich kenn' mich mit den Sporthelden der größten Schweiz der Welt tatsächlich gar nicht aus und mußte Édouard Candeveau, jenen 'Champion Olympique', dem das folgende englische Rad in der Ausstellung im 'Pantheon' gehört hat, auch erst mal gooooooogeln:

IMG_2485 a.jpg


IMG_2487 a.jpg


Das Lenkkopfschild gefällt mir zwar außerordentlich gut, aber ich kann mir einstweilen noch nicht so recht vorstellen, dass BSA von jenem neuen "Wunderwerkstoff" Reynolds 531 so begeistert gewesen sein soll (selbst, wenn sie es vielleicht zu Anfang eine Zeit lang exklusiv gehabt haben sollten), dass sie ihren Firmennamen im wahrsten Sinne des Wortes hintangestellt hätten - ob da jemand vielleicht den Graveur, der das "Schnabel-Schutzblech" vorne graviert hat, auch mit einem neuen Lenkkopfschild beauftragt hat ... ?

Aber wie auch immer - dieses Rad finde ich wunderschön, und hätte es gerne gleich mitgenommen, wenn es denn zu haben gewesen wäre ... ;)
 
Dann aber bitte gleich mit dem Ständer ... der ist nämlich auch schick und habe ich so noch nirgends gesehen :daumen: :bier:
 
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Yepp, Ghiggini war gemeint ... hier sein Parallelogramm-Schaltwerk aus 1938 bis 1941 ... also gute 10 Jahre vor Tullio Campagnolo und wer genau hinsieht, erkennt, daß Tullio hier fleissig stibitzt (im Sinne von hingesehen, ausprobiert und übernommen) hat

gigghini3.jpg
 
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Waoh, so macht das Spaß, das sind super interessante Beiträge. Auf den Titel bin ich nur gekommen wegen der Geschichte des Rades und dann wegen der Modelbezeichnung "Italia". Im Programm von Ephgrave gab es immer auch ein etwas weniger aufwendig gearbeitetes Modell das wohl dem aufkommenden Importmodellen geschuldet war, ich vermute das mein Rad da auch zu gehört. Wobei der Preis so hoch war wie bei dem meistverkauften Modell Nr.1, und das hatte Muffen ohne Ende. Die Preisliste ist von `61, also nicht mehr relevant, da sah das Italia Modell auch schon ganz anders aus.

ephgrave8.jpg
ephgrave9.jpg
 
Wenn man sich die alten Preislisten so ansieht, dann denkt man ja im ersten Moment auch, daß das eignetlich Schnäppchen gewesen sein müssen. Nur das war damals sehr deutlich mehr als ein Monatslohn - heute kommt man mit 16 GBP keinen einzigen Tag durch London. Sic. :eek:

PS.:

Habe ich schon geschrieben, daß ich dem Rahmen gerne Unterschlupf gewähre, wenn Du Seiner mal überdrüssig werden solltest? :cool:

PPS::

RH 58 m-m aus Deinem anderen Faden läßt mich ein wenig stutzen. 23" macht irgendwas um 58,45 cm M-O, 22,5" ergibt aber nur ca. 57,15 cm M-O. 22,75" dagegen ergäbe ca. 57,785 cm M-O war aber keine Standardgröße und würde für Einzelanfertigung sprechen.
 
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Wenn man sich die alten Preislisten so ansieht, dann denkt man ja im ersten Moment auch, daß das eignetlich Schnäppchen gewesen sein müssen. Nur das war damals sehr deutlich mehr als ein Monatslohn - heute kommt man mit 16 GBP keinen einzigen Tag durch London. Sic. :eek:

PS.:

Habe ich schon geschrieben, daß ich dem Rahmen gerne Unterschlupf gewähre, wenn Du Seiner mal überdrüssig werden solltest? :cool:
Wenn ich vor Kosten und fehlender Geduld kapituliere, dann komm ich gern darauf zurück, noch bin ich aber frohen Mutes und verspreche dass ich keine Eingriffe vornehmen werde, die nicht wieder voll revidierbar währen.
 
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