AW: Oberhausen
Ich hätte eigentlich auf der Loveparade als Notärztin Dinest gehabt. Hab mich mit meinem Urlaub rausgeredet, weil wir eigentlich übers Wochenende wegfahren wolltn.
Hatte letzten Donnerstag fast ein schlechtes Gewissen, als unser Einsatzleiter anrief, weil sie noch Ärzte suchten. Ich hab einfach keine Lust gehabt auf einen Tag mit en Kindern zu verzichten.
Die Hälfte der Einsatzkräfte die direkt vor Ort waren, gehörten zu meiner Bereitschaft. Alles gute Bekannte von mir...Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, weil ich nicht dort war, oder ob ich ein schlechtes Gewissen haben soll, weil ich mich gedrückt hab.
Ich habe in der Tat erst jetzt und hier von den Ereignissen erfahren. Urlaub, schon lange keinen Fernseher zu haben, dafür aber ein seit Wochen kaputtes Radio, erklären meinen Informationsrückstand.
Veranstaltungen schlagen meist unvorhersehbar und plötzlich den Weg in die Katastrophe ein und selbst, wenn erste mahnende Stimmen schon Tage zuvor anklangen, mußt Du Dir wirklich keine Vorwürfe machen, denn soviel Schlimmes ahnende Intuition ist Dir nicht abverlangt. Du bist auch keine Hellseherin, konntest also nicht wissen, wie es enden würde.
Deine Geschichte erinnert mich an eines meiner Erlebnisse im Roten Kreuz, dem ich eine ganze Weile angehörte. Zu den Theaterwachen war ich immer gerne gegangen, zwar hatten wir immer die schlechtesten zwei Plätze, die man sich nur vorstellen kann, dafür war der Eintritt frei. An einem Abend fühlte ich mich nicht nur krank, sondern war es auch (es hatte sich später als der Beginn einer Magen-Darm-Erkrankung herausgestellt) und so bat ich meinen Bereitschaftsführer, Ersatz für mich zu suchen. Es fand sich eine der für diese Fälle immer bereiten Schwesternhelferinnen, die mich gegenüber meinem Kameraden vertrat. Die Wachen mußten immer mit zwei Einsatzkräften besetzt werden und so hielten sich die "grauen Mäuse", wie wir sie wegen ihrer mausgrauen Tracht nannten, immer in Bereitschaft. Während der Vorstellung geschah das, was über jeder Theatherwache wie ein Damoklesschwert schwebte, als ein stark übergewichtiger Mann kollabierte. Ob wir ihn mit Herz-Lungen-Wiederbelebung vor dem Eintreffen des Notarztes hätten ins Leben zurückgerufen können, weiß ich nicht, nicht einmal, ob ich es geschafft hätte, ihn mit der Hilfe meines Kollegen aus den Stuhlreihen hervorzuzerren, sicher aber hat die Schwesternhelferin, die mich vertrat, kaum etwas ausrichten können. Die Umstände im Opernhaus waren damals mehr als bedenklich, die Lüftung nicht der Rede wert, die Stuhlreihen eng - Tragödien wie diese beinahe vorprogrammiert.
Ein Jahr später bin ich dann mit nach Spitak/Nordarmenien gefahren und bereue es bis heute. Helfen habe ich nicht können, dafür sind mir die schlimmen Eindrücke bis heute unvergessen geblieben. Ich fühlte mich damals gehalten, mitzufahren, habe aber eigentlich nur zusehen können und Bilder mitgenommen, die ich sehr gerne aus meinem Gedächtnis löschen würde.
Ich hatte damals zu der Überzeugung gefunden, daß man nicht eine schmächtige Schwesternhelferin als Vertretung hätte bestellen dürfen. In Deinem Fall ist es von Anfang an klar: Du hattest Ferien, konntest das Kommende nicht vorhersehen, hast Dir nichts vorzuwerfen.
Grüße