Typisches Argument aus Schwurbler- und Homöopathie-Ecke, fehlt jetzt nur noch "wer heilt hat recht" ....

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Wenn es eine wissenschaftlichen Konsens oder zumindest gut begründetete wissenschaftliche Hinweise gibt, dass eine Maßnahme nicht wirksam ist und Du glaubst, etwas anderes zu beobachten, ist die mit großem Abstand wahrscheinlichste Erklärung nicht etwa die, dass es bei Dir anderes ist, sondern ganz einfach die, dass deine Beobachtung verzerrt ist! Dass zwei Ereignisse zeitlich in einem Zusammenhang auftreten, heisst nämlich nicht, dass eine Kausalbeziehung zwischen ihnen besteht. In der Selbstbeobachtung ist es nahezu unmöglich, solche Kauslabeziehungen zu identifizieren, weil man nicht in Lage ist, alle mögliche Erklärungsvariablen zu erkennen und zu kontrollieren.
Du hast den Ansatz der "Evidenzbasierten Medizin" falsch verstanden. Der besteht nämlich zunächst darin, den Falsifikationismus zur ausschließlichen Grundlage zu machen. Wie
@Facette bereits schrieb:
Eben, weil diese nicht perfekt ist, immer nur einen gewissen Meinungsstand abbilden kann und sich weiter entwickelt.
D.h. es gelten die jeweiligen Standpunkte zu einzelnen Fragen jeweils nur "vorläufig", bis zum Beweis des Gegenteils sozusagen. Das allein wäre nicht einmal schlimm, in der Chemie, Physik usw. arbeitet man heute sehr ähnlich, und die Ergebnisse sind trotzdem sehr verläßlich. Das liegt unter anderem daran, daß dies sehr alte Wissenschaften sind, deren Erkenntnisse durch die Anwendung in der Produktions milliardenfach bestätigt wurden, bevor der Falsifikationismus sich auch dieser Wissenschaften "annahm".
Daß sich diese Wissenschaften so gut entwickelt haben, liegt unter anderem daran, daß sie der analytischen Betrachtungsweise sehr gut entgegenkommen, daß also Zusammenhänge zwischen wenigen Größen bzw. Sachverhalten herausgelöst untersucht werden konnten ("ceteris paribus"), aber auch daran, daß die früheren Wissenschaftler nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch, kreativ und mit viel Phantasie begabt waren. Sie dachten sich in die Dinge hinein und versuchten so, Erklärungen zu finden. Diese wurde von ihnen genauso akribisch und gewissenhaft auf ihre Beweisbarkeit und Gültigkeit untersucht, wie dies die heutige Wissenschaft tut, alleiniger Unterschied war ihr Bedürfnis, auch hinter die allerletzten Ursachen zu kommen und ihre Phantasie.
Sowas wird von den heutigen Wissenschaftlern, mit allen voran von Medizinern als "spekulativ" abgetan und bereits im Ansatz "erstickt".
Die heute überwiegend betriebene Methodik in der Medizin besteht darin, relativ grobe Unterschiede in der Wirksamkeit von Heilmitteln, darunter weitaus überwiegend Medikamenten, mit statistischen Methoden zu vergleichen. Neue Theorien werden bei dieser Methodik bildlich gesprochen "durch einen Filter geschickt". Dieser Filter ist sehr gut (und funktioniert trotz des ständigen Drucks und der finanziellen Macht der Pharma-Konzerne überwiegend gut), aber die Frage ist doch: Kann ein Filter - sei er auch noch so gut - die Qualität dessen, was oben in ihn hineingegeben wird, erhöhen? Die Antwort ist nein! Da die Wissenschaftler heute gar nicht erst dazu angehalten werden, ihre Phantasie, ganzheitliche Fragestellungen, Fragen nach dem Sinn und Zweck der Körperfunktionen, Erklärungsansätze der Naturheilmedizin und der "alten", mündlich überlieferten Medizin einzubeziehen, ist also bereits das "Ausgangsmaterial" der Hypothesen qualitativ minderwertig.
Unter anderem diese und viele andere Mechanismen im heutigen medizinischen Wissenschaftsbetrieb haben dazu geführt, daß man auch heute auf 90 % aller medizinischen Fragen von Medizinern die Antwort bekommt: "Das ist noch zu ungenügend verstanden."
Daß dies so ist, liegt aber eben auch an der hohen Komplexität der Funktionsweise unseres Organismus, aber auch an der hohen
Genialität der gefundenen Lösungen. Wichtig ist an dieser Stelle, daß diese Genialität heute weitgehend entweder abgetan, geringgeschätzt oder schlicht nicht gesehen wird (also nicht einmal nur ignoriert, das wäre ja noch ein bewußter Akt!).
Daß wir uns nicht mißverstehen:
- Ich schreibe dies alles als überzeugter Atheist, möchte hier also niemanden überzeugen, hier das Wunder göttlicher Schöpfung zu erkennen (ich habe aber auch nichts dagegen). Ich erwarte nur von einem Mediziner, der als solcher wahrgenommen und anerkannt werden will, daß er Demuth, Ehrfurcht und Bewunderung für das, was die Natur macht, mitbringt. Ohne dem geht es nicht in der Medizin! Statt dessen finden wir Überheblichkeit ("Götter in weiß" kommt nicht von ungefähr) und Ignoranz.
