AW: Tour einteilen?
verstehe ich das Richtig, du willst die Strecke an einem Tag machen a´75km Stücke.
Sehr lange Touren
Dieser Punkt ist mehr eine Ergänzung zum Abschnitt Einige Tips für nicht betreute Touren, dessen Inhalt hier vorausgesetzt wird. Dennoch gibt es bei sehr langen Touren spezifische Probleme, die man kennen sollte, um böse Überraschungen zu vermeiden.
Was heißt "sehr lange Tour"? Das ist individuell ganz verschieden, bei mir in Hochformzeiten z.B. deutlich über 220km. Die Definition über die Strecke ist aber eigentlich unsinnig. "Sehr lang" nenne ich den Bereich, wo man ohnehin schon längst in der Fettverbrennung ist und trotzdem die Reserven ziemlich aufbraucht durch eine extreme Ausdauerleistung. Vielleicht ist folgende Definition besser:
"Sehr lang" heißt: Wenn man auch nur einen Fehler macht dabei, dann wird es nicht sehr lang.
Es ist eine Fahrt an der Grenze der eigenen Leistung. Mancher (vermutlich sogar viele) fährt lieber intensiver und am Anschlag und trainiert die Grundlagenausdauer mehr aus Vernunft ("GA macht träge", heißt es, und es ist tatsächlich etwas dran). Wer mit GA jedoch an die Grenze geht, wird eine unglaubliche Formsteigerung bemerken, durch die danach auch das intensive Fahren zur reinen Freude wird! Wer es richtig macht, fühlt sich nach einigen Tagen wie neugeboren, das euphorische Gefühl ist schwer zu beschreiben!
Auf der anderen Seite kann falsche Vorbereitung und Durchführung zum Fiasko führen. Ich habe schon mit einigen Fahrern gesprochen, die deutlich besser sind als ich und auf die magische Zahl "300" antworteten: "Das habe ich vor Jahren auch mal gemacht - so etwas muß man sich nicht antun." Wie es ihnen erging, kann ich nur ahnen, aber recht haben sie auf keinen Fall.
Folgende Tips kann ich aus eigener Erfahrung geben:
Vorbereitung
Streckenlänge
Man kann sich nicht von 150km auf 300km steigern. Das heißt, man kann es schon, aber nur einmal. Die Gefahr von dauerhaften Gesundheitsschäden (anscheinend in erster Linie an den Knieen) ist nicht zu unterschätzen. Lange Strecken haben weniger mit Härte als mit Cleverness zu tun! Wer erst ein- oder zweimal 200km gefahren ist, sollte zunächst lernen, mit dieser Streckenlänge klarzukommen und sich danach steigern. Das Tempo der Steigerung muß jeder selbst herausfinden, das läßt sich gewiß nicht allgemeingültig sagen.
Gesundheit
Es ist klar, daß Sattelstellung und Sitzposition gewohnt sein müssen, damit es unterwegs keinen Ärger mit Sitz- oder Kniebeschwerden geben kann.
Moral
Es empfiehlt sich, neue Streckenlängen allein zu probieren, um die Kraft richtig einteilen zu können. Mit anderen Worten: Man muß das Alleinfahren über 10 Stunden und mehr vertragen können. Die nervliche Anspannung ist nicht zu unterschätzen.
Ausrüstung
Wer sehr lange Strecken fährt, sollte sich mehr Gedanken um evtl. Pannen und Rückzugsmöglichkeiten machen als bei "normalen" Touren.
Kleidung
Die Hose sollte ein "gut durchgesessenes Polster" haben (Tip von Ivo) und darf erfahrungsgemäß keine Probleme bereiten. Lange Touren heißt auch: unterschiedliche Temperaturen und Wetterbedingungen, also variablere Kleidung als üblich mitführen!
Windrichtung
Die Strecke sollte im Groben bekannt sein, wenigstens soweit, daß nicht zu viele schlechte Straßen böse Überraschungen bereiten können - und man vor allem die Wirkung des Windes abschätzen kann. Bei solchen Fahrten spielt der Wind fast die Hauptrolle. Wer mehrere Touren zur Auswahl hat, sollte sich bei der Wahl nach dem Wind richten, andernfalls muß er warten, bis sich der Wind nach der Tour richtet. Es ist wirklich sehr entscheidend!
Während der Fahrt
Essen und Trinken
Das Entscheidende ist tatsächlich die Ernährung bei der Dauerbelastung! Man greift seine Vorräte derart stark an, daß von richtiger Ernährung der Erfolg abhängt. Alles Wichtige wurde bereits unter Einige Tips für nicht betreute Touren sowie Essen, Trinken, Hungerast gesagt. Bei langen Touren ist es jedoch besonders wichtig, am Anfang möglichst viel zu essen, selbst wenn es noch gar nicht erforderlich scheint. Nimm Dir ausreichend Zeit in den ersten zwei, drei Pausen! Kohlenhydratgetränke helfen ebenfalls, auch wenn sie nicht Wunder wirken.
