AW: Berliner Höllentouristen - Teil 2
Ich gebe zu: Ich bin schon seit drei Wochen wieder im Lande. Aber ich wollte doch gern noch einen ausgefeilten, unterhaltsamen & informativen Bericht über meine persönliche Tour de France verfassen. Irgendwie ist aber nie Zeit und morgen ist ja jetzt sehr zu meiner Freude auch schon wieder Genussradeln angesagt. Also Stil hin, Rechtschreibung her, jetzt kommt zumindest irgendein Bericht:
Eigentlich irgendwie bekannt, aber von hier aus nicht wirklich vorstellbar und vor Ort trotzdem ein Erlebnis: In Frankreich ist "Le Tour" ein ganz großes Ding. Die Lokalzeitung bringt jeden Tag vier ganze große Zeitungsseiten nur mit Tour-Berichten, und an den Tagen, wo die Tour in der Region ist, gibt's noch Extra-Berichte im Lokalteil. Besuche bei wichtigen Tour-Bergwertungen gleich in der Nachbarschaft von unserer Urlaubsscheune in Bastard bei Rimont habe ich mir erspart; da wären jeweils ganze Tage für drauf gegangen. Stattdessen habe ich mir eine Abzweigung mitten im Nirgends augesucht, um mal persönlich bei der Tour vorbeizuschauen. Erstaunlich: Obwohl sportlich kurz nach Etappenstart südlich von Toulouse völlig uninteressant sind die Bewohner der Umgebung schon längst da, als ich gut eine Stunde vor der Passage da bin. Eine Gendarmin passt auf, dass kein Möchtegern-Rennfahrer die Strecke erobert & guckt erst ziemlich skeptisch. Erst als ich das Fahrrad in den Straßengraben lege & mich ins Gras setze, entspannt sie sich wieder. Schon jetzt fahren ständig bunte Autos vorbei.
Als schließlich Hubschrauber auftauchen wissen alle Bescheid. "Ils viennent - Sie kommen". Eine Ausreißergruppe rauscht zuerst durch, und Minuten später das Feld.
Die Fahrer sehen ganz und gar nicht so aus, als haben sie Spaß. Klar eigentlich. Sie müssen wegen der Ausreißer schon jetzt ordentlich Tempo machen, noch über den Col du Tourmalet und am Ende hoch zur Bergankunft Luz Ardiden.
Als sie dort ankommen, sitze ich längst im Café de la Mairie, habe Croque Monsieur gegesssen & zwei Pastis mit reichlich Kaffee getrunken und verfolge auf dem Großbild-Fernseher, wie erstmals seit vielen Jahren wieder ein Euskatel-Fahrer nahe der baskischen Heimat der Mannschaft eine Tour-Etappe gewinnt. Das Publikum applaudiert. Auch die übrigen Bergetappen verfolge ich gemeinsam mit 5 bis 25 weiteren Zuschauern im Cafè. Es wird angeregt und - soweit mir meine dürftigen Französisch-Kenntnisse das Verständnis erlauben - ziemlich fachkundig diskutiert.
Die Tour de France live und in Frabe empfinde ich als ziemlich anregend. Die Fahrt hoch nach Plateau de Beille und die drei Pastis, die ich dabei getrunken habe, inspirieren mich zu einem kleinen Umweg durch die Berge. Der direkte Weg nach Bastard ist 20 Kilometer lang. Der Weg über den Berg ist aber statt der von mir absurd optimistisch geschätzten 30 fast 50 Kilometer lang und hat zusätzlich gut 1000 Hohenmeter. Die Wirkung des Pastis reicht leider nur für 500 und das Licht auch nur so gerade eben. Unterwegs ist auch noch Funkloch, so dass Ulrike & Katharina ahnungslos bleiben & am Ende ziemlich schimpfen. Tags darauf verzichte ich auf Tour de France.