- Ich bin auch kein Anhänger der "Naturheiler". Im Gegenteil, die sind mir größtenteils außerordentlich suspekt und weisen oft auffällige faschistoide Tendenzen auf.
Ich denke nur, daß wir
- mit unsere "tollen evidenzbasierten Erkenntnissen" sehr, sehr vorsichtig sein sollten und
- nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur arbeiten müssen.
Was hat das nun (noch) mit dem Thema zu tun?
Antwort: Wenn
@pjotr bspw. schreibt
In der Selbstbeobachtung ist es nahezu unmöglich, solche Kauslabeziehungen zu identifizieren, weil man nicht in Lage ist, alle mögliche Erklärungsvariablen zu erkennen und zu kontrollieren.
dann muß man ihm entgegenhalten: Bei der oben beschriebenen desaströsen Verfassung der Medizin, ist diese erst recht nicht in der Lage, die vielfältigen Beziehungen zwischen "allen möglichen Erklärungsvariablen zu erkennen".
Ein weiterer außerordentlich wichtig Punkt in diesem Zusammenhang: Die auf Stochastik beruhenden Überprüfungsmethoden sind überhaupt nicht in der Lage, Kausalbeziehungen festzustellen. Stochastik kann immer nur Koinzidenz prüfen, niemals Kausalität!
Auf der anderen Seite - insoweit muß man dann wiederum Pjotr recht geben - unterliegen die "Eigenbeobachtungen" des Patienten dem Einfluß zahlreicher "Störgrößen" und Täuschungen. Daß die, wie Pjotr dann betonen zu müssen meint, ebenfalls "wissenschaftlich" bewiesen sind, ist ziemlich uninteressant, denn sie liegen doch klar auf der Hand: Solche Dinge wie "Bias", die Überbewertung von mal positiven, mal negativen Erfahrungen kennen wir alle, last but not least wissen wir alle, daß wir uns gerne "was in die Tasche lügen" - erst recht der hoffende, bangende leidende Patient! Ja! Aber dazu brauchen wir nicht die Erkenntnis von dreimalneunklugen Möchtegern-Wissenschaftlern, das wissen wir bereits, dankeschön!
Was nun tun?
Meine Meinung:
- Patient und Mediziner müssen zusammenarbeiten. Die Erkenntnisse der Medizin und die - ja!, subjektiven - Erfahrungen der Patienten (was sollen die denn bitteschön anderes sein, als subjektiv?!) müssen zusammengeführt werden. Das ist ein außerordentlich komplizierte, widersprüchlicher Prozeß, für den unsere Ärzte nicht annähernd ausreichend ausgebildet sind.
- Die Medizin bekennt sich mittlerweile offiziell seit mind. 15 Jahren zur "Patientenexpertise". Ja. Offiziell. Im Alltag spielt dies, wenn man mal von dem aufopferungsvollen Wirken von "Landärzten" wie unserem @bergdoc und vielen, vielen anderen "guten", weil dem Patienten zugewandten Ärzten absieht, keine Rolle.
- Das liegt nicht überwiegend an fehlendem Willen, sondern auch an den fehlenden Voraussetzungen. Deshalb: Die Medizin muß wie übrigens die Mehrzahl der anderen Wissenschaften wesentlich besser materiell ausgestattet werden und die Ausbildung muß um Welten verbessert werden!
- Der Einzelne Arzt muß natürlich auch seinen Teil dazu beitragen: Es muß schluß damit sein, daß "junge Schnösel" ohne wesentliche Lebenserfahrung über die Einwände und Fragen von Menschen, die ihr Leiden bereits Jahrzehnte mit sich herumtragen, hinweggehen und unter Zusammenarbeit von Arzt und Patient ausschließlich die "Compliance" des Patienten, also schlimmstenfalls, daß dieser "brav seine Pillen schluckt", verstehen.
- Es müssen aber auch Methoden an die Hand gegeben werden, Patienten-Erfahrung auf der Grundlage der evidenzbasierten Erkenntnisse einfließen zu lassen. Dazu eine Überlegung: Da die Erkenntnisse auf Statistik beruhen, also erstmal nur in der Masse zutreffen, muß der Arzt gezielt dazu ausgebildet werden, zu erkennen: liegt hier der statistische Durchschnittsfall vor, oder muß ich die Studien, die ich dazu (hoffentlich) gelesen und hoffentlich auch verstanden habe, auf die Hinweise untersuchen, an welchen Stellen bspw. eine weitere Untersuchung an Teil-Kollektiven empfohlen wird. Eine gute Studie enthält nämlich solche Hinweise!! Nochmal: Das darf nicht der Gewissenhaftigkeit des einzelnen Arztes überlassen sein, dazu muß er angeleitet, angehalten und ausgebildet werden.
Habe fertig.