AW: Welche Kurbellänge fahrt Ihr? - Ausg. 2
Wie einige hier schon schrieben, ist die Kurbellänge natürlich wichtig.
Problem Nr. 1: Wir kaufen ein Fahrrad, da sind meistens 170 oder 175er Kurbeln dran und wir machen uns erstmal keine Gedanken.
Problem Nr. 2: Wie alle Probleme und "Probleme", wird das Thema irgendwann von denen entdeckt, die damit ein Geschäft machen wollen. Das muß nicht schlecht sein, denn dadurch werden jetzt tatsächlich z.B. Kurbeln von über 190mm angeboten, was ich bei Körpergrößen von bis zu 210 cm für überlegenswert und erstmal gut finde. Die entsprechenden Links wurden bereits von anderen hier eingestellt.
Problem Nr. 3: Jetzt wissen wir immer noch nicht, wie man die "richtige" Kurbellänge bestimmt. Das kann im Moment auch niemand. Das heißt, wir können "gezielt" probieren.
Wie geht das?
1. Schritt: mit dem Thema befassen und verstehen, worauf es ankommt, dazu s. unten ("Gesichtspunkte zur Wahl der Kurbellänge").
2. Schritt: Wenn die Berechnungstools, Statistiken usw. nahelegen, daß man die Kurbellänge ändern sollte (auch bei Abweichungen von z.B. 2 mm), kann man, wenn man sich aus dem gesamten Kontext einen Vorteil davon verspricht, erstmal die Länge ändern. Am besten im Herbst, da ist die Form noch gut, aber man kann sich die Ergebnisse in Wettbewerben nicht versauen.
3. Schritt: Wer es konsequent machen will, sollte mit den alten Kurbeln vor dem Wechsel zwei Tests machen, über eine flache und eine bergige Referenzstrecke.
4. Schritt: Mind. 6 Wochen die anderen Kurbeln fahren, erst dann lassen sich Aussagen machen, ob es besser oder schlechter ist. Kurz nach dem Wechsel und in den letzten 2 Wochen lohnt es sich, nochmal die Referenz-Strecken-Tests zu machen.
5. Schritt: Nach den 6 Wochen steht die 1. Entscheidung an: Zur Auswahl steht: Rückgängig machen oder beibehalten. Eine weitere Veränderung zu dem Zeitpunkt kann ich nicht empfehlen.
Die Entscheidung kann dir natürlich niemand abnehmen und es fließen sehr viele Überlegungen ein. Ich persönlich würde so vorgehen:
- Ist die Leistung schlechter geworden?
-- Wenn ja, genau analysieren: Evtl. ist die Leistung am Berg geblieben und nur in der Ebene schlechter geworden, dann könnte man z.B. die alten Kurbeln wieder drauf machen, aber bei einem Bergzeitfahren die längeren.
-- Wenn nein und alle anderen Dinge: Kein unangenehmes Gefühl usw., würde ich die neuen Kurbeln dran lassen. Zur Not kann man dann, wenn man irgendwie das Gefühl hat, das passt doch nicht, 6 Wochen vor Saisonbeginn wieder die alten Kurbeln drauf machen. Das reicht, um wieder die volle Leistung zu bringen.
- Hat man ein schlechtes Gefühl dabei? Dann auf jeden Fall die alten wieder drauf.
6. Schritt: Auf jeden Fall sollte man sich 6 Wochen vor dem ersten Wettkampf die ganze Sache nochmal durch den Kopf gehen lassen. Wichtig ist, die Entscheidung wirklich auf diese zwei Zeitpunkte zu beschränken und nicht dauernd zu überlegen: Ist es doch so besser oder so? Erst recht sollte man nicht dauernd wechseln.
Gesichtspunkte zur Wahl der Kurbellänge
Kurbellänge und Körpergröße
Die Wissenschaft ist noch nicht so weit, uns genaue Tipps geben zu können, wie genau dieser Zusammenhang in Zahlen ist. Es geistern natürlich bereits Berechnungsformeln durch die Literatur und durchs Internet, aber bisher wissen wir überhaupt noch nicht, wie eng dieser Zusammenhang ist.
Daß ein Zusammenhang bestehen muß, leuchtet ohne Weiteres ein. Allerdings darf man die Anpassungsfähigkeit des Organismus nicht unterschätzen: Wenn man schon jahrzehntelang mit der "falschen" Kurbellänge fährt, sollte man sich - vor allem wenn die Empfehlungen auf eine geringfügige Änderung hinauslaufen - eine Veränderung gründlich überlegen und evtl. vergessen!
Wie gesagt, die entspr. Formeln geistern durch's Internet, das googlen überlasse ich Euch.
Kurbellänge in Abhängigkeit von den Anforderungen
Jetzt wird's etwas komplizierter.
Die Kurbellänge ist nichts anderes, als eine "andere Art Übersetzung". Jeder Mensch hat zur Erbringung einer Leistung ein optimale Kombination aus Krafteinsatz und Bewegungsgeschwindigkeit (das bezieht sich immer auf die Muskelbewegung, grob anzunähern bei uns die Umdrehungsgeschwindigkeit (Bahngeschwindigkeit) der Pedalen). Dieses Optimum ist auch von der Intensität und Länge der Belastung abhängig, lange, niedrige Leistung hat ein anderes Optimum als z.B. ein Sprint.
