hallo in die runde,
ich habe (eher für mich selbst) einen reisebericht zu meiner «9-Länder-in-einem-Rutsch»-Tour erstellt. bevor er ungenutzt bei mir ‹verstaubt›, stelle ich ihn hier zur inspiration ein. viel spaß damit.
stellt gerne fragen oder postet eure eigenen erfahrungen drunter.
cheers und allzeit gute fahrt an alle!
+++
9-Länder-Tour
mit dem fiez durch die botanik. juni 2025.
+++ warum?
ich bin kein guter sportler. eigentlich überhaupt keiner. ich trainiere nie, und bin mit 100 kg einfach zu schwer. der innere schweinehund ist meine größte hürde. dennoch habe ich seit ein paar jahren den ‚ultrasport‘ (komischer begriff) für mich entdeckt.
der knackpunkt war mein erster run mit Jens, ca. 2015 (?). wir liefen über 10 km. dass „zweistellig“ für mich möglich ist war so unfassbar. seit dem immer die frage: wie viel geht noch? in welchem zeitraum war mir nie so wichtig. und so hänge ich nun in einem sportlichen niemandsland zwischen ‚viel zu langsam für die ambitionierten und profis‘ und ‚viel zu extrem für die normalen leute‘ herum. end of pack bei allem was ich anpacke. aber mein maßstab bin nur ich selbst; wenn ich viel oder alles gegeben habe ist alles gut, selbst wenn ich als letzter ins ziel rolle. wie die großartige Lael Wilcox einmal so schön formulierte: „at one point you just show up with what you got and ride with all your heart and see how it goes“.
es ist das frühjahr 2024. nach standardmäßig übertriebenem konsum von Youtube-bike-content komme ich spontan auf den gedanken zu recherchieren, wo der rekord für die meisten mit dem fahrrad bereisten länder an einem tag gerade steht. ich stoße auf die super dokumentierte seite des guinnes-rekord-halters Michael Moll („https://www.dieweltenbummler.de“), der mit einem fitness-bike und glasbaustein-brille im strömenden regen vom Splügenpass sechs länder touchierend nach St. Louis in Frankreich gefahren ist. mit begleitfahrzeug direkt hinter ihm. eine für meine verhältnisse gar nicht mal so extreme leistung, von der distanz her schon öfter gemacht. und hier geht fast alles nur bergab! ich legte die route grob in komoot an, ziehe aber das ende nach Luxemburg hoch (wegen plus eins!). dabei kommt eine erforderliche durchschnittsgeschwindigkeit von irgendwelchen 25 km/h raus. durchaus noch irgendwie im bereich des möglichen für mich, mit etwas glück und ausdauer. es beginnt in mir zu rattern, ich bin angefixt. bastelte zwei nächte lang an der route. wow! beim fahrradfahren, wo schon alles an rekorden in absurdestem ausmaß abgegriffen ist, so ein dickes ding! ein Guinnes-Rekord – in MEINER reichweite!? zu schön um wahr zu sein (mark my words … ). zudem zählt das Guinnes-Buch einen tag nicht von 0:00 bis 24:00 uhr, sondern 24 stunden ab einem beliebigen zeitpunkt – perfekt um im abendlicht den pass runterzuballern, und nach der ersten nacht nicht mehr in die dunkelheit fahren zu müssen!
als ich nach zwei abenden und nächten routen-rumgedaddel endlich direkt auf die Guinnes-Rekorde-Page surfe um die genaueren bedingungen zu recherchieren, die große enttäuschung: der rekord wurde schon längst mehrmals gebrochen, und liegt seit 2023 bei unfassbaren neun ländern. Ratiniks Krisjanis aus Litauen hatte die selbe idee wie ich (Italien nach Niederlande), 715 km in 23h 56 min – so eine knappe kiste, so ein tier! durchschnittsgeschwindigkeit der gesamten tour mit pausen: 28,7 km/h. brutal. der team-rekord ist sieben länder, von James van der Hoorn und Thomas Reynolds von Ungarn nach Polen – schon 2016. unglaublich krasse leistungen. da habe ich meine chance um zwei jahre verpasst, unfassbar. bei einer verlängerung meiner route über Belgien in die Niederlande würde ich also eine durchschnittsgeschwindigkeit von fast 30 km/h benötigen, völlig utopisch für mich. die meines wissens nach weltweit zweite mögliche route auf dem balkan ist mir zu skechy, zu stressig mit den grenzübertritten, und ein zu großes abenteuer für den moment.
dann doch lieber „meine“ europa-route, durch den leicht zu bereisenden schengen-raum; und zwar einfach so schnell es mir – übergewichtig und untrainiert – gelingen würde.
ich zupfe etwas weiter an der routenplanung und die logistik dahinter. dabei erinnere mich voller abneigung an den labbrigen bus, der gerüchten zufolge zwei mal am tag mit drei fahrrad-plätzen auf den pass hoch zu fahren scheint. eine riesen-herausforderung bei diesem unterfangen würde definitiv der weg ausgeruht an den startpunkt werden.
dann, schleichend aber unaufhaltsam, passiert die rush-hour des lebens. zwischen familie mit meiner wundervollen frau und zwei töchtern, meinem schönen und spannenden, aber zur zeit extrem fordernden beruf, dem haus, meinen anderen hobbies und meinem sozialen leben, laufen mir die sommerwochenenden wie sand durch die finger. schon schließt der Splügenpass für den winter, und mit ihm auch mein zeitfenster. eine dankbare gelegenheit, diesen bescheuerten traum gemütlich im mentalen hintergrundrauschen verschwinden zu lassen. hätte ich doch bloß nicht so vielen leuten die es hören wollten (oder meistens auch nicht) von meiner idee erzählt gehabt! meine freunde triezen mich schon, und ein labersack will ich auf keinen fall sein. und so kommt es dann im frühsommer 2025 zum spontanen entschluss, das projekt nun möglichst zeitnah auf gedeih und verderb über die bühne zu bringen.
von meinen freunden hat verständlicherweise niemand auf die schnelle zeit und lust, ein wochenende lang unter schlafentzug für mich durch die botanik zu gurken. Paul wäre dabei gewesen, ist aber nur wochen oder tage davon entfernt, vater zu werden. ohne groß zu überlegen rufe ich bei meinem bruder Christoph an – und nach einer kleinen predigt, für wie bescheuert und gefählich er das alles hält, sagte er für das kommende wochenende zu. wahnsinn, überragend! 1.000 dank!!
+++ auf dem weg zum start.
dann geht es alles ziemlich schnell: die zeit von dienstag (anruf bei Chris) zu freitag (abfahrt) verbringe ich mit arbeiten, familie, bike klar machen, und (leider zu wenigen) einkäufen. Chris kommt freitags erst mittags an, und meine „zwei, drei noch nötigen einkäufe“ ziehen sich leider stundenlang hin. vor allem die verdammten Lithium-Ionen-Batterien für den SPOT-tracker – welcher später sowieso versagen würde! – lassen sich in keinem baumarkt auf dem weg nach süden auftreiben. zeitverschwendung, mies geplant, so ein mist. und als nachmittags vor uns eine gemütliche schweizerin an der letzten tankstelle in Deutschland nach dem gemütlichen tanken noch gemütlich all ihre fenster putzt bevor sie gemütlich zum gemütlichen tankwart watschelt, welcher es auch nicht eilig hat, da bin ich fast geplatzt. aber selbst schuld, wäre wäre fahrradkette. sowieso die schweiz … wunderschön, aber jeder schritt dort kostet eine halbe niere. natürlich auch sofort funkstille auf den handys, sonst bist du 60 € handygebühren los. es lebe schengen, es lebe europa, es lebe die kartellbehörde.
