Hier ein Reisebericht aus México & Deerfield Beach, Florida:
Wie ihr ja wisst, bin ich momentan beruflich für drei Monate in Mexico City, oder zumindest in der Nähe dieses Molochs. Mittlerweile findet dort auch etwas statt, was man nach unseren Gesichtspunkten ein Training nennen könnte. Ich hab ein akzeptables Fitnessstudio gefunden, was nur ca. 10 Gehminuten von meinem Appartment entfernt ist. Das hat auch Spinningbikes, aber bei 28°C ist das nicht wirklich ein Vergnügen.
Nachdem ich bereits im letzten Oktober mit dem Training für die Transalp 2015 angefangen habe, und seitdem fast alle Radeinheiten nur auf der Rolle absolviert habe (zwar an wechselnden Standorten in Worms, Kleve, Bochum, Mexico City), ist so langsam die Luft/Lust raus. Bis zu 2,5 Stunden waren eigentlich nie ein Problem, aber nach 7 Monaten (!) fehlt mir inzwischen einfach die Kraft, noch länger stupide Wände anzustarren, zu versuchen, die Schweißtropfen in eine bestimmte Richtung zu lenken, oder Fabian Cancellara auf dem I-Pad bei seinen Siegen und Niederlagen von Paris-Roubaix zuzuschauen.
Gottseidank hab ich mir in Toluca, das ist die kleine Stadt in der Nähe von Mexico City, wo mein Arbeitgeber ein Werk unterhält, ein Mountainbike eines Arbeitskollegen organisieren können. Trotz seiner 17kg liebe ich das alte Cannondale für seine .. ja was eigentlich? Seine Fahreigenschaften? Wie ein schwammiges Schiff fährt das Ding um die Ecken, und wie ein 40zig Tonner hieve ich es die Ansteige hoch.. nein, dafür wohl nicht. Ich bin einfach dankbar, in diesem Moloch in Mexico City überhaupt die Möglichkeit zu haben, zu trainieren. Auch wenn es ein altes MTB ist, immer noch besser als das Spinningbike.
Das Wetter fürs MTB-Fahren ist super, meist 25°C und Sonne, und da ich (noch) nicht selbstmordgefährdet bin, nutze ich nahegelegene Parks, um dort Runden zu drehen. Wer mich auf Strava kennt, hat bestimmt schon diese Super-Einheiten gesehen. 47km im Kreis. Hmm. Ich weiß nicht was schlimmer ist, Spinning oder Rundenfahren im Park. Naja. Luft hat man bei beiden Aktivitäten nicht wirklich, da die Hitze und 2600m Höhe ihr übriges tun. Diese "Anpassung ähnlich wie durch EPO" bei Höhentraining ist übrigens ein Mythos. Habe ich nix von gemerkt. Sobald ich auch nur entfernt in den roten Bereich komme, ist es vorbei. Die ersten Einheiten fühlte ich mich auf dem 17kg-MTB wie ein übergewichtiger Amerikaner, der zum ersten Mal seinen fetten Arsch auf ein Rad schwingt, und nach 200m sich wünscht, es wäre vorbei. Aber wofür braucht man ein Selbstwertgefühl, wenn man sich auch durchbeißen kann? Tatsächlich wurde es nach drei Wochen etwas besser, Spaß macht es aber immer noch nicht. Stellt euch vor, jmd. hält euch ein Handtuch vor den Mund, bei jedem Atemzug. Dazu der Smog und die Hitze. I love it!
Da die Transalp aber im September 2015 stattfinden wird, brauche ich so langsam dringend mal "längere Kanten", um bei unseren Touren dort nicht zu verrecken. Was liegt da näher, als von Mexico City für 4 Tage nach Miami Beach zu fliegen! Dank Adj konnte ich einen guten Bikeladen ausmachen, der mir sogar ein Specialized Allez vermieten konnte. Fragt bitte nicht, was es gekostet hat. Aber wie heißt es so schön in der Werbung: "Manches ist unbezahlbar". Voller Vorfreude auf die Meereshöhe und wieder sicherer Gefilde zu betreten, machte ich mich am Mittwoch auf den Weg von Toluca zum Flughafen nach Mexico City. Allein hierdrüber könnte ich schon seitenweise Geschichten erzählen, erspare es euch aber (40min durch den Regen zum Busbahnhof laufen, chaotisches Flughafen-Layout in MEX, US-Sicherheitscheck über ein "Tool wrench for dismounting pedals").
