Der Vorwurf des Victim Blaming ist ein Totschlagargument, um die Diskussion abzuwürgen.
Das ist kein Totschlagargument, sondern eine Tatsachenbeschreibung. Das Totschlagargument ist "der Radfahrer hätte aufpassen müssen, dann wäre nix passiert".
Es geht nicht darum, ob der Radfahrer "Schuld" hatte. Sondern es geht darum, tödliche Unfälle zu verhindern.
Genau. Es geht darum, Unfälle zu verhindern. Und da ist es überhaupt nicht hilfreich, das Opfer zu verhöhnen, indem man ihm noch "selbst schuld" hinterherruft. Der Radfahrer fuhr geradeaus, da geht man erstmal davon aus, dass nicht von links ein Bus oder von oben ein Airbus auf einen draufknallt. Ob und wann er überhaupt mitbekommen hat, dass da jemand abbiegt wissen wir nicht.
Der Busfahrer hat aktiv einen Abbiegevorgang eingeleitet. Da ist bzw. sollte es jedem KFZ-Führer in Fleisch und Blut übergegangen sein schon mehrere Sekunden vorher die Umgebung abzuscannen, wer auf Kollisionskurs ist und beim Abbiegen nochmal extra aufzupassen. Mag sein, dass der Busfahrer hier ein Augenblicksversagen hatte, ich will ihm keine Schuld andichten. Aber der Radfahrer ist definitiv aus der Sache raus. Der hat das vermutlich einfach nicht mitbekommen und das ist oft unmöglich.
Ich fahre seit Jahrzehnten in Großstädten Fahrrad, mehrere tausend Kilometer jedes Jahr. Ich habe schon hunderte Fälle gehabt, wo ich mich nur durch beherztes
Bremsen bei abhebendem Hinterrad vor der Kollision mit Rechtsabbiegern retten konnte. Ich passe so gut wie immer auf wie ein Schiesshund und habe extrem gute Reaktionszeiten. Wenn ich rechtzeitig mitbekomme, dass jemand rechts abbiegt, nehme ich schon vorher das Tempo raus und scanne Fluchtmöglichkeiten. Diese Fälle waren also alles welche, wo man das einfach nicht mitbekommen konnte, das da jemand auf Kollisionskurs ist. Hätte ich die Lehrbuchreaktionszeit von 1 Sekunde, wäre ich schon spätestens beim 2. Mal tot gewesen, wie die anderen drei Radfahrer, die an der Schönhause Allee von Rechtsabbiegern gemeuchelt wurden in den paar Jahren in denen ich dort gewohnt habe. Das war auch die Strecke, an der ich die meisten Nahtoderfahrungen gemacht habe.
Darum habe ich gelernt:
1. immer aufpassen funktioniert nicht, selbst bei extremer Fokussierung auf den Verkehr
2. die Ausgestaltung der Infrastruktur hat einen hohen Einfluss auf die reale Gefährlichkeit (Berlin Schönhauser Allee ist hier ein absolutes Negativbeispiel)
3. Geschwindigkeit bringt Sicherheit.
Ich glaube es hackt? Stell Dich mal an eine x-beliebige Kreuzung in einer x-beliebigen Großstadt. Sagen wir für eine Stunde. Jede Wette, dass in dieser Stunde mehr Radfahrende machen was sie wollen als Kraftfahrende. Und das hat nichts mit Pietätlosigkeit ggb. dem toten Radfahrer in HH zu tun.
Da wette ich dagegen und bin sicher ich gewinne. Zumindest für die mir aus Auto- und Fahrradfahrersicht bestens bekannten Großstädte München und Berlin. Die Verstöße sind nur andere, die Regeltreue ist bei beiden Gruppen von Verkehrsteilnehmern gleich. Da idR mehr Leute mit dem Auto unterwegs sind als mit dem Fahrrad, dürften wir dann auch mehr Verkehrssünder im Auto finden als auf dem Fahrrad.
Wenn wir das machen, bring eine Radarpistole zur Geschwindigkeitsmessung mit - das ist Unfallursache Nr. 1! Wenn ich mit dem Auto in München bin, finde ich ausserhalb von Stausituationen niemanden, der sich an ein Tempolimit hält. Nicht einen einzigen. In Berlin macht eh jeder was er will, da ist die StVO faktisch bereits abgeschafft.