AW: Gemeinsame Sonntagstour im Raum München - Teil 3
Der erste Hunderter und mehr - oder sind wir lauter Muskel-:spinner:
Der erste Hunderter, das ist so eine Sache. Wenn ich an meine eigenen (Rennrad-)Geschichte denke, dann war das etwas ganz Spezielles. Ich hab ihn auf meiner ersten Tour kennengelernt - unfreiwillig, doch dafür war's gleich ein Hundertsechzehner.
Auf meiner allerersten Tour, das Radl war neu, gerade mal eine Woche und 30 Kilometer alt, Kinesis-Rahmen, 2x8fach, Heldenkurbel, keinen Schimmer von nichts, doch dafür 'ne Schachtel Gitanes in der Trikot-Tasche, hat mich meine mitradelnde Verwandtschaft gescheit verarscht und mir den Hunderter vollkommen unvorbereitet untergejubelt, denn als ich nach den vereinbarten 50 toskanischen Hügelkilometern wie ausgemacht ins Auto steigen wollte und im Wissen darum gerade meinen einzigen Riegel trotz Hunger großzügig und ganz brüderlich durch uns fünf geteilt hatte, wurde mir erklärt, daß ein anderer jetzt keine Lust zum Weiterradln mehr habe. Oh, war ich da sauer und gelitten hab ich wie Schwein - vor allem auf dem letzten Berg rauf zu unserer Unterkunft -, aber es war niemand da, der helfen konnte und somit gab's keine Alternative.
Ich sehe die Frage des ersten Hunderters - die Zahl Hundert ist ja eigentlich auch nur ein Symbol für etwas, was man bisher noch nie gemacht hat, und dieses Symbol kann ebenso durch den Fünfziger und den Hundertfünfziger usw. ersetzt werden - wegen meiner eigenen Geschichte, aber vor allem auch wegen der über die letzten Jahre hier im Thread bzw. bei den Sonntagstouren gesammelten Erfahrung inzwischen ganz anders als früher, als ich noch einen Mordsrespekt vor solchen und auch noch ganz anderen Leistungen hatte, denn es hat sich immer wieder gezeigt, daß diese Leistungen gar nicht so ungewöhnlich bzw. eher gewöhnlich sind, wenn man sich erst mal getraut hat, oder in anderer, möglicherweise unfreiwilliger Weise die Bekanntschaft mit der Leistung gemacht hat. Ich bin auch davon überzeugt, daß die allermeisten an unseren Touren Interessierten auch an diesen Touren nicht nur ohne Verdruß, sondern mit Spaß teilnehmen konnten und weiter können - und eben auch dann, wenn es Touren über eine Distanz von hundert und mehr Kilometern sind.
Mir ist ganz klar, daß vieles von dem, was wir hier schreiben und was wir von unseren Ausflügen berichten, für viele derjenigen da "draußen", die noch keine eigenen diesbezüglichen Erfahrungen gemacht haben, wie eine Aneinanderreihung irrer Wahnsinnstaten wirken und klingen muß. Mir selbst ist das nicht anders ergangen, als ich noch Leser und nicht Mitradler war, und es geht mir von Zeit zu Zeit immer noch so, wenn ich lese, höre oder erzählt bekomme, wie es beispielsweise in den Dolomiten oder auf dem Ötztaler mit all den irren Höhenmetern war.
Wenn ich mich daran zurückerinnere, wie mein Radlerleben und auch meine Touren vor dem Rennradforum ausgesehen haben, dann war ich dem, was viele hier bei ihrem Einstieg immer wieder beschreiben, vermutlich sehr nahe, und ich hätte mir damals auch niemals vorstellen können, daß ich einen Hunderter einmal für eine normale Tour halten oder gar jemals an einen Zweihunderter denken, geschweige denn ihn sogar angehen könnte, wie ich es dank Sven und gemeinsam mit ihm kürzlich erst gemacht habe.
Das muß verrückt klingen und es klingt verrückt. Es klingt solange verrückt, bis man es zum ersten Mal ausprobiert und gemacht hat. Das ist so. Ich hab's etliche Male inzwischen erlebt. Auch beim zweiten Mal ist es noch verrückt, aber immerhin weiß man dann schon, daß man es überlebt und dann und dann und dann... irgendwann wird's normal. Dann macht man den Hunderter einfach und denkt sich am Ende, daß man eigentlich gerne weiterradln würde. Und auch das macht man dann irgendwann, entweder indem man bereits zum Tourtreffpunkt radlt und danach auch wieder heim, oder indem man plötzlich für längere Touren plädiert oder sie gar selbst zusammenstellt und vorschlägt.