über Chur und Thusis, und damit quasi auf der route, die Didi, Paul und ich im sommer zuvor schon einmal mit dem rad gefahren sind, nach Splügen, dann hoch auf den pass geschraubt. mit dem auto nicht so anstrengend wie damals mit dem rad, das kann ich euch sagen. so ein luxus, so bequem. es hilft, langstrecke fahrrad zu fahren um das autofahren so richtig genießen zu können.
auf dem pass schließlich bei 2.150 müM: traumwetter. kaum wind. 17 grad. 18 uhr. ich zittere vor aufregung. schnell rein in die klamotten. jacke bleibt in der rahmentasche, weste drüber reicht. den ersten geplanten stop am Supermarkt in Thusis bei km 30 direkt abgesagt und auf den regulären ersten checkpoint, welche ich vorgestern noch alle 100 km auf der route eingerichtet habe, nach Liechtenstein verschoben.
let‘s fucking go!
+++ 0 – 110.
nach einer 10-meter-schleife nach italien (land #1) zurück in die schweiz (land #2). unglaubliches glücksgefühl. warm. sonne. ausgeruhte beine. meinen bruder irgendwo hinter mir wissend, falls es mich lang machen sollte (klopf auf holz). den wind in den ohren. das rauschen der conti5000 auf dem teer. ich habe fast tränen in den augen, reiße mich aber zusammen: jetzt bloß keine dummheiten. nichts riskieren. lass gut rollen, aber bau keinen scheiß. eine der größten hürden war das herkommen an genau diesen punkt, verspiele das bloß nicht.
wunderbare, wenn auch unverdiente abfahrt vom pass nach Splügen runter, rechts abbiegen ins tal, die (zu dem zeitpunkt?) wenig befahrene straße am Sufnersee entlang runterrollen lassen. die ganze route durch die schweiz entweder bergab oder false flat. ich rufe den leuten in den dörfern zu, dass sie im paradies leben. über brücken, durch täler und tunnel an den überbleibseln der Via Mala vorbei und schnurstracks richtung Rhein. die dämmerung kommt nun, ich lasse mich mit sanftem nachtreten das manchmal unmerkliche gefälle herunterrollen, strenge mich nicht groß an, fahre gemütlich dem navi hinterher in die aufziehende nacht. erinnerungen an den alpencross mit Paul und Didi an einigen stellen, dann schon flussseitenwechsel nach Liechtenstein (land #3). ab jetzt ist es stockdunkel, und der emsige fluss treibt die ersten klammen kältefetzen über den weg.
kurze schrecksekunde, als ich auf dem ewig geradeaus führenden dammweg mit der stirnlampe mein schaltwerk checke, und beim wieder hochschauen direkt ins gras neben dem weg rattere. kein problem, sanft gegengesteuert. dann bemerke ich die steinpoller, die alle ca. 50 meter im gras den weg markieren – ach du scheiße, das hätte auch ins auge gehen können. schnell verdrängen und ab jetz auf akrobatik auf dem bike verzichten. zudem laufen einige kids ohne jede lampe oder reflektion auf dem damm herum. nun, ich bin nicht deren papa.
ich komme am checkpoint #1 – einem beliebigen wanderparkplatz am damm bei Bendern – an, und von Chris keine spur. ohne anstrengung habe ich in den ersten 100 km einen 30er schnitt hingelegt, so kann es gerne weitergehen! ich warte nun einige Minuten bis die vertrauten lichter des Viano am kreisel auftauchen. die riegel-verpackungen sind schon weggeworfen, frisches wasser, riegel, banane und energydrinks stopfe ich in mich und das rad, und weiter gehts in die nacht.
+++ 110 – 208.
weiter den dammweg durch Liechtenstein. eintönig, gut so. noch bin ich wach und fit. sollte hier nicht langsam der fetzen Österreich (land #4) anfangen? der weg hat sich leicht verändert, ein paar schiefe brücken – und da sehe ich zu meiner rechten eine verlassene zollstation! allerdings bin ich schon wieder auf dem weg aus Österreich raus in die Schweiz. das ging schnell. so ist auch meine idee dahin, vor jedem landesschild eine nummern-geste zu machen – viele übergänge auf dieser tour werden gar nicht ausdrücklich markiert sein. ich kann es nur wiederholen, es lebe europa. vor etwas über einem halben jahrhundert haben wir uns noch beschossen, und nun sowas.
zurück in der Schweiz in richtung Rorschach immer näher an den bodensee ran. doch statt gemütlichem kurven am wasser entlang geht es durch jeden ort und jeden kreisverkehr. ein glück ist es nacht und wenig los. habe ich die planung verkackt, oder ist der weg hier einfach so ungeschickt? naja, wie Olli Kahn zu sagen pflegte: „weiter, immer weiter.“
an einer tanke in Romanshorn kommt zufälligerweise auch Chis von hinten angefahren, eine kleine spontane labe! es wird allerdings das einzige mal sein, dass wir uns zufällig sehen. zwei schweizer fussballfans auf holland-bikes (die mädels der EM wurden leider von den Spanierinnen geschruppt) sind beeindruckt. weiter durch die nacht, auch wenn die umgebung am bodensee klamm und kühl wird.
bei Konstanz („Konschdans!“) schließlich über die brücke zurück nach Deutschland (land #5). ich war oft in der gegend, allerdings nie mit dem rad. in Radolfzell hat die pizzaria/dönerbude an unserem checkpoint #2 natürlich schon lange zu, es ist halb vier nachts. ich bin einigermaßen verfroren, und das erste mal recht kaputt.
da ich die motivation nicht aufbringen kann den Schwarzwald-anstieg jetzt schon anzugreifen, und der weg noch lange ist, beschließe ich, bis tagesanbruch mit Chris im bus eine mütze schlaf abzugreifen. das gelingt auch ziemlich gut. überraschend motiviert (sage ich im nachhinein) geht es samstag früh direkt wieder los.
+++ 208 – 300.
ein paar rampen nach Singen (Hohentwiel), und noch den satten längeren anstieg bei Tengen von ca. 400 auf ca. 750 Hm. hier kenne ich über ein paar ecken auch leute, aber es ist in aller herrgottsfrühe, und ich bin nun ganz offiziell ungeduscht und fern der heimat.
der tag beginnt mit den ersten wärmenden sonnenstrahlen, und einigen für meine verhältnisse doch recht knackigen steigungen zwischen Geisingen, Bad Dürrheim und St. Georgen.
an einem der downhills zwischendurch mit offenem trikot – mittlerweile bin ich komplett augeheizt und nassgeschwitzt – wird mir meine mit wasser gefüllte ketchupflasche (Heinz for the win!) hinten aus dem trikot gebeutelt. als ich den verlust im tal bemerkte blicke ich auf (gefühlt?) mehrere hundert höhenmeter bergauf zurück, das war mental nicht drin. bis heute das einzige stück müll, dass ich je bei einem lauf oder einer radtour bewusst auf de strecke gelassen habe. ich habe das aber durch mein konstantes fremdmüll aufsammeln im alltag und auf anderen touren um ein vielfaches kompensiert. es sei mir vergeben.
am bei km 300 gelegenen highpoint wartet Chis bei checkpoint #3 in der nähe eines windrades im schatten auf mich. ein paar minuten augen zu machen müssen drin sein. eine banane kriege ich gerade noch runter, aber ich merke dass die hitze und die anstrengung von den steigungen (die sind ja nicht direkt meine stärke) mich auslaugen. wadenkrämpfe kündigen sich an, also obacht geben.
+++ 300 – 371.
die fahrt bergab durch das Schwanenbachtal (ich lasse Reichenbach aus) ist im nachhinein leider nicht in meinem hirn gespeichert. schräg, aber bei so viel eindrücken auch nicht komplett verwunderlich. da nicht einmal das Google-StreetView-Car durch dieses tal gefahren ist, kann ich auch im nachhinein nicht nach spannenden landmarks checken. in Hornberg weiß ich nun, dass ab jetzt durch den Schwarzwald keine größere steigung mehr kommt – es geht die Gutach und anschließend Kinzig durch bis zum Rhein. dass das geographisch so möglich ist hat mich bei der routenplanung positiv überrascht. bei schönstem kaiserwetter durch Gutach, eines von nur drei dörfern, in denen der legendäre Schwarzwald-Bollenhut auch tatsächlich tradition ist.
kurz vor Offenburg macht der Schwarzwald sehr schnell der Rheinebene platz. bekanntes terrain quasi, wenn auch weiter südlich als normal für mich. auf direktem wege nach Kehl zum BurgerKing: fast immer offen, keine überraschungen beim schnell zubereiteten essen, immer ein parkplatz dabei. alle weiteren ‚kleineren‘ treffpunkte auf dieser route funktionieren nicht so gut wie BK: oft außerhalb der öffnungszeiten, keine parkplätze, längere wartezeiten aufs essen, …
dieser checkpoint #4 ausnahmsweise schon bei km 70 dieses abschnittes, da ich mir in Straßburg bei der planung unsicher war. im nachhinein wahrscheinlich unbegründet, auf diese weise aber eine gute motivation, um nach ein paar weiteren minuten rumliegen, fritten schaufeln und rehydrieren weiterzufahren, und zwar – nicht ohne mich vorher über die grenzkontrollen ausgerechnet der deutschen! aufgeregt zu haben – nach Straßburg in Frankreich (land #6).
zudem ist das von der distanz her fast schon halbzeit. ich weiß nicht mehr ob wir das bewusst erwähnt oder gar gefeiert haben, aber gefühlt ist nun so viel strecke erledigt, dass das ganze projekt immer machbarer scheint.
