no*dice
shit sucks!
Text aus Konkret 09/04, S. 64. Bezug über diese Quelle http://www.konkret-verlage.de/kvv/kcd.php
Text zum beschissenen Verhalten "einiger" sogenannter "deutscher" und "Fans" zur TDF 2004. Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Genie & Maschine von Ralf Schröder
Jan Ullrich, Lance Armstrong und die deutsche Paranoia.
Vor einigen Wochen radelten Jan Ullrich und Lance Armstrong zum vierten Mal bei einer Tour de France um die Wette. Statt sich endlich an den Verlauf und an das Ergebnis dieser Konkurrenz zu gewöhnen, fielen Deutschlands Sportfreunde in einen Ausnahmezustand, der präzise nur mit Kategorien der Psychopathologie zu beschreiben wäre.
Am Nachmittag des 21. Juli bemühte sich der aus Mecklenburg stammende Jens Voigt, die fünfzehneinhalb Kilometer zwischen Bourg d’Oisans und dem Wintersportort L’Alpe d’Huez möglichst flott bergauf zu fahren. Unterwegs passierte er die groß auf den Asphalt gemalte Parole »Verräter Voigt«, und auch ansonsten hatte er an diesem Tag wenig Spaß an seinem Sport. Er sei froh, so beschrieb Voigt seinen Auftritt, »daß sie mich während des Zeitfahrens nicht vom Rad geschlagen haben. Tausende haben mich ausgebuht und mich als Arschloch, Schwein und Verräter beschimpft. Es war eine richtige Hexenjagd.« Auf Plakaten und in Sprechchören wurde er von deutschen Fans als »Vaterlandsverräter« und »Judas« bezeichnet.
Die chauvinistische Militanz eines erheblichen Teils der deutschen Fans ist seit einiger Zeit zu beobachten, wurde aber im aktuellen Fall durch die Berichterstattung der ARD noch gefördert. Während der Etappe am Vortag hatte Ullrich einen Angriff gestartet und etwa eine Minute Vorsprung auf jene Gruppe herausgefahren, in der sein großer Konkurrent Armstrong radelte. Dort befand sich aber auch Voigts Teamkollege Ivan Basso, dessen gute Plazierung durch Ullrichs Attacke ebenfalls gefährdet war. Deshalb wurde der zu diesem Zeitpunkt weiter vorn fahrende Voigt von seinem Teamchef in die Basso-Armstrong-Gruppe zurückbeordert und half seinem Teamkapitän, wieder zu Ullrich aufzuschließen. Im Klartext: Jens Voigt erledigte einen Job, der Gegenstand seines Arbeitsvertrages ist.
Die ARD-Kommentatoren Hagen Boßdorf und Herbert Watterott mochten dieses Manöver, das im Radsport eine taktische Selbstverständlichkeit ist, nicht einfach hinnehmen. Sie bewerteten Voigts Aktion in einer Weise, die der Betroffene – sehr moderat – als »unqualifizierte Berichterstattung« wertete. Zur Kommentierung durch Boßdorf, der Ghostwriter von Ullrichs Autobiographie ist, sagte Voigt: »Da hat er erzählt, daß es nicht richtig sei, daß ich als Deutscher Jan Ullrich wieder einfange. Und daß ich damit Lance Armstrong zum sechsten Tour-Sieg verhelfe. Damit hat Boßdorf die deutschen Fans ganz klar gegen mich aufgehetzt.« Im offiziellen Tour-Forum wurde Boßdorf u.a. so zitiert: »Also, was der Jens Voigt da macht, das ist wirklich wie Verrat an einem Freund, mit dem er bei Olympia gefahren ist.«
Zu ihrer Verteidigung ließen sich die ARD-Verantwortlichen ein Argument einfallen, daß völlig frei von radsportlichem Fachwissen und insofern ein hübsches Spiegelbild der gesamten Anti-Armstrong-Randale war: Die Kritik von Boßdorf und Watterott, so die geschichtsträchtige Stellungnahme, habe sich »zu keinem Zeitpunkt gegen Jens Voigt« gerichtet, »sondern nur gegen die Taktik von CSC, die wiederum vom Sportlichen Leiter bestimmt wurde«. Der ist Däne und einst nicht unbedingt in Frieden aus dem deutschen Telekom-Team geschieden – offensichtlich aber dennoch verpflichtet, statt seiner eigenen die Interessen der deutschen Tagträumer zu bedienen.
