Tja, das ist wirklich ein klasse Thema, sonst wären nicht in so kurzer Zeit so viele Beiträge zusammengekommen. Eine schöne Einleitung zu dem Thema, der kaum etwas hinzuzufügen ist, findet man bei Wikipedalia (
http://wikipedalia.com/index.php?title=Kettenpflege):
Kettenpflege ist eine der kontroversesten Aspekte im Fahrradumfeld. Die Lebensdauer der Kette ist geprägt vom Fahrstil, Gangwahl, Fahrten bei Schnee oder Regen, Bodentypen der befahrenen Gegenden, dem Typ der Schmierung, Schmiertechniken und der Größe der eingesetzten
Kettenblätter und
Ritzel.
Da so viele Variablen mit einbezogen werden müssen, gibt es keine lebensechten kontrollierten Experimente. Daher basieren alle Ratschläge zur Kettenpflege auf anekdotischen "Beweisen" und "Erfahrungen". Experten widersprechen dieser Meinung zum Teil aufs heftigste. Das ganze Thema nimmt fast "religiöse" Formen in der Gemeinschaft der Fahrradfahrer an. Zwischen den unterschiedlichen schismatischen Kulten wurden und werden immer wieder schmähende Beschimpfungen ausgetauscht.
Wichtig erscheint mir der von mir rot hervorgehobene Satz. Auf diesen Zusammenhang weise ich immer ganz gerne hin, wenn zu irgendwelchen physikalischen Zusammenhängen aufgrund eigener (manchmal nur vermeintlicher) Beobachtungen Regeln aufgestellt werden, ohne zu erkennen, dass sie sich nicht verallgemeinern lassen. Ohne eine vernünftige Versuchsreihe unter reproduzierbaren Bedingungen kann bei so komplexen Zusammenhängen wie beim Radfahren selten irgendwelche Regeln ableiten.
Da in diesem Thread ja auch schon wieder einige unumstößliche Wahrheiten z.B. zum Thema Öl vs. Fett aufgestellt wurden, mache ich folgenden Vorschlag: Lasst uns doch einfach mal in ein nicht durchs Hobby, sondern durch Professionalität geprägtes Umfeld schauen. Ketten werden auch im industriellen Umfeld eingesetzt und da geht es etwas weniger emotional vor sich. Dort zählen am Ende die Kosten und man wird sich für den Ansatz entscheiden, bei dem die geringsten Instandhaltungskosten herauskommen. Nach folgender Darstellung der Fa. Wippermann für Industrieketten
http://www.hohmann-iv.de/docs/Schmiermittel.pdf
ist die optimale Schmierung für Ketten die Ölschmierung. Fahre ich mit 90er Trittfrequenz, so läuft die Kette mit ungefähr 1m/s und ich komme mit einer "leichten Tropfschmierung" alle 8 Stunden aus (Diagramm rechts auf Seite 92). Und wenn man es nicht alle 8 Stunden macht, geht die Welt auch nicht unter. Wie das Öl bei den Umlaufgeschwindigkeiten der Kette durch die Fliehkräfte aus dem Inneren der Kette herausgerissen werden soll (die Vorstellung wurde hier im Thread eingebracht), ist mir schleierhaft. Die Untersuchungen von Wippermann belegen, dass diese Gefahr nicht besteht.
Fett geht natürlich auch, ist nur wenig schlechter, ist aber hinsichtlich der Schmierwirkung nicht ganz so optimal (Tabelle unten auf Seite 93). Dass die Ketten für den Auslieferungszustand mit Fett behandelt werden, liegt sicher zum einen daran, dass es natürlich länger an der Kette haften bleibt und man längere Zeit Ruhe hat. Zum anderen gibt es aber sicher auch den ganz praktischen Grund, dass eine geölte Kette im Vertrieb eine ganz schöne Sauerei sein kann, wenn die Kette zum Verpacken eingeschweißt wird, die Plastiktüte aber einen Riß bekommt.
Dass sowohl Öl- als auch Fettschmierung funktionieren, ist der Grund dafür, warum hier im Forum sowohl das eine als auch das andere mit großer Leidenschaft vertreten wird: Das eigene Baby gefällt immer am besten...
Dass das Fett oder Öl sich schwarz färbt, weil es aufgrund der Flächenpressung "verbrennt" bzw verkokt halte ich persönlich für absolut nicht realistisch. Da gibt es über den Metallabrieb und den Dreck und Staub von außen genug andere Gründe, schwarz zu werden. Da kann sich innerhalb so kurzer Zeit bei einer auf Umgebungstemperatur befindlicher Kette keine so hohe Temperaturspitze ergeben. Auch wenn ich die Flächenpressung in der Fahradkette nicht kleinreden will: In einer Motoradkette wird sie (trotz der größeren Dimension der Motoradkette) deutlich größer sein.
Ich selbst bin kein Sauberkeitsfetischist, kann aber dem Ansatz von @
Km-Fresser durchaus etwas abgewinnen. Auf die Idee, die Nietstifte häufig raus und wieder rein zu drücken, würde ich zwar nicht kommen (das halte ich für gar keine gute Idee!!), aber wenn man so ein Ultraschallgerät hat, warum nicht die Kette mit Missing-Link ausstatten, einfach dort reinlegen, das überschüssige Öl abreiben und danach eine optimal gesäuberte und geschmierte Kette haben? Vom Zeitaufwand wird das kaum mehr sein, als die Kette zunächst mit einem Lappen vom Schmutz zu befreien und danach wieder zu schmieren (Zeitspanne im Ultraschallbad natürlich nicht mitgerechnet).
Wie wichtig eine vernünftig geschmierte Kette ist, zeigt das Wirkungsgraddiagramm in der Veröffentlichung von Wippermann unten links auf Seite 92: Da kann man schon einiges an Leistung zwischen Kurbel und Hinterrad liegen lassen, was eigentlich auf die Straße gehört! Für 2% bis 3% mehr Leistung muss man an anderen Stellen des Fahrrades deutlich mehr Aufwand bzw. Geld investieren...