Hier noch Informationen aus dem Phonak-Rennstall und dem Thema Doping.
Ein Interview in 'Facts' Nr. 32 vom 10.8.06.
"Ich fahre, ohne
zu betrügen"
Der Schweizer Vetorennfahrer Martin Elmiger fordert mehr Dopingkontrollen und ist erstaunt, dass Floyd Landis noch immer behauptet, nicht gedopt zu haben.
Interview: David Wiederkehr
FACTS: Herr Elmiger, werden Sie oft als Doper bezeichnet?
Martin Elmiger:Ja, oft. Aber nie persönlich, sondern wegen meinem Beruf als Radfahrer.
FACTS: Wie reagieren Sie darauf?
Elmiger: Einerseits mit Verständnis, weil nun mal viel passiert ist in den letzten Jahren. Anderseits muss ich schon sagen, dass Velofahrer viel öfter kontrolliert werden als andere Sportler. Und darum bleiben auch verhältnismässig viel mehr Vetofahrer hängen.
FACTS: Versuchen Sie, die Leute zu bekehren?
Elmiger:Je nach dem. Viele leben nach ihren Vorurteilen. Die interessiert es nicht, dass es auch ohne Doping geht.
FACTS: Geht es denn ohne?
Elmiger: Selbstverständlich. Ich fahre, ohne zu betrügen.
FACTS: Sie haben am Projekt «Spitzensport ohne Doping» von Swiss Olympic teilgenommen und wurden dabei sehr oft getestet. Wie oft?
Elmiger: Sicher zehnmal pro Jahr sind die Kontrolleure unangemeldet zu mir nach Hause gekommen. Dann wurde mein Blut jährlich viermal kontrolliert. Und nach diversen Rennen musste ich die regulären Urinproben abgeben.
FACTS: Was hat Ihnen die Teilnahme an diesem Projekt gebracht?
Elmiger: Einen guten Ruf. Das ist schon sehr viel wert im Moment.
FACTS: In der Tat. Das Image des Radsports ist nach all den negativen Schlagzeilen am Boden. Was werden die Folgen sein?
Elmiger: Ich kann nur hoffen, dass noch rigoroser kontrolliert wird, dass der Zeitpunkt der Kontrollen überdacht wird. Im Moment dürfen wir zwischen 23 und 7 Uhr nicht getestet werden. Diese Regelung müsste man lockern, denn diese acht Stunden sind ein berechenbares Zeitfenster. Auch wenn darunter die Privatsphäre der Fahrer leiden könnte. Ausserdem wünsche ich mir, dass endlich weltweit die gleichen Gesetze gelten, dass jeder Fahrer, egal welcher Nationalität, gleich oft getestet wird. Dass dies endlich fair wird.
FACTS: Ist es das denn nicht?
Elmiger: Überhaupt nicht. Es kann doch nicht sein, dass wir Schweizer zusammen mit Spaniern im Trainingslager sind, in Spanien, und die Spanier lachen uns aus, wenn unsere Kontrolleure eigens für Dopingkontrollen aus der Schweiz anreisen. Die Spanier dagegen werden zwei Wochen vorher von der Behörde gewarnt.
«Bei Phonak ist nie ein Fahrer gezwungen worden, Doping zu nehmen.»
FACTS: Hoffnung auf Besserung besteht, weil in Spanien die Fuentes-Affäre läuft und sich Politiker des Problems annehmen. Elmiger: Genau, und ich finde es gut, dass Telefone abgehört werden, dass sich Politiker fürs Doping zu interessieren beginnen. Ziel muss sein, dass Dopingkonsum überall strafrechtliche Folgen hat.
FACTS: Wie reagierten Fahrerkollegen auf Ihr Engagement bei «Spitzensport ohne Doping» ?
Elmiger: Die meisten waren erstaunt.
FACTS: Eine Selbstregulierung scheint demnach undenkbar?
Elmiger: Solange es um so viel Geld geht im Radsport: unmöglich.
FACTS: Mit Tour-de-France-Sieger Floyd Landis wurde ein weiterer Ihrer Teamkollegen überführt. Als er in der 16. Etappe einbrach und in der 17. wundersam zurückkehrte, dachten viele: Der muss gedopt sein.