Das ist uns allen so gegangen, und vielleicht mag das jemand von den anderen ja auch noch bestätigen.
Ich selbst denk mir inzwischen, daß das Bestehen einer Tour eigentlich immer nur eine Frage der Zeit ist und wann's dunkel wird oder regnet. Wenn ich mir das vorstelle, dann verliert jeder noch so steile Anstieg seine Schrecken.
Nehmen wir mal an, ich würde üblicherweise so um die 70 Kilometer radln, und gut is' dann. OK, aber wenn ich dann auf einem Anstieg nicht mehr kann, was ist dann? Na ja, ist eigentlich nicht so schwer, denn ich weiß, daß ich alt genug bin, um notfalls auch vor Zeugen und trotz Gruppe abzusteigen und zu pausieren. Und dann? Dann steig ich wieder auf, und radle weiter. Entweder bis ganz rauf, oder bis ich wieder eine Pause brauche. Wie gesagt, alles nur eine Frage der Zeit, denn irgendwann bin ich oben. Das mach ich mir klar, falls ich Zweifel bekommen sollte. Und die anderen? Was denken die dann? Echt, in der Situation ist mir das scheißegal. Was ist aber, wenn ich sie aufhalte und ihnen den Spaß verderbe? Ja mei, dann sollen sie mir halt sagen, daß ihnen das jetzt nicht paßt, und dann besprechen wir, wie wir das Problem lösen.
Und wenn ich oben bin, und die Tour immer noch nicht fertig ist, und wenn ich dann kaputt bin? Ja, dann mach ich einfach eine gescheite Pause, esse eine Suppe, trinke Wasser, einen Kaffee, esse einen Kuchen, notfalls auch einen Riegel oder ein Gel. Bis das alles getan ist, ist auch schon wieder eine Weile herum und es geht mir wieder besser - falls es mir überhaupt schlecht gegangen ist. Und dann? Eine weitere Stunde auf dem
Sattel, das pack' ich dann auch gerade noch, womit ich dann allerdings über die 70 hinaus und vermutlich bei den 90 angelangt bin. Da fehlen dann gerade mal 10 Kilometer bis zum Hunderter und, wenn mich dann der Ehrgeiz packt, dann schaff ich auch diese blöden 10 Kilometer noch. Wenn er mich nicht packt, der Ehrgeiz, oder wenn keine Zeit mehr ist, dann pack' ich diese blöden 10 Kilometer halt bei nächster Gelegenheit, denn die Hand danach ist ja bereits ausgestreckt und an den Hundert gekratzt hab ich dann ebenfalls schon.
So funktioniert das Spiel. Und, wenn ich dann noch ohne bisherige Erfahrung in der Gruppe fahre und wenn ich vom Windschatten selbst dann noch profitiere, wenn ich nicht bis auf den letzten Zentimeter ans Hinterrad des Vorderradlers auffahre, wenn die dadurch freien Kräfte in Strecke oder Geschwindigkeit gewandelt werden, und wenn ich mich bis zur dritten, vierten oder auch erst zehnten Tour so an das Radln in der Gruppe gewöhnt habe, daß mir plötzlich Dinge an den anderen auffallen, auf die ich bisher selbst nicht gekommen bin, von denen ich aber offensichtlich profitiere, dann probiere ich das eine oder andere aus und merke, daß ich plötzlich einen so gewaltigen (Leistungs-)Sprung nach vorne mache, daß ich selbst nicht weiß, wie mir geschieht. Das ist dann auch der Zeitpunkt, an dem meine Umgebung damit beginnt, mich von nun an für einen dieser Irren zu halten, für die ich die "anderen" bisher gehalten hab und die einfach so die Hunderter und noch mehr wegdrücken.
So, jetzt hab ich es doch geschrieben. Vielleicht ist es bereits zu spät geworden, vieleicht ist es zuviel, was ich geschrieben hab, vielleicht ist es aber auch nützlich. Dieses Thema fällt mir einfach immer wieder ein und heute mußte ich anscheinend schreiben, was ich geschrieben habe. Ich bitte um Vergebung.
Gute Nacht
Franz