Die mentale Militarisierung der professionellen und angelernten deutschen Radsportfreunde läßt sich mühelos auch an der Art ablesen, in der der einst weithin beliebte ehemalige Krebspatient Armstrong heute durchgängig porträtiert wird. Der »Stern«: »Armstrong hat sich zur perfekten Maschine gemacht, und er hat gelernt, diese Maschine perfekt zu kontrollieren – und alles drum herum.« Der »Kicker« in seiner Tour-Vorschau: »Hier Lance Armstrong, die Sieg-Maschine, die mit unglaublicher Präzision und Willensstärke den Rekord von sechs Toursiegen anpeilt, daß es einem unheimlich wird.« Der Kölner »Express«: »Doch der Ami ist auch der ungeliebte Mann in Gelb. Keine Fehler, keine Schwächen, zu sehr Maschine. Und einen Roboter kann man nur schwer ins Herz schließen. Das bekommt Armstrong eindeutig zu spüren. Auf der Strecke zeigen ihm zwei Fans den nackten Hintern. Ständige Buhrufe und Beschimpfungen bekommt er um die Ohren gepfeffert« – gibt es jemanden, der dafür kein Verständnis hätte? Die »BZ«: »Armstrong kann es sich auch erlauben, gegen ungeschriebene Tour-Gesetze zu verstoßen. Denn er ist das Gesetz ...«
Es ist unschwer zu erkennen: Die populäre Idee, Ullrich werde von einem mechanischen, außerhalb der menschlichen Gesellschaft stehenden Wesen am Boden gehalten, wächst ganz von alleine mit traditionellen und aktuellen antiamerikanischen Ressentiments zusammen, und im Ergebnis haben wir es mit einer typisch deutschen und antisemitisch grundierten Wahnvorstellung zu tun. Der projektive Haß auf Armstrong liegt nicht zuletzt darin begründet, daß es die so häufig angerufenen deutschen Tugenden sind, die den Texaner zum andauernden Siegen bringen: Arbeit, Selbstdisziplin, Askese, Willensstärke, Gründlichkeit, Planung, Härte gegen den eigenen Körper – wäre die Maschine ein Mensch, es müßte ein deutscher sein. So einer wie Michael Schumacher, den alle mögen.
Da das Schicksal aber anders disponierte, wurde über Ullrich in jenen Tagen so geredet, wie es der Schweizer Exprofi Rominger (im »Express«) tat: »Er ist einfach ein super sympathischer Kerl. Wie er mit Kollegen umgeht. Wie er mit Niederlagen umgeht. Wie er kämpft und leidet. Das lieben die Menschen. Er ist halt nicht eine Maschine wie Lance Armstrong. Er ist menschlich mit allen Schwächen und Stärken. Er soll so bleiben – auch wenn er die Tour nie mehr gewinnt«. Diese kollektive Selbstverleugnung geht – in Anspielung auf Ullrichs nicht immer professionelle Saisonvorbereitung – soweit, ihn betont liebevoll ein »schlampiges Genie« zu nennen, bzw. das »Genie mit dem Hang zum dolce vita« (Kicker). Typisch deutsch ist daran, den übermäßigen Genuß von Haribo und Kartoffelchips als Lebenskunst zu bezeichnen, während das geheuchelte Lob der Faulheit allein dazu dient, die Vorbehalte gegen den Maschinenmann und die Forderung nach ehrlicher Arbeit zu duplizieren. Daß übrigens der brave Ullrich als Genie bezeichnet wird, kann eigentlich nur daran liegen, daß seine Fans zu häufig lesen mußten, seine Genetik sei der von Armstrong weit überlegen – wobei der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden muß, daß Ullrich selbst mit all dem ideologisierten Blödsinn, den seine Anhängerschaft verbreitet, nicht das Geringste zu tun hat.
Den passenden Schlußsatz für diese Erörterung haben die Journalisten des »Express« Lance Armstrong angeblich in L’Alpe d’Huez abgelauscht: »Die deutschen Fans sind ekelhaft.« Yes, Sir!