Elmiger: Ich nicht. Er hatte einen schlechten Tag gehabt. Und es kommt oft vor, dass sich ein Fahrer von einem Einbruch erholt. Er hatte eine sehr gute Form. Abgesehen davon: Ich weiss zwar nicht, was Testosteron bewirkt, aber ich glaube nicht, dass es ein solches Wundermittel ist.
FACTS: Wie ist Ihr Verhältnis zu Landis?
Elmiger: Sehr gut, wir haben uns schon ein paarmal das Zimmer geteilt. FACTS: Hatten Sie Kontakt zu ihm?
Elmiger: Während der Tour habe ich ihm ein paar SMS geschrieben. Aber seit dem Befund nicht mehr.
FACTS: Glaubt er wirklich, dass er trotz positiver B-Probe unschuldig sei?
Elmiger: Amerikaner haben ein sehr grosses Selbstvertrauen. Selbst in solch einer Situation. Das hatte sich ja zuvor auch beim ebenfalls überführten Phonak-FahrerTyler Hamilton gezeigt. Mich erstaunt, wie selbstsicher er auftritt, obwohl vieles gegen ihn spricht. Landis sagt steincool, er sei unschuldig - und weiss möglicherweise genau, dass es nicht stimmt.
FACTS: Vermutlich hat er sich nach seinem Einbruch auf La Toussuire über Nacht ein Testosteron-Pflaster aufgelegt. Warum?
Elmiger: Es ist davon auszugehen, dass sie sich verpokert haben.
FACTS: Sie?Also wussten die Teamärzte Bescheid?
Elmiger: Sie fragen mich da etwas, was ich nicht wissen kann, weil ich an der Tour nicht dabei war.
FACTS: Sie kennen die Abläufe im Team.
Elmiger: Wir haben vierTeamärzte. von ihnen arbeitet Denise Demir eng mit Landis zusammen. Sie ist immer in seiner Nähe. ist am Ziel die Erste, die ihm ein Handtuch reicht.
FACTS: Könnte sie ihn gedrängt haben, das Pflaster aufzulegen?
Elmiger: Sicher nicht. Bei Phonak ist nie ein Fahrer gezwungen worden, Doping zu nehmen. Nie. Und bei Phonak wurde auch nie systematisch gedopt. ~
FACTS: Warum haben Sie gar nie erst angefangen, sich zu dopen?
Elmiger: Das ist meine Lebenseinstellung. Ich habe vor einigen Jahren begonnen, mental an mir zu arbeiten, habe auf spirituelle Weise den Sinn des Lebens gesucht. Und da wurde mir bewusst: Mir bringt Doping nichts, und ich könnte nie mich oder andere belügen.
FACTS: War es auch die Angst davor, dem Körper zu schaden?
Elmiger: Das war nicht der Punkt. Ich spürte einfach, dass es mir nichts bringt, dank Betrug kurzfristig Erfolg zu haben, weil ich der festen Überzeugung bin, dass jeder. der betrügt, deswegen irgendwann einen Nachteil haben wird.
FACTS: Die grossen Erfolge fehlen Ihnen, man könnte mutmassen: weil Sie sauber fahren.
Elmiger: Gut, das kann man so sehen. Aber «Doping zu legalisieren, wäre eine absolute Katastrophe.»
Ich wich weiss für mich selbst am besten, was ich erreichen kann und was nicht. Ich kann Weltmeister werden - mit einem Kühlschrank, der mit Wasser, Jogurt und Käse gefüllt ist. Und nicht mit Blutbeuteln. Ich habe schon oft genug bewiesen, dass ich vorne mitfahren kann.
FACTS: Ärgert es Sie, wenn Sie Zweiter erden und der Erste danach eine positive Dopingprobe abgibt?
Elmiger: Dann ist der gestraft genug. Und es hat halt nicht sollen sein, dass ich als Erster über die Linie fuhr. So ist alles gut, wie es ist - für den Moment.
FACTS: Gibt es während den Rennen Verdachtsmomente?
Elmiger: Oft, ja. Wenn ich am Berg kämpfe und leide und dann sehe, wie einer nebenher, fast ohne zu schwitzen, fährt, denke ich oft: Das kann doch nicht sein. Aber es ist gefährlich, sich in solchen Gedanken zu verlieren. Ich will nicht über andere urteilen, von denen ich nichts weiss.
FACTS: Wie übersteht man eine dreiwöchige Rundfahrt?
Elmiger: Indem man gut vorbereitet ist, einen guten Koch dabei hat und sich zwischen den Etappen gut erholt.
FACTS: Das reicht? Landis ging offensichtlich gerade die Regeneration nach seinem Absturz zu wenig schnell. Wie putschen Sie sich nach einem harten Renntag auf?
Elmiger: Als Erstes nehme ich einen Regenerationsshake - von Coop. Der enthält Proteine, Kohlenhydrate - eine Nahrungsergänzung. Dann lasse ich mich massieren, ich stretche und versuche, so lange wie möglich zu schlafen. FACTS: Keine Injektionen?
Elmiger: Wenn ich nach einer Etappe von Krämpfen geplagt bin oder meine Werte am Boden sind, werden mir Magnesium, Aminosäuren, Kalzium, Eisen oder Vitamine intravenös gespritzt. Das ist erlaubt und besser, als gar nichts zu nehmen. Sehr gesund ist Velofahren mit dieser Intensität nicht, und wenn man dem Körper gar nichts zuführt, schindet man ihn unnötig.
FACTS: Wer dopt sich?
Elmiger: Es gibt Fahrer, die bescheissen im Unwissen ...
FACTS: ... also die Dummen und Naiven?
Elmiger: Ich würde sie die Gutgläubigen nennen, die ihrem Arzt blind vertrauen. Auf der andern Seite gibt es die, die es wissentlich und über Jahre tun. Die wissen, was sie wann und für wie lange nehmen dürfen, damit bei der nächstmöglichen Kontrolle nichts angezeigt wird. Dopingarzt Eufemiano Fuentes zum Beispiel kennt sich wahrscheinlich bestens aus. Er weiss, womit er Blut anreichern muss und wann er dieses Zeugs wieder entnehmen muss. Fuentes und seine Fahrer sind wie Bankräuber, die einen Überfall planen. FACTS: Unterscheiden Sie zwischen Gutgläubigen und Bankräubern?
Elmiger: Nein.
FACTS: Es gibt viele, auch Politiker, die fordern, Doping zu legalisieren.
Elmiger: Wer so was fordert, ist ein Idiot. Doping zu legalisieren, wäre eine absolute Katastrophe. Dann wäre der Radsport nur noch eine Frage des Überlebens: Wer mehr spritzt, gewinnt. Das wäre lebensgefährlich. Viele gehen schon heute ungeheure Risiken ein und wissen nicht, wie blöd sie noch tun wollen.
FACTS: Verachten Sie Floyd Landis?
Elmiger: Das nicht. Ich finde es einfach schade und würde ihm jetzt am liebsten ans Herz legen: Floyd, du wolltest betrügen, und es ist aufgeflogen. Jetzt mach klaren Tisch und streite nicht alles ab. Und für mich ist dieser Fall nur eine weitere Bestätigung: Mein Weg ist der richtige. (Die Anzahl ist erschreckend hoch: Zwölf Dopingfälle für Phonak in nicht einmal fünf Jahren, und selbst Martin Elmiger, Zuger Radprofi und Antidoping-Botschafter von Swiss Olympic, fragt sich: «Wieso so viele?» Fakt ist, dass nicht alle Negativschlagzeilen auch tatsächlich Dopingfälle im eigentlichen Sinn sind. Am 2. November 2001 wurde der Italiener Massimo Strazzer positiv auf Epo getestet - die B-Probe allerdings entkräftete den Verdacht. Ebenso bei Fabrizio Guidi am 31. Juli 2005 in Hamburg. Ausserdem suspendierte Phonak innert neun Monaten drei Fahrer, weil sie in internen Kontrollen hängen geblieben waren: Sascha Urweider, Tomasz Nose und Santos Gonzalez. Reto Bergmann wurde entlassen, nachdem er zugegeben hatte, ein Testosteron mitgeführt zu haben.
Vorbildliche Tests
Die Entlarvung durch die eigenen Teamärzte ist als Erfolg Phonaks zu werten, als Verdienst von Andy Rihs, der eine strikte Haltung gegen das Doping verlangte. Obwohl der Ruf von Phonak schlecht war, galten die intern durchgeführten Tests beim Weltverband UCI als vorbildlich. Fünf «echte» Dopingfälle verbleiben: Landis, Hamilton, Perez, Camenzind und Buxhofer. Noch immer eine hohe Zahl, auch im internationalen Vergleich.