Hobby-Rennfahrer in der Region sind während der Tour auch noch schräger drauf als ohnehin schon. Mein Versuch, einen ziemlich stilecht ausstaffierten Kollegen nach etwas Ausruhen im Windschatten doch auch mal abzulösen, scheitert auf der ganzen Linie: Er lässt sich zurückfallen und schießt dann Minuten später wie der Leibhaftige persönlich an mir vorbei, obwohl ich zwar nicht am Anschlag, aber doch mit ordentlich Druck fahre.
Schon besser: Am letzten Anstieg einer ziemlich ausgedehnten Klettertour fahre ich eine Weile mit einem Franzosen. Die Unterhaltung scheitert nicht an meinen mangelhaften Sprachkenntnissen, sondern es fehlt an der dafür nötigen Atemluft. Irgendwann verliere ich meinen Begleiter und muss zugeben: Es erfüllt mich mit Befriedigung. Der Typ war bestimmt zehn Jahre jünger als ich. Leider hält das Gefühl der Überlegenheit nicht lange an. Nachdem es am Col de la Crouzette, am Col de Portel, am Col de Peguére und hoch zum Etang de Lers wirklich gut & leicht läuft, ist meine Energie am Col d'Agnès ziemlich plötzlich am Ende. Der Franzose zieht entspannt vorbei. Ich bin schließlich froh, überhaupt oben anzukommen. Der Franzose ist längst verschwunden.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich noch mit dem Fahrrad unterwegs, so wie ich es mir extra für die Pyrenäen zusammengeschraubt habe. Am nächsten Tag bricht bei einem verkorksten Schaltversuch der Käfig an meinem schönen Schaltwerk. Erstaunlicherweise gibt es im örtlichen Fachhandel keine Ersatzteile, obwohl es sich doch beim RD-M 900 von 1995 um ein fantastastisches Teil handelt, das eigentlich so ziemlich jeder, der ernsthaft Klettern will, am Rad haben sollte. Leider weiß das der Fahrradhändler nicht. Sein Ultegra-Schaltwerk soll 110 und 105 immer noch 80 Euro kosten. Ich nehme schließlich das billigste aktuelle Mountainbike-Schaltwerk. Das macht das Rad zwar nicht schöner & leichter, aber funktioniert immerhin ziemlich perfekt und drückt die Reparaturkosten auf 50 Euro. Noch zwei Tage später verlässt mich das Hinterrad. Die Felgenboden reißt am Speichenloch gleich neben dem Stoß. Zum Glück muss ich nicht schon wieder zum Händler, sondern habe Ersatz im Kofferraum.
Richtig viel bin ich am Ende gar nicht gefahren. Das Wetter war zwar besser als hier in Berlin, aber nicht so viel, wie eigentlich angemessen wäre. Die Rückfahrt war noch richtig spannend. Die Aufnahme für den Anhängerkupplungskopf am Fahrradträger war gerissen.
Die Schraube, mit der ich den Träger vor Abfahrt noch problemlos festgeschraubt hatte, war am Ende ziemlich locker. Zum Glück wusste ich davon nichts, sondern habe das Malheur erst beim Abschrauben des Trägers bemert, als wir & unsere Fahrräder - gehalten offenbar so ziemlich nur vom Eigengewicht und Spannriemen - wohlbehalten wieder in Berlin angekommen waren.
Hier in Berlin zeigt zwar das Wetter inzwischen Ansätze zur Besserung, der Materialverbrauch allerdings ist kaum zurückgegangen.
Immerhin: Hier wie dort gabs keine nennenswerten Schäden am Fahrer.
Von Nachfragen bitte ich mit Rücksicht auf mein mühsam wieder erarbeitetes inneres Gleichgewicht abzusehen. Der Lastwagenfahrer konnte nichts dafür, und dass der bescheuerte Tourist mit seinem Leihfahrrad plötzlich bremst, nachdem er sich an einer roten Ampel auf dem schmalen Radstreifen an der Warschauer Straße unverschämterweise vor mich gesetzt hatte, darf mich natürlich nicht so aus der Bahn werfen.