Wenn wir jetzt schon beim Wertekanon sind und eben bei der "Optimierung des Selbst auf Kosten anderer", dann muss man auch hinterfragen inwieweit das auch auf Radfahrer zuftrifft. Wir sind schließlich auch Mitglieder der Gesellschaft und nehmen am spiel des Lebens teil. Ich glaube nicht das wir per se die besseren Menschen sind.
Wir sind jetzt schon bei Verallgemeinerungen angelangt "die Autofahrer" . Was ist mit den Radfahrern unter uns die auch Autofahrer sind?
Wir beschweren uns zurecht über die Berichterstattung über den vorliegenen Unfall, dass die Schuld alleine bei den Radfahrern gesucht wird und über die Benutzungspflicht von Radwegen. Allerdings machen wir hier genau das gleiche! Wir diskutieren über die Schuld der Autofahrer im Allgemeinen.
Genau wie bei der Diskussion über die Benutzungspflicht von Radwegen haben wir den konkreten Unfall und die Schicksale dahinter ausgeblendet. Es geht nicht mehr um den Fahrer des Autos und seiner möglichen Schuld. Es geht nur noch um "die bösen Autofahrer" um "die Gesellschaft". Dabei nehmen wir einen Standpunkt ein, als ob wir außen vorstehen. Wir sind Teil all dessen und offensichtlich nicht besser oder schlechter als der Rest.
Ich würde mir wünschen, dass wenn wir diskutieren, wir wieder mehr über den konkreten Unfall sprechen.
Jörg
Das Problem ist, dass man immer wieder einen Thread mit dem Thema aufmachen kann, in dem man den Tod eines oder mehrerer Radfahrer betrauern kann. Ich bin aber natürlich genauso traurig, wenn ich lese, dass eine komplette Familie in einem Unfall auf der Autobahn ausgelöscht wurde. Betrauern alleine bringt aber genau nichts. Ich denke, die meisten Menschen wollen, dass sich solche konkreten "Einzelfälle" nicht wiederholen. Und dazu muss man auch die Ursachen analysieren. Diese sind in der Regel menschliches Versagen. Und der Mensch ist ein emotionales Wesen, das Rationalität erstmal erlernen muss, aber im Kern, im Unterbewusstsein bleiben wir haarlose Affen. Und die sitzen dann am Steuer eines motorbetriebenen Fahrzeugs mit wahnsinnig großer Aufprallenergie. Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Radfahrer einen LKW "weggekegelt" hat. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass auch nicht-motorisierte Fahrzeuge Unfälle verursachen, das Gefährdungspotenzial ist aber ungleich geringer. Mein Einwurf mit dem maschinengestützten Fahren zielt nun darauf ab, den Faktor Mensch hinterm Steuer zu minimieren. Mein Beispiel mit dem menschenverachtenden Autofahrer sollte verdeutlichen, warum ich das für angemessen halten. Ob Absicht, falsches Urteilsvermögen oder Unachtsamkeit, wenn man ein motorisiertes Fahrzeug führt, kann es in allen Fällen tödliche Folgen haben.
In meinem Beispiel mit dem Ausparken wird das vielleicht nicht so gut deutlich, deswegen erkläre ich es hier nochmal. Ich habe dem Autofahrer nicht vor vornerein die Schuld zugesprochen, sondern habe tatsächlich nicht verstanden, was er da gemacht hat. Zumindest dann, wenn man Vorsatz ausschließt. Es hat sich ja dann herausgestellt, dass die Möglichkeit bestand, dass er mich gar nicht sehen konnte. Was dann natürlich die Frage aufwarf, warum er trotzdem fuhr. Ein Mensch macht sowas, ein skrupelloser Menschen, der den Schaden anderer billigend in Kauf nimmt, macht das erst Recht. Und das ist in einer Gesellschaft, die mal entstanden ist, weil man auf das Tötungsrecht verzichtet, um Sicherheit zu erlangen, ein immenses Problem. Und man kann nach den Gründen fragen, warum die Zivilisation hinterm Steuer schnell mal hinter sich gelassen wird, und ob es nicht Alternativen gibt, die nicht von der individuellen moralischen Einstellung abhängen.
Zu den Feindbildern: Ja, die entstehen und ich muss mich aktiv darum bemühen, dass ich dadurch keine falschen Urteile fälle. Wenn man aber täglich von einer Gruppe von Menschen ungerecht behandelt wird, ist eine Verallgemeinerung überlebenswichtig. Die Autofahrer, die sich nur mal regelkonform oder sogar zuvorkommend verhalten, bekommen von mir auch ein Zeichen des Dankes.