Ich fahre zwei Räder mit zwei völlig unterschiedlichen Freiläufen. Auf dem Gravel schreit der trockene und gepimpte
Mavic iD360 wie ein kaputter Presslufthammer, auf dem Rennrad dagegen schnurrt der Campagnolo Levante so leise, dass selbst Katzen neidisch werden. Beide Räder tragen selbstverständlich eine
Klingel, denn ich bin ja gesetzestreu. Und ob ich nun mal dezent mit dem Freilauf rassle oder eine dieser Klingeln betätige, die erstaunlich laut klingen, wenn man sie aus ihrem Versteck befreit – es gibt praktisch keine negativen Reaktionen. Eigentlich nie. Und das in Hannover, Langenhagen, dem Landstrich, in dem man schon als Radfahrer misstrauisch beäugt wird, wenn man es wagt, Luft zu atmen.
Doch dann gibt es diese Ausnahme. Die Kopfsenker. Immer mit Smartphone in der Hand, am besten noch mit einem Hund im Schlepp, vorzugsweise einer vier Meter langen Leine, die aussieht wie eine gespannte Stolperfalle aus einem „Kevin allein zu Haus“-Film. Da könnte ich mir auch eine Vuvuzela aus dem WM-Finale 2010 ans Rad schnallen oder eine komplette Blaskapelle engagieren, es würde nichts nützen. Diese Menschen haben sich offenbar geschworen: „Egal was kommt, ich gehe hier keinen Schritt zur Seite. Hier und jetzt verteidige ich meinen Standstreifen gegen jedes Lebewesen, notfalls bis zum Tod.“
Letzte Woche wieder so eine Begegnung der dritten Art. Ich rolle als böser, schwarzer Rennradfahrer die Straße entlang, während am Gehweg ein Typ mit hängendem Kopf auf sein TikTok starrt und sein Listenhund-Welpe beschließt, jetzt sofort Suizid zu begehen. Höchstwahrscheinlich hatte das Tier kein Bock mehr auf Herrchen, der mehr mit dem Handy beschäftigt ist, als mit dem Hund selber. Das Tier springt mit der Eleganz eines Kamikazefrosches mitten vor mein Rad, die Leine gespannt wie ein Tripwire, Herrchen völlig ungerührt – wahrscheinlich gerade dabei, den Hashtag #cutedoggo zu setzen. Da hilft keine
Klingel, kein Freilauf, da hilft nur ein beherzter Schlenker, um den kleinen Kerl nicht als dekorativen Asphalt-Aufkleber enden zu lassen.
Aber wie gesagt: Das sind die Ausnahmen. Im Großen und Ganzen funktioniert mein System –
Klingel, Stimme, Danke – hervorragend, sogar hier im rauen Hannover, wo man gemeinhin glaubt, Radfahrer hätten den sozialen Status von Parkkrallen. Wer sich hier behaupten kann, braucht keine Alpenüberquerung, kein Trainingslager auf Mallorca. Wer hier mit
Klingel und Freilauf überlebt, ist fürs restliche Deutschland bestens abgehärtet.