Nach einem dreistündigen Hüpfer über den Golf von Mexiko landete ich Mittwoch Abend endgültig in Florida. Mein "sub-compact" Mietwagen entpuppte sich als Nissan SUV, aber was solls. Schnell auf die I95 Richtung Norden, und eine Stunde später konnte ich endlich ins Hotel einchecken. Der Wetterbericht verbreitete Vorfreude: trocken und warm sollte es von Donnerstag bis Sonntag werden. Aus weiser Voraussicht und einiger bitterer Erfahrung in Mexico City (geht nie auf einen 4100m hohen Vulkan ohne Sonnencreme...) kaufte ich abends noch schnell Sonnencreme (SPF 50+), Wasser und Unmengen Snickers (meine geliebte Kraftnahrung fürs Radfahren).
Donnerstag morgen: ab zum Bikedealer, das specialized abgeholt und los gehts. Von Deerfield Beach hoch nach Palm Beach, ca. 100km waren für den ersten Tag angeplant. Vielleicht mehr, aber ich wusste ja, Vorsicht ist der Indianer in der Porzellankiste, wie man sagt. Gottseidank war es etwas bewölkt, was zwar keine großartige Bilder ergab, aber ich wollte ja sowie Radfahren, und keine Touristenfahrt machen. Während ich die A1A hoch cruiste, bewunderte ich unzählige Palmen, Strandschönheiten, die mit Sixpack joggen waren (rrrr) und diverse Sportwagen. Diese Gegend ist nicht für die Armen gemacht.. vom Ferrari über Lamborghini bis hin zu unzähligen Porsche konnte ich mein Sportwagen-Portfolio erweitern. Klingen übrigens alle gut, diese Geldvernichtungsmaschinen.
Adj hatte gesagt, es gäbe ja überall Wasserlabestellen. Da ich nur eine Trinkflasche, aber meine Kreditkarte hatte, machte ich mir keine Sorgen und setzte den Weg genüßlich fort. Exakt nach 50km war ich am Endepunkt der Strecke am äußersten Punkt in Palm Beach, wo die Wege von Prachtvillen gesäumt sind. Verdammt, musste ich mal dringendst schiffen. Natürlich nirgendwo eine Nische, die nicht Kameraüberwacht war, oder wo die mexikanischen Sklaven (äh, Gärtner) die Prachthecken beschnitten. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit den Cops in den USA war ich vorsichtig geworden, und habe irgendwann eine Baustelle gefunden, wo ein etliche Millionen schweres Haus hingebaut wurde. Sagen wir mal so, den Rand müssen sie nicht mehr bewässern.
Derart erleichtert um mindestens 1 kg machte ich mich auf den Rückweg. Alles schön gemütlich in Grundlagengeschwindigkeit.. mit einigen Bummeln kamen so am ersten Tag 130km zusammen. Passt.
Der zweite Tag verlief ebenfalls recht ereignislos, 182km in +7h auf dem Rad sowie die Erkenntnis, dass sich die Strecke Richtung Süden nach Miami Beach nicht zum Radfahren eignet. Ich sah aus wie ein panierter Fisch aus Sand, Abgasen und Sonnencreme. Mir gings aber erstaunlich gut für diese Distanz, was vielleicht daran lag, dass ich etliche Gatorade, Snickers, ne Pizza, nen Hotdog und diverse Wasser zu mir genommen hatte.
Der dritte, und letzte Radfahrtag sollte zur Erholung genutzt werden. So der Plan. Wieder hoch nach Palm Beach, die gute, ruhige Strecke. Start war kurz nach 7 Uhr morgens,und während ich noch im Frühstücksdelirium vor mich hinplätscherte, hörte ich plötzlich ein Vertrautes Wummern von Hinten. Nein ich meine nicht den SUV, der vom afroamerikanischen Mitbürger gelenkt wird, und der die Straßen mit RnB bestrahlt, sondern dieses.. vertraute.. "Wumm, wumm, wumm". Ihr wisst schon was ich meine.. von CARBON! Lechz. Was war hier los?
Beim Blick nach hinten sah ich eine Dreiergruppe massiver Rennfahrer heranrauschen, die alle bestens ausgestattet waren (Nein, nicht da unten.). Oben!

Zipp Laufräder, Cervelo Rahmen, tubeless
Reifen, arrrrrrrrrrrrr nur das Beste. Hmm. Eigentlich wollte ich den Tag zur Erholung nutzen. Hrm. Scheiss Gegenwind. Hrm. Ich könnte mich ja.. hinten dran hängen? Hrm. 28°C hatte es inzwischen, meine Beine waren noch schlapp von gestern, mein Arsch tat weh, und mein Puls wollte kaum noch hoch. Sollte ich das wirklich machen? Ich war hier um Grundlagen aufzubauen.
Hrm.
