Rennrad-News

Tony Martin im Interview bei Ride like King
„Radsport ist noch gefährlicher geworden“

Vollständigen Artikel lesen …

Video: Tony Martin Interview

Rennrad-News: Tony Martin, vierfacher Weltmeister im Einzelzeitfahren, Tour de France-Etappen gewonnen, Gelb getragen, Paris-Nizza gewonnen, zuletzt WM-Gold im Mannschaftszeitfahren zum Abschluss der Karriere vor vier Jahren geholt, heute bei Ride like King mit Giant am Start. Wie gefällt dir die Arbeit als Markenbotschafter – nicht deine einzige – bei solchen Events?

Tony: Hallo, natürlich könnte ich mir auch einen Samstag zu Hause vorstellen. Aber solche Rides sind vielleicht 10 Mal im Jahr. Das ist okay. Das Coole sind die Leute, die du triffst. Ich bin noch nie von einem Event gekommen und hab‘ gesagt, „so was Doofes“. Die Szene, die Menschen, das passt einfach. Es gibt immer so viele Themen, über die du quatschen kannst, dass die Zeit rast. Das ist schön. Das nächste Mal dann am Bodensee, da hab‘ ich’s nicht so weit (lacht).

Ride Like King ist eine Art Charity-Veranstaltung. Rund um den Globus ruft Giant zum gemeinsamen Kilometersammeln für einen guten Zweck auf. Gleichzeitig erinnert der Ride auch an den Giant Gründer King Liu, mit 73 Jahren einmal 730 Kilometer rund um Taiwan gefahren ist. Was war dein längster Ride bisher?

Die allerlängste Tour habe ich tatsächlich mal nach meiner Karriere gemacht, das war bei Trondheim-Oslo (ein Ultra Cycling Event), da waren es dann 560 Kilometer. Mittlerweile sind es so pro Jahr ein, zwei Mal so 250, 300 Kilometer als Highlights.

Wann war dein Trondheim – Oslo?

Das war gerade das erste Jahr, in dem ich aufgehört habe und da haben mich Freunde gefragt, ob ich mitmachen würde und ich mag Norwegen sehr und hatte auch mal Lust, nochmal eine Challenge nach meiner Karriere zu haben. Und ich muss sagen, so über 500 Kilometer, das ist schon sehr, sehr anspruchsvoll.

Die allerlängste Tour habe ich tatsächlich mal nach meiner Karriere gemacht, das war bei Trondheim-Oslo.

Tony Martin

Wie ist es ausgegangen?
Ich war Teil einer Mannschaft und es ging eher darum, den Mannschaftskapitän, der über 70 war, mit ins Ziel zu begleiten. Da war wirklich eher der Weg das Ziel und das haben wir geschafft. Es war wirklich eine tolle Erfahrung.

# Tony Martin hat vier Weltmeister Titel im Einzelzeitfahren und WM-Gold mit der Mannschaft in seiner Spezial-Disziplin. – Heute fährt er auch gerne auf breiteren Reifen, aber Gravel Rennen stehen nicht auf dem Plan.

Fährst du lieber Straße oder Gravel?
Sowohl als auch. Nach meiner Karriere habe ich das Graveln kennengelernt und auch lieben gelernt. Ich fahre sehr, sehr gerne offroad, extrem gerne. Es ist aber auch ein bisschen jahreszeitenabhängig, in Herbst, Winter, zu den Schmuddeljahreszeiten bin ich lieber offroad unterwegs, weil dann manchmal der Regen oder Schnee einfach keine so große Rolle spielen. Jetzt, wo die Sonne wieder rauskommt, bin ich auch sehr, sehr gerne wieder auf der Straße unterwegs und gerade auch im Hochgebirge.

Ich war kürzlich bei The Traka und da waren sehr viele Ex-Profi-Rennradfahrer am Start, unter anderem Alejandro Valverde, gegen den du auch Rennen gefahren bist. Hast du schon mal mit dem Gedanken gespielt, auch Gravel-Rennen zu fahren?

