„Mit Schlamm bespritzt und moralisch verdächtig“
Ein Abend mit dem Elektro-City-Flitzer
Es war einer dieser Abende, an denen der Regen nachlässt, die Luft feucht und klar ist, und der Asphalt noch glänzt wie frisch lackiert. Ich holte meinen Elektro-City-Flitzer aus dem Schuppen – bereit für eine kleine Tour. Nicht weit, nur kurz raus, Kopf frei kriegen. Die Route war klar, aber wie das so ist: Nur ein kleiner Umweg, dachte ich. Eine Abkürzung über den Hang.
Diesen Hang kennt hier jeder. Im Winter sausen Kinder auf Plastikrutschern runter, im Sommer liegt er da – unbeeindruckt und unbefestigt. Gras, Geröll, ein bisschen Erde. Mein Elektro-City-Flitzer ist zwar kein Mountainbike, aber hey, das Drehmoment ist da, der Akku voll. Ich trat an.
Fehlkalkulation.
Der Boden war ein matschiger Mix aus aufgeweichtem Lehm, Wiesenresten und feinem Schlamm. Die Räder drehten durch. Der Antrieb gab sein Bestes, aber der Grip war ein Mythos. Ich kam nicht hoch. Stattdessen verwandelten sich die Schutzbleche meines sonst so eleganten Flitzers in Schlammschleudern. Ich schob zurück. Mit Würde. Oder dem, was davon noch übrig war.
Zuhause dann der Moment: Mein Elektro-City-Flitzer war nicht mehr wiederzuerkennen. Räder, Rahmen, Streben – alles war bedeckt mit dem, was der Hang zu bieten hatte. Ich wollte ihn nicht so in den Schuppen stellen, also griff ich zum
Schlauch mit Sprühdüse.
Aber ich dachte mit.
Nicht etwa auf meiner gepflasterten Einfahrt. Nein.
Ich schob den Flitzer auf die Straße – an den Rinnstein. Dort, wo das Wasser sowieso langläuft. Ich spritzte los. Der Schlamm löste sich. Grasreste flogen. Kleine gelbliche Rinnsale zogen über den Asphalt. Für die kommende Nacht hatten die Wetterfrösche erneut Regen angekündigt – die Natur würde also den Rest übernehmen. Wie immer. Seit Jahrmillionen.
Und doch… während ich dort stand, mit dem
Schlauch in der Hand, überkam mich ein vertrautes Gefühl: Beobachtung.
Nicht offen, sondern feinsinnig. Hinter Gardinen.
Ich spürte die Frage im Raum hängen:
„Sprüht der da etwa Schlamm auf die Straße? Mit Wasser? Einfach so?“
Willkommen im 21. Jahrhundert.
Wo nicht zählt, was du tust – sondern wie es aussieht.
Ich erinnerte mich: Die neue Biotonnenverordnung.
Von den Grünen durchgedrückt, voller Überzeugung: Maximal 1 % Fremdstoffe im Biomüll. Und weil man dem Bürger nicht traut, kommt jetzt KI-gesteuerte Kontrolle der Tonne. Kameras, Sensoren, Algorithmen. Bald ist wohl selbst die braune Tonne intelligenter als der gesunde Menschenverstand.
Ich sah meinen Elektro-City-Flitzer an.
Er war sauberer. Noch nicht ganz trocken. Die Kette war nicht verharzt, aber vielleicht ein bisschen feucht. Ich dachte an meine Möglichkeiten.
WD-40? Ja, ich habe es. Das Original. Nicht das Spezial-Öko-Wunder mit dem veganen Etikett und dem Bienenlogo. Das echte. Mit Geruch, Wirkung und langer Schraubertradition.
Ich wusste: Wenn ich das jetzt nehme, tue ich, was nötig ist. Aber wehe, jemand sieht es. Dann bin ich nicht mehr der pflichtbewusste Radfahrer mit E-Antrieb, sondern der rücksichtslose Umweltzerstörer mit Sprühdose.
Ich stellte meinen Elektro-City-Flitzer in den Schuppen. Der warme Abend würde ihn trocknen. Ich atmete durch. Kein schlechtes Gewissen. Nur der Gedanke:
Heute reicht ein Tropfen Öl oder eine Wasserpfütze auf Asphalt, und du stehst moralisch auf Bewährung.
Vielleicht wird’s ja bald noch enger. Vielleicht darf ich bald nur noch mit QR-Code befülltem Kettenöl fahren. Oder der Gully braucht eine Genehmigung. Oder mein Rad wird bei der nächsten Reinigung vom Umweltamt vermessen.
Aber für heute?
War mein Elektro-City-Flitzer wieder sauber. Und ich zufrieden.