Geht es tatsächlich nur darum zu sehen, ob unsere alten Räder nach der Auktion in Wien höhere Preise erzielen? Hoffentlich nicht, und zwar im doppelten Sinn: Zum einen möchte ich, dass man alte (Renn-)Räder auch ohne den Dauerbezug auf ihren möglichen Wiederverkaufswert sieht, zum anderen würde ich mich freuen, auch weiterhin günstig Räder kaufen zu können.
Werteinschätzungen, erzielte Erlöse und Marktwert unterliegen einer Reihe von Faktoren. Dass Picassos "Les Femmes d'Alger" für 179 Millionen Dollar verkauft wurde, sagt weder etwas aus über den künstlerischen Wert des Bildes noch über den künftigen Verkaufspreis. Sicher ist einzig, dass es im Mai 2015 einen Interessenten gab, dem das Bild 179 Millionen Dollar wert war. Sollte sich in der Gesellschaft ein Konsens bilden, dass Gemälde weder ästhetisch noch finanziell attraktiv sind, sinkt ihr Wert auf null. Wert unterliegt Moden, Strömungen,
hype, psychologischen Faktoren. Angebot und Nachfrage kommen hinzu, bis am Ende der erzielte Preis entsteht.
Aktuell werden im Bereich alter Rennräder die folgenden zu hohen Preisen gehandelt:
- Räder von noch bestehenden Firmen, deren aktives Marketing positiv auf gebrauchte Räder abfärbt, z.B. Bianchi, aber auch Specialized.
- Räder aus kleinen Handwerksbetrieben: Rickert, Flema (Fritz Fleck), etc.
- Italienische Räder großer und kleiner Hersteller, vor allem solche, die vermeintliches oder tatsächliches italienisches Flair verbreiten, z.B. durch reichlich „bling“ (Chrom, fein gefeilte Muffen, Gravuren, Pantographien).
- Räder mit deutlichen Alleinstellungsmerkmalen, etwa von Zeus: Rahmen und Komponenten alle vom selben Hersteller.
- Räder, denen geschichtliche Bedeutung beigemessen wird (DDR-Diamant), die einen berühmten Vorbesitzer hatten (Merckx, Thurau, Embacher ;-) oder ein bekanntes Rennen hinter sich haben (Tour de France, Friedensfahrt). Hier ersetzt die narrative das Marketing.
Zum Teil überlappen die o.a. Kriterien (etwa „Italien“ und „kleiner Handwerksbetrieb“). Überdies variieren die Preise je nach Land beträchtlich. So gibt es in Deutschland ein relativ gutes Angebot von günstigen und sehr gut fahrbaren Rädern im unteren und mittleren Preissegment, dazu gehören u.a. in Japan hergestellte Fabrik-Rennräder (z.B. Bridgestone, Nishiki, Centurion und Univega aus den 1980/90ern), die von deutlich besserer Qualität sind als z.B. die gleichalten Rosteimer von Dancelli, aber dennoch nur niedrige Preise erzielen. (Ausnahme, dank Marketing und Nostalgie-Käufern: Koga-Miyata. Koga-Miyatas sind hierzulande teurer als ihre japanischen Zeitgenossen. Umgekehrt erzielen Bridgestone-Räder in den USA höhere Preise als in Europa, was nicht nur an der soliden Qualität liegt, sondern vor allem an Grant Petersen, der nach seiner Zeit bei Bridgestone Cycle U.S.A. mit Rivendell seine eigene Marke etabliert hat.)
Witzigerweise kommt ein Segment kaum zum Tragen, das ich sehr schätze und als „Labelware“ bezeichnen möchte. Damit meine ich
bike boom-Räder, die aus den großen Fabriken kamen und über Versand- und Kaufhäuser vertickt wurden. Mich amüsieren Räder von Mars (Quelle) und Gironelli (Neckermann), vor allem, wenn sie, wie mein feuerrotes Mars aus den 70ern, als „Udo Hempel-Edition" vermarket wurden. In Frankreich war dieses Phänomen deutlich ausgeprägter, und es gibt wohl keinen halbwegs bekannten französischen Rennradfahrer, der nicht wenigsten ein Sondermodell nach ihm benannt hat. Ich besitze u.a. ein lila „Louison Bobet“ und ein „R. Lapebie“ in knallorange. Diese Räder sind von durchschnittlicher Qualität, fahren aber meist besser als man vermutet. Viele haben ihren Vorbesitzern jahrzehntelang gute Dienste geleistet.
Gesammelt werden diese Räder nicht, denn sie sind weder artisanal noch besonders fein gemufft. Sie landen im Sperrmüll. In ein paar Jahren werden diese Räder die wirklich seltenen sein, ein Stück Rad-, Industrie- und Marketinggeschichte, um das sich leider niemand gekümmert hat, auch Embacher nicht.
Udo Hempel radelt für Deutschland und Quelle, auf einem klassischen Stück "Labelware", der "Udo-Hempel-Edition".