Gleiches gilt für das Trinken; hier ist viel Selbstdisziplin gefragt. Man fährt am Ende sehr viel besser und schneller, wenn man von Anfang an ausreichend getrunken hat. Ich trinke eisern alle 10km, bei Hitze alle 5km auf solchen Touren! Wichtig ist auch: Wenn die Wasservorräte erschöpft sind, dann schnellstmöglichst neue besorgen und nicht erst trockene Lippen bekommen (vom Durstgefühl ganz zu schweigen).
Richtige Ernährung setzt viel Erfahrung (auch negative) voraus. Es gibt Phasen, wo man z.B. keine Schwarzbrotschnitte mehr hinunterbekommt und erst recht keinen Müsliriegel mehr. Bei mir hilft dann Powergel (das ich in anderem Zustand vielleicht wieder nicht essen würde). Vielseitigkeit ist wichtig.
Im letzten Teil der Tour kann der Appetit scheinbar seltsame Kapriolen schlagen. Z.B. verspüre ich dann manchmal einen starken Fetthunger. Das heißt nichts anderes, als daß der Körper wirklich Fett braucht. Mich rettete in so einer Situation ein wenig süßer Müsliriegel aus Nüssen (tschechischer Produktion).
Grundregel: Es darf nicht zum Hungerast kommen, weil danach die Form hinüber ist. Wenn nach 250km plötzlich ein starker Appetit kommen sollte, dann sofort nachgeben und sich darüber freuen, daß man wieder essen kann!
Fahrweise
Die richtige Fahrweise ist nach dem Trainingszustand und dem Essen der entscheidende Punkt. Intensive Belastungen, vor allem am Anfang, "wenn es noch gut läuft", können sich bitter gegen Ende rächen. Also: Am Berg ruhig mal einen "Kindergang" einlegen! Auf den letzten 50km ist ein hoher Gang viel sportlicher.
Richte die Geschwindkeit nach dem Wind; versuche nicht, mannhaft dagegen anzukämpfen, sondern ihn "auszutricksen" - lieber bei Rückenwind etwas Zeit aufholen, das ist effektiver. Pulskontrolle könnte hier wichtig sein, aber noch wichtiger ist, die Signale seines Körpers zu kennen.
Bei langen Touren fahre nicht nach Lehrbuch, sondern so, wie Du Dich wohlfühlst und trotzdem noch schnell vorankommst. Wenn es Dir mehr zusagt, dann eben eine etwas niedrigere Trittfrequenz als trainingswissenschaftlich optimal - was optimal ist, bestimmst Du selbst auf der Fahrt.
Mache regelmäßig und ausreichend Pausen. Ich versuche sie aller 40km einzurichten - das ist nur ein Vorschlag. Zeit zum Essen muß bleiben. Bei starker Erschöpfung sollte erst eine Erholung spürbar werden. Hetzerei kann sich so rächen wie zu schnelles Fahren am Anfang.
Euphorie
Ab einer gewissen Strecke setzt dann doch Euphorie ein - man merkt, daß man es gut schafft. Trotzdem vernünftig bleiben, einigermaßen gleichmäßig weiterfahren!
Danach
Regeneration
Die Tour ist mit der Ankunft nicht beendet. Auf keinen Fall darf man das Dehnen danach vergessen, auch wenn man todmüde ist. Und selten spürt man den Effekt einer Rekom-Tour stärker als am folgenden Tag. Plane sie am besten gleich mit ein; es ist die wirksamste Regenerationsmaßnahme, die ich kenne. Von Sitzbeschwerden sollte man sich möglichst nicht abhalten lassen. Ich fahre z.B. mehr als 50km mit einem Kind, etwa mit 20er Schnitt in leicht bergigem Gelände. Es darf auch etwas mehr und schneller sein.
Alles andere unter Regeneration Gesagte gilt selbstverständlich auch. Nach solchen Touren dauert solch ein Prozeß aber schnell einmal 5 Tage. In dieser Zeit hat man verstärkten Hunger und sollte Diätgedanken ad acta legen - Hungern dürfte die Form in den Keller ziehen. Der Körper nimmt sich ggf. sogar Eiweiße aus den Muskeln, wenn er zu wenig Nahrung bekommt.
In der Erholungszeit darf man ruhig wieder radfahren. Nur zu intensiv sollte es nicht sein.
Und wieder Euphorie
Wer sich richtig erholt hat, wird einen tollen Formsprung bemerken. Noch wichtiger: Die unangenehmen Erinnerungen verblassen erstaunlich schnell, und daher erscheint die Fahrt bald als ein wirklich großartiges Erlebnis. Das bedingt wohl den Suchteffekt. Nichts ist schöner, als wenn der Schmerz nachläßt ;-)
Quelle http://home.wtal.de/rwobst/faqs.html#Lang