no*dice
shit sucks!
Konkret 04/96, S. 58
Martin Krauß
Reinen Urin einschenken
Sind gedopte Sportler und Sportlerinnen noch Menschen? Kurzer Abriß einer Debatte um den sauberen Sport und den cleanen Körper
Der Schweizer Tageszeitung »Nouvelliste« war neulich zu entnehmen, daß die Eringer Kampfrinder, das sind Kühe, die in einem in der Schweiz sehr populären alljährlichen Wettstreit versuchen, sich mit den Köpfen wegzuschieben, demnächst Dopingkontrollen unterzogen werden. Bislang war von der Nahrungsaufnahme dieser Kühe nur bekannt, daß sie Roggenbrot, Hafer und eine eher kuhunübliche Ration Weißwein erhalten. Neuerdings geht man aufgrund von Tierschützerhinweisen davon aus, daß die Kühe auch Amphetamine und andere Stimulanzien zu sich nehmen.
So sind sie halt, die Eringer Kampfrinder, möchte man ausrufen und vielleicht noch hinzufügen, daß es sich ja schließlich um Kühe handelt, also um Spender von Milch, folglich Käse, Quark, Joghurt und letztlich Rindersteaks, denen man ihren gewohnten und dem Menschen schmackhaften Lauf lassen sollte. Gegen den Spaß aber, mal mit Wein abgefüllten Kühen beim gegenseitigen Wegschieben zuzuschauen, fällt mir zunächst kein vernünftiges Argument ein. Doch »Halt!« rufen vielleicht andere Mitmenschen. Doping, egal ob Weißwein oder Stimulanzien, ist von Übel, jedenfalls nicht artgerecht, es handelt sich um Wettbewerbsverzerrung und eine unnatürliche obendrein.
Beim Menschen ist die Sache mit dem unnatürlichen Übel schon länger Thema. Da war bereits so etwas zu lesen: »Wer einmal die abartig gedrungenen Monstergestalten chinesischer Stoßerinnen gesehen hat, ahnt, wie sehr diese bedauernswerten Mädchen ›unter Stoff‹ stehen: eine Kulturschande.« Messerscharf analysiert von Brigitte Berendonk, vom Job her Sportlehrerin und Dopinganklägerin aus Berufung. Das Zitat stammt aus ihrem Buch Doping-Dokumente. Es beschreibt den Sumpf des Dopings im Sport von DDR und BRD und gilt seit seinem Erscheinen als Standardwerk.
»Abartig gedrungene Monstergestalten« sind junge Frauen, die aus China stammen, Sport treiben und von denen aufgrund ihres Aussehens vermutet wird, sie nähmen, den Eringer Kampfkühen nicht unähnlich, verbotene Mittel ein. Dieses Bild von Chinesinnen hat mittlerweile auch Eingang in die juristische Literatur gefunden. George Turner, Jura-Hochschullehrer und Ex-Wissenschaftssenator von Berlin, berichtete in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« über »anabolikagetunte weibliche Ungetüme in den leichtathletischen Wurfdisziplinen« und ließ keinen Zweifel, was man mit denen machen sollte: vom Wettbewerb ausschließen und wegen Betrugs am Zuschauer zur Schadensersatzkasse bitten.
Da bei Turner der Verweis auf China fehlt, darf man vermuten, daß es sichum ein globales Phänomen weiblicher Ungetüme oder Monster handelt. Schaut man aber in den »Spiegel«, fehlt der geschlechtsspezifische Bezug. Der Leichtathlet Ben Johnson, 1988 der Einnahme anaboler Steroide überführt, ist, erfährt man da, »der erste bionische Mensch«. Er ist der »tumbe Ben«, der »schwarze Kanadier«, der »kahle Kugelkopf« mit »brennenden Augen«, der »dumme Ben mit den Kinderaugen«, er ist ein »menschlicher Roboter ... wie die Hormonkälber«.