Hier tritt nun zusätzlich die Biomechanik auf den Plan: Wie haben eine optimale Winkelstellung des Kniegelenks. Die liegt irgendwo bei einer 60 - 80-Grad-Stellung, also dann, wenn die Pedalen ungefähr waagrecht in einer Ebene stehen. Die Kraft, die wir auf die Pedale bringen können, nimmt nach oben und unten drastisch ab.
Dieser Umstand ist wichtig, wenn wir die beiden Extreme der Leistungsanforderung betrachten: Sprint und langdauernde Ausdauerleistung.
Da wir uns bei der Ausdauerleistung weit von unserem Kraftmaximum bewegen, können wir über einen wesentlich größeren Sektor der Kurbeldrehung eine gleichbleibende Kraft auf die Pedale bringen, während wir beim Sprint möglichst nah am Optimum arbeiten sollten, um nah an der Maximalkraft zu liegen.
Zwischenfazit: Hieraus ergibt sich die erste Faustregel: Je näher die Leistung am Sprint liegt (also grundsätzlich auch bei Kriterien, Punktefahren auf der Bahn usw.), desto kürzer die Kurbel. Da diese Tendenz im Prinzip bei fast allen Bahndisziplinen gilt, fahren die meisten Fahrer auf der Bahn kürzere Kurbeln. Das wird aber meistens nicht reflektiert, sondern einfach "gemacht, wie's der Trainer" sagt, häufig sind das dann Kombinationen wie 170/165 oder 175/170 (Straße/Bahn).
Nun zurück zur Übersetzung: Eine längere Kurbel entspricht einer kleineren Übersetzung. In einfachen Zahlen (diesen extremen Wechsel würde ich nicht empfehlen, ist nur, weil die Zahlen anschaulicher sind): Du tauscht deine 170er Kurbeln gegen 180er. Nun fährst du einen Berg hoch, den du normalerweise mit einem 18er Ritzel fährst. Du könntest jetzt auf den17er schalten, Ergebnis:
Die Bahngeschwindigkeit der Pedalen wäre exakt gleich, betrachtet man ausschließlich die Übersetzung, wäre das "dasselbe".
Diese Anpassung hat man schnell raus, man fährt also tendenziell mit 0,5 Zähnen kleineren Ritzeln (entspr. ca. 2,5 mm Kurbellängenänderung).
Damit wäre das Thema Übersetzung eigentlich abgehakt, aber biomechanisch und physiologisch (d.h. letztlich sogar bis in die Konsequenzen für den Stoffwechsel) ergeben sich gravierende Konsequenzen:
1. Man muß den "längeren" Tritt lernen. Die Fähigkeit, eine gleichbleibende Kraft über einen großen Ausschnitt des Tretzyklus zu erbringen, zeichnet ohnehin den guten Bergfahrer wie den guten Zeitfahrer aus. Wer das gut kann, dem kann man zu längeren Kurbeln, soweit dies durch die Körpergröße (Schrittlänge) geboten ist, raten.
2. Die Trittfrequenz ändert sich bei konstanter "Gesamtübersetzung" (gemessen an der Bahngeschwindigkeit der Pedalen). Und damit ändern sich auch die Erholungszeiten. Tendenziell ist das erstmal gut, denn die längeren Kurbeln bedeuten ja: "dickere Übersetzung" und damit geringere TF. Doch: Mit der geringeren TF ändert sich ja auch die Belastungszeit. Hinzukommt, daß durch den längeren Tritt die Anforderungen an die Erholung größer sind. Wäre nun die notwendige Erholungszeit proportional zur Belastungszeit, wäre das Thema durch, man würde von einer Verlängerung der Kurbeln über das durch die Körpergröße gebotene Maß hinaus abraten. Ganz offensichtlich ist dies aber nicht der Fall, insofern ist die verringerte Trittfrequenz - in Grenzen,d.h. in Maßen! - ein Argument für eine Verlängerung der Kurbeln bei langdauernden Ausdauerleistungen.
Zusammenfassung
Wer außergewöhnlich lang oder kurz ist, sollte über eine Änderung der Kurbellänge nachdenken.
Wer erwägt, eine darüber hinausgehende (vor allem Verlängerung) der Kurbeln vorzunehmen, sollte die Frage stellen: Bin ich ein Bergtyp, ein "Extrem-Ausdauer-Typ" oder dergl. und spezialisiere ich mich auf solche Wettkämpfe? In dem Fall kann man ohne weiteres zuraten, eine moderate Verlängerung der Kurbeln (d.h. 2,5mm) auszuprobieren.
Eher Sprintorientierte Fahrer sollten, vor allem auf der Bahn (aber auch auf der Straße, denn mit kürzeren Kurbeln kann man in Kurven "durchtreten", wo andere mind. 3 Tritte auslassen müssen!) evtl. über eine Verkürzung der Kurbeln nachdenken, vor allem Bahnsprinter.
Gruß
k.