Die Superrandonée „Belchen satt“ stand schon seit Jahren auf meiner To-Do-Liste. Bisher hatte ich mich nicht daran gewagt, nachdem in der Saison 2024 die Form aber offenbar passte, wagte ich endlich die Anmeldung. Hier mein Bericht (etwas länglich geraten, sorry dafür):
An einem Montag Ende August stehe ich also um 8:50 Uhr am Martinstor in Freiburg. In Anbetracht der Berichte über steile Anstiege und Abfahrten auf schlechtem Straßenbelag fahre ich ein Gravelbike – ein Ritchey Outback mit 48/31 und 11-34 Übersetzung und 32 mm Conti 4 Seasons
Reifen. Es wird sich herausstellen, dass das Setup bestens geeignet ist, ich werde tatsächlich alle Anstiege fahrend bewältigen und die real 34 mm dicken
Reifen bügeln die teils recht ruppigen Wege schön glatt. Dafür ist das Outback mit seinem Stahlrahmen natürlich nicht gerade ein Leichtgewicht, und mein Gepäck ist auch nicht gerade spärlich – Schlafsack, Isomatte, eine Garnitur Klamotten zum Wechseln, Handtuch (auf die Wichtigkeit dieses Ausrüstungsgegenstands hat ja schon Douglas Adams eindringlich hingewiesen), kleines Ersatzlicht für den Notfall, Powerbank, der übliche Kleinkram wie Zahnbürste, Sonnencreme,
Werkzeug usw. und für den ersten Tag auch einiges an Verpflegung. Aber ich habe nicht vor, das hier auf Zeit zu fahren, also was soll’s.
Los geht’s also und erstmal den Schauinsland hoch und dann über das Wiedener Eck zum Belchen. Beides am Wochenende vielbefahrene Rennstrecken, aber heute Morgen ist so gut wie nichts los. Am Schauinsland stoppt mich ein Schwertransport, der ein Rotorblatt für ein Windrad in Schrittgeschwindigkeit über den Pass fährt. Ich warte am Straßenrand und lasse ihn passieren, Entschleunigung gleich von Beginn an. Auf der Abfahrt die Stohrenstraße hinunter freue ich mich über meine Scheibenbremsen, nicht das letzte Mal auf dieser Tour.
Punkt 12 Uhr bin ich auf dem Belchen. Fernsicht leider nur mäßig, aber auch der Blick über die näheren Schwarzwaldberge ist eindrucksvoll. Der Himmel ist bedeckt, aber es ist trocken und windstill, optimale Bedingungen eigentlich. Hier oben finde ich es aber nun bei nur noch 12° doch empfindlich kühl, so dass ich rasch wieder abfahre.

Mit dem Tiergrüble und dem Anstieg hinter Todtmoos folgen die vorerst letzten beiden mir bekannten Anstiege der Tour, danach bis in die Vogesen alles Neuland. Das Tiergrüble ist ein wunderbares, ruhiges und praktisch verkehrsfreies Passsträßchen durch den Wald, immer wieder schön zu fahren. Spoiler: Von dieser Sorte hält „Belchen satt“ noch einiges mehr bereit. Die restliche Strecke durch den Schwarzwald hat dann nicht mehr sehr viele Höhenmeter und um 15 Uhr komme ich in Laufenburg am Rhein an. Über 6 Stunden unterwegs und erst 100 Kilometer?!? Na das kann ja was werden… aber es sind bis hier auch schon 2600 Höhenmeter.
Über den Rhein geht es in die Schweiz und in den Jura. Darauf freue ich mich am meisten, denn was ich bisher auf den Freiburger 600er Brevets vom Jura kennen gelernt habe, hat mich wirklich begeistert. Da war man aber immer weiter im Westen unterwegs. Hier im Osten des Mittelgebirges fährt man eigentlich erstmal nur kleine Hügel, aber die halten einige richtig heftige Rampen bereit. Es geht ständig auf und ab. Am Anstieg aus Läufelfingen hinaus zeigt der
Garmin 20–22% Steigung, dank Untersetzung kann ich aber auch das fahren, gerade so. Auch zum Chilchzimmersattel hoch folgen immer wieder Rampen mit über 15%. Aber die kleinteilige Landschaft mit ihren ständig wechselnden Ausblicken bietet genug Ablenkung und motorisierten Verkehr gibt es fast keinen, so dass es trotzdem eine echte Genussfahrt ist. Etwa die Art von Genuss allerdings wie ein gutes, scharfes Chili, das einem die Schweißperlen auf die Stirn treibt – muss man halt mögen, sowas.