Gegen wen, möchte man fragen, geht es denn nun? Chinesen? Schwarze? Frauen? Allen Doping-Anklägern gemeinsam ist nur ein Haßobjekt: Sportler und Sportlerinnen, die Dopingsubstanzen zu sich nehmen oder von denen man dies zumindest vermutet. Gedopte Sportler sind solche, die Arzneimittel zu sich genommen oder angewendet haben, die auf den Verbotslisten der Sportverbände notiert sind. Ob sie die Medikamente gebrauchen, weil es medizinisch indiziert ist oder weil es vermeintlich einer Leistungssteigerung dient oder beides, spielt zunächst keine Rolle.
Diese Sportler trifft der Vorwurf der Manipulation. Ihren eigentlich gesunden Körper stopften sie mit Giften voll, laborierten an der Natur herum und verschandelten mit Chemie ihren Leib, der doch an sich schön, gesund, durchtrainiert, muskulös und leistungsstark sei. Daß der menschliche Körper »immer und in jedem Fall als Abbild der Gesellschaft aufzufassen« ist, wie die amerikanische Anthropologin Mary Douglas schrieb, ist diesem Blick auf den Sport völlig fremd. Etwas Unberührt-Natürliches wird verlangt und dann analysiert und getestet, erforscht und kontrolliert, ob denn da alles mit rechten Dingen zugeht. »Sie messen den anderen, ohne es zu wissen«, beschrieben Horkheimer/Adorno diesen Typus, »mit dem Blick des Sargmachers. Sie verraten sich, wenn sie das Resultat aussprechen: sie nennen den Menschen lang, kurz, fett und schwer. Sie sind an der Krankheit interessiert, erspähen beim Essen schon den Tod des Tischgenossen, und ihr Interesse daran ist durch die Teilnahme an seiner Gesundheit nur dünn rationalisiert.«
Gefordert wird ein menschlicher Körper, der aussieht wie der Diskuswerfer in Leni Riefenstahls Olympiafilm oder wie ein Athletenkorpus, der von Arno Breker in Stein gehauen wurde – mit nur einem Unterschied: Das Bild des Reinen und Natürlichen soll gefälligst überprüfbar sein. Der »menschliche Roboter« Ben Johnson, den der »Spiegel« ausgemacht hatte, sah zunächst aus, wie er aussehen sollte – deswegen galt er auch bis zum Tag seiner Doping-Ertappung als schöner Mann – , aber der Urin war nicht rein, die Werte waren nicht in Ordnung. Der Mensch Johnson hielt einer Überprüfung nicht stand und war fortan auch als Athlet nicht mehr geduldet. »Der Körper wird als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen«, beschrieben Horkheimer/Adorno dieses Phänomen, »und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt.« Anders gesagt: Schön ist er zwar immer noch, der Herr Johnson, aber nachdem man weiß, daß die Schönheit keine natürliche ist, sondern irgendwie ›gemacht‹, mit Substanzen, die nicht Mutter Natur, sondern der arbeitsteiligen Gesellschaft entspringen, gilt er nicht mehr als schön, ja nicht mal mehr als Mensch, sondern als ein »kahlköpfiges Muskelmonster«, wie die »Taz« formulierte.
Die Ambivalenz, die Horkheimer/Adorno herausfanden, verwirrt nicht – schließlich weiß der deutsche Fernsehzuschauer, daß »wahre Reinheit mehr ist als Flecken rauswaschen«. Sie darf also nicht nur sauber erscheinen, sie muß porentief sein und sogar dem Knotentest standhalten. Wehe daher, wenn man bei Ben Johnson oder Katrin Krabbe etwas sieht, das man nicht sehen möchte, oder sich die Vermutung aufdrängt, da sei etwas, was nicht da sein dürfte. »Das sieht man klar im Gesicht, daß die Krabbe dopt«, erkannte der Vorsitzende der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Sportbundes (DSB), Hans Evers.
Herr Evers meinte in Pickeln, die bei der Leichtathletin Krabbe im Gesicht zu erkennen waren, einen Doping-Beweis zu erblicken. Als Krabbe, ähnlich wie Johnson bis zum Zeitpunkt der ersten Doping-Anschuldigung als Schönheit geltend, erstmals in Verruf geriet, warf man ihr vor, den Urin, den sie bei der Dopingprobe zu lassen hatte, gefälscht zu haben. Das war 1991.