Nein, definitiv nicht. Also, ich habe ja auch meine Karriere unter anderem deswegen beendet, damit ich mehr zu Hause sein kann, damit ich mehr Zeit für meine Familie und insbesondere für meine Kinder habe. Und wenn ich jetzt so eine zweite Gravel-Karriere hinlegen wollte, dann wäre das wieder sehr, sehr zeitintensiv und meine Familie würde mir wahrscheinlich den Vogel zeigen.

Ich habe ja auch meine Karriere unter anderem deswegen beendet, damit ich mehr zu Hause sein kann, damit ich mehr Zeit für meine Familie und insbesondere für meine Kinder habe.

Tony Martin

Insofern bleibt der Radsport mein Hobby. Es ist vom Beruf zu meinem Hobby, zu meiner Freude, zu meiner Passion geworden – oder war natürlich auch schon immer meine Passion – aber ich mache das Ganze jetzt auf einem wesentlich geringeren Niveau, versuche aber trotzdem zwei, drei Mal die Woche aufs Rad zu kommen.

# In der Cadex Ecke mit dem Tria Bike von Kristian Blummenfelt ist der Zeitfahrspezialist gut aufgehoben,

Man sieht, du siehst noch sehr fit aus, rasierte Beine, schmales Gesicht. Also wieviel fährst du?

Ja, so zwei, drei Mal die Woche. Ich habe mittlerweile auch ein relativ normales Berufsleben, habe die Familie, mit der ich jetzt auch mehr Zeit verbringen will. Insofern ist der zeitintensive Radsport nicht mehr vordergründig. Und um trotzdem auf meine vier, fünf Einheiten die Woche zu kommen, gehe ich noch ins Kraftstudio oder gehe auch mal laufen zum Ausgleich. So kriege ich im Prinzip vier, fünf sportliche Tage die Woche hin. Im Sommer natürlich mehr. Da versuche ich schon, wenn ich aufs Rad komme, mindestens drei, eher vier oder fünf Stunden auf dem Rad zu sein.

Kontrollierst du noch deine Wattleistung, kannst du es mit früher vergleichen?

Ja. Ich muss sagen, im Ausdauerbereich hat es gar nicht so sehr nachgelassen. Ich bin früher um die 220 Durchschnittswatt gefahren. Heutzutage lässt es sich auch mal entspannter angehen.

Aber wenn ich alleine fahre, sind es dann doch auch manchmal 220, 230 Watt dann noch über drei, vier Stunden. Das kann schon passieren.

Tony Martin

Ich habe ja noch zum Beispiel Sportschüler, jüngere Radsportler, mit denen ich zusammen trainiere – da sind es vielleicht mal nur, in Anführungsstrichen, 200 Watt. Aber wenn ich alleine fahre, sind es dann doch auch manchmal 220, 230 Watt dann noch über drei, vier Stunden. Das kann schon passieren.

Kommen wir zum Sport. Also ich erinnere mich noch gut an die Tour de France Etappe hier in Düsseldorf, die hier gestartet ist.

Ich auch.

Es ging ja gleich mit einem Sturz los in Düsseldorf. Wenn du an deine Karriere zurückdenkst, was waren so für dich die spannendsten Momente oder die wichtigsten Momente?

Also erst mal muss ich sagen, dass der Tourstart in Düsseldorf eine wunderschöne, tolle Erfahrung für mich war. Diese Begeisterung, gerade auch von den deutschen, sicherlich auch von den belgischen und niederländischen Radsportfans zu sehen – das war toll. Trotz des oftmals totgesagten deutschen Radsports, also das war wirklich ein wahres Lebenszeichen. Das war ganz, ganz toll – trotz des, man muss ja wirklich sagen, Sauwetters zum Teil. Das war wunderbar.

# Die turbulente Story, die zum Gewinn der Tour de France Etappe und ins Gelbe Trikot führte, wird Tony Martin nie vergessen.