Nach einer steilen Abfahrt geht es nun durch ein lang gezogenes Tal erst flach und dann leicht ansteigend bis an den Fuß der Weißenstein-Passstraße. Vor dieser hatte ich im Vorfeld am meisten Respekt, nicht ganz zu Unrecht, wie sich herausstellt. Anfangs ist die Steigung noch moderat, gegen Ende hinzieht sie aber immer mehr an, und vor allem in Kombination mit der endlos geradeaus ohne Ausblicke durch den Wald führenden Strecke ist das schon irgendwie zermürbend. Solche uninspirierten Streckenführungen scheinen für diese Gegend typisch zu sein: Auch am Chasseral und am Mont Soleil führen die Straßen einfach stur geradlinig an der Bergflanke entlang bis die Topografie einen Richtungswechsel erzwingt, dann eine Kehre und die nächste endlose Gerade. Kurven gibt es allerdings bei der supersteilen Abfahrt vom Weissensteinpass hinunter, und hier bin ich ein weiteres Mal froh über meine Scheibenbremsen. Die Stohrenstraße ist im Vergleich hiermit ein Kindergeburtstag.
In Grenchen bieten sich für längere Zeit die letzten Versorgungsmöglichkeiten und so kehre ich hier beim Goldenen M ein. Einen Schlafplatz finde ich kurz vor Mitternacht 15 km weiter in einer leer stehenden Scheune am Straßenrand. Tagwerk beendet nach 215 km mit satten 5200 Höhenmetern.
Um 4:45 geht es weiter. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich dann bei Sonnenaufgang am Chasseral sein müsste und die Rechnung geht genau auf. Eine magische Stimmung dort oben, über der Baumgrenze eröffnet sich ein umwerfender Blick auf die Alpen im Licht der Morgendämmerung, der Gipfel des Chasseral wird vom warmen Licht der aufgehenden Sonne angestrahlt. Nur Minuten später hüllt er sich aber plötzlich in Wolken und als ich am Gipfel stehe ist es dort eiskalt und es weht ein stürmischer Wind. Kein Ort zum Verweilen, also rasch wieder hinab. Wenige Höhenmeter tiefer ist der Spuk wieder vorbei und ich radle durch den Sonnenschein.


In
Saint-Imier sind alle Läden noch geschlossen und so fahre ich gleich weiter den Mont Soleil hinauf (auch wieder steil, natürlich) und lege die Frühstückspause erst in Les Breuleux ein. Dann geht es auch schon in die Schlucht des Doubs hinunter nach La Goule. Ohne Zweifel ein Highlight des Brevets. Die Abfahrt scheint gar nicht zu enden, und auf der anderen Seite wartet der vielleicht gefürchtetste Anstieg, den „Belchen satt“ zu bieten hat. Brutal steil, und das auf ziemlich schlechtem Straßenbelag – aber ich finde den Anstieg auf dem schmalen, rumpeligen Sträßchen tatsächlich auch schön. Mit zwei Verschnaufpausen und dank 31:34 Untersetzung schaffe ich es, ihn ohne Schieben zu fahren (knapp, zugegebenermaßen).
Nach einer langen Abfahrt hinunter nach
Saint Hippolyte folgen 100 relativ unspektakuläre Kilometer. Zunächst noch über die nördlichen Randhügel des Jura, dann auf welliger und wenig befahrener Strecke bis Lure. Von dort geht es dann auf geraden, flachen und recht verkehrsreichen Straßen in die Vogesen hinein. Der bislang erste etwas unangenehmere Teil der Route, aber irgendwie muss man ja von A nach B kommen.
Die Vogesen eröffnen mit einem Paukenschlag: Der erste Teil des Anstiegs zum Ballon de Servance ist wirklich von der heftigeren Sorte, mit Rampen bis 20%. Zumal hier nun am späten Nachmittag die Sonne ordentlich knallt und die Temperatur bei über 30° liegt. Aber das kleine Nebensträßchen ist ein weiteres Mal nicht nur steil, sondern auch praktisch verkehrsfrei und wunderschön. Der zweite Teil des Anstiegs auf der „normalen“ Straße ist dann deutlich leichter, aber immer noch fast verkehrsfrei. An der Passhöhe ist überhaupt nichts los. Nach der Hitzeschlacht an der Westflanke des Ballon de Servance überrascht dann die Abfahrt auf der Ostseite mit kühlen 17° und ich ziehe mir Armlinge und Regenjacke über. Die Abfahrt ist steil und der Belag schlecht, mit dem Gravelbike aber super zu fahren.
Giromagny hatte ich als einen möglichen Ort für die zweite Schlafpause ausgemacht, aber es wird gerade erst dunkel, zu früh zum Schlafen. Nach Katzenwäsche in einem Waschhaus am Ortsausgang und Klamottenwechsel – welche Wohltat! – geht es weiter über den Ballon d’Alsace. Der ist zur Abwechslung mal sehr entspannt zu fahren bei nie mehr als 8% Steigung, die Streckenführung mit den vielen Serpentinen macht Laune. Verkehr ist hier in der beginnenden Nach auch fast keiner. Der Fahrer eines der wenigen Autos, die mir begegnen, ruft im Vorbeifahren „Allez!“ – Radfahren in Frankreich ist immer wieder eine Freude. Oben verläuft die Passstraße über offenes Gelände und hier pfeift ein strammer, frischer Wind, also rasch abfahren ins Moseltal. Kurz nach 23 Uhr finde ich in
Saint-Maurice-sur-Moselle einen trockenen und geschützten Unterstand an einem Baubetriebshof. Rund 255 km und 4700 Höhenmeter sind die Bilanz des Tages, ich bin zufrieden.
2. Teil folgt...