Hallo allerseits,
Ein Freund von mir ist ziemlich genau gleicht gross, gleich schwer und wenige Jahre jünger als ich, wir beide fahren schon seit vielen Jahren Rennrad und sind gut in Form. Unsere Räder sind ebenso gleich schwer und aerodynamisch.
Der Unterschied zeigt sich aber beim Fahren: Im Flachland kann er sich kaum in meinem Windschatten halten, während er bergauf immer schneller ist.
Ich hab' etwas mehr kraft in den Beinen und trete bergauf deutlich langsamer als er.
Eigentlich wär' doch die Leistung entscheidend. Woran kann dieser Unterschied liegen?
Gruss, Toooby
Wenn du es wüsstest, könntest du - vorausgesetzt du kannst es beweisen - sofort eine sportmedizinische Doktorarbeit einreichen.
Was ich mir im Laufe der Zeit zusammengereimt habe:
- Der Bewegungsablauf - Krafteinsatz: Zeitpunkt des Beginns, Verlauf, Ende; beteiligte Muskeln; Haltung auf dem Rad usw. - ist ein ganz anderer beim Bergfahren als im Flachen.
- Die Unterschiede sind im Wesentlichen: Früheres Einsetzen des Drucks auf die Pedale, geringerer Unterschied zwischen max. Kraft und Durchschnittskraft, längerer Hub, stärkerer Einsatz der vorderen OS-Muskeln und der Rückenmuskulatur, leicht nach hinten verschobene Pos. auf dem Sattel, aufrechterer Sitz
- Die Trittfrequenz ist in der Regel am Berg bei allen Fahrern - egal wie hoch ihr Trittfrequenz-Niveau sonst ist - niedriger (10 - 30 u. mehr %).
Den Hauptgrund für all diese Unterschiede sehe ich darin, daß man bei den deutlich geringeren Geschwindigkeiten am Berg weniger "Schwung" = kinetische Energie mit führt, als im Flachen. Im Flachen sind dies bei einer zügigen Geschwindigkeit von z.B. 34 km/h beim 75kg-Durchschnitts-Bürger mit 7 kg (also mit allem drum und dran 84 kg) 3,75 kJ, bei einer Geschwindigkeit von sagen wir der Hälfte, also 17km/h an einer mittleren Steigung sind es nur noch 0,94 kJ (nämlich 1/4).
Aus dem Grunde braucht's ein anderes "Bewegungsprogramm" (so nennt man die Informationen zur Ablaufsteuerung, die durch Nervenverbindungen im Muskel selbst, im Rückenmark und im Kleinhirn quasi wie ein Computerprogramm abgelegt sind) als im Flachen. Bildlich ausgedrückt: Beim Fahren am Berg mußt du eine andere "CD einlegen" als im Flachen.
Und da scheint mir der Unterschied zu liegen: Wer schwerer ist und deshalb die Berge nicht so gut hochkommt, wer das nicht so viel geübt hat, wer im Allgemeinen eher von der Schnelligkeit kommt usw. usf. - es gibt wohl dutzende von Konstellationen - hat oft eine nicht so gute "Berg-CD" im Gepäck.
Wobei ich mich an deiner Stelle glücklich schätzen würde: Im Flachen schnell fahren ist nämlich gar nicht so einfach, wie es in Hobby-Kreisen oft dargestellt wird. Ist man nämlich in der Lage, den Schwung gut mitzunehmen, ergibt sich ein Bewegungsablauf, der sehr ökonomisch sein kann. Tritt man dagegen im Flachen eher wie man es auch am Berg täte oder wie auf der Rolle, kommt man nicht so gut voran. Offenbar hast du eine sehr gute "Flach-CD".
Also kann der Rat an Euch beide nur lauten: Üben, üben, üben. Du die Berge, dein Kumpel im Flachen.
Die gute Nachricht: Offenbar ist der Körper durchaus in der Lage, das, was er am Berg lernt, in das "Flach-Programm" umzusetzen und umgekehrt. Von daher liegt in einem gut ausgeklügelten Misch-Programm eigentlich das Geheimnis:
Trainingsempfehlung: Das Training gut zyklisieren, d.h. ein Mesozyklus enthält drei Abschnitte "Ausdauer - Regeneration - Spezifik" und im spezifischen Training klare Schwerpunkte setzen, mal Berg, mal Flach, mal Motorik-orientiert, mal kraftorientiert, aber auch das Prinzip der Gegensätze beachten, also auch mal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen einen Tag mit hohen Übersetzungen arbeiten, den nächsten Tag trittfrequenz-orientiert.
Und dann gilt nur noch die alte Binsenweisheit (so alt, wie sie blöd und trotzdem wahr ist): Schwächen ausmerzen, Stärken stabilisieren und ggfs. ausbauen!