Ein Kontrolleur des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) war der Trainingsgruppe auf die Bahamainsel Paradise Island nachgereist. Eines Abends hatte er sich beim Abendessen am Hotelbuffet vorgestellt und Frau Krabbe gebeten, ihm zur Toilette zu folgen. Sie hatte abgelehnt und den Rest des Abends lieber in einer Diskothek verbracht. Der »Spiegel« wußte, warum: Sie brauchte Zeit, »um wieder clean zu werden«, die »FAZ« sprach vom »attraktiven Berufsbild Doping-Kontrolleur«. Auf die Idee, daß Männer, die im Hotel Frauen auffordern, ihnen zur Toilette zu folgen, um sie dort beim Urinieren zu beobachten – »Knie-an-Knie«, wie es die Durchführungsbestimmungen für Dopingkontrollen bei Sportlerinnen verlangen – , achtkantig aus dem Hotel geschmissen werden sollten, kam keiner.
Wochen später gab es Hinweise, daß es bei einem anderen Trainingslager, das im südafrikanischen Stellenbosch stattfand, zum Vertauschen oder Manipulieren des Athletinnen-Urins gekommen sein könnte. Grund genug für Hans Evers, gynäkologische Untersuchungen für verdächtige Sportlerinnen zu fordern. Schließlich könne man trotz des »Knie-an-Knie«-Pinkelns nie ausschließen, daß mittels eines in die Scheide eingelassenen Präservativs Fremdurin transportiert würde, den die gerissene Athletin bei der Kontrolle dann ins Laborfläschchen laufen ließe.
Der gewagte Zwangsgynäkologie-Vorschlag kam nicht durch. Statt dessen erhob sich kurze Zeit später ein neuer Vorwurf gegen Katrin Krabbe. Sie hatte – das gab sie sofort zu – ein Asthmamittel mit der Substanz Clenbuterol eingenommen. Das Medikament stand zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Dopingliste. Krabbe und ihre Kolleginnen wurden gleichwohl von zuständigen Sportgerichten dazu verurteilt, ihren aktuellen Beruf – Profisportlerin – für die Dauer von drei Jahren nicht mehr ausüben zu dürfen. Das Urteil des DLV warf ihnen vor, sich einer »sportwidrigen Leistungssteigerung« bedient, »Verstöße gegen die anerkannten Grundsätze sportlichen Verhaltens begangen« und sich damit »Handlungen, die geeignet sind, das Ansehen des DLV zu schädigen«, schuldig gemacht zu haben. Zur Begründung hieß es: »Ein Sportler, der ... keine Hemmungen hat, ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ohne ärztliche Indikation einzunehmen ... verliert seine Vorbildfunktion und Glaubwürdigkeit, für einen sauberen Sport einzutreten.« Berufsverbot für schlechte Vorbilder. »Als ob die Behandlung seines Körpers jedes einzelnen Sache selber wäre«, bemerkte Adolf Hitler zu dieser Frage, und seine Antwort scheint bis heute gültig zu sein.
An die Ideologie des natürlichen, unverdorbenen und von keinem Mittelchen getrübten Sportlerkörpers schließen sich zwei Fragen an. Warum schlucken die Athleten allerlei Mittelchen? Und: Was passiert, wenn sie ertappt werden, wie wird so etwas justitiabel? Letzteres ist leicht zu beantworten und wurde am Beispiel Krabbe vorexerziert. Die Sportverbände nutzen ihre eigene Gerichtsbarkeit, um Urteile durchzusetzen. Sie können das, weil sie das Monopol auf Leistungssportausübung besitzen. Ob das bis zum Berufsverbot gehen darf, wird zur Zeit im Krabbe-Revisionsverfahren erörtert.