Der Mensch zeigt heit gern her womit er denkt:
Text zum beschissenen Verhalten "einiger" sogenannter "deutscher" und "Fans" zur TDF 2004. Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Genie & Maschine von Ralf Schröder
Jan Ullrich, Lance Armstrong und die deutsche Paranoia.
Vor einigen Wochen radelten Jan Ullrich und Lance Armstrong zum vierten Mal bei einer Tour de France um die Wette. Statt sich endlich an den Verlauf und an das Ergebnis dieser Konkurrenz zu gewöhnen, fielen Deutschlands Sportfreunde in einen Ausnahmezustand, der präzise nur mit Kategorien der Psychopathologie zu beschreiben wäre.
Am Nachmittag des 21. Juli bemühte sich der aus Mecklenburg stammende Jens Voigt, die fünfzehneinhalb Kilometer zwischen Bourg d’Oisans und dem Wintersportort L’Alpe d’Huez möglichst flott bergauf zu fahren. Unterwegs passierte er die groß auf den Asphalt gemalte Parole »Verräter Voigt«, und auch ansonsten hatte er an diesem Tag wenig Spaß an seinem Sport. Er sei froh, so beschrieb Voigt seinen Auftritt, »daß sie mich während des Zeitfahrens nicht vom Rad geschlagen haben. Tausende haben mich ausgebuht und mich als Arschloch, Schwein und Verräter beschimpft. Es war eine richtige Hexenjagd.« Auf Plakaten und in Sprechchören wurde er von deutschen Fans als »Vaterlandsverräter« und »Judas« bezeichnet.
Die chauvinistische Militanz eines erheblichen Teils der deutschen Fans ist seit einiger Zeit zu beobachten, wurde aber im aktuellen Fall durch die Berichterstattung der ARD noch gefördert. Während der Etappe am Vortag hatte Ullrich einen Angriff gestartet und etwa eine Minute Vorsprung auf jene Gruppe herausgefahren, in der sein großer Konkurrent Armstrong radelte. Dort befand sich aber auch Voigts Teamkollege Ivan Basso, dessen gute Plazierung durch Ullrichs Attacke ebenfalls gefährdet war. Deshalb wurde der zu diesem Zeitpunkt weiter vorn fahrende Voigt von seinem Teamchef in die Basso-Armstrong-Gruppe zurückbeordert und half seinem Teamkapitän, wieder zu Ullrich aufzuschließen. Im Klartext: Jens Voigt erledigte einen Job, der Gegenstand seines Arbeitsvertrages ist.
Die ARD-Kommentatoren Hagen Boßdorf und Herbert Watterott mochten dieses Manöver, das im Radsport eine taktische Selbstverständlichkeit ist, nicht einfach hinnehmen. Sie bewerteten Voigts Aktion in einer Weise, die der Betroffene – sehr moderat – als »unqualifizierte Berichterstattung« wertete. Zur Kommentierung durch Boßdorf, der Ghostwriter von Ullrichs Autobiographie ist, sagte Voigt: »Da hat er erzählt, daß es nicht richtig sei, daß ich als Deutscher Jan Ullrich wieder einfange. Und daß ich damit Lance Armstrong zum sechsten Tour-Sieg verhelfe. Damit hat Boßdorf die deutschen Fans ganz klar gegen mich aufgehetzt.« Im offiziellen Tour-Forum wurde Boßdorf u.a. so zitiert: »Also, was der Jens Voigt da macht, das ist wirklich wie Verrat an einem Freund, mit dem er bei Olympia gefahren ist.«
Zu ihrer Verteidigung ließen sich die ARD-Verantwortlichen ein Argument einfallen, daß völlig frei von radsportlichem Fachwissen und insofern ein hübsches Spiegelbild der gesamten Anti-Armstrong-Randale war: Die Kritik von Boßdorf und Watterott, so die geschichtsträchtige Stellungnahme, habe sich »zu keinem Zeitpunkt gegen Jens Voigt« gerichtet, »sondern nur gegen die Taktik von CSC, die wiederum vom Sportlichen Leiter bestimmt wurde«. Der ist Däne und einst nicht unbedingt in Frieden aus dem deutschen Telekom-Team geschieden – offensichtlich aber dennoch verpflichtet, statt seiner eigenen die Interessen der deutschen Tagträumer zu bedienen.
