Als Hauptkundengruppe für die Benutzung der ICE sieht die Bahn AG Geschäftsreisende; die in Regionalzügen üblicherweise anzutreffenden Fahrradtouristen (Hans-Jürgen oder Heinz-Günther, mit Trekkingrad der Marke „Sch(n)auff„ an der Hand) oder auch Rennradfahrer würden dieses Bild erheblich stören. Schon aus diesem Grunde, also um ihre Hauptkundschaft nicht unnötig durch Behinderungen während des Ein- und Aussteigens zu verärgern, wird die Bahn hier von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und ihre Beförderungsbedingungen zu deren Schutz entsprechend festlegen. Natürlich gibt es eine Beförderungspflicht gegenüber zahlenden und mit ordentlichem Gebaren auftretenden Reisenden (friedlich, nicht alkoholisiert), doch diesem wird die Bahn durch ihr Regionalangebot gerecht; ein Verbot der Fahrradmitnahme in ICEs ist somit keine generelle Verhinderung der Mobilität der Fahrradfahrer, allenfalls bleibt diesem Personenkreis ein Teil der Bequemlichkeit vorenthalten, die eine schnelle ICE-Fahrt bietet.
Zwar halte ich es für unwahrscheinlich, daß die Mitfahrt in einem ICE angesichts des höheren Beförderungspreises für Gruppen von Radfahrer attraktiv wäre, doch auch schon ein oder zwei Räder, hängend angebracht, würden bei den kurzen Halten und den hierfür nötigen schnellen Zu- und Ausstiegen zu Verzögerungen führen, die sich wiederum auf die Erfüllung des Fahrplanes auswirken würden.
Wannimmer ich beobachte, wie Radfahrer auch nur einem Regionalexpress zusteigen, erlebe ich sie im Zustand größten Stresses: hektisch, ängstlich, fast panisch, keinen Platz zu finden oder sich in Konkurrenz mit Gepäckreisenden oder Kinderwagen wähnend, erteilen sie lautstark Kommandos an Gruppenmitglieder, Gepäckreisende werden angeherrscht, man wäre nun erst einmal an der Reihe, eingeleitet von einem langgedehnt ausgesprochenen „Moooment”, und dann fällt dem zusteigenden Radfahrer entweder
Helm oder Radbrille herunter — beides zwar eine persönliche Katastrophe, für beides ist aber hier weder Zeit noch der richtige Platz, erst recht nicht vor einem im Bahnhof wartenden ICE — ich möchte mir dies gar nicht erst vorstellen.
Im Bummelbähnchen auf der letzte Strecke zu meinem Heimatort durfte ich einmal im Mehrzweckabteil erleben, wie ein Rennradfahrer einer Frau, die ihren Kinderwagen nach Hochklappen eines der Sitze dort abgestellt hatte, den Platz streitig machte, obwohl diesem laut Beförderungsbedingungen die Belegung durch Kinderwagen und Rollstühle vorrangig bestimmt ist. Seiner Auffassung nach wären diese Plätze im Mehrzweckabteil mit seinen hochklappbaren Sitzen „ausschließlich für Fahrräder”, und damit drei Plätze nebeneinander für ihn vorgesehen; meiner Meinung nach verdient hätte er stattdessen einen Platz in einem Kinderwagen, denn an seiner Erziehung schien machens zu fehlen. Das Eingreifen eines heißblütigen Südländers in Bauarbeiter- oder Malerkleidung beendete die Szene abrupt; der kleingewachsene Mann schritt sehr energisch gegen den viel größeren Radfahrer ein und bot ihm „ein paar auf´s Maul” an, wenn er die Frau nicht jetzt in Ruhe lassen würde. Kinderwagen und Rollstühle genießen in Zügen immer das absolute Vorrecht vor der Mitnahme von Fahrrädern, die selbst nach erfolgter Reservierung nur bei Möglichkeit, also ausreichendem Platzangebot gewährt wird; das vermeindliche Recht des Radfahrers auf Fahrradmitnahme wird richtigerweise immer durch die größere Bedürftigkeit der Schwächeren (Gebrechliche, Kleinkinder) zu Fall gebracht, und es ist allein der Zugbegleiter, der nach Lage vor Ort darüber entscheidet. Fahrräder sind Luxusartikel, nicht aber Rollstühle und Kinderwagen; die auf sie Angewiesenen haben das höhere Schutzrecht. Radfahrer in Zügen können äußerst asozial auftreten.
Was, wenn dem ICE an einem Bahnhof ein Rollstuhlfahrer zusteigen wollte, dieser in Begleitung, jedoch ohne Reservierung? Würde man ihm die Mitfahrt verwehren wollen, weil der Platz von Rennradfahrern mit Reservierung belegt wurde, und dem behinderten sagen, er habe Pech gehabt und solle nächstens vorbestellen? Müßte man die Rennradfahrer nicht nun hinauswerfen oder ihnen nicht wenigstens die Räder auf den Bahnsteig stellen?
Auch ich bin ich als Bahnkunde nicht in allen Belangen mit deren Angebot und dessen Verwirklichung einverstanden, dennoch sehe ich die Sinnhaftigkeit der hier angeführten Verwehrgründe ein.
Zwar gehöre ich als Inhaber einer jährlichen 1. Klasse Bahncard 100 (mit unter 7.000 Euro die teuerste Fahrkarte im Angebot der Bahn) zu den bevorzugt behandelten Bahnkunden, dennoch würde es mir nicht in den Sinn kommen, die Zugbegleitung bei Gelegenheit nach offener Fahrradmitnahme zu fragen oder diese auch nur als Anregung zu erwähnen. Einige ICE sind zu Spitzenzeiten bis weit jenseits der Schmerzgrenze überfüllt; ich denke an Mitreisende, die trotz ihrer nicht eben billigen 2. Klasse-Fahrkarten stundenlang im Durchweg zwischen den Abteilen stehen, gleich neben der Toilette (oder darauf; irgendwann werden sie dann herausgebeten), in der Bar scheinbar mit dem Mobiliar verwachsen sind oder in der Hoffnung, doch noch einen Sitzplatz zu ergattern, immerfort durch die Züge geistern, bis sie von einem mittlerweile intolerant gewordenen Zugbegleiter angefahren werden, sie hätten die Wagen der 1. Klasse nicht mehr zu betreten.
(Klassische Zombie-Filme wollen mir hier einfallen, nur daß die Rastlosen hier nicht "Brains!, Brains!” stöhnen, sondern „Sitzplatz! Sitzplatz!”)
Warum auch immer sie nicht reserviert hatten, diese Art der Mitfahrt ist eine Härte, die angesichts des bezahlten Fahrpreises Zweifel am Produkt ICE aufkommen lassen. Würde man jedoch keine Mitfahrten ohne Reservierung mehr zulassen, womit der zuvor genannte Übelstand beseitigt wäre, würde dies die Spontanität der Reise zunichte machen.
Wäre es mein Rat, die Räder nicht in Radkoffern mitzuführen, sondern, wenn dies die Rahmengröße zuläßt, in unauffälligem Gepäck, so müßte ich doch gleich darauf einschränken und fragen, wie die Rennradfahrer dann auf das wertvolle Gepäck Acht geben wollten? Sollte ein Sitzplatz gleich in dessen Nähe reserviert werden? Ist angesichts dessen die Mitnahme in Züge des Regionalverkehres nicht, wenn auch zeitaufwendiger, viel stressfreier?
Die Beharrer auf Fahrradmitnahme im ICE könnten ja einen Flashmob/Critical Mass dafür veranstalten; diese Form der Meinungsbekundung und Rechteeinforderung ist zur Zeit sehr beliebt. Besser noch: Seht den ICE doch als die erdgebundene „Concorde des kleinen Mannes”, in diesem Luxusjet war es ja auch nicht üblich, mit angeleinten Ziegen und Gänsen sowie mit einer Holzkiste Proviant den Zug zu besteigen, so wie auf einer Zugfahrt durch Masuren, 1940.