Aber zur Motivation, gerade bei Sportlerinnen, braucht es eine eigene Theorie, und hier hat sich der »Spiegel« mit einem besonders originellen Vorschlag verdient gemacht: die sexuelle Hörigkeit. Über einen Leichtathletiktrainer las man da, daß er »seinen Schützlingen eine Rundum-Betreuung zukommen (läßt). Den durch die Hormongaben stämmig und männlich wirkenden Mädchen gibt er das Gefühl, auch als Frau noch begehrt zu sein ... Der Trainer war nacheinander mit«, hier folgen drei Namen von Frauen, denen noch nie Doping nachgewiesen wurde, »liiert«. Oder: Ein Informant des »Spiegel« hatte in Trainingslagern »mitbekommen, wie die Kollegen Bundestrainer auch eine Form von sexueller Hörigkeit zur Leistungsmotivation nutzten. Da wurde der ›Spaß im Bett‹ schon mal ›als Belohnung eingesetzt‹, um die Sportlerinnen an sich zu binden.«
Tumb und häßlich sind sie, die Sportlerinnen, lernt der »Spiegel«-Leser, und gäbe es nicht abgefeimte Trainer, die noch nicht mal vor einer zweckgebundenen Liaison zurückschrecken, hätten diese, wie man der Fachliteratur entnehmen darf, »abartig gedrungenen Monstergestalten« bzw. »anabolikagetunten weiblichen Ungetüme« gar keine Sexualität. Bekämen keinen Mann ab, sagt der Volksmund.
Menschen, so darf man in diesen vorolympischen und also an Dopingenthüllungen nicht armen Monaten folgern, sind gedopte Sportler und Sportlerinnen jedenfalls nicht. Wenn vielleicht auch nicht gleich Monster oder Ungetüme, dann sind sie doch vergleichbar mit den Eringer Kampfrindern. Die benehmen sich nämlich auch, wenn man den Tierschützerhinweisen Glauben schenken darf, unnatürlich, ja fast menschlich, denn sie fressen, was sie wollen bzw. was da ist, statt daß sie nach natürlicher Leistungssteigerung streben.
Aber: Haben nicht auch die Eringer Kampfrinder ein Recht auf Rausch?
Martin Krauß
Reinen Urin einschenken
Sind gedopte Sportler und Sportlerinnen noch Menschen? Kurzer Abriß einer Debatte um den sauberen Sport und den cleanen Körper
Der Schweizer Tageszeitung »Nouvelliste« war neulich zu entnehmen, daß die Eringer Kampfrinder, das sind Kühe, die in einem in der Schweiz sehr populären alljährlichen Wettstreit versuchen, sich mit den Köpfen wegzuschieben, demnächst Dopingkontrollen unterzogen werden. Bislang war von der Nahrungsaufnahme dieser Kühe nur bekannt, daß sie Roggenbrot, Hafer und eine eher kuhunübliche Ration Weißwein erhalten. Neuerdings geht man aufgrund von Tierschützerhinweisen davon aus, daß die Kühe auch Amphetamine und andere Stimulanzien zu sich nehmen.
So sind sie halt, die Eringer Kampfrinder, möchte man ausrufen und vielleicht noch hinzufügen, daß es sich ja schließlich um Kühe handelt, also um Spender von Milch, folglich Käse, Quark, Joghurt und letztlich Rindersteaks, denen man ihren gewohnten und dem Menschen schmackhaften Lauf lassen sollte. Gegen den Spaß aber, mal mit Wein abgefüllten Kühen beim gegenseitigen Wegschieben zuzuschauen, fällt mir zunächst kein vernünftiges Argument ein. Doch »Halt!« rufen vielleicht andere Mitmenschen. Doping, egal ob Weißwein oder Stimulanzien, ist von Übel, jedenfalls nicht artgerecht, es handelt sich um Wettbewerbsverzerrung und eine unnatürliche obendrein.