+++ 371 – 498.
in Straßbourg direkt vorbei am Europaparlament, nette überraschung: das hatte ich bei der routenplanung übersehen gehabt. bei nächster gelegenheit auf den Marne-Rhein-Kanal. leider ein recht schmaler weg am kanal mit ziemlich ruppigem belag, aber ich soll mich nicht beschweren: ab jetzt wieder ohne dörfer, städte, menschen, ampeln und autos kilometer schruppen! unterwegs an einem schützenhaus auf der anderen kanalseite vorbei – vielleicht sind meine sinne bereits überreizt, dennoch knallt das echt unangenehm laut, das geballere. nun bekomme ich auch den ersten regen des trips ab, glücklicherweise nur ein paar tropfen und etwas spray hier und da. die größeren zellen ziehen südlich und nördlich vorbei, wetterfrosch Chris hat mich bereits gebrieft gehabt, und ich drücke einfach die daumen dass ich gut durchkomme. auch der aufkommende wind trifft mich genau von der seite und hat kaum einfluss auf die geschwindigkeit, glück muss der mensch haben.
circa bei km 410 (Steinbourg) biege ich vom kanal nach norden ab, in richtung lothringer hinterland. und ich muss sagen: komische gegend. komisches nicht-vorhanden-sein von leuten. komische landschaft. kaum versorgungsmöglichkeiten. ein paar bescheuerte höhenmeter auf der strecke, da keine durchgangs-radwege (oder radwege überhaupt) vorhanden sind. nur grobe straßen durch den moosigen wald, auf denen die locals wie die gestörten rumheizen. ich bin froh dass ich nach ein paar anstiegen und mit einsetzender dämmerung langsam aber sicher in richtung Saarbrücken unterwegs bin, erst den Houillères-Saar-kanal und anschließend den Saar-radweg auf französischer seite entlang.
Saarbrücken! totaler kontrast. war ich schon jemals hier? zu bandzeiten? überall leute am start, nightlife, industrieromantik, viel grün … Chris war zwar nicht so begeistert von unserem treffpunkt bei checkpoit #5 (ein BK eingeklemmt zwischen schnellstraße und industriepark), für mich aber top zu erreichen – und nahrhaft! erste ausführliche nutzung der toilette, auch um dem körper mal ein bißchen hygiene vorzutäuschen. beim aufstehen nach ein paar minuten dösen die ersten wadenkrämpfe. Chris der engel hat ungefragt hochdosiertes magnesium und elektrolyte organisiert. überragend!
+++ 498 – 603.
los in die dunkelheit aus Saarbrücken, einen schönen weg die Saar entlang. höhenmeter vermeiden um jeden preis. der fluss lässt ein paar kühle lufttaschen auf den weg wandern, eine erfrischung nach einem heißen tag.
der radweg parallel zur A8 endet bei Saarlouis leider jäh. ich mache den fehler und fahre die ausgeschilderte umleitung: totale katastrophe, höhenmeter und schildergewirr, nur um ein paar huntert meter zu überspringen. super ärgerlich. aber gut, wer weiß: im nachhinein sehe ich eine brücke auf der karte verzeichnet, blöd wenn die unpassierbar gewesen wäre. in den nächsten gesperrten abschnitt fahre ich direkt ein, bekomme zwar eine ziemliche strecke groben straßenbau-gravel ab, aber alles ist besser als mit der kirche ums dorf zu strampeln, und konzentration und energie bei der umleitungs-schnitzeljagd zu verlieren. viele tiere unterwegs, ich sehe fast alles von kaninchen über blindschleichen, molche, katzen, hunde, füchse und vieleicht sogar ein paar schweinchen – die erinnerung ist mittlerweile recht schwammig.
langsam aber sicher werden die optischen täuschungen beim beobachten der flora um mich herum („war da jemand? oh, nur ein busch“) immer realer, bis es zu recht ausgewachsenen haluzinationen kommt. premiere für mich, und soweit weder beängstigend noch besorgniserregend: trinken und essen funktioniert, mein körper hat keine konzentrierten schmerzpunkte, der weg ist klar erkennbar. ich habe keine angst vor den figuren (‚blätteransammlung‘) im gesträuch und skeletthänden (‚alter ast‘) auf dem weg – aber sie werden immer deutlicher. selbst nach der auflösung in ihre ursprüngliche form (blätter, sträucher, gras) bleiben die trugbilder klebenden pixel-glitches gleich an ihrer position hängen. faszinierend, und dennoch: keine akkustischen ‚erschrecker‘ und ganz abgeklärter umgang mit diesem neuen phänomen. nicht gruselig. gar nicht mal unangenehm.
um (natürlich!) höhenmeter zu vermeiden hatte ich mir einen schönen abschnitt unten auf der gravelsektion um die berühmte Saarschleife angelegt – doch nun in der finsteren nacht kann ich nicht mal das andere ufer erkennen, nur die zig nicht-verweilen-warnschilder wegen steinschlag und fallenden ästen. naja, trotzdem ganz angenehm zu fahren. die nächsten ca. 40 km die Saar entlang vergehen trotz nachtkühle und sinnenstäuschungen recht schnell. zielgerade zum checkpoint #6. ein paar wehre und brücken später – die Mosel will bei Konz noch überquert werden – überschreite ich die breiteste grenze der welt über die Sauer/Sûre zwischen Deutschland und Luxemburg (land #7). ohne navi wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen.
Chris hat in Wasserbillig neben dem bahnhof geparkt/das nachtlager aufgeschlagen. im nachhinein stelle ich fest: ich habe es verdaddelt, Schengen in den trip mit aufzunehmen (die bedeutung wurde mir auch erst im nachhinein klar, und es wäre ein ziemlicher umweg gewesen), also ab nach Wasserbillig. trotz screenshot von Chris muss ich zwei mal hin- und herfahren bevor ich den bus finde. der schlafende typ in der unterführung ist definitiv echt, keine hallu, schläft aber nach dem aufschrecken ruhig weiter. der eigentiche checkpoint #6 (eine frittenbude) hat zu, es ist mittlerweile wieder ca. 3 oder 4 uhr nachts.
ich beschließe, nichts zu riskieren und dem körper und geist ein paar stunden regeneration zu gönnen. fahrrad anschließen, strom an die gerätschaften, iso aufs bett (geduscht wird daheim wieder), noch etwas trinken bis einmal pinkeln geht, dann augen zu. klappt wieder erstaunlich gut.
der wecker klingelt kurz vor sonnenaufgang, und ich komme zum zweiten schweren ‚inneren-schweinehung-punkt‘ der fahrt: jetzt in diesem zustand aufstehen und auf den bock erscheint mir kaum möglich. ich sitze eine gefühlte ewigkeit nur stumpf da und starre aus dem Fenster. aber hilft ja nix. zudem weiß ich, dass ich bald alte bahntrassen fahren kann: wenig steigung, kein verkehr … das wird toll werden. also auf gehts, junge!
+++ 603 – 706.
es geht in den morgennebel los. ein paar huntert meter klamm, danach bin ich schon aufgewärmt. so ein glück mit dem wetter! ich habe seit freitag meine bib nicht gewechselt (und auch sonst nichts), das rächt sich spätestens jetzt: in einer pavianherde würde ich wahrscheinlich nicht auffallen mit meinem hintern. ich lade kräftig Hirschtalg-Creme nach, aber kann das geschehen nur mühsam unter eindämmen. den tag werde ich hauptsächlich im wiegetritt absolvieren, wodurch ich vor allen dingen meine handballen übermäßig stark belaste.
ich genieße den Sûre-radweg in Luxemburg, quere bei Steinheim/Minden wieder nach Deutschland, und bekomme die ersten steigungen des letzten abschnittes der tour vor die räder. ich klettere durch die Bittburger bierhopfen-felder bei Holsthum aus dem tal – und damit aus dem nebel – hoch, noch ein bißchen durch die gegend und noch einige zeit die Enz entlang. auch hier ist die erinnerung schwammig. die sanfte steigung, das den fluss entlangmäandern … genau das richtige zu dem zeitpunkt, aber eben auch nicht besonders spannend. ab Neuerburg (km 650) geht es vom alten bahnhof aus durch den tunnel auf die alte bahnstrecke Pronsfeld–Neuerburg, die Enztalbahn – alten abgebauten bahntrassen, welche zu fahrradwegen ausgebaut wurden. gleich der erste anstieg erfüllt meine hoffnungen für den rest der route komplett: schattig, sanft bergauf, kein verkehr, kaum kreuzungen. deluxe. auf gehts, einfach weiterdieseln: die letzten 200 km kriegen wir auch noch gebacken!
so geht es eine ganze zeit lang entlang, die langen sanften downhills kühlen angenehm ab, sind eine genugtuung für die seele (und die beine), die bergauf-sektionen meist recht dankbar. durch das navi kann ich sogar die zur orientierung benötigten hirn-areale ausschalten. den grenzübertritt kann man wieder leicht übersehen wenn man nicht darauf achtet, und so überquere ich in der nähe von Steinbrück die Our nach Belgien, land #8. nächster stopp: Sankt Vith, frittenbude.
+++ 706 – 788.
Chris verspätet sich und findet in der innenstadt erst keinen parkplatz. mittlerweile ist auch er gut übermüdet, hat ja auch schon weit über 1.000 km auto fahren und nur stundenweise etwas dösen in den knochen – auch nicht ohne. ich genieße kurz nach der öffnungszeit mittags einen großen berg original belgische fritten, dazu jede menge zucker und chemie in getränkedosenform. überragend! kurzzeitig verliere ich anschließend die nerven und kleide mich komplett neu in ersatzbib und frisches trikot ein, samt kräftig hirschtalg-creme – es hilft allerdings nur bedingt. um nicht zu ersticken wird Chris das alte zeug in einem brunnen etwas auswaschen, und danach unauffällig die flucht ergreifen bevor die locals das nun trübe, ölige und scharf stinkende wasser im trog mit ihm in verbindung bringen.
es geht los auf den letzten abschnitt. was für viele mit ca. 70 km länge eine ausgiebige tagestour ergeben könnte ist für mich mental nur die zielgerade – zudem tendenziell bergab am schluss. was kann da schon schief gehen? (soundeffekt: dääääh – dä dääh däh.)
meine größte herausforderung ist mittlerweile die müdigkeit, sekundenschlaf schleicht sich in die ‚lass-rollen-sektionen‘, ich haue mir alles an zucker rein was ich in der rahmentasche und dem „gastank“ finde.
ich weiß nicht mehr genau was ich alles noch in den Magen bekommen habe, aber irgendwas ging schon rein. die hände schmerzen und sind halb taub durch das wiegetritt-fahren, aber dieses alte bahnsystem ist dankbar ohne ende. der wahoo zeigt immer weniger kilometer an, nur noch 18, nur noch 10, fünf, vier … komisch, langsam müsste doch hier schon stadt sein? naja, man fährt ja öfter durch grünstreifen in ein stadtzentrum. ich gebe Chris die zeit durch, er warnt mich dass ein saftiges gewitter im anmarsch ist. es ist schon recht finster, das flackern können blitze oder optische täuschungen sein, aber der donner ist real. ein glück geht es bergab. wieso bin ich noch nicht da? der wahoo zeigt … minus 3 km?! wtf?!! ich schaue parallel auf google maps, und tatsächlich hat es auf den letzten metern der routenplanung noch geglitcht, das kommt mir zum ersten mal unter: 14 km sind noch zu fahren! alter. ein glück geht es bergab, das wäre sonst ein ziemlicher nackenschlag gewesen. ich gebe Chris die infos durch, und gebe dann kräftig gas um dem gewitter-regen zuvorzukommen und die sache zuende zu bringen.
wie gesagt: ein glück hauptsächlich downhill. ich komme endlich an der grenze an … oder ist das überhaupt die grenze? nein, nur die deutsche. eins weiter drüben endlich! Land #9, die Niederlande! Chris winkt mich rüber, ich recke kurz die fäuste in die luft – dann schnell das rad aufs auto schnallen, und schon pladdert es runter als gäbe es kein morgen. wir sitzen den regen im bus auf einem parkplatz im niemandsland (?) aus. danach erstmal rein in die Niederlande – wenn man schon mal da ist – und ins nächste restaurant, bißchen energie einpacken.
788 km gesamtdistanz. laut komoot 3.340 Hm hoch und 5.220 Hm runter. ziemlich genau 45 h alles in allem. 33 h fahrzeit (und somit fast 12 h (!) zu langsam gefahren oder verdaddelt und verpennt!). durchschnittsgeschwindigkeit 23,8 km/h.
keinerlei mechanischen probleme. danke Canyon, danke Grail Al!
+++ kurz danach.
ich bin noch ziemlich hyper von den energy-drinks, aber die schiere freude, dieses brett abgeliefert zu haben kriecht schon durch. ich mache mir lange gedanken über den namen der Strava-fahrt, aber mein hirn ist recht matschig. final ändere ich auf „9-Länder-Tour“ um. kaum jemand wird die tour im feed sehen, denn sie erscheint als freitag-abend-fahrt – so lange scrollt kaum jemand zurück.
auf dem heimweg döse ich vor mich hin. Chris hat es eilig und wird noch in einer baustelle geblitzt – ein glück nur ein paar km/h zu viel. gegen 22h00 am sonntag sind wir bei den eltern in ettlingen.
was für ein trip.
+++ lange danach
nach zweimaligem DNF bei der Mittelgebirge Classique wusste ich zum einen nicht, ob ich diesen trip schaffe. und zum zweiten, dass ich um jeden preis höhenmeter minimieren muss.
alleine und mit bikepacking-sachland hätte es höchstwahrscheinlich auch nicht hingehauen; schon die anfahrt mit der deutschen bahn wäre ein absoluter albtraum geworden. zudem war ich immer nur maximal fünf stunden vom nächsten checkpoint entfern, bei diesen distanzen eine sehr managebare zeit. hätte es mich lang gemacht hätte ich direkt anrufen können. so konnte ich entspannt mit allen gegebenheiten umgehen, und musste mir nicht noch einen schlafplatz suchen und das bivak aufbauen.
Chris, ohne dich wäre das alles nicht möglich gewesen. Danke, danke, und nochmals danke.
+++ wen interessiert’s?
niemanden. schlicht und ergreifend. eines tages sind wir alle zu staub zerfallen, und sobald wir vergessen sind sterben wir entgültig. that‘s it, that‘s all.
auch die unmittelbaren reaktionen entsprechen dem klischee für ungewöhnliche leistungen: unglaube, unverständnis, neid, erleichterung. es ist eine extrem kleine gruppe an menschen die das nachvollziehen und sich uneingeschränkt für einen freuen können. wer also auf schampusdusche und jubelnde massen bei der zieleinfahrt gewartet hast: not gonna happen, my dude.
was bei mir eintritt ist ein tiefer innerer friede.
das mentale häkchen an einem als unmöglich oder unwahrscheinlich eingestufem projekt.
die geistige öffnung für weitere abenteuer dieser art.
bragging rights (auch wenn es niemanden interessiert).
let‘s go, my dudes (and duderinas).
ich habe (eher für mich selbst) einen reisebericht zu meiner «9-Länder-in-einem-Rutsch»-Tour erstellt. bevor er ungenutzt bei mir ‹verstaubt›, stelle ich ihn hier zur inspiration ein. viel spaß damit.
stellt gerne fragen oder postet eure eigenen erfahrungen drunter.
cheers und allzeit gute fahrt an alle!
+++
9-Länder-Tour
mit dem fiez durch die botanik. juni 2025.
+++ warum?
ich bin kein guter sportler. eigentlich überhaupt keiner. ich trainiere nie, und bin mit 100 kg einfach zu schwer. der innere schweinehund ist meine größte hürde. dennoch habe ich seit ein paar jahren den ‚ultrasport‘ (komischer begriff) für mich entdeckt.
der knackpunkt war mein erster run mit Jens, ca. 2015 (?). wir liefen über 10 km. dass „zweistellig“ für mich möglich ist war so unfassbar. seit dem immer die frage: wie viel geht noch? in welchem zeitraum war mir nie so wichtig. und so hänge ich nun in einem sportlichen niemandsland zwischen ‚viel zu langsam für die ambitionierten und profis‘ und ‚viel zu extrem für die normalen leute‘ herum. end of pack bei allem was ich anpacke. aber mein maßstab bin nur ich selbst; wenn ich viel oder alles gegeben habe ist alles gut, selbst wenn ich als letzter ins ziel rolle. wie die großartige Lael Wilcox einmal so schön formulierte: „at one point you just show up with what you got and ride with all your heart and see how it goes“.
es ist das frühjahr 2024. nach standardmäßig übertriebenem konsum von Youtube-bike-content komme ich spontan auf den gedanken zu recherchieren, wo der rekord für die meisten mit dem fahrrad bereisten länder an einem tag gerade steht. ich stoße auf die super dokumentierte seite des guinnes-rekord-halters Michael Moll („https://www.dieweltenbummler.de“), der mit einem fitness-bike und glasbaustein-brille im strömenden regen vom Splügenpass sechs länder touchierend nach St. Louis in Frankreich gefahren ist. mit begleitfahrzeug direkt hinter ihm. eine für meine verhältnisse gar nicht mal so extreme leistung, von der distanz her schon öfter gemacht. und hier geht fast alles nur bergab! ich legte die route grob in komoot an, ziehe aber das ende nach Luxemburg hoch (wegen plus eins!). dabei kommt eine erforderliche durchschnittsgeschwindigkeit von irgendwelchen 25 km/h raus. durchaus noch irgendwie im bereich des möglichen für mich, mit etwas glück und ausdauer. es beginnt in mir zu rattern, ich bin angefixt. bastelte zwei nächte lang an der route. wow! beim fahrradfahren, wo schon alles an rekorden in absurdestem ausmaß abgegriffen ist, so ein dickes ding! ein Guinnes-Rekord – in MEINER reichweite!? zu schön um wahr zu sein (mark my words … ). zudem zählt das Guinnes-Buch einen tag nicht von 0:00 bis 24:00 uhr, sondern 24 stunden ab einem beliebigen zeitpunkt – perfekt um im abendlicht den pass runterzuballern, und nach der ersten nacht nicht mehr in die dunkelheit fahren zu müssen!
als ich nach zwei abenden und nächten routen-rumgedaddel endlich direkt auf die Guinnes-Rekorde-Page surfe um die genaueren bedingungen zu recherchieren, die große enttäuschung: der rekord wurde schon längst mehrmals gebrochen, und liegt seit 2023 bei unfassbaren neun ländern. Ratiniks Krisjanis aus Litauen hatte die selbe idee wie ich (Italien nach Niederlande), 715 km in 23h 56 min – so eine knappe kiste, so ein tier! durchschnittsgeschwindigkeit der gesamten tour mit pausen: 28,7 km/h. brutal. der team-rekord ist sieben länder, von James van der Hoorn und Thomas Reynolds von Ungarn nach Polen – schon 2016. unglaublich krasse leistungen. da habe ich meine chance um zwei jahre verpasst, unfassbar. bei einer verlängerung meiner route über Belgien in die Niederlande würde ich also eine durchschnittsgeschwindigkeit von fast 30 km/h benötigen, völlig utopisch für mich. die meines wissens nach weltweit zweite mögliche route auf dem balkan ist mir zu skechy, zu stressig mit den grenzübertritten, und ein zu großes abenteuer für den moment.
dann doch lieber „meine“ europa-route, durch den leicht zu bereisenden schengen-raum; und zwar einfach so schnell es mir – übergewichtig und untrainiert – gelingen würde.
ich zupfe etwas weiter an der routenplanung und die logistik dahinter. dabei erinnere mich voller abneigung an den labbrigen bus, der gerüchten zufolge zwei mal am tag mit drei fahrrad-plätzen auf den pass hoch zu fahren scheint. eine riesen-herausforderung bei diesem unterfangen würde definitiv der weg ausgeruht an den startpunkt werden.
dann, schleichend aber unaufhaltsam, passiert die rush-hour des lebens. zwischen familie mit meiner wundervollen frau und zwei töchtern, meinem schönen und spannenden, aber zur zeit extrem fordernden beruf, dem haus, meinen anderen hobbies und meinem sozialen leben, laufen mir die sommerwochenenden wie sand durch die finger. schon schließt der Splügenpass für den winter, und mit ihm auch mein zeitfenster. eine dankbare gelegenheit, diesen bescheuerten traum gemütlich im mentalen hintergrundrauschen verschwinden zu lassen. hätte ich doch bloß nicht so vielen leuten die es hören wollten (oder meistens auch nicht) von meiner idee erzählt gehabt! meine freunde triezen mich schon, und ein labersack will ich auf keinen fall sein. und so kommt es dann im frühsommer 2025 zum spontanen entschluss, das projekt nun möglichst zeitnah auf gedeih und verderb über die bühne zu bringen.
von meinen freunden hat verständlicherweise niemand auf die schnelle zeit und lust, ein wochenende lang unter schlafentzug für mich durch die botanik zu gurken. Paul wäre dabei gewesen, ist aber nur wochen oder tage davon entfernt, vater zu werden. ohne groß zu überlegen rufe ich bei meinem bruder Christoph an – und nach einer kleinen predigt, für wie bescheuert und gefählich er das alles hält, sagte er für das kommende wochenende zu. wahnsinn, überragend! 1.000 dank!!
+++ auf dem weg zum start.
dann geht es alles ziemlich schnell: die zeit von dienstag (anruf bei Chris) zu freitag (abfahrt) verbringe ich mit arbeiten, familie, bike klar machen, und (leider zu wenigen) einkäufen. Chris kommt freitags erst mittags an, und meine „zwei, drei noch nötigen einkäufe“ ziehen sich leider stundenlang hin. vor allem die verdammten Lithium-Ionen-Batterien für den SPOT-tracker – welcher später sowieso versagen würde! – lassen sich in keinem baumarkt auf dem weg nach süden auftreiben. zeitverschwendung, mies geplant, so ein mist. und als nachmittags vor uns eine gemütliche schweizerin an der letzten tankstelle in Deutschland nach dem gemütlichen tanken noch gemütlich all ihre fenster putzt bevor sie gemütlich zum gemütlichen tankwart watschelt, welcher es auch nicht eilig hat, da bin ich fast geplatzt. aber selbst schuld, wäre wäre fahrradkette. sowieso die schweiz … wunderschön, aber jeder schritt dort kostet eine halbe niere. natürlich auch sofort funkstille auf den handys, sonst bist du 60 € handygebühren los. es lebe schengen, es lebe europa, es lebe die kartellbehörde.
über Chur und Thusis, und damit quasi auf der route, die Didi, Paul und ich im sommer zuvor schon einmal mit dem rad gefahren sind, nach Splügen, dann hoch auf den pass geschraubt. mit dem auto nicht so anstrengend wie damals mit dem rad, das kann ich euch sagen. so ein luxus, so bequem. es hilft, langstrecke fahrrad zu fahren um das autofahren so richtig genießen zu können.
auf dem pass schließlich bei 2.150 müM: traumwetter. kaum wind. 17 grad. 18 uhr. ich zittere vor aufregung. schnell rein in die klamotten. jacke bleibt in der rahmentasche, weste drüber reicht. den ersten geplanten stop am Supermarkt in Thusis bei km 30 direkt abgesagt und auf den regulären ersten checkpoint, welche ich vorgestern noch alle 100 km auf der route eingerichtet habe, nach Liechtenstein verschoben.
let‘s fucking go!
+++ 0 – 110.
nach einer 10-meter-schleife nach italien (land #1) zurück in die schweiz (land #2). unglaubliches glücksgefühl. warm. sonne. ausgeruhte beine. meinen bruder irgendwo hinter mir wissend, falls es mich lang machen sollte (klopf auf holz). den wind in den ohren. das rauschen der conti5000 auf dem teer. ich habe fast tränen in den augen, reiße mich aber zusammen: jetzt bloß keine dummheiten. nichts riskieren. lass gut rollen, aber bau keinen scheiß. eine der größten hürden war das herkommen an genau diesen punkt, verspiele das bloß nicht.
wunderbare, wenn auch unverdiente abfahrt vom pass nach Splügen runter, rechts abbiegen ins tal, die (zu dem zeitpunkt?) wenig befahrene straße am Sufnersee entlang runterrollen lassen. die ganze route durch die schweiz entweder bergab oder false flat. ich rufe den leuten in den dörfern zu, dass sie im paradies leben. über brücken, durch täler und tunnel an den überbleibseln der Via Mala vorbei und schnurstracks richtung Rhein. die dämmerung kommt nun, ich lasse mich mit sanftem nachtreten das manchmal unmerkliche gefälle herunterrollen, strenge mich nicht groß an, fahre gemütlich dem navi hinterher in die aufziehende nacht. erinnerungen an den alpencross mit Paul und Didi an einigen stellen, dann schon flussseitenwechsel nach Liechtenstein (land #3). ab jetzt ist es stockdunkel, und der emsige fluss treibt die ersten klammen kältefetzen über den weg.
kurze schrecksekunde, als ich auf dem ewig geradeaus führenden dammweg mit der stirnlampe mein schaltwerk checke, und beim wieder hochschauen direkt ins gras neben dem weg rattere. kein problem, sanft gegengesteuert. dann bemerke ich die steinpoller, die alle ca. 50 meter im gras den weg markieren – ach du scheiße, das hätte auch ins auge gehen können. schnell verdrängen und ab jetz auf akrobatik auf dem bike verzichten. zudem laufen einige kids ohne jede lampe oder reflektion auf dem damm herum. nun, ich bin nicht deren papa.
ich komme am checkpoint #1 – einem beliebigen wanderparkplatz am damm bei Bendern – an, und von Chris keine spur. ohne anstrengung habe ich in den ersten 100 km einen 30er schnitt hingelegt, so kann es gerne weitergehen! ich warte nun einige Minuten bis die vertrauten lichter des Viano am kreisel auftauchen. die riegel-verpackungen sind schon weggeworfen, frisches wasser, riegel, banane und energydrinks stopfe ich in mich und das rad, und weiter gehts in die nacht.
+++ 110 – 208.
weiter den dammweg durch Liechtenstein. eintönig, gut so. noch bin ich wach und fit. sollte hier nicht langsam der fetzen Österreich (land #4) anfangen? der weg hat sich leicht verändert, ein paar schiefe brücken – und da sehe ich zu meiner rechten eine verlassene zollstation! allerdings bin ich schon wieder auf dem weg aus Österreich raus in die Schweiz. das ging schnell. so ist auch meine idee dahin, vor jedem landesschild eine nummern-geste zu machen – viele übergänge auf dieser tour werden gar nicht ausdrücklich markiert sein. ich kann es nur wiederholen, es lebe europa. vor etwas über einem halben jahrhundert haben wir uns noch beschossen, und nun sowas.
zurück in der Schweiz in richtung Rorschach immer näher an den bodensee ran. doch statt gemütlichem kurven am wasser entlang geht es durch jeden ort und jeden kreisverkehr. ein glück ist es nacht und wenig los. habe ich die planung verkackt, oder ist der weg hier einfach so ungeschickt? naja, wie Olli Kahn zu sagen pflegte: „weiter, immer weiter.“
an einer tanke in Romanshorn kommt zufälligerweise auch Chis von hinten angefahren, eine kleine spontane labe! es wird allerdings das einzige mal sein, dass wir uns zufällig sehen. zwei schweizer fussballfans auf holland-bikes (die mädels der EM wurden leider von den Spanierinnen geschruppt) sind beeindruckt. weiter durch die nacht, auch wenn die umgebung am bodensee klamm und kühl wird.
bei Konstanz („Konschdans!“) schließlich über die brücke zurück nach Deutschland (land #5). ich war oft in der gegend, allerdings nie mit dem rad. in Radolfzell hat die pizzaria/dönerbude an unserem checkpoint #2 natürlich schon lange zu, es ist halb vier nachts. ich bin einigermaßen verfroren, und das erste mal recht kaputt.
da ich die motivation nicht aufbringen kann den Schwarzwald-anstieg jetzt schon anzugreifen, und der weg noch lange ist, beschließe ich, bis tagesanbruch mit Chris im bus eine mütze schlaf abzugreifen. das gelingt auch ziemlich gut. überraschend motiviert (sage ich im nachhinein) geht es samstag früh direkt wieder los.
+++ 208 – 300.
ein paar rampen nach Singen (Hohentwiel), und noch den satten längeren anstieg bei Tengen von ca. 400 auf ca. 750 Hm. hier kenne ich über ein paar ecken auch leute, aber es ist in aller herrgottsfrühe, und ich bin nun ganz offiziell ungeduscht und fern der heimat.
der tag beginnt mit den ersten wärmenden sonnenstrahlen, und einigen für meine verhältnisse doch recht knackigen steigungen zwischen Geisingen, Bad Dürrheim und St. Georgen.
an einem der downhills zwischendurch mit offenem trikot – mittlerweile bin ich komplett augeheizt und nassgeschwitzt – wird mir meine mit wasser gefüllte ketchupflasche (Heinz for the win!) hinten aus dem trikot gebeutelt. als ich den verlust im tal bemerkte blicke ich auf (gefühlt?) mehrere hundert höhenmeter bergauf zurück, das war mental nicht drin. bis heute das einzige stück müll, dass ich je bei einem lauf oder einer radtour bewusst auf de strecke gelassen habe. ich habe das aber durch mein konstantes fremdmüll aufsammeln im alltag und auf anderen touren um ein vielfaches kompensiert. es sei mir vergeben.
am bei km 300 gelegenen highpoint wartet Chis bei checkpoint #3 in der nähe eines windrades im schatten auf mich. ein paar minuten augen zu machen müssen drin sein. eine banane kriege ich gerade noch runter, aber ich merke dass die hitze und die anstrengung von den steigungen (die sind ja nicht direkt meine stärke) mich auslaugen. wadenkrämpfe kündigen sich an, also obacht geben.
+++ 300 – 371.
die fahrt bergab durch das Schwanenbachtal (ich lasse Reichenbach aus) ist im nachhinein leider nicht in meinem hirn gespeichert. schräg, aber bei so viel eindrücken auch nicht komplett verwunderlich. da nicht einmal das Google-StreetView-Car durch dieses tal gefahren ist, kann ich auch im nachhinein nicht nach spannenden landmarks checken. in Hornberg weiß ich nun, dass ab jetzt durch den Schwarzwald keine größere steigung mehr kommt – es geht die Gutach und anschließend Kinzig durch bis zum Rhein. dass das geographisch so möglich ist hat mich bei der routenplanung positiv überrascht. bei schönstem kaiserwetter durch Gutach, eines von nur drei dörfern, in denen der legendäre Schwarzwald-Bollenhut auch tatsächlich tradition ist.
kurz vor Offenburg macht der Schwarzwald sehr schnell der Rheinebene platz. bekanntes terrain quasi, wenn auch weiter südlich als normal für mich. auf direktem wege nach Kehl zum BurgerKing: fast immer offen, keine überraschungen beim schnell zubereiteten essen, immer ein parkplatz dabei. alle weiteren ‚kleineren‘ treffpunkte auf dieser route funktionieren nicht so gut wie BK: oft außerhalb der öffnungszeiten, keine parkplätze, längere wartezeiten aufs essen, …
dieser checkpoint #4 ausnahmsweise schon bei km 70 dieses abschnittes, da ich mir in Straßburg bei der planung unsicher war. im nachhinein wahrscheinlich unbegründet, auf diese weise aber eine gute motivation, um nach ein paar weiteren minuten rumliegen, fritten schaufeln und rehydrieren weiterzufahren, und zwar – nicht ohne mich vorher über die grenzkontrollen ausgerechnet der deutschen! aufgeregt zu haben – nach Straßburg in Frankreich (land #6).
zudem ist das von der distanz her fast schon halbzeit. ich weiß nicht mehr ob wir das bewusst erwähnt oder gar gefeiert haben, aber gefühlt ist nun so viel strecke erledigt, dass das ganze projekt immer machbarer scheint.
+++ 371 – 498.
in Straßbourg direkt vorbei am Europaparlament, nette überraschung: das hatte ich bei der routenplanung übersehen gehabt. bei nächster gelegenheit auf den Marne-Rhein-Kanal. leider ein recht schmaler weg am kanal mit ziemlich ruppigem belag, aber ich soll mich nicht beschweren: ab jetzt wieder ohne dörfer, städte, menschen, ampeln und autos kilometer schruppen! unterwegs an einem schützenhaus auf der anderen kanalseite vorbei – vielleicht sind meine sinne bereits überreizt, dennoch knallt das echt unangenehm laut, das geballere. nun bekomme ich auch den ersten regen des trips ab, glücklicherweise nur ein paar tropfen und etwas spray hier und da. die größeren zellen ziehen südlich und nördlich vorbei, wetterfrosch Chris hat mich bereits gebrieft gehabt, und ich drücke einfach die daumen dass ich gut durchkomme. auch der aufkommende wind trifft mich genau von der seite und hat kaum einfluss auf die geschwindigkeit, glück muss der mensch haben.
circa bei km 410 (Steinbourg) biege ich vom kanal nach norden ab, in richtung lothringer hinterland. und ich muss sagen: komische gegend. komisches nicht-vorhanden-sein von leuten. komische landschaft. kaum versorgungsmöglichkeiten. ein paar bescheuerte höhenmeter auf der strecke, da keine durchgangs-radwege (oder radwege überhaupt) vorhanden sind. nur grobe straßen durch den moosigen wald, auf denen die locals wie die gestörten rumheizen. ich bin froh dass ich nach ein paar anstiegen und mit einsetzender dämmerung langsam aber sicher in richtung Saarbrücken unterwegs bin, erst den Houillères-Saar-kanal und anschließend den Saar-radweg auf französischer seite entlang.
Saarbrücken! totaler kontrast. war ich schon jemals hier? zu bandzeiten? überall leute am start, nightlife, industrieromantik, viel grün … Chris war zwar nicht so begeistert von unserem treffpunkt bei checkpoit #5 (ein BK eingeklemmt zwischen schnellstraße und industriepark), für mich aber top zu erreichen – und nahrhaft! erste ausführliche nutzung der toilette, auch um dem körper mal ein bißchen hygiene vorzutäuschen. beim aufstehen nach ein paar minuten dösen die ersten wadenkrämpfe. Chris der engel hat ungefragt hochdosiertes magnesium und elektrolyte organisiert. überragend!
+++ 498 – 603.
los in die dunkelheit aus Saarbrücken, einen schönen weg die Saar entlang. höhenmeter vermeiden um jeden preis. der fluss lässt ein paar kühle lufttaschen auf den weg wandern, eine erfrischung nach einem heißen tag.
der radweg parallel zur A8 endet bei Saarlouis leider jäh. ich mache den fehler und fahre die ausgeschilderte umleitung: totale katastrophe, höhenmeter und schildergewirr, nur um ein paar huntert meter zu überspringen. super ärgerlich. aber gut, wer weiß: im nachhinein sehe ich eine brücke auf der karte verzeichnet, blöd wenn die unpassierbar gewesen wäre. in den nächsten gesperrten abschnitt fahre ich direkt ein, bekomme zwar eine ziemliche strecke groben straßenbau-gravel ab, aber alles ist besser als mit der kirche ums dorf zu strampeln, und konzentration und energie bei der umleitungs-schnitzeljagd zu verlieren. viele tiere unterwegs, ich sehe fast alles von kaninchen über blindschleichen, molche, katzen, hunde, füchse und vieleicht sogar ein paar schweinchen – die erinnerung ist mittlerweile recht schwammig.
langsam aber sicher werden die optischen täuschungen beim beobachten der flora um mich herum („war da jemand? oh, nur ein busch“) immer realer, bis es zu recht ausgewachsenen haluzinationen kommt. premiere für mich, und soweit weder beängstigend noch besorgniserregend: trinken und essen funktioniert, mein körper hat keine konzentrierten schmerzpunkte, der weg ist klar erkennbar. ich habe keine angst vor den figuren (‚blätteransammlung‘) im gesträuch und skeletthänden (‚alter ast‘) auf dem weg – aber sie werden immer deutlicher. selbst nach der auflösung in ihre ursprüngliche form (blätter, sträucher, gras) bleiben die trugbilder klebenden pixel-glitches gleich an ihrer position hängen. faszinierend, und dennoch: keine akkustischen ‚erschrecker‘ und ganz abgeklärter umgang mit diesem neuen phänomen. nicht gruselig. gar nicht mal unangenehm.
um (natürlich!) höhenmeter zu vermeiden hatte ich mir einen schönen abschnitt unten auf der gravelsektion um die berühmte Saarschleife angelegt – doch nun in der finsteren nacht kann ich nicht mal das andere ufer erkennen, nur die zig nicht-verweilen-warnschilder wegen steinschlag und fallenden ästen. naja, trotzdem ganz angenehm zu fahren. die nächsten ca. 40 km die Saar entlang vergehen trotz nachtkühle und sinnenstäuschungen recht schnell. zielgerade zum checkpoint #6. ein paar wehre und brücken später – die Mosel will bei Konz noch überquert werden – überschreite ich die breiteste grenze der welt über die Sauer/Sûre zwischen Deutschland und Luxemburg (land #7). ohne navi wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen.
Chris hat in Wasserbillig neben dem bahnhof geparkt/das nachtlager aufgeschlagen. im nachhinein stelle ich fest: ich habe es verdaddelt, Schengen in den trip mit aufzunehmen (die bedeutung wurde mir auch erst im nachhinein klar, und es wäre ein ziemlicher umweg gewesen), also ab nach Wasserbillig. trotz screenshot von Chris muss ich zwei mal hin- und herfahren bevor ich den bus finde. der schlafende typ in der unterführung ist definitiv echt, keine hallu, schläft aber nach dem aufschrecken ruhig weiter. der eigentiche checkpoint #6 (eine frittenbude) hat zu, es ist mittlerweile wieder ca. 3 oder 4 uhr nachts.
ich beschließe, nichts zu riskieren und dem körper und geist ein paar stunden regeneration zu gönnen. fahrrad anschließen, strom an die gerätschaften, iso aufs bett (geduscht wird daheim wieder), noch etwas trinken bis einmal pinkeln geht, dann augen zu. klappt wieder erstaunlich gut.
der wecker klingelt kurz vor sonnenaufgang, und ich komme zum zweiten schweren ‚inneren-schweinehung-punkt‘ der fahrt: jetzt in diesem zustand aufstehen und auf den bock erscheint mir kaum möglich. ich sitze eine gefühlte ewigkeit nur stumpf da und starre aus dem Fenster. aber hilft ja nix. zudem weiß ich, dass ich bald alte bahntrassen fahren kann: wenig steigung, kein verkehr … das wird toll werden. also auf gehts, junge!
+++ 603 – 706.
es geht in den morgennebel los. ein paar huntert meter klamm, danach bin ich schon aufgewärmt. so ein glück mit dem wetter! ich habe seit freitag meine bib nicht gewechselt (und auch sonst nichts), das rächt sich spätestens jetzt: in einer pavianherde würde ich wahrscheinlich nicht auffallen mit meinem hintern. ich lade kräftig Hirschtalg-Creme nach, aber kann das geschehen nur mühsam unter eindämmen. den tag werde ich hauptsächlich im wiegetritt absolvieren, wodurch ich vor allen dingen meine handballen übermäßig stark belaste.
ich genieße den Sûre-radweg in Luxemburg, quere bei Steinheim/Minden wieder nach Deutschland, und bekomme die ersten steigungen des letzten abschnittes der tour vor die räder. ich klettere durch die Bittburger bierhopfen-felder bei Holsthum aus dem tal – und damit aus dem nebel – hoch, noch ein bißchen durch die gegend und noch einige zeit die Enz entlang. auch hier ist die erinnerung schwammig. die sanfte steigung, das den fluss entlangmäandern … genau das richtige zu dem zeitpunkt, aber eben auch nicht besonders spannend. ab Neuerburg (km 650) geht es vom alten bahnhof aus durch den tunnel auf die alte bahnstrecke Pronsfeld–Neuerburg, die Enztalbahn – alten abgebauten bahntrassen, welche zu fahrradwegen ausgebaut wurden. gleich der erste anstieg erfüllt meine hoffnungen für den rest der route komplett: schattig, sanft bergauf, kein verkehr, kaum kreuzungen. deluxe. auf gehts, einfach weiterdieseln: die letzten 200 km kriegen wir auch noch gebacken!
so geht es eine ganze zeit lang entlang, die langen sanften downhills kühlen angenehm ab, sind eine genugtuung für die seele (und die beine), die bergauf-sektionen meist recht dankbar. durch das navi kann ich sogar die zur orientierung benötigten hirn-areale ausschalten. den grenzübertritt kann man wieder leicht übersehen wenn man nicht darauf achtet, und so überquere ich in der nähe von Steinbrück die Our nach Belgien, land #8. nächster stopp: Sankt Vith, frittenbude.
+++ 706 – 788.
Chris verspätet sich und findet in der innenstadt erst keinen parkplatz. mittlerweile ist auch er gut übermüdet, hat ja auch schon weit über 1.000 km auto fahren und nur stundenweise etwas dösen in den knochen – auch nicht ohne. ich genieße kurz nach der öffnungszeit mittags einen großen berg original belgische fritten, dazu jede menge zucker und chemie in getränkedosenform. überragend! kurzzeitig verliere ich anschließend die nerven und kleide mich komplett neu in ersatzbib und frisches trikot ein, samt kräftig hirschtalg-creme – es hilft allerdings nur bedingt. um nicht zu ersticken wird Chris das alte zeug in einem brunnen etwas auswaschen, und danach unauffällig die flucht ergreifen bevor die locals das nun trübe, ölige und scharf stinkende wasser im trog mit ihm in verbindung bringen.
es geht los auf den letzten abschnitt. was für viele mit ca. 70 km länge eine ausgiebige tagestour ergeben könnte ist für mich mental nur die zielgerade – zudem tendenziell bergab am schluss. was kann da schon schief gehen? (soundeffekt: dääääh – dä dääh däh.)
meine größte herausforderung ist mittlerweile die müdigkeit, sekundenschlaf schleicht sich in die ‚lass-rollen-sektionen‘, ich haue mir alles an zucker rein was ich in der rahmentasche und dem „gastank“ finde.
ich weiß nicht mehr genau was ich alles noch in den Magen bekommen habe, aber irgendwas ging schon rein. die hände schmerzen und sind halb taub durch das wiegetritt-fahren, aber dieses alte bahnsystem ist dankbar ohne ende. der wahoo zeigt immer weniger kilometer an, nur noch 18, nur noch 10, fünf, vier … komisch, langsam müsste doch hier schon stadt sein? naja, man fährt ja öfter durch grünstreifen in ein stadtzentrum. ich gebe Chris die zeit durch, er warnt mich dass ein saftiges gewitter im anmarsch ist. es ist schon recht finster, das flackern können blitze oder optische täuschungen sein, aber der donner ist real. ein glück geht es bergab. wieso bin ich noch nicht da? der wahoo zeigt … minus 3 km?! wtf?!! ich schaue parallel auf google maps, und tatsächlich hat es auf den letzten metern der routenplanung noch geglitcht, das kommt mir zum ersten mal unter: 14 km sind noch zu fahren! alter. ein glück geht es bergab, das wäre sonst ein ziemlicher nackenschlag gewesen. ich gebe Chris die infos durch, und gebe dann kräftig gas um dem gewitter-regen zuvorzukommen und die sache zuende zu bringen.
wie gesagt: ein glück hauptsächlich downhill. ich komme endlich an der grenze an … oder ist das überhaupt die grenze? nein, nur die deutsche. eins weiter drüben endlich! Land #9, die Niederlande! Chris winkt mich rüber, ich recke kurz die fäuste in die luft – dann schnell das rad aufs auto schnallen, und schon pladdert es runter als gäbe es kein morgen. wir sitzen den regen im bus auf einem parkplatz im niemandsland (?) aus. danach erstmal rein in die Niederlande – wenn man schon mal da ist – und ins nächste restaurant, bißchen energie einpacken.
788 km gesamtdistanz. laut komoot 3.340 Hm hoch und 5.220 Hm runter. ziemlich genau 45 h alles in allem. 33 h fahrzeit (und somit fast 12 h (!) zu langsam gefahren oder verdaddelt und verpennt!). durchschnittsgeschwindigkeit 23,8 km/h.
keinerlei mechanischen probleme. danke Canyon, danke Grail Al!
+++ kurz danach.
ich bin noch ziemlich hyper von den energy-drinks, aber die schiere freude, dieses brett abgeliefert zu haben kriecht schon durch. ich mache mir lange gedanken über den namen der Strava-fahrt, aber mein hirn ist recht matschig. final ändere ich auf „9-Länder-Tour“ um. kaum jemand wird die tour im feed sehen, denn sie erscheint als freitag-abend-fahrt – so lange scrollt kaum jemand zurück.
auf dem heimweg döse ich vor mich hin. Chris hat es eilig und wird noch in einer baustelle geblitzt – ein glück nur ein paar km/h zu viel. gegen 22h00 am sonntag sind wir bei den eltern in ettlingen.
was für ein trip.
+++ lange danach
nach zweimaligem DNF bei der Mittelgebirge Classique wusste ich zum einen nicht, ob ich diesen trip schaffe. und zum zweiten, dass ich um jeden preis höhenmeter minimieren muss.
alleine und mit bikepacking-sachland hätte es höchstwahrscheinlich auch nicht hingehauen; schon die anfahrt mit der deutschen bahn wäre ein absoluter albtraum geworden. zudem war ich immer nur maximal fünf stunden vom nächsten checkpoint entfern, bei diesen distanzen eine sehr managebare zeit. hätte es mich lang gemacht hätte ich direkt anrufen können. so konnte ich entspannt mit allen gegebenheiten umgehen, und musste mir nicht noch einen schlafplatz suchen und das bivak aufbauen.
Chris, ohne dich wäre das alles nicht möglich gewesen. Danke, danke, und nochmals danke.
+++ wen interessiert’s?
niemanden. schlicht und ergreifend. eines tages sind wir alle zu staub zerfallen, und sobald wir vergessen sind sterben wir entgültig. that‘s it, that‘s all.
auch die unmittelbaren reaktionen entsprechen dem klischee für ungewöhnliche leistungen: unglaube, unverständnis, neid, erleichterung. es ist eine extrem kleine gruppe an menschen die das nachvollziehen und sich uneingeschränkt für einen freuen können. wer also auf schampusdusche und jubelnde massen bei der zieleinfahrt gewartet hast: not gonna happen, my dude.
was bei mir eintritt ist ein tiefer innerer friede.
das mentale häkchen an einem als unmöglich oder unwahrscheinlich eingestufem projekt.
die geistige öffnung für weitere abenteuer dieser art.
bragging rights (auch wenn es niemanden interessiert).
let‘s go, my dudes (and duderinas).