Ahh, sind wir mal wieder beim von mir schon andernorts gewürdigten Multipla angekommen. Der taucht ja immer auf, wenn hier das Thema Design zur Sprache kommt. Es folgt dann in der Regel immer noch das FFF.
Nun gut. Wenn wir uns mal wieder dem Design von Rennradkomponenten zuwenden, so ist Anfang der Achtziger in Folge der japanischen Innovationsfreude in Vicenca höchst Bemerkenswertes geschehen:
Mit Victory und Triomphe als letztes Aufbäumen geometrie-basierter Formgebung (Kurbelstern) und metallklotzabgeleiteter Fasenorgien (Schaltwerk) klang die orthogonale Ära aus, bei der schon selbst die Botschaft des anstehenden Tauschs eines Schaltwerkbolzens von Stahl zu Titan internationale Verzückungsschreie auslösten.
Nach Jahrzehntlanger Verfeinerung technisch grober Strukturen wurde die Freiform eingeführt. Die C-Record war eigentlich nur ein Übergang, hatte im Rückblick nichts zukunftsweisendes. Aber sie spielte neue Ansätze durch: Kurbelarm- und -stern verschmolzen,
Bremsen sahen wie Krebsscheren aus, mit verborgener Mechanik!
Oberflächen wölbten sich sanft, um sich vom Fahrtwind umschmeicheln zu lassen und die Knöchel nicht mehr zu fräsen. Wäscheleinen verschwanden an den Lenkern und Sattelstützen wurden oval. Kurz, die menschliche Physiognomie und die Aerodynamik wurden zu einer Synthese von atemberaubender bildhauerischer Ästhetik.
Dann kam die Chorus:
Meines Wissens nach war das die erste Kurbel im Low-Profile-Design. Der nun direkt geführte Kurbelarm trifft das das Kurbelauge im Fünfarm auf Vierkant, und führt keine Kräfte mehr an orthogonal verlaufenden Kurbeln spazieren.
Für die Kurbeln der folgenden Dekade war diese Chorus-Kurbel der Rohling. Bis zur Charakterlosigkeit glattgelutscht und mit C-Rekord-Anordnung-Variante des Kurbelsterns, wurden aus der noch kantigen Kurbel die Vorlage für die 9- und 10-fach Kraftzentren der Ergo-gepowerten-Gruppen.
Schöner war da keiner, aber leichter.
Die anderen Komponenten der ersten Chorus waren irgendwie noch "dazwischen" Das Schaltwerk schon schrägstehend, aber unnötigerweise einstellbar, geschaltet mit Synchros, das bei mir noch immer nicht synchron schaltet, die
Bremsen technisch aufwändiger als die Vorgänger, aber halt keine Dual-Pivot und die Naben noch mit Schraubkranz.
Für mich persönlich die innovativste und schönste Gruppe war die Athena:
Mit
Bremsen, die als eine Synthese von Raubvogel und Jet über den
Reifen schweben um so mit geradezu verschwenderischem Aluminiumeinsatz eine Skulptur der Anbetung der Geschwindigkeit zu formen.
Kurbeln, ähnlich der Croce d'Aune, die mit unglaublich schönen Freiflächenübergängen rotieren und schließlich dem ersten echten Schrägparallelogramm-Schaltwerk das Campa auf den Markt gebracht hatte.
Die später veröffentlichte Croce d'Aune hat als Highlight eigentlich nur eine verfeinerte Athena Kurbel zu bieten, der Verheiratung von C-Record (linker Arm, Finish und Materialqualität) und Athena (Kontur rechter Kurbelarm).
Das optische und technische Ende des Geradparallelogramms wurde mit dem verkopften Schaltwerk abgefeiert, indem man es aber mit feinmechanischem Getriebe zur Bewegung eines Schrägparallelogramms zwang. Irgendwann bei der Pfriemelei an diesem Schaltwerk zur Marktreife - spätestens aber bei der Beobachtung des Schaltvorgangs - hätte man doch merken müssen, dass das nicht wirklich toll ist.
Was hat das Ganze nun mit Japan zu tun:
Der Präsenzdruck durch die nun technisch höherwertigen Komponenten (DA 7400) aus Fernost muss enorm gewesen sein. Es war offensichtlich, dass
Shimano demnächst große Marktanteile übernehmen würde.
Der viel zitierte Dornröschenschlaf war zu Ende. Falls nichts geschehen gewesen wäre, hätte vielleicht die Existenz auf dem Spiel gestanden. Derartig heftige Veränderungen in der Produktgestaltung sind sehr ungewöhnlich und haben Ungewöhnliches hervorgebracht.
Gerne hätte ich mehr über die Projekte der damaligen Zeit erfahren, über die Designer, die diese neue Formsprache bei Campagnolo eingeführt haben. Ich stell mir das sehr heftig vor. Bislang hab ich dazu keine Dokumentationen gefunden.
Gewonnen haben dabei alle. In Italien sind die für mich schönsten Fahrradkomponentengruppen entstanden.
In Japan die mit der besten Funktion und vor allem damit verbunden weltweit ein enormer Komfort- und Sicherheitsgewinn für alle Nutzer des Produkts "Fahrrad".