Beim Menschen ist die Sache mit dem unnatürlichen Übel schon länger Thema. Da war bereits so etwas zu lesen: »Wer einmal die abartig gedrungenen Monstergestalten chinesischer Stoßerinnen gesehen hat, ahnt, wie sehr diese bedauernswerten Mädchen ›unter Stoff‹ stehen: eine Kulturschande.« Messerscharf analysiert von Brigitte Berendonk, vom Job her Sportlehrerin und Dopinganklägerin aus Berufung. Das Zitat stammt aus ihrem Buch Doping-Dokumente. Es beschreibt den Sumpf des Dopings im Sport von DDR und BRD und gilt seit seinem Erscheinen als Standardwerk.
»Abartig gedrungene Monstergestalten« sind junge Frauen, die aus China stammen, Sport treiben und von denen aufgrund ihres Aussehens vermutet wird, sie nähmen, den Eringer Kampfkühen nicht unähnlich, verbotene Mittel ein. Dieses Bild von Chinesinnen hat mittlerweile auch Eingang in die juristische Literatur gefunden. George Turner, Jura-Hochschullehrer und Ex-Wissenschaftssenator von Berlin, berichtete in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« über »anabolikagetunte weibliche Ungetüme in den leichtathletischen Wurfdisziplinen« und ließ keinen Zweifel, was man mit denen machen sollte: vom Wettbewerb ausschließen und wegen Betrugs am Zuschauer zur Schadensersatzkasse bitten.
Da bei Turner der Verweis auf China fehlt, darf man vermuten, daß es sichum ein globales Phänomen weiblicher Ungetüme oder Monster handelt. Schaut man aber in den »Spiegel«, fehlt der geschlechtsspezifische Bezug. Der Leichtathlet Ben Johnson, 1988 der Einnahme anaboler Steroide überführt, ist, erfährt man da, »der erste bionische Mensch«. Er ist der »tumbe Ben«, der »schwarze Kanadier«, der »kahle Kugelkopf« mit »brennenden Augen«, der »dumme Ben mit den Kinderaugen«, er ist ein »menschlicher Roboter ... wie die Hormonkälber«.
Gegen wen, möchte man fragen, geht es denn nun? Chinesen? Schwarze? Frauen? Allen Doping-Anklägern gemeinsam ist nur ein Haßobjekt: Sportler und Sportlerinnen, die Dopingsubstanzen zu sich nehmen oder von denen man dies zumindest vermutet. Gedopte Sportler sind solche, die Arzneimittel zu sich genommen oder angewendet haben, die auf den Verbotslisten der Sportverbände notiert sind. Ob sie die Medikamente gebrauchen, weil es medizinisch indiziert ist oder weil es vermeintlich einer Leistungssteigerung dient oder beides, spielt zunächst keine Rolle.
Diese Sportler trifft der Vorwurf der Manipulation. Ihren eigentlich gesunden Körper stopften sie mit Giften voll, laborierten an der Natur herum und verschandelten mit Chemie ihren Leib, der doch an sich schön, gesund, durchtrainiert, muskulös und leistungsstark sei. Daß der menschliche Körper »immer und in jedem Fall als Abbild der Gesellschaft aufzufassen« ist, wie die amerikanische Anthropologin Mary Douglas schrieb, ist diesem Blick auf den Sport völlig fremd. Etwas Unberührt-Natürliches wird verlangt und dann analysiert und getestet, erforscht und kontrolliert, ob denn da alles mit rechten Dingen zugeht. »Sie messen den anderen, ohne es zu wissen«, beschrieben Horkheimer/Adorno diesen Typus, »mit dem Blick des Sargmachers. Sie verraten sich, wenn sie das Resultat aussprechen: sie nennen den Menschen lang, kurz, fett und schwer. Sie sind an der Krankheit interessiert, erspähen beim Essen schon den Tod des Tischgenossen, und ihr Interesse daran ist durch die Teilnahme an seiner Gesundheit nur dünn rationalisiert.«
Gefordert wird ein menschlicher Körper, der aussieht wie der Diskuswerfer in Leni Riefenstahls Olympiafilm oder wie ein Athletenkorpus, der von Arno Breker in Stein gehauen wurde – mit nur einem Unterschied: Das Bild des Reinen und Natürlichen soll gefälligst überprüfbar sein. Der »menschliche Roboter« Ben Johnson, den der »Spiegel« ausgemacht hatte, sah zunächst aus, wie er aussehen sollte – deswegen galt er auch bis zum Tag seiner Doping-Ertappung als schöner Mann – , aber der Urin war nicht rein, die Werte waren nicht in Ordnung. Der Mensch Johnson hielt einer Überprüfung nicht stand und war fortan auch als Athlet nicht mehr geduldet. »Der Körper wird als Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen«, beschrieben Horkheimer/Adorno dieses Phänomen, »und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt.« Anders gesagt: Schön ist er zwar immer noch, der Herr Johnson, aber nachdem man weiß, daß die Schönheit keine natürliche ist, sondern irgendwie ›gemacht‹, mit Substanzen, die nicht Mutter Natur, sondern der arbeitsteiligen Gesellschaft entspringen, gilt er nicht mehr als schön, ja nicht mal mehr als Mensch, sondern als ein »kahlköpfiges Muskelmonster«, wie die »Taz« formulierte.
