Dass ich ins Rennradfahren fast schon unabsichtlich hineingeschliddert bin, ist seit meiner Anmeldung hier kein Geheimnis, sondern
andernorts (wie in der Signatur verlinkt) schon erzählt worden. Jetzt blicke ich staunend und erfreut auf meine erste Saison mit dem Rennrad zurück. Was sich zuerst einstellt, ist eine Art positiv-dynamischer Ernüchterung.
Denn: Nachdem ich im Frühherbst 2012 vor meinem Einstieg die verschiedenen Saisonplanungs-Threads der Vorjahre studiert hatte, meinte ich, so 3000 Saisonkilometer sollten für einen Einsteiger mittleren Alters doch drin sein.
Geworden sind es nun 1536 km. Es gibt also Luft nach oben, so dass ich für 2014 mal plane, die 2000 Saisonkilometer zu knacken und erste Ausfahrten über die für mich noch etwas magische 100km-Grenze hinaus zu treiben... An einigen Spitzen-Tagen bin ich schon an die 80km drangekommen, mit Durchschnitten knapp unter der 27 km/h-Marke. Für einen früheren Sport- und Bewegungsvermeider sicher ein guter Anfang, aber mehr auch nicht.
Ich erinnere mich bestens an den ehrfürchtigen Schauder, der mich am 25. September 2013 durchrieselte, als ich ungläubig nach der Alltags-Hausrunde von 45 km eine "27" bei der Durschnittsgeschwindigkeit vor dem Komma hatte. Signifikanterweise fuhr Tony Martin an diesem Tag, wie ich tags darauf in der Zeitung sah, bei der WM im Einzelzeitfahren in der Toskana ein Stundenmittel von 52,949 km/h. (Aber gut, der ist auch locker 10 Jahre jünger und fährt wohl zudem schon etwas länger...)
Immerhin hatte ich die 1000km-Marke schon im Sommer geknackt und freute mich an der Beobachtung, dass ich mich inzwischen manchen am Saisonbeginn fast unneinehmbar scheinenden "Berg" zu dieser Zeit schon vergleichsweise mühelos hinaufsaugen konnte, und zwar nicht im kleinsten Gang, sondern in gut mittlerer Lage. Die Beine wenigstens hatten sich da auch nicht nur in ihrer Funktionsweise, sondern auch optisch erkennbar durchaus zu ihrem Vorteil zu entwickeln begonnen, was mich seither bei jedem Sockenanziehen täglich fröhlich stimmt.
Die 1000 km durfte ich ganz und gar pannenfrei erleben. Allerdings konnte ich bei einer denkwürdigen Begegnung, die ich
hier beschrieb, einem hessischen Triathlethen Pannenhilfe leisten, bei der ich viel gesehen und gelernt habe.
Im September erwischte es mich dann selbst: Ich fuhr in einer Kehre am Berg durch einige Handvoll offenbar von einem Kieslaster gefallenen spitzen Basaltkieses von etwa halber Tischtennisballgröße, als ich verärgert feststelle, dass es sich aber heute auch bergauf von Meter zu Meter schwerer tritt.
Die dann binnen kurzem vom Hinterrad her zu vernehmenden Flappgeräusche ließen nur den Schluss zu, dass ich ein Stück vom großflächig verteilten Spitzkies mit dem Hinterrad erwischt haben musste, denn ebendort war die Luft 'raus. Das bedeutete: Der erste Schlauchwechsel in freier Wildbahn auf menschenleerer Straße in der spätsommerlichen Abenddämmerung würde am Hinterrad stattfinden müssen, ich würde also nicht nur mit einem Schnellspanner, sondern auch mit der Kette und ähnlichem öligen Schaltgedöns zu hantieren haben, irgendwie...
Die Aktion glückte, es dauerte kaum länger als 25 Minuten, aber ich sah in meinem rot-weißen Nalini-Trikot und im Gesicht aus als sei ich nach einer Schicht als Bohrarbeiter von einer Offshore-Ölbohrinsel ausgeflogen worden. Mit reichlich
WD40-Vorbehandlung ließ sich durch zwei Wäschen die Klammottage retten; - ein Tipp, den ich diesem werten Forum zu verdanken hatte. Als ich mich wenig später bei meinem Händler einen neuen Ersatzschlauch einzukaufen anschickte, konnte ich an der Kasse bei dessen Werkstattleiter die ganze Geschichte gesten- und wortreich anbringen. Darauf hatte ich mich schon während der Pannenbehebung heimlich gefreut. Leider erzielte ich aber nicht ganz die erhoffte hochdramatische Wirkung, die es hätte haben müssen, als von mir im Radladen aus erster Hand davon berichtet wurde, wie ein noch immer leicht übergewichtiger Geisteswissenschaftler mit Ende dreißig irgend etwas zu schrauben beginnt...
Die physischen Auswirkungen einer unerwarteten Dehydratation im Hochsommer waren auch eine solche Einstiegserfahrung, die mir hängen bleiben wird. Ich habe
hier davon erzählt. Die für kurze Zeit sichtbaren Heldenkanten waren in diesen Tagen des August durch einen ersten sportspezifischen Sonnenbrand und einen freitäglichen leichten Sonnenstich erkauft. Daran dachte ich gestern bei einer kleinen Runde bei 6 Grad und strammem trockenem Ostwind fast schon ein wenig sehnsüchtig zurück.
Ein letztes Lehrstück, ebenfalls Ende August / Anfang September zu verzeichnen, ist dem Kapitel "Hungerast" gewidmet. Wäre ich zuvor noch geneigt gewesen, diesen gedanklich für mich persönlich ins Reich der Legenden und Mythen einzuordnen, so erlebte ich nach einer gut dreistündigen Ausfahrt an einem Tag mit davor wegen Hitze vergleichsweise gering ausgefallener Nahrungsaufnahme, dass dessen unvorbereitete Heimsuchung zu späteren Durchfällen führen kann.
- Wenn man nämlich meint, es geht nichts mehr vorwärts, obwohl andererseits gar nichts wehtut, dann müsste das so etwas in dieser Art sein. Inmitten der Fantasiebilder von zuckrigem Backwerk, die ich aus normalen Lebenssituationen gar nicht von mir kenne, blieb an diesem Nachmittag mein Blick an einem voll behangenen Birnbaum am Straßenrand hängen. Auf dem Boden lag schon erstes blaßgelbes gereiftes Fallobst, noch ganz bissfest, ohne jeden Makel und von seltener Aromenfülle. Gestärkt durch 6 oder 7 Birnen und reichlich Wasser aus der Flasche brachte ich die letzte dreiviertel Stunde Ausfahrt wohlgemut zuende, vom gelegentlichen birnen-geschmackvollen Aufstoßen weithin unbeeindruckt.
Nach dem Duschen und Umziehen hatte ich an den sich einstellenden Verdauungsfolgen noch Freude bis in die Nacht.
Ich komme insgesamt nicht umhin, mich nun, um so viel klüger und weiser, auf die Nächste Saison noch mehr zu freuen, als auf die in manchem noch recht ungelenke, aber spannende denkwürdige erste.