Ach scheiss drauf. Antritt, Zack, hinten dran. Ahhhhh, gleich 100 Watt weniger. Nett. Leider hatten die drei keine rasierte Beine, aber darüber kann man ja bei der sonstigen Ausstattung hinwegsehen. Kurz gefragt, ob es für sie OK wäre, und drangeblieben. Da dämmerte mir im Hinterkopf, dass ADJ mich "gewarnt" hatte, dass am Samstag immer eine Riesengruppe von Radler eine "gemütliche" Tour von Boca Raton aus machte. Egal. Der erste Fahrer vorne hatte, sehr zu meinem Leidwesen, den Instinkt eines Pittbulls, dem jemand einen Knochen weggenommen hat, und sobald er einen Fahrer vor uns sah, wurde die Lücke geschlossen. Inzwischen tropfte der Schweiß bei mir nicht mehr, er lief in Strömen die Beine runter. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich in dieses gnadenlose Ausscheidungsrennen geraten bin, aber ich war mittendrin. Angriff, Konter, wieder einer abgewürgt. Ahh, gemütliche Grundlage. Und danach einen Kaffee. Jaja.. überall auf der Welt läuft es doch gleich, machen wir uns nix vor. Immer diese Egoscheisse.. ah. Apropros Egoscheisse, ich muss noch dringend ein Foto fürs Forum machen.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als der zweite Mitfahrer mir mit einer Handbewegung bedeutete, er würde "mal kurz nach dem Rechten sehen hinten". Ne is klar. Scheisse, an zweiter Position, und meine Reserven lagen wie die Meereshöhe meines Garmins bei -13. Aber aufgeben könnte ich ja immer noch, wenn es nicht mehr geht. An dieser Stelle erinnere ich mich leider nicht mehr an viel, was ich berichten kann, außer dass ich nach 37.5km irgendwann irgendwo Richtung Palm Beach wieder aufgewacht bin und die Mitstreiter meinte, sie würden jetzt umdrehen. "Thanks for the ride", naja, immerhin.
Den Rest eierte ich dann mit komplett verbrauchten Reserven Richtung Wendepunkt, saugte eine Banane, ein Snickers, ein Gatorade wie ein Cracksüchtiger auf und genoß kurz das Meeresrauschen auf einer Bank. Scheiss Carbon. Scheiss Radfahren. Scheiss Gruppenfahrten. Warum eigentlich? Was treibt uns dazu an, uns so zu schinden, nur um danach kaum noch sitzen zu können? Wieso gehe ich nicht golfen? Hmm, ok.. dann lieber Tennis. Hrm, egal, irgendwie muss ich noch zurückkommen.
Mit der Eleganz einer trächtigen Kuh schwang ich mich auf mein Specialized und versuchte, die Beine rundzutreten. Noch so ein Drecksmythos. Rundtreten, das Laktat abbauen. Pff. Als ich vor lauter Schmerzen am Hintern nicht mehr sitzen konnte, hörte ich wieder vertrautes Wummern. Ah, ein Triathlet, auf einem Specialized. Zack überholte er mich. "Komm, lass es. Fahr einfach nach Hause" - den Rest könnte ihr euch denken. So lernte ich Cliff kennen, nach kurzem 5k-Zeitfahren, bei dem er mich nicht abhängen konnte, erzähte er mir breitwillig bei Grundlagengeschwindigkeit, dass er früher im Sondermaschinenbau tätig war, aber sein Unternehmen verkauft hat, um sich jetzt im Baugeschäft zu verdingen. Das würde aber nicht soviel Spaß machen wie Maschinenbau (hrm) und die Menschen heutzutage würden alle nur meckern. Früher, da war es noch anders. Seine Ausbildung war sehr hart. Top, danke, die Leierei brauchte ich jetzt. Gottseidank musste er nach 15km rechts abbiegen, und ich genoß die restliche Strecke meine Schmerzen.
Glücklich, das Dreckshotel endlich wieder zu sehen, schmiss ich das Rad in die Ecke (nicht wirklich) und duschte die Schmutzschicht runter. So, das waren meine drei Tage Florida. Fazit: top Wetter, top km, top Strecke, wenn man weiß wo man lag fahren sollte. Ob man hier drei Wochen verbringen kann, ich weiß es nicht. Ich eher nicht, dafür ist es nicht abwechslungsreich genug. Und die Erkenntnis, dass ich eher Bergfahrer als Zeitprügler bin. Also insgesamt nix neues

Irgendwie hat Florida eine ähnliche Faszination auf mich wie Lanzarote..
Jetzt gehts leider wieder zurück nach Mexico City, in das dreckige Moloch, mit seinem verrückten Verkehr, dem Smog und den 2600m Höhe. Das MTB wartet.. naja, und wer weiß.. .. ich wollte eh mal den Vulkan mit dem MTB fahren ...
LG aus Mexico,
choco
Fotos folgen