Die mentale Militarisierung der professionellen und angelernten deutschen Radsportfreunde läßt sich mühelos auch an der Art ablesen, in der der einst weithin beliebte ehemalige Krebspatient Armstrong heute durchgängig porträtiert wird. Der »Stern«: »Armstrong hat sich zur perfekten Maschine gemacht, und er hat gelernt, diese Maschine perfekt zu kontrollieren – und alles drum herum.« Der »Kicker« in seiner Tour-Vorschau: »Hier Lance Armstrong, die Sieg-Maschine, die mit unglaublicher Präzision und Willensstärke den Rekord von sechs Toursiegen anpeilt, daß es einem unheimlich wird.« Der Kölner »Express«: »Doch der Ami ist auch der ungeliebte Mann in Gelb. Keine Fehler, keine Schwächen, zu sehr Maschine. Und einen Roboter kann man nur schwer ins Herz schließen. Das bekommt Armstrong eindeutig zu spüren. Auf der Strecke zeigen ihm zwei Fans den nackten Hintern. Ständige Buhrufe und Beschimpfungen bekommt er um die Ohren gepfeffert« – gibt es jemanden, der dafür kein Verständnis hätte? Die »BZ«: »Armstrong kann es sich auch erlauben, gegen ungeschriebene Tour-Gesetze zu verstoßen. Denn er ist das Gesetz ...«
Es ist unschwer zu erkennen: Die populäre Idee, Ullrich werde von einem mechanischen, außerhalb der menschlichen Gesellschaft stehenden Wesen am Boden gehalten, wächst ganz von alleine mit traditionellen und aktuellen antiamerikanischen Ressentiments zusammen, und im Ergebnis haben wir es mit einer typisch deutschen und antisemitisch grundierten Wahnvorstellung zu tun. Der projektive Haß auf Armstrong liegt nicht zuletzt darin begründet, daß es die so häufig angerufenen deutschen Tugenden sind, die den Texaner zum andauernden Siegen bringen: Arbeit, Selbstdisziplin, Askese, Willensstärke, Gründlichkeit, Planung, Härte gegen den eigenen Körper – wäre die Maschine ein Mensch, es müßte ein deutscher sein. So einer wie Michael Schumacher, den alle mögen.
Da das Schicksal aber anders disponierte, wurde über Ullrich in jenen Tagen so geredet, wie es der Schweizer Exprofi Rominger (im »Express«) tat: »Er ist einfach ein super sympathischer Kerl. Wie er mit Kollegen umgeht. Wie er mit Niederlagen umgeht. Wie er kämpft und leidet. Das lieben die Menschen. Er ist halt nicht eine Maschine wie Lance Armstrong. Er ist menschlich mit allen Schwächen und Stärken. Er soll so bleiben – auch wenn er die Tour nie mehr gewinnt«. Diese kollektive Selbstverleugnung geht – in Anspielung auf Ullrichs nicht immer professionelle Saisonvorbereitung – soweit, ihn betont liebevoll ein »schlampiges Genie« zu nennen, bzw. das »Genie mit dem Hang zum dolce vita« (Kicker). Typisch deutsch ist daran, den übermäßigen Genuß von Haribo und Kartoffelchips als Lebenskunst zu bezeichnen, während das geheuchelte Lob der Faulheit allein dazu dient, die Vorbehalte gegen den Maschinenmann und die Forderung nach ehrlicher Arbeit zu duplizieren. Daß übrigens der brave Ullrich als Genie bezeichnet wird, kann eigentlich nur daran liegen, daß seine Fans zu häufig lesen mußten, seine Genetik sei der von Armstrong weit überlegen – wobei der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden muß, daß Ullrich selbst mit all dem ideologisierten Blödsinn, den seine Anhängerschaft verbreitet, nicht das Geringste zu tun hat.
Den passenden Schlußsatz für diese Erörterung haben die Journalisten des »Express« Lance Armstrong angeblich in L’Alpe d’Huez abgelauscht: »Die deutschen Fans sind ekelhaft.« Yes, Sir!
Der Mensch zeigt heit gern her womit er denkt: