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Gerade im Tourforum gelesen:
Krankheit als Weg
War Lance Armstrong nicht gedopt? Eine US-Studie begründet die Stärke des Amerikaners mit Hormonveränderungen nach seiner Krebs-OP
Von Tom Mustroph
Wenn Craig S. Atwood und Richard L. Bowen recht behalten, müssen sich eine ganze Menge Leute bei Lance Armstrong entschuldigen. All die Skeptiker des Radsports, die bisher die außergewöhnliche Dominanz des Texaners bei der Tour de France hauptsächlich auf gewiefte Dopingpraxis zurückführten, belehren die beiden Alzheimer-Forscher aus den USA nun eines Besseren. In ihrer am 7. November im Fachblatt «Medical Hypotheses« veröffentlichten Studie »Hormonelle Regulierung des Stoffwechsels bei Leistungssport« begründen sie Armstrongs stets ungläubig bestaunte Verwandlung von einem Klassikerspezialisten zu einem Rundfahrtsieger mit seiner Krankheit: Nach seiner Hodenoperation hätten Veränderungen im Hormonhaushalt zu einer besseren Regenerationsfähigkeit des Athleten geführt.
Hilfreiche Chemokur?
Armstrong hatte diesen Effekt erstmals bei der Vuelta d’Espana 1998 gespürt. Überraschend leicht hatte er in Spanien Platz vier belegt und daraufhin die Tour de France ins Visier genommen, die er schließlich sieben Mal in Folge gewann. Er war dabei, ausgelöst durch einen Kortisonbefund im Jahr 1999 und verstärkt durch eine nicht abreißende Kette von Indizien, stets dem Dopingverdacht ausgesetzt. Atwood und Bowen liefern ihm nun einen wissenschaftlich untermauerten Befreiungsschlag. Ihrer Ansicht nach haben Krebserkrankung, mehrfache chirurgische Eingriffe (auch ein Tumorherd im Gehirn wurde entfernt) und Chemokur dem Sportler nicht geschadet, sondern ihm mittelfristig sogar geholfen.
Wichtige Parameter des Armstrongschen Rennmotors wie die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität des Blutes, die günstigen Hebelverhältnisse der Beine und die Ausdauermuskulatur seien gleich geblieben. Die schnell zuckenden »weißen Fasern«, die im Sprint, beim Zeitfahren und in den Bergen Vorteile verschaffen, seien gewachsen. Der eine verbliebene Hoden hätte in der Testosteronproduktion den Ausfall des operativ entfernten mühelos kompensiert. Testosteron ist maßgeblich an der Produktion der beiden Hauptenergiequellen des Menschen, Fettsäuren und Glukose, beteiligt. Doper setzen es gern nach dem Wettkampf ein, um die Energiespeicher der Muskulatur wieder aufzufrischen.
Eine Hypothese zu Floyd Landis’ Dopingbefund bei der Tour de France 2006, wo ihm im Nachhinein der Gesamtsieg aberkannt wurde, besagt, dass er vor dem Einschlafen wohl vergessen hatte, das Testosteronpflaster abzunehmen. So sei eine größere Menge des Sexualhormons als ursprünglich gewollt in den Körper gelangt.
Hauptursache für Armstrongs verbesserte Regeneration ist hingegen nicht Doping, meinen Atwood und Bowen. Sie machen einen erheblicher Anstieg der sogenannten Gonadotropine LH (bis auf das Vierfache des Niveaus vor der Operation) und FSH (bis auf das Achtfache) für Armstrongs Erholungsvorteil verantwortlich. Diese die Keimdrüsen stimulierenden Hormone fördern nämlich die Produktion von Testosteron und haben so positive Effekte auf den Energiehaushalt. Sie sagen: »Lance Armstrong konnte durch diese hormonellen Änderungen länger Leistungen im Maximalbereich erbringen. Seine Energiereserven waren weniger erschöpft und er konnte sie schneller wieder auffüllen.«
Internationale Antidoping-Experten reagierten überrascht. »Das ist hochinteressant. Das muss ich erst mit meinen Kollegen besprechen«, sagte der britische Endokrinologe und Nestor der Wachstumshormonforschung, Peter Sönksen, gegenüber ND. Hans Geyer vom Kölner Dopingkontroll-Labor recherchierte sofort den Hintergrund der Studie. »Sie ist von ›Medical Hypotheses‹ akzeptiert. Das heißt, ein Fachgremium ist von der wissenschaftlichen Qualität überzeugt.«
Die Zeitschrift vom Amsterdamer Elsevier Verlag wird in renommierten Fachdatenbanken geführt und gilt als ernst zu nehmende, wenngleich auf radikale Standpunkte orientierte Publikation.
Nach erster flüchtiger Lektüre bemängelte Geyer jedoch, dass die Daten zum Hormonhaushalt ausnahmslos nicht von Armstrong stammen, sondern lediglich von anderen Patienten, denen ebenfalls ein Hoden entfernt wurde. »Die Argumentation wäre sicher schlüssiger, wenn sie anhand von Armstrongs individuellen Werten bestätigt worden wäre.«
Partielle Kastration: Gefahr der Nachahmung
Für wissenschaftsunüblich hielt Geyer die Seitenhiebe auf französische Radsport-Offizielle. Geyer stutzte über die Anlage der Argumentation, die die aus fremden Forschungen gewonnenen Erkenntnisse so verknüpft, dass nur eine Lesart herauskommen kann. Dass Armstrong nun vom Dopingverdacht befreit ist, wollte Geyer nicht sagen. »Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen.« Für brisant hält er allerdings, dass nun jemand die Idee kommen könnte, sich partiell zu kastrieren. »Das ist hoch gefährlich«, sagt er und warnt: »Die Hypothese wird nicht durch Armstrongs Daten gestützt.«
Die Studie kommt zu einem pikanten Zeitpunkt heraus. Der in den spanischen Puerto-Skandal verwickelte Radprofi Ivan Basso (Italien) hat unlängst auf Betreiben Armstrongs einen Vertrag bei dessen altem Team Discovery Channel unterschrieben. Discovery umging damit den Gentlemen's Agreement der ProTour-Rennställe, nach dem auf jene Fahrer verzichtet wird, die weiterhin unter Dopingverdacht stehen. Wie Basso suchte auch Floyd Landis die Nähe von Armstrong. »Ich habe ihn um Rat gefragt, weil auch er in der Vergangenheit einiger Dinge beschuldigt wurde und zu den wenigen Leuten gehört, die meine Situation verstehen können«, sagte er AP. Landis hatte vor einigen Wochen die publizistische Initiative ergriffen. Er hat seine Leistungsdaten im Internet veröffentlicht und ein Konvolut an Studien beigebracht, die die Reputation des französischen Dopingkontroll-Labors in Zweifel zu ziehen versuchen.
Die Studie von Atwood und Bowen erscheint in diesem Licht als Teil einer Entlastungsstrategie von Dopingverdächtigen. Craig Atwood von der Madison Medical School der University of Wisconsin und Richard Bowen von der Voyager Pharmaceutical Corporation aus Raleigh, NC, mochten auf Nachfrage derzeit keine Stellung nehmen. Über die Motivation ihrer Arbeit und ihr Verhältnis zu Lance Armstrong ist derzeit nichts bekannt.
Der Beweis der Gültigkeit ihrer anhand von Vergleichspatienten entwickelten Hypothese für Lance Armstrong steht noch aus. Immerhin warnen sie potenzielle Nachahmer: »Wir empfehlen nicht eine einseitige Hodenoperation als Mittel zur Leistungssteigerung.«
Eine andere alarmierende Meldung für Dopingsünder kommt passenderweise aus Yale. Hohe Testosteronzufuhr schädigt laut einer Untersuchung der dortigen Pharmakalogin Barbara Ehrlich das Hirn. Es tötet Nervenzellen und führt zu aggressivem Verhalten. »Wenn Ihnen das nächste Mal ein Muskelpaket in einem Sportwagen die Vorfahrt nimmt, spielen sie nicht verrückt. Atmen Sie tief durch und prägen Sie sich ein, dass er vielleicht gar nichts für sein Verhalten kann«, empfahl sie in ihrer Pressemitteilung.
Krankheit als Weg
War Lance Armstrong nicht gedopt? Eine US-Studie begründet die Stärke des Amerikaners mit Hormonveränderungen nach seiner Krebs-OP
Von Tom Mustroph
Wenn Craig S. Atwood und Richard L. Bowen recht behalten, müssen sich eine ganze Menge Leute bei Lance Armstrong entschuldigen. All die Skeptiker des Radsports, die bisher die außergewöhnliche Dominanz des Texaners bei der Tour de France hauptsächlich auf gewiefte Dopingpraxis zurückführten, belehren die beiden Alzheimer-Forscher aus den USA nun eines Besseren. In ihrer am 7. November im Fachblatt «Medical Hypotheses« veröffentlichten Studie »Hormonelle Regulierung des Stoffwechsels bei Leistungssport« begründen sie Armstrongs stets ungläubig bestaunte Verwandlung von einem Klassikerspezialisten zu einem Rundfahrtsieger mit seiner Krankheit: Nach seiner Hodenoperation hätten Veränderungen im Hormonhaushalt zu einer besseren Regenerationsfähigkeit des Athleten geführt.
Hilfreiche Chemokur?
Armstrong hatte diesen Effekt erstmals bei der Vuelta d’Espana 1998 gespürt. Überraschend leicht hatte er in Spanien Platz vier belegt und daraufhin die Tour de France ins Visier genommen, die er schließlich sieben Mal in Folge gewann. Er war dabei, ausgelöst durch einen Kortisonbefund im Jahr 1999 und verstärkt durch eine nicht abreißende Kette von Indizien, stets dem Dopingverdacht ausgesetzt. Atwood und Bowen liefern ihm nun einen wissenschaftlich untermauerten Befreiungsschlag. Ihrer Ansicht nach haben Krebserkrankung, mehrfache chirurgische Eingriffe (auch ein Tumorherd im Gehirn wurde entfernt) und Chemokur dem Sportler nicht geschadet, sondern ihm mittelfristig sogar geholfen.
Wichtige Parameter des Armstrongschen Rennmotors wie die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität des Blutes, die günstigen Hebelverhältnisse der Beine und die Ausdauermuskulatur seien gleich geblieben. Die schnell zuckenden »weißen Fasern«, die im Sprint, beim Zeitfahren und in den Bergen Vorteile verschaffen, seien gewachsen. Der eine verbliebene Hoden hätte in der Testosteronproduktion den Ausfall des operativ entfernten mühelos kompensiert. Testosteron ist maßgeblich an der Produktion der beiden Hauptenergiequellen des Menschen, Fettsäuren und Glukose, beteiligt. Doper setzen es gern nach dem Wettkampf ein, um die Energiespeicher der Muskulatur wieder aufzufrischen.
Eine Hypothese zu Floyd Landis’ Dopingbefund bei der Tour de France 2006, wo ihm im Nachhinein der Gesamtsieg aberkannt wurde, besagt, dass er vor dem Einschlafen wohl vergessen hatte, das Testosteronpflaster abzunehmen. So sei eine größere Menge des Sexualhormons als ursprünglich gewollt in den Körper gelangt.
Hauptursache für Armstrongs verbesserte Regeneration ist hingegen nicht Doping, meinen Atwood und Bowen. Sie machen einen erheblicher Anstieg der sogenannten Gonadotropine LH (bis auf das Vierfache des Niveaus vor der Operation) und FSH (bis auf das Achtfache) für Armstrongs Erholungsvorteil verantwortlich. Diese die Keimdrüsen stimulierenden Hormone fördern nämlich die Produktion von Testosteron und haben so positive Effekte auf den Energiehaushalt. Sie sagen: »Lance Armstrong konnte durch diese hormonellen Änderungen länger Leistungen im Maximalbereich erbringen. Seine Energiereserven waren weniger erschöpft und er konnte sie schneller wieder auffüllen.«
Internationale Antidoping-Experten reagierten überrascht. »Das ist hochinteressant. Das muss ich erst mit meinen Kollegen besprechen«, sagte der britische Endokrinologe und Nestor der Wachstumshormonforschung, Peter Sönksen, gegenüber ND. Hans Geyer vom Kölner Dopingkontroll-Labor recherchierte sofort den Hintergrund der Studie. »Sie ist von ›Medical Hypotheses‹ akzeptiert. Das heißt, ein Fachgremium ist von der wissenschaftlichen Qualität überzeugt.«
Die Zeitschrift vom Amsterdamer Elsevier Verlag wird in renommierten Fachdatenbanken geführt und gilt als ernst zu nehmende, wenngleich auf radikale Standpunkte orientierte Publikation.
Nach erster flüchtiger Lektüre bemängelte Geyer jedoch, dass die Daten zum Hormonhaushalt ausnahmslos nicht von Armstrong stammen, sondern lediglich von anderen Patienten, denen ebenfalls ein Hoden entfernt wurde. »Die Argumentation wäre sicher schlüssiger, wenn sie anhand von Armstrongs individuellen Werten bestätigt worden wäre.«
Partielle Kastration: Gefahr der Nachahmung
Für wissenschaftsunüblich hielt Geyer die Seitenhiebe auf französische Radsport-Offizielle. Geyer stutzte über die Anlage der Argumentation, die die aus fremden Forschungen gewonnenen Erkenntnisse so verknüpft, dass nur eine Lesart herauskommen kann. Dass Armstrong nun vom Dopingverdacht befreit ist, wollte Geyer nicht sagen. »Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen.« Für brisant hält er allerdings, dass nun jemand die Idee kommen könnte, sich partiell zu kastrieren. »Das ist hoch gefährlich«, sagt er und warnt: »Die Hypothese wird nicht durch Armstrongs Daten gestützt.«
Die Studie kommt zu einem pikanten Zeitpunkt heraus. Der in den spanischen Puerto-Skandal verwickelte Radprofi Ivan Basso (Italien) hat unlängst auf Betreiben Armstrongs einen Vertrag bei dessen altem Team Discovery Channel unterschrieben. Discovery umging damit den Gentlemen's Agreement der ProTour-Rennställe, nach dem auf jene Fahrer verzichtet wird, die weiterhin unter Dopingverdacht stehen. Wie Basso suchte auch Floyd Landis die Nähe von Armstrong. »Ich habe ihn um Rat gefragt, weil auch er in der Vergangenheit einiger Dinge beschuldigt wurde und zu den wenigen Leuten gehört, die meine Situation verstehen können«, sagte er AP. Landis hatte vor einigen Wochen die publizistische Initiative ergriffen. Er hat seine Leistungsdaten im Internet veröffentlicht und ein Konvolut an Studien beigebracht, die die Reputation des französischen Dopingkontroll-Labors in Zweifel zu ziehen versuchen.
Die Studie von Atwood und Bowen erscheint in diesem Licht als Teil einer Entlastungsstrategie von Dopingverdächtigen. Craig Atwood von der Madison Medical School der University of Wisconsin und Richard Bowen von der Voyager Pharmaceutical Corporation aus Raleigh, NC, mochten auf Nachfrage derzeit keine Stellung nehmen. Über die Motivation ihrer Arbeit und ihr Verhältnis zu Lance Armstrong ist derzeit nichts bekannt.
Der Beweis der Gültigkeit ihrer anhand von Vergleichspatienten entwickelten Hypothese für Lance Armstrong steht noch aus. Immerhin warnen sie potenzielle Nachahmer: »Wir empfehlen nicht eine einseitige Hodenoperation als Mittel zur Leistungssteigerung.«
Eine andere alarmierende Meldung für Dopingsünder kommt passenderweise aus Yale. Hohe Testosteronzufuhr schädigt laut einer Untersuchung der dortigen Pharmakalogin Barbara Ehrlich das Hirn. Es tötet Nervenzellen und führt zu aggressivem Verhalten. »Wenn Ihnen das nächste Mal ein Muskelpaket in einem Sportwagen die Vorfahrt nimmt, spielen sie nicht verrückt. Atmen Sie tief durch und prägen Sie sich ein, dass er vielleicht gar nichts für sein Verhalten kann«, empfahl sie in ihrer Pressemitteilung.