Meine größten Momente, würde ich sagen, waren definitiv mein Gewinn des ersten Weltmeistertitels 2011 im Zeitfahren. Der erste Titel wird wahrscheinlich immer der besonderste bleiben für jeden Sportler. Und dann natürlich auch unvergessen, wo ich im Cambraille eine Tour de France Etappe gewinnen konnte und daraufhin ins gelbe Trikot fahren konnte. Da gab es auch noch eine recht bewegende Vorgeschichte. Die Etappen davor waren sehr viel Up and Downs. Ich würde jetzt den Rahmen hier sprengen, aber es war sehr, sehr bewegend, die ganze Woche für mich und hat ja dann schlussendlich geendet mit dem gelben Trikot, in dem ich dann natürlich auch später gestürzt bin und es wieder ausziehen musste. Es war eine bilderbuchreife Geschichte, aber das ist sicherlich so im Gesamtkontext ein ganz, ganz springender Moment in meiner Karriere gewesen.

Das war auf Kopfsteinen…

…und im Solo auf dem Rennrad eines Teamkollegen, weil ich vorher noch einen Defekt hatte, was für mich eigentlich zu groß war. Und dann fahre ich normalerweise ja auch mit vertauschten Bremsen (Moto-Style, Anmerkung der Redaktion), ich bremse rechts vorne und links hinten, und das Ersatzrad vom Teamkollegen Matteo Trentin hatte natürlich die Bremse „richtig herum“. Das heißt, ich musste im Kopf natürlich umschalten. Dann war es eher so eine Verzweiflungstat, dass ich – ich glaube, es war drei Kilometer vor Ziel – attackiert habe. Und das verbleibende Feld hat sich einfach zu lange angeguckt und nicht reagiert. Und dann bin ich da im Solo angekommen. Das war wirklich so ein Befreiungsschlag, weil ich einfach davor die Etappen immer mit wenigen Sekunden, teilweise auch wenigen Zehntel Sekunden am Gelben Trikot vorbeigeschrammt bin. Und dann, an dem Tag hat es einfach gepasst.

# „Der Sturz mit „Allez-Omi-Opi“, der wurde natürlich sehr, sehr groß gemacht.“

Viele erinnern sich bestimmt auch noch an den Allez-Omi-Opi-Vorfall, der ja auch in einem Sturz geendet ist. Wie denkst du heute darüber?

Ja, komischerweise sind gar nicht primär meine großen Erfolge so dem breiten Publikum in Erinnerung geblieben, sondern wirklich dieses „Allez-Omi-Opi“ oder auch die Situation in Nizza, wo ich das Feld gebremst habe – das haben auch noch sehr, sehr viele in Erinnerung. Also das finde ich schon stark, dass nicht nur die sportliche Leistung zählt, sondern auch irgendwo der Charakter eines Sportlers oder eben auch die Begleitumstände, die einen mit beeinflussen.

Also das finde ich schon stark, dass nicht nur die sportliche Leistung zählt, sondern auch irgendwo der Charakter eines Sportlers.

Tony Martin

Der Sturz mit „Allez-Omi-Opi“, der wurde natürlich sehr, sehr groß gemacht. Und es war natürlich sehr schade, dass das in der Tour passiert ist. Auf der anderen Seite hat es für mich persönlich definitiv schlimmere Stürze gegeben, die mich viel mehr negativ beeinflusst haben. Insofern kann ich das rückblickend auch mit einem Lächeln abtun. Ja, es ist, glaube ich, ein Running Gag, der teilweise immer noch gelebt wird. Also ich habe auch im Anschluss sehr, sehr viele Fans gesehen, die dann zu Hunderten am Straßenrand gestanden haben – mit dem berühmten Banner natürlich, diesmal nicht so gefährlich gehalten. Aber ich glaube, von solchen Geschichten lebt auch der Radsport. Und zumindest habe ich, glaube ich, einen kleinen Teil dazu beigetragen, dass es nie langweilig wurde.

# Vor dem Ride gab es natürlich Kaffee-Spezialitäten. – Selfie-Time war immer.

Es gibt jetzt auch wieder eine Diskussion über Zuschauer – über Social Media ist das natürlich angefeuert. Zuletzt ist jemand von einer Mauer ins Feld gestolpert, dann gab es Vorfälle beim Giro d’Italia. Hast du da noch eine Meinung zu?

Ja, ich habe das gesehen. Wenn ich so etwas sehe, dann muss ich wirklich sagen: solche Idioten. Vielleicht sind sie das erste Mal am Straßenrand und können es nicht richtig einschätzen. Aber wenn da 180 Fahrer mit 50, 60 km/h anrauschen – da kommen ja auch genug Begleitmotorräder, Autos vorneweg. Man kann also wirklich nicht sagen, die wurden überrascht vom Feld. Das kann ich einfach nicht verstehen. Jeder normale Mensch weiß, dass man dann nicht mehr die Straßenseite wechselt. Es würde ja auch keiner so knapp vor einem 40-Tonner die Seite wechseln. Ich verstehe es nicht. Ich habe dafür kein Verständnis. Und wenn wirklich ein Unfall passiert, bin ich ganz klar dafür, dass solche Leute zur Rechenschaft gezogen werden.

# Vier verschiedene Rides like King starterten vor dem Giant Store in Düsseldorf. – Neben Road-Rides gab es auch Gravel-Ausfahrten.

Generell gibt es ja im Moment eine Sicherheitsdiskussion im Radsport, auch durch die Fahrer angeregt. Wout van Aert zum Beispiel hat sich stark gemacht für eine Art technisches Tempolimit wegen der Abfahrten, weil vielleicht zu viel Risiko eingegangen wird. Glaubst du, das hat sich verändert, auch allein schon in den vier Jahren seit deinem Karriereende? Wie schätzt du die Diskussion ein?

Also ich denke – oder besser gesagt, ich weiß es – in meiner Zeit wurden auch schon sehr viele Sicherheitsdiskussionen geführt, unter anderem auch durch mich angestoßen. Rückblickend kann ich sagen, dass keine Anregung, keine Vorschläge, keine Kritik zu irgendetwas geführt hat – speziell bezogen auf die UCI, die ja eigentlich als Weltverband dort federführend Änderungen herbeiführen müsste.

Rückblickend kann ich sagen, dass keine Anregung, keine Vorschläge, keine Kritik zu irgendetwas geführt hat.

Tony Martin

Es ist aus meiner Sicht deren Aufgabe, die Hauptprotagonisten – also die Fahrer – zu schützen. Was wirklich geändert wurde? Naja, das Fahren auf dem Oberrohr wurde verboten – was aus meiner Sicht nie zu einem einzigen Sturz geführt hat. Solche symbolischen, aber aus meiner Sicht sinnlosen, Änderungen wurden durchgesetzt. Aber wirklich Wesentliches – wie sichere Straßenführungen, Hindernisse weitläufiger ankündigen, auch in der Höhe anzeigen, sodass auch die dritte, vierte, fünfte Fahrerreihe im Peloton das erkennen kann – da hat sich aus meiner Sicht nichts verändert.

Ich denke, der Radsport ist seit meinem Karriereende sogar noch gefährlicher geworden. Wenn ich das im Fernsehen beobachte, denke ich, dass einfach schneller gefahren wird – ein, zwei km/h mehr im Schnitt.

Tony Martin

Vielleicht bei kleinen Rundfahrten, wo Veranstalter von sich aus Änderungen machen – aber nicht übergreifend. Ich denke, der Radsport ist seit meinem Karriereende sogar noch gefährlicher geworden. Wenn ich das im Fernsehen beobachte, denke ich, dass einfach schneller gefahren wird – ein, zwei km/h mehr im Schnitt. Das liegt auch am besseren Material: Tubeless-Reifen, Scheibenbremsen, mit denen man später bremsen kann. Das führt zu mehr Gefahr und leider auch zu mehr Massenstürzen. Ich denke, hier muss dringend gearbeitet werden.

# Beim Ride mit Tony Martin ging es über verkehrsarme Wege – hier die Niederbergbahn-Trasse – durch die Ausläufer des Bergischen Landes.

Ob ein Tempolimit sinnvoll ist? Ich kann das schwer beurteilen. Es ist ja in der Natur des Radsports, dass man schnell fahren will. Beim Elementarsten – der Geschwindigkeit – so direkt einzugreifen, halte ich für fraglich. Ich würde eher versuchen, die gefährlichen Stellen zu entschärfen. Also an der Streckenführung zu arbeiten, Kurven und Hindernisse frühzeitig zu signalisieren. Man stürzt sich da mit 70, 80 km/h in eine Kurve – und im schlimmsten Fall weiß man nicht, wie die ausgeht. Ob sie aufmacht, zumacht… Das wissen vielleicht Einheimische, aber 80, 90 Prozent der Fahrer eben nicht. Und da kann man wirklich etwas tun.

# Die Giant Marke Momentum stellte den passenden Service Course. – In traditionsreicher Farbe, bestückt mit superleichten Cadex-Laufrädern.
# Gefahren wurde zügig, aber sicher.
# Forums-Mitglied Pom freute sich über den Gewinn von Helm und Trikot.

Also du würdest das mehr in der Streckensicherung sehen, in der Vorbereitung der Fahrer auf die Strecke. Alle benutzen ja unter anderem auch GPS-Geräte, Kurven können vorher angezeigt werden…

Es ist einfach sehr schwer, von der Garmin-Routenführung oder Wahoo-Kartenführung zu erkennen, wie die Kurve in der Realität wirklich verläuft. Es hängt ja auch viel zusammen mit Fahrbahnbreite oder dem Belag, der sich auch mal in der Kurve ändern kann. Natürlich ist das ein guter Anhaltspunkt – ich sehe schon, ob eine Kurve 90 Grad oder 110 Grad macht, oder ob sie vielleicht gerade wieder aufmacht mit 40, 50 Grad. Aber manchmal sind es wirklich halbe Meter, die entscheidend sind.

Ich denke schon, jemand wie ein Ex-Profi, der so eine Route im echten Leben einschätzen kann, könnte dem Veranstalter gute Tipps geben.

Tony Martin

Ich denke schon, jemand wie ein Ex-Profi, der so eine Route im echten Leben einschätzen kann, könnte dem Veranstalter gute Tipps geben. Der könnte sagen: „Stell hier mal lieber ein Zeichen 200 Meter vor der Kurve auf. Diese Kurve ist es wert, angezeigt zu werden.“ Man muss sich auch vorstellen: Die Rennfahrer kommen teilweise angeschlagen über die Bergkuppe, sind einfach nur froh, sich auf der Abfahrt zu erholen – vielleicht auch etwas gedankenverloren. Da ist man nicht immer bei jeder Kurve zu 100 Prozent mental bei der Sache. Wenn man da mit Sauerstoffmangel kämpft oder gerade am Essen und Trinken ist, hilft es enorm, wenn gefährliche Kurven einfach klar gekennzeichnet sind.

Stichwort Fahrradtechnik – du hast selbst schon gesagt, du hast die Bremsen andersrum. Warum?

Das hat sich einfach in meiner Jugend so ergeben. Ich bin Linkshänder – mache sowieso schon von Prozessen her vieles andersrum. Und ich bin damals mit der normalen Reihenfolge der Bremsen in Kurven nicht klargekommen. Dann haben mein Vater und ich das umgebaut. Ich habe mich sofort wohler gefühlt und bin dabei geblieben. Im Nachhinein habe ich auch erfahren, dass das in Australien und England so üblich ist. Wenn man das als Kind einmal gelernt hat, bleibt man dabei. Ich würde heute auch nicht mehr andersherum klarkommen.

Schmale Lenker sind im Moment ein Trend. Wie stehst du dazu? Wie schmal war dein Lenker?

Ich habe da variiert, bis hinunter zu 38 cm, das war schon sehr, sehr schmal. Zu Beginn meiner Karriere – das ist jetzt auch schon fast 15 Jahre her – hat man einfach das genommen, was drauf war. Ich glaube, das waren damals 44 oder sogar 46 cm. Aerodynamik hat ja dann im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Zuerst beim Zeitfahren, aber dann auch auf der Straße. Und im Zuge dessen habe ich ein Bewusstsein dafür entwickelt.

Ich habe dann den 38er ausprobiert, bin den relativ lang gefahren, habe aber gemerkt, dass ich mit einem 40er doch besser klarkomme. Und da bin ich jetzt eigentlich geblieben. Was ich sehr begrüße, ist der sogenannte Flare, den die neueren Lenker haben – also dass man oben enger greift und im Unterlenker etwas breiter wird. Das gefällt mir sehr gut. So kann man besser sprinten, hat mehr Hebel. Diese Kombination mag ich sehr.

# Die Gruppe fuhr selten unter 30 km/h, auf der Rückfahrt durften es auch mal 60 km/h auf leicht abfallender Gerade sein.

Hast du noch Kontakt zu Ex-Kollegen?

Ja, meistens dann, wenn Erfolge anstehen oder wenn mal ein Sturz passiert und ich davon höre. Dann schreibt man einfach mal „Gute Besserung“. Wie zum Beispiel jetzt bei John Degenkolb – da habe ich auch alles Gute gewünscht. Oder ich habe ein, zwei Projekte, bei denen ich mal jemanden wie den Mark Cavendish kontaktiere und frage, ob er mich ein bisschen unterstützen möchte.

Es ist ein gutes, kollegiales Netzwerk, das auch nach der Karriere noch funktioniert.

Tony Martin

Es ist nicht so, dass man sich wöchentlich oder monatlich austauscht, aber wenn ich was brauche, habe ich die Nummern der wichtigsten Leute. Und ich habe auch das Gefühl, dass der Zugang da ist – genauso auch umgekehrt. Da hilft man sich noch. Es ist ein gutes, kollegiales Netzwerk, das auch nach der Karriere noch funktioniert.

Zuletzt bist du bei Team Visma – Lease a Bike gefahren. Die haben es im Moment schwer, weil sie gegen Tadej Pogačar antreten müssen. Wenn du das siehst, wie der fährt – was denkst du dann?

Also, erstmal muss ich sagen: Er tut dem Radsport sehr gut. Gerade weil da diese Unbekannte ist – wie macht er das? Wie schafft er das? Wie kann das sein? Das hat eine riesige Anziehungskraft. Die Frage ist ja gar nicht mehr, ob er gewinnt, sondern wie. Wenn er wie beim Amstel Gold Race „nur“ Dritter wird, dann ist das ja schon fast eine Sensation.

Dieses Phänomen gab es, glaube ich, mindestens seit Eddy Merckx nicht mehr. Vielleicht würde ich Pogačar sogar noch höher einordnen.

Tony Martin über Tadej Pogacar

Für den Zuschauer ist das eine sehr spannende Zeit – manchmal vielleicht ein bisschen langweilig, weil er so dominiert, aber trotzdem will es jeder sehen. Dieses Phänomen gab es, glaube ich, mindestens seit Eddy Merckx nicht mehr. Vielleicht würde ich Pogačar sogar noch höher einordnen. Ich finde das einfach unglaublich.

Natürlich gibt es auch viele Meinungen, Vorurteile, wie er das alles schafft. Aber ich sehe das neutral. Ich habe das Gefühl, er ist ein guter Kerl, der einfach richtig Spaß am Radsport hat, viel investiert, obwohl er das nicht müsste, und viele Risiken eingeht – einfach, weil er siegen will. Der ist extrem siegeshungrig. Und das finde ich geil. Anders als andere Fahrer, die sagen: „Das ist mein Saisonhighlight, der Rest ist nur Vorbereitung.“ – Der will jedes Rennen gewinnen.

# Auch Tony Martin interessierte sich sehr für das schnelle Service Mobil.

Das ist so die Eddy-Merckx-Seite an ihm?

Ja, der „Kannibale“. Das ist bei ihm genauso. Und das finde ich erstmal sehr, sehr gut – sportlich gesehen. Ich gönne es ihm. Natürlich würde ich Jonas Vingegaard und meinem alten Team auch wünschen, dass sie zurückschlagen. Vielleicht ist Pogačar ja im Frühjahr müde gefahren – das ist so die heimliche Hoffnung vieler, die keine Pogačar-Fans sind. Aber insgesamt finde ich: Das ist ein guter Typ, der auch menschlich gut rüberkommt.

Ich habe ihn zum Ende meiner Karriere noch miterlebt, aber wir hatten keinen engen Kontakt. Daher kann ich menschlich nicht viel sagen – aber er wirkt sympathisch.

Du hast mal in einem Interview gesagt, du würdest gerne nach dem Karriereende mit Kindern arbeiten. Machst du das jetzt?

Ja. Ich bin bei einer Sportschule angestellt und arbeite dort mit Jugendlichen im Juniorenalter zusammen. Ich trainiere mindestens einmal wöchentlich mit ihnen, schreibe teilweise Trainingspläne, bin auch mal bei Wettkämpfen dabei. Ich versuche, meine Erfahrungen weiterzugeben – und das macht wirklich Spaß.

Ich nehme diese Mentorrolle gerne an.

Tony Martin

Ich habe vor drei Jahren damit angefangen. Die meisten Jungs waren damals 14, 15 – jetzt sind sie 17, 18. Wenn man ihre Leistungsentwicklung sieht, aber auch die menschliche Entwicklung, ist das toll. Ich glaube, ich habe einen ganz guten Zugang zu den Jugendlichen, unabhängig von meinen früheren Erfolgen. Ich nehme diese Mentorrolle gerne an. Es ist nicht meine Haupttätigkeit, aber ein schöner, regelmäßiger Bestandteil meines Alltags.

Nach dem Ride like King Event, bei dem es 50 km durch die Hügel im Osten Düsseldorfs ging und Tony Martin meist vorne fuhr, haben wir noch einmal den Gesprächsfaden aufgegriffen – soweit möglich, denn Tony wurde von einem Selfie zum nächsten durchgereicht. Eine Mitfahrerin ließ sogar ihr Rennrad mit einem Edding-Autogramm verzieren, weil Tony ihr als Edelhelfer zum Ende der Tour zur Verfügung stand.

Ein 30er Schnitt, wie angekündigt, ist es nicht ganz geworden, für mich war es aber besonders an den Anstiegen richtig anstrengend, wie war es für dich?

Es hat Spaß gemacht, aber für mich war es relativ weit weg von Rennen.

Für mich war es stellenweise wie ein Rennen, war es für dich wenigstens Grundlagenbereich?

Es war eher im Erholungsbereich als Grundlagenbereich, aber es ist ja auch in Ordnung so, wäre ja schlimm, wenn wir beide die gleichen Leistungsniveaus hätten, dann hätte ich wahrscheinlich was falsch gemacht und du sehr viel richtig. Es hat auf jeden Fall Spaß gemacht, wieder viel geredet mit den verschiedensten Persönlichkeiten, die hier sind. Es waren tolle Leute dabei!

Danke für das Gespräch!

Hättet ihr noch Fragen an Tony Martin?

Gespräch/Fotos: Jan Gathmann
Die mobile Version verlassen