Vito Leone
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Edit: ahh klar. Ich weiß schon wieso... schaut mal aufs heutige Datum![]()
Ha! Wie passend! Jetzt wird mir so einiges klar

Heute morgen MdRzA:
Für die Fahrt zur Arbeit greife ich mir aus dem Schrank das Trikot, auf dessen Rückentasche die 13 kopfüber aufgedruckt ist. Dann pumpe ich noch, wie die letzten Morgenden bereits auch schon, mein Hinterrad wieder nach, weil es über Nacht erneut viel Luft verloren hat. Da ist etwas im Argen und ich sollte mir die Sache wirklich mal näher ansehen. Aber nicht jetzt. Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Für heute wird das Nachpumpen reichen.
Und dann geht es mit dem Rad raus. Blauer Himmel und Sonnenschein. Die Luft ist schon leicht klebrig warm. Wie ich auf die Straße fahre, da schreien schrill die Mauersegler auf ihrem wilden Flug zwischen den alten Bruchsteinhäusern und als ich an der Kirche vorbeifahre, machen die ersten Acht-Uhr-Schläge der Kirchturmglocke den Mauerseglern Konkurrenz. Die Glockenschläge werden leiser, die Mauersegler schreien weiter, bis ich den Ort verlasse. Dann rauscht nur noch leise der Fahrtwind an meinen Ohren vorbei. Die warme Luft riecht nach dem trockenen, gemähten Grasschnitt auf den Wiesen. Belgien!, gibt mir Herr Leone im Kopf die Route vor, und dem stimme ich gerne zu.
Es gibt keinen Grund zu übertriebener Eile. Der Brustgurt für die Pulsmessung liegt zu Hause, weil er die letzten Tage eh nur sporadisch gemessen hat. So lange ich trete, ist sich Herr Leone sicher, so lange habe ich Herzschlag, und auch ohne Brustgurt kann man Rad fahren. Es gibt einfach nur keine Zahlen am Cockpit, an denen ich versucht wäre, mein Tempo auszurichten. Und so rolle ich im gemütlichen Tempo durch die jetzt schon schwülwarme Sommerluft.
Auf der abschüssigen, engen Dorfhauptstraße muss ich an die gestrige Situation denken. Wie mich hier der Autofahrer im Gedränge noch ganz dringend überholen musste und dann vor mir in meinen nicht üppigen Sicherheitsabstand zu dem vor mir fahrenden Auto einscherte, um dann sogleich so richtig in die Eisen zu steigen, weil... ja, es war doch absehbar, dass die gut sichtbare Müllabfuhr auf der Gegenfahrbahn wegen der parkenden Autos den Verkehr in beide Fahrtrichtungen aufstauen würde. "Ja, DAS war clever! Da haste jetzt so RICHTIG profitiert!", habe ich ihm durch die geschlossenen Scheiben in seine Blechkiste gerufen, als ich mich zwei Sekunden später wieder rechts an ihm vorbeischlängelte.
Heute rolle ich die Dorfhauptstraße runter. Alles total entspannt. Keine Müllabfuhr, kein Verkehr. In der Senke mahnt die Geschwindigkeitsmesstafel mit einem roten "trop vite" und zeigt eine heiße Zweiundfünfzig. Wirklich zu schnell für den Ortskern, ja, aber einfach viel zu schön und schöner, als hinter einem erziehenden Dreißigfahrer herzuzuckeln. Gleich im Gegenanstieg, wo es wegen der Schulkinder wirklich angebracht ist, ist der Schwung eh verpufft.
Ich mag diese Belgien!-Route. Eine Flow-Strecke, auf der man es einfach rollen lassen kann. Wenn da nur nicht das kurze Stück auf der kerzengeraden, welligen Überlandstraße wäre. Die Autofahrer sind hier zwar eigentlich immer entspannt, aber trotzdem merke ich, wie ich hier immer mit mehr rechne.
Wann überholt er denn endlich, denke ich heute, wie das Tuckern hinter mir kein Ende nimmt. Es ist ein Traktor, sehe ich im Augenwinkel. Jedes Mal, wenn die Strecke frei ist, bin ich wohl zu schnell für ihn, und wenn ich langsamer bin, ausgerechnet dann kommt Gegenverkehr. Und so tuckert er mit angenehmem Abstand geduldig hinter mir her. Das fühlt sich so lange an, dass ich ihm für seine Geduld danken möchte, indem ich bei der nächsten Gelegenheit kurz auf den Bordstein ausweiche.
Bei der nächsten Einmündung kommt eine Bordsteinabsenkung, die mein Vorderrad ohne viel Aufsehens nimmt, aber gleich darauf schlägt mein Hinterrad auf eine hier im Schatten verborgene Kante auf. Mit einem lauten, kräftigen Zischen entweicht schlagartig die Luft aus dem Reifen. Ich fluche. Der Traktor tuckert an mir vorbei und biegt hundert Meter weiter nach links ab. Und dafür habe ich jetzt Platz gemacht und mir den Schlauch kaputtgefahren?
Du bist ein guter Mensch, versucht mich Herr Leone in meinem Kopf zu beschwichtigen. Ja, aber hat sich das jetzt dafür gelohnt?, erwidere ich ihm. Der Fahrtwind ist weg und ich merke, wie mir der Schweiß jetzt in Strömen herunterläuft. Die Sonne ist grell und beißt, der Schweiß läuft und es ist viel zu heiß! Schon jetzt am Vormittag. Und so ein richtig schöner Ort zum Flicken ist das auch nicht, wenn ständig die Autos direkt neben einem vorbeibrummen. Aber was willst du?
Einen schattigen Platz mit einer kleinen Sitzgelegenheit. Wo ich meine Sachen ablegen kann. Vielleicht ist das kleine Mäuerchen genau hier gar nicht so schlecht. Aber ich bin noch total genervt von diesem platten Hinterrad. Wie unnötig! Einfach auf der Straße weiterfahren, der Traktor biegt gleich darauf hinter mir nach links ab, und ich rolle ohne Unterbrechung bis zum Ziel durch. Selbst schuld. In meinem Frust schiebe ich das Rad weiter. Dass ich einen besseren Platz finde. Nur wo soll der sein? Wo soll der kommen?
Ein ungeschriebenes Gesetz lautet, dass man ein Fahrrad nicht schiebt. Eine Panne wird an Ort und Stelle behoben, und wenn alles wieder funktioniert, dann steigt man auf und fährt weiter. Und ich schiebe jetzt mein Rad. Ich schiebe es in der vagen Hoffnung, dass jetzt ein besserer Platz käme? Das Mäuerchen war doch gut. Aber zurück schiebe ich es jetzt auch nicht mehr. Zurück geht gar nicht. Und so schiebe ich weiter.
Das Bushaltestellenhäuschen auf der anderen Straßenseite liegt voll in der Sonne. Beim nächsten kleinen Mäuerchen auf der rechten Straßenseite schlage ich, Schatten vorausgesetzt, meine Werkstatt auf. So soll es sein. Und so schiebe ich, meine Augen suchen die Umgebung ab, Mäuerchen?, hm, Mäuerchen. Ja, das ist ein Mäuerchen. Das nehme ich.
Aber schöner als dieses Mäuerchen sind doch hinter diesem Mäuerchen die Tische und Stühle unter den Sonnenschirmen. Wie wäre es denn, schlägt mir Herr Leone vor, wenn ich einfach etwas Schönes und Angenehmes aus der Situation machen würde? Was ist schöner als Schlauchflicken? Einen Kaffee trinken. Kaffee trinken und dabei einen Schlauch flicken.
Und so bestelle ich im Residenzhof einen Kaffee und nehme an einem der vielen kleinen Tischchen platz. Warum auch nicht einfach mal Morgens auf dem Weg zur Arbeit irgendwo anhalten und in Ruhe einen Kaffee trinken? Da kommt auch schon mein Kaffee. Ich breite darum herum meine Sachen aus. Bei dieser Gelegenheit suche ich die Lauffläche des Reifens ab, denn ich habe jetzt Zeit, finde den kleinen Glassplitter darin, der mich die letzten Morgende hat immer nachpumpen lassen, wechsele danach den Schlauch, nippe währenddessen an meinem Tässchen, der Schweiß läuft zwar weiter, aber hier im Schatten unter den Schirmen ist es angenehm. Hier lässt es sich gut aushalten. Läuft, würde ich sagen.
Danach packe ich alles wieder ein, trinke den Kaffee aus, genieße noch ein paar Augenblicke die Ruhe, bevor ich mich aufmache, zahle, und dann schwinge ich mich wieder entspannt auf das Rad und rolle weiter. Schön.
Wieso ich eigentlich nicht öfter auf dem Weg zur Arbeit eine Reifenpanne hätte?, will Herr Leone von mir wissen. Warum?, frage ich zurück. Ach, meint er, einfach nur so. Das war doch wirklich eine schöne Abwechslung.