Die Ambivalenz, die Horkheimer/Adorno herausfanden, verwirrt nicht – schließlich weiß der deutsche Fernsehzuschauer, daß »wahre Reinheit mehr ist als Flecken rauswaschen«. Sie darf also nicht nur sauber erscheinen, sie muß porentief sein und sogar dem Knotentest standhalten. Wehe daher, wenn man bei Ben Johnson oder Katrin Krabbe etwas sieht, das man nicht sehen möchte, oder sich die Vermutung aufdrängt, da sei etwas, was nicht da sein dürfte. »Das sieht man klar im Gesicht, daß die Krabbe dopt«, erkannte der Vorsitzende der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Sportbundes (DSB), Hans Evers.
Herr Evers meinte in Pickeln, die bei der Leichtathletin Krabbe im Gesicht zu erkennen waren, einen Doping-Beweis zu erblicken. Als Krabbe, ähnlich wie Johnson bis zum Zeitpunkt der ersten Doping-Anschuldigung als Schönheit geltend, erstmals in Verruf geriet, warf man ihr vor, den Urin, den sie bei der Dopingprobe zu lassen hatte, gefälscht zu haben. Das war 1991.
Ein Kontrolleur des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) war der Trainingsgruppe auf die Bahamainsel Paradise Island nachgereist. Eines Abends hatte er sich beim Abendessen am Hotelbuffet vorgestellt und Frau Krabbe gebeten, ihm zur Toilette zu folgen. Sie hatte abgelehnt und den Rest des Abends lieber in einer Diskothek verbracht. Der »Spiegel« wußte, warum: Sie brauchte Zeit, »um wieder clean zu werden«, die »FAZ« sprach vom »attraktiven Berufsbild Doping-Kontrolleur«. Auf die Idee, daß Männer, die im Hotel Frauen auffordern, ihnen zur Toilette zu folgen, um sie dort beim Urinieren zu beobachten – »Knie-an-Knie«, wie es die Durchführungsbestimmungen für Dopingkontrollen bei Sportlerinnen verlangen – , achtkantig aus dem Hotel geschmissen werden sollten, kam keiner.
Wochen später gab es Hinweise, daß es bei einem anderen Trainingslager, das im südafrikanischen Stellenbosch stattfand, zum Vertauschen oder Manipulieren des Athletinnen-Urins gekommen sein könnte. Grund genug für Hans Evers, gynäkologische Untersuchungen für verdächtige Sportlerinnen zu fordern. Schließlich könne man trotz des »Knie-an-Knie«-Pinkelns nie ausschließen, daß mittels eines in die Scheide eingelassenen Präservativs Fremdurin transportiert würde, den die gerissene Athletin bei der Kontrolle dann ins Laborfläschchen laufen ließe.
Der gewagte Zwangsgynäkologie-Vorschlag kam nicht durch. Statt dessen erhob sich kurze Zeit später ein neuer Vorwurf gegen Katrin Krabbe. Sie hatte – das gab sie sofort zu – ein Asthmamittel mit der Substanz Clenbuterol eingenommen. Das Medikament stand zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Dopingliste. Krabbe und ihre Kolleginnen wurden gleichwohl von zuständigen Sportgerichten dazu verurteilt, ihren aktuellen Beruf – Profisportlerin – für die Dauer von drei Jahren nicht mehr ausüben zu dürfen. Das Urteil des DLV warf ihnen vor, sich einer »sportwidrigen Leistungssteigerung« bedient, »Verstöße gegen die anerkannten Grundsätze sportlichen Verhaltens begangen« und sich damit »Handlungen, die geeignet sind, das Ansehen des DLV zu schädigen«, schuldig gemacht zu haben. Zur Begründung hieß es: »Ein Sportler, der ... keine Hemmungen hat, ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ohne ärztliche Indikation einzunehmen ... verliert seine Vorbildfunktion und Glaubwürdigkeit, für einen sauberen Sport einzutreten.« Berufsverbot für schlechte Vorbilder. »Als ob die Behandlung seines Körpers jedes einzelnen Sache selber wäre«, bemerkte Adolf Hitler zu dieser Frage, und seine Antwort scheint bis heute gültig zu sein.
An die Ideologie des natürlichen, unverdorbenen und von keinem Mittelchen getrübten Sportlerkörpers schließen sich zwei Fragen an. Warum schlucken die Athleten allerlei Mittelchen? Und: Was passiert, wenn sie ertappt werden, wie wird so etwas justitiabel? Letzteres ist leicht zu beantworten und wurde am Beispiel Krabbe vorexerziert. Die Sportverbände nutzen ihre eigene Gerichtsbarkeit, um Urteile durchzusetzen. Sie können das, weil sie das Monopol auf Leistungssportausübung besitzen. Ob das bis zum Berufsverbot gehen darf, wird zur Zeit im Krabbe-Revisionsverfahren erörtert.
Aber zur Motivation, gerade bei Sportlerinnen, braucht es eine eigene Theorie, und hier hat sich der »Spiegel« mit einem besonders originellen Vorschlag verdient gemacht: die sexuelle Hörigkeit. Über einen Leichtathletiktrainer las man da, daß er »seinen Schützlingen eine Rundum-Betreuung zukommen (läßt). Den durch die Hormongaben stämmig und männlich wirkenden Mädchen gibt er das Gefühl, auch als Frau noch begehrt zu sein ... Der Trainer war nacheinander mit«, hier folgen drei Namen von Frauen, denen noch nie Doping nachgewiesen wurde, »liiert«. Oder: Ein Informant des »Spiegel« hatte in Trainingslagern »mitbekommen, wie die Kollegen Bundestrainer auch eine Form von sexueller Hörigkeit zur Leistungsmotivation nutzten. Da wurde der ›Spaß im Bett‹ schon mal ›als Belohnung eingesetzt‹, um die Sportlerinnen an sich zu binden.«
Tumb und häßlich sind sie, die Sportlerinnen, lernt der »Spiegel«-Leser, und gäbe es nicht abgefeimte Trainer, die noch nicht mal vor einer zweckgebundenen Liaison zurückschrecken, hätten diese, wie man der Fachliteratur entnehmen darf, »abartig gedrungenen Monstergestalten« bzw. »anabolikagetunten weiblichen Ungetüme« gar keine Sexualität. Bekämen keinen Mann ab, sagt der Volksmund.
Menschen, so darf man in diesen vorolympischen und also an Dopingenthüllungen nicht armen Monaten folgern, sind gedopte Sportler und Sportlerinnen jedenfalls nicht. Wenn vielleicht auch nicht gleich Monster oder Ungetüme, dann sind sie doch vergleichbar mit den Eringer Kampfrindern. Die benehmen sich nämlich auch, wenn man den Tierschützerhinweisen Glauben schenken darf, unnatürlich, ja fast menschlich, denn sie fressen, was sie wollen bzw. was da ist, statt daß sie nach natürlicher Leistungssteigerung streben.
Aber: Haben nicht auch die Eringer Kampfrinder ein